Dionysius Exiguus

Dionysius Exiguus

Dionysius Exiguus oder auch Denys der Kleine bzw. der Geringe (* um 470; † um 540) war von Geburt Skythe und lebte seit etwa 500 als Mönch und Freund des Cassiodor in Rom. Dort übersetzte er griechische patristische Schriften ins Lateinische. Er wurde durch die Sammlung der Konzilienbeschlüsse und der päpstlichen Dekretalen, als herausragender Computist und als Begründer der Christlichen Zeitrechnung bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Die christliche Zeitrechnung gemäß Dionysius Exiguus

Dionysius gilt traditionell als Begründer der Christlichen Zeitrechnung, die er im Jahre 525 erstmals vorschlug. In jüngster Zeit wurde allerdings die Hypothese aufgestellt, er habe sein Konzept aus einem verlorenen Werk des Eusebius von Caesarea übernommen.[1]

Sofern Dionysius die christliche Ära entwickelt haben sollte, ging er nach Studium des damals bekannten Wissens recht pragmatisch vor.

Zur Berechnung des Osterdatums bedient man sich bis heute unter anderem des 19-jährigen Metonischen Zyklus. Der genaue Ostertermin eines jeden Jahres innerhalb eines solchen Zyklus wurde auf so genannten Ostertafeln dargestellt. Trotz der Bezeichnung legen sie den gesamten christlichen Mondkalender fest. Die ersten Ostertafeln erstellten Theophilos und sein Nachfolger Kyrillos, Patriarchen von Alexandria, bereits seit Ende des 4. Jahrhunderts. Theophilos ließ den ersten Zyklus seiner Tafeln mit dem Jahr 96 (= 19 × 5 + 1) der damals üblichen Diokletianischen Ära beginnen. Der letzte Zyklus dieser Tafeln endet mit dem Jahr 228 (= 512 n. Chr.).

Wegen des umstrittenen Ostertermins des Jahres 526 wandte Dionysius sich dem Thema zu. Ihm lag noch, wie er es in seinen Schriften erwähnt, eine Tafel für den 13. Zyklus der Diokletianischen Ära (229–247 = 513–531 n. Chr.) vor. Inzwischen war aber von Anianos, einem ägyptischen Mönch des 5. Jahrhunderts, bereits der sogenannte alexandrinische Zyklus zu 532 Jahren (532 = 19 x 28) entwickelt worden, der den 19-jährigen Metonischen Mondzyklus mit dem 28-jährigen sogenannten Sonnenzyklus der Wochentage im Sonnenkalender verbindet.

Dionysius erkannte nun im Jahr 241 nach Diokletian (525 n. Chr.) folgendes: Mit dem Jahr 247 nach Diokletian (531 n. Chr.) werden 13 Metonische Zyklen innerhalb dieser Ära vergangen sein. Gestützt auf andere Quellen wusste er, dass zwischen dem Beginn der Ära Diokletians am koptischen Neujahrstag 1. Tout des Jahres 1 nach Diokletian (29. August 284) und dem Ende der Herrschaft des Königs Herodes, in etwa fünfzehn weitere Metonische Zyklen, also 285 Jahre verflossen sein mussten. Dies ergäbe einen kompletten alexandrinischen Zyklus zu 532 Jahren.

Er beschloss deshalb auf seine Tafeln ab dem Jahr 248 nach Diokletian (in römischem Stil mit dem 1. Januar als Jahresbeginn, also etwa 4 Monate später), auch die Jahresangabe anni ab incarnatione Domini, lateinisch für „Jahre nach der Inkarnation des Herrn“ zu schreiben. Letztere ist im Vergleich zur ersteren um genau 284 (15 × 19 − 1) Jahre erhöht, was wiederum bedeutet, dass der vorangegangene, gerade ablaufende, alexandrinische 532-Jahre-Zyklus mit dem geschichtlichen Jahr 1 v. Chr. begonnen haben muss. Über ein genaues Jahr für die Geburt von Jesus von Nazaret (Jahr 1 v. oder n. Chr.) äußert sich Dionysius Exiguus, entgegen vielen anderslautenden Behauptungen, aber nicht explizit. Später errechnete man, dass das Jahr 1 n. Chr. dem römischen Jahr DCC.LIV (754) ab urbe condita entspricht, seit der legendären Gründung Roms.

Diese Rechnung in christlichen Jahren war seinerzeit noch lange ausschließlich Komputisten vorbehalten. Beda Venerabilis, ein englischer Benediktiner, vervollständigte die ursprünglich nur auf 95 Jahre (532–626) ausgelegten dionysianischen Tafeln zu einem kompletten zweiten alexandrinischen Zyklus (532–1063). Damit erlangte die Zeitrechnung nach Dionysius Exiguus allmählich innerkirchliche Anerkennung. Die Zeitrechnung wurde von Beda erstmals in seinen historischen Schriften verwendet.

