Darstellungsweisen der Kaiserproklamation in Versailles

Darstellungsweisen der Kaiserproklamation in Versailles

Die Kaiserproklamation in Versailles des preußischen Königs Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 wurde auf verschiedene Weisen dargestellt, in denen sich die Meinungsverschiedenheiten und Unsicherheiten im Selbstverständnis der neuen Nation gegen innen und außen spiegeln.

Inhaltsverzeichnis

Die Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles

Der 18. Januar 1871, der 170. Jahrestag der Gründung des Königreichs Preußen, wurde gleichzeitig der Gründungstag des Deutschen Reiches. An diesem Tage wurde der preußische König Wilhelm I. durch die Fürstenversammlung zum Deutschen Kaiser proklamiert und ein Staatenkonstrukt geschaffen, wie es dies in Deutschland seit dem Jahre 1648 (Westfälischer Friede) nicht mehr gegeben hatte. Das zweite deutsche Reich wurde aus der Taufe gehoben.

Stattgefunden hat dieser historische Akt im damaligen provisorischen Hauptquartier der Belagerungsarmee um Paris, in dem Spiegelsaal des Schlosses von Versailles. In der Kaiserproklamation fand die dramatische Entwicklung weniger Jahre ihren Höhepunkt, gegen Ende eines Reichsgründungskrieges mit Frankreich, der den Erfolg Preußens in der Schlacht bei Königgrätz 1866 definitiv bestätigte. Er konstituierte einen kleindeutschen Machtstaat mit erheblichen nationalen Problemen in seinen östlichen, nördlichen und westlichen Randzonen und stellte eine Demütigung für das unterlegene Frankreich dar, die im Vertrag von Versailles 1919 auf Deutschland zurückfiel. Angeblich wandte sich Wilhelm noch am Vorabend der Proklamation gegen die Übernahme der Kaiserwürde, doch gelang es, die Uneinigkeit über die künftige Machtverteilung durch die Siegerpose zu überdecken.

Man könnte annehmen, dass der 18. Januar nicht zufällig gewählt wurde. Noch Wochen und Tage zuvor konnte man jedoch nicht mit Gewissheit sagen, welcher Tag es noch werden könnte, hatten doch Bayern und Sachsen noch nicht zugestimmt.

Verschiedene Betrachtungsweisen

In zahlreichen Publikationen der Zeit wird das Zeremoniell genauestens beschrieben und die wichtigsten Personen und ihre Funktion werden im Detail geschildert. Um die unterschwelligen Kontroversen durch mythische Begriffe zu verhüllen, wurde zum Beispiel davon gesprochen, dass die Krone „vom Blut aller deutschen Stämme gekittet“ worden sei. Die Gründung des Deutschen Reiches vollzog sich in einer widersprüchlichen Mischung aus Bescheidenheit und Großspurigkeit. Die deutsche Öffentlichkeit sollte sich ein Bild machen, in welch schlichtem Rahmen „das neue zukunftsreiche visionäre Deutschland“ entstanden sei.

Drei Schilderungen sollen hier in gebotener Kürze dargestellt werden. Eine Beschreibung von Kaiser Wilhelm I. selbst, eine zweite des künftigen Reichskanzlers Otto von Bismarck, der als Motor der Reichsgründung fungierte, und eine allgemeine Darstellung der Zeit zur Proklamation.

Die beiden ersten Darstellungen machen deutlich, wie die beiden Hauptakteure die Proklamation empfunden haben. Die allgemeine Darstellung zeigt, wie die Empfindung der deutschen Öffentlichkeit zur Zeit der Proklamation gelagert war bzw. wie sie im Idealfall sein sollte. Die drei gewählten Beispiele erscheinen authentischer als spätere Darstellungen, besonders die Schilderungen in Quelleneditionen und Schulbuchdarstellungen zwischen 1918 und 1945, die alle unter dem dominierenden Eindruck der nicht verstandenen Niederlage des „Bismarck-Reiches“ im Ersten Weltkrieg entstanden sind.

Während Wilhelm I. eine Beherrschung des Französischen, auch als Beherrschung der französischen Sprache zur Schau trägt, hat Bismarck ganz andere Interessen, die auf die Machtverteilung im neuen deutschen Nationalstaat gerichtet sind. Er kritisiert erstaunlich offen die Naivität und Unüberlegtheit des Kaisers, der sich offenbar scheut, sich als Autorität gegenüber den Fürsten zu profilieren und sich lieber als Kriegsherrn sieht, der mit seinen Getreuen über die Unterlegenen triumphiert.