Die Fürsten des frühen Mittelalters zogen noch lange ihre eigenen Herrschaftsjahre zur Datierung vor, ebenso wie Bischöfe und Päpste. Ins allgemeine Bewusstsein des Volkes wurde die christliche Ära wohl spätestens mit der Kaiserkrönung Karls an Weihnachten 800 gerückt. In amtlichen Dokumenten zur Regel wurde sie in Westeuropa gegen Ende des ersten Jahrtausends, im orthodoxen Russland zum Beispiel nicht vor Peter dem Großen.

International hat die Rechnung in christlichen Jahren gemäß Dionysius Exiguus gegenwärtig weltweit offizielle Gültigkeit.

Im Europa des frühen Mittelalters kannte niemand die Ziffer oder die Zahl Null. Trotzdem erweckt die Anwesenheit des lateinischen Wortes nulla ‚kein‘ in der dritten Kolonne seiner Ostertafel den Eindruck, dass Dionysius Exiguus jene wichtige Zahl bekannt war. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass sein nulla eine echte „Null“ war. Er gebrauchte sie auch nicht in seinen Berechnungen. Darum ist bei den Zeitangaben „vor Christus“ stets zu bedenken, dass nach der astronomischen Jahreszählung, die das Jahr Null enthält und die mit dem Minus-Zeichen versehen werden, wenn die Jahre vor dem Jahr 0 gemeint sind, ein Jahr von der Jahresangabe v. Chr. abzuziehen ist. So trank etwa Sokrates im Jahre 399 v. Chr. den Schierlingsbecher, was dem astronomischen Jahr −398 entspricht.

Im Europa des Mittelalters wurde erst ab dem 13. Jahrhundert (vereinzelt) die Zahl Null arithmetisch verwendet, die allgemeine Akzeptanz kam erst seit der Renaissance.

Werke

Collectio Dionysiana

Konzilskanones

  • Versio prima (496–498): Konzilstexte, Übersetzungen griechischer Synodalbeschlüsse von Sardika, Chalkedon und einer Karthagischen von 419.
  • Versio secunda Konzilsbeschlüsse von Niceae (325) bis Konstantinopel (381), dann Chalkedon (451), Serdika (342), Karthago (419).
  • Versio tertia (514–523): Unterschiede zwischen Ost- und Westkirche, in Latein und in griechischer Version; Apostolische Kanones, Sardika und afrikanische Konzile.

Dekretalensammlung

  • Collectio Decretalium Dionysiana, (498–514): 38 Dekretalen (38) der Päpste Siricius (384-399) bis Anastasius II. (496–498). Nachträglich wurden noch weitere Dekretalen angefügt.
  • Dionysiana (Corpus codicis canonum, Corpus Canonum): konziliare Sammlung und Dekretalensammlung. Papst Hadrian erweiterte diese mit den neuen päpstlichen Dekretalen und übergab sie 774 an Karl den Großen. Daraus entstand die Dionysio-Hadriana und wurde zum Gesetzbuch der fränkischen Kirche, ab 802 (Generalsynode zu Aachen). Sie wurde ferner um 800 mit zur Grundlage der Dacheriana, einer systematischen Sammlung kanonischen Rechts.

Literatur

  • Hans Archelis: Dionysius Exiguus. In: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (RE). 3. Auflage. Band 4, Hinrichs, Leipzig 1898, S. 696–698.
  • Godehard Josef Ebers: Grundriss des Katholischen Kirchenrechts. Rechtsgeschichte und System. Manz, Wien 1950.
  • Adalbert Erler: Kirchenrecht. Ein Studienbuch. 5. Auflage. Beck, München 1983, ISBN 3-406-07414-6 (Juristische Kurzlehrbücher).
  • Hans Erich Feine: Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche. 4. Auflage. Böhlau, Köln u. a. 1964.
  • Johann B. Haring: Grundzüge des Katholischen Kirchenrechts. 1. Teil. 3. Auflage. Moser, Graz 1924.
  • Georg May: Kirchenrechtsquellen I. Katholische. In: Gerhard Krause, Gerhard Müller (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie. Band 19: Kirchenrechtsquellen – Kreuz. de Gruyter, Berlin u. a. 1990, ISBN 3-11-012355-X, S. 1–44.
  • Daniel McCarthy: The Emergence of Anno Domini. In: Gerhard Jaritz u. a. (Hrsg.): Time and Eternity. The medieval discourse. Brepols, Turnhout 2003, ISBN 2-503-51312-3, S. 31–53 (International medieval research 9).
  • Michael Richter: Dionysius Exiguus. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 9, de Gruyter, Berlin/New York 1982, ISBN 3-11-008573-9, S. 1–4.

Einzelnachweise

  1. Daniel McCarthy: The Emergence of Anno Domini; in: G. Jaritz u. a. (Hrsg.): Time and Eternity. The medieval discourse; Turnhout 2003; S. 31–53

Weblinks


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