Pfister schließlich betont die polarisierende öffentliche Wirkung des Zeremoniells.

Bildliche Darstellung

Anton von Werners erhaltene dritte Fassung von 1885

Der Hofmaler Anton von Werner war bei der Proklamation zwar nur ganz am Rande anwesend, schuf aber im Nachhinein das bedeutendste Gemälde zur Proklamation, welches bis zum heutigen Tage visuell und kulturhistorisch das Bild-(Miss)Verständnis zur Kaiserkrönung ist. Schon Wilhelm II. erwähnt das Gemälde der Proklamation in seinen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahre 1875 schwärmend und hochlobend und weist es als „berühmt“ aus.

Ähnlich wie bei den schriftlichen Berichten über die Proklamation zeigt sich im Umfeld dieses Gemäldes eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit, auf welche Art mit ihm zu repräsentieren sei: Der „hohe Stil“ der Historienmalerei in alter Tradition begegnet seltsam widersprüchlich einem modernen dokumentarischen Anspruch im Sinne der Zeitungsillustration. Der zeitliche Abstand ermöglichte es, die Unstimmigkeiten im Moment der Proklamation zu vertuschen und den Staatsakt zum souveränen und legitimen Augenblick zu verklären.

Anton von Werner schuf drei Bilder zur Proklamation, doch nur das letzte der Gemälde (entstanden 1885 als Geschenk zum 70. Geburtstag Bismarcks) überstand den Zweiten Weltkrieg. Es befindet sich jetzt im Bismarck-Museum (Friedrichsruh). Die früheren Bilder verbrannten im Kampf um Berlin 1945. Das erste entstand 1877 und hing im Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses, das zweite wurde in Freskotechnik gefertigt, war in der Heldenhalle des Zeughauses zu Berlin und entstand 1882. Die drei Bilder wiesen starke Unterschiede auf, was ihre dokumentarische Relevanz offenbar nicht schmälerte.

So sind etwa Personen in der für Bismarck 1885 gestalteten Version zugegen, die am eigentlichen Zeremoniell nicht teilgenommen haben. Aber auch die Kleidung Bismarcks ist mit den ersten Versionen nicht übereinstimmend, trägt er doch in der spätesten Version eine weiße Galauniform und den Pour le Mérite, den er zum Zeitpunkt der Proklamation noch gar nicht verliehen bekommen hatte. Auch Kriegsminister Albrecht von Roon wird in die Friedrichsruher Fassung eingebaut, obwohl dieser, angeblich wegen einer Magenverstimmung nach einem Sektfrühstück, nicht an der Proklamation in Versailles teilnehmen konnte. Wilhelm I. bestand allerdings auf die Hinzufügung Roons.

Somit hatte sich der Maler dem Geschmack seines Auftraggebers anzupassen. An solchen Details wird deutlich, dass es von Werner nicht um das wirkliche Abbilden des Aktes als solches ging, sondern um eine Inszenierung. Ferner war von Werner zur Proklamation geladen worden.

Allerdings werden häufig noch in der Rezeptionsgeschichte seine Bildversionen als korrekt geschildert. Vergessen ist meist die Hektik, der unsichere Ausgang und die Situation im Hauptquartier, das als großes Lazarett fungierte. Diese Bilder der anderen Seite um die Geschichte der Proklamation werden eher als Randerscheinungen gesehen. Von Werner hat mit seinem Bild erreicht, was er erreichen wollte, die Schaffung eines vordergründig „realistischen Historismus“ der Reichsgründung.

Zweite Version

Zweite Fassung 1882 als Fresco für die Ruhmeshalle Berlin. 1944 nach Bombentreffer zerstört.

Literatur

  • Thomas W. Gaethgens (Hrsg.): Anton von Werner. Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches. Ein Historienbild Im Wandel preußischer Politik. Frankfurt am Main 1990.
  • Hans-Christian Kokalj: Darstellungsweisen der Kaiserproklamation in Versailles. In: Tobias Arand (Hrsg.): Welch eine Wendung durch Gottes Fügung. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 und die Formen seiner historischen Erinnerung in beiden Ländern vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Münster 2005, ISBN 3-934064-57-4.
  • Christian Rak: Krieg Nation und Konfession. Die Erfahrung des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Paderborn 2004

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