- Afrodeutsche
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Als Afrodeutsche oder auch Schwarze Deutsche[1] werden deutsche Staatsbürger mit dunkler Hautfarbe bzw. subsahara-afrikanischer oder afroamerikanischer Abstammung bezeichnet. Beide Begriffe sind Eigenbezeichnungen, die in den Anfängen der sich in den 1980er Jahren formierenden Neuen Schwarzen Bewegung[2] geprägt wurden. Sie entstanden durch eine verstärkte Politisierung der schwarzen Bevölkerung in Deutschland und im Bestreben, externe Zuschreibungen abzulegen oder zu hinterfragen, durch Selbsterkenntnis, durch Klärung der eigenen Identität und Geschichte ein Selbstbild bzw. ein Selbstkonzept zu entwickeln und sich selbst einen Namen zu geben. Sie lösten Bezeichnungen der Mehrheitsgesellschaft weitgehend ab.[3][4] Im Duden wurde der Begriff erst mit der 24. Ausgabe vom Juli 2006 aufgenommen,[5] zuvor war er nur im Duden-Synonymwörterbuch vertreten.[6]
Bekannte Organisationen von Afrodeutschen bzw. Schwarzen in Deutschland sind die Vereine Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) in Berlin und Schwarze deutsche Frauen und Schwarze Frauen in Deutschland (ADEFRA) in München.[7] Als ein afrodeutsches Medienarchiv und als ein soziales Netzwerk für Themen rund um die Lebenswelt von Migranten hat sich seit dem Jahr 2001 das Internet-Portal Afrotak TV cyberNomads etabliert. Nach dem Vorbild von gleichnamigen Veranstaltungen in den USA werden in einigen deutschen Großstädten seit einigen Jahren sogenannte Black History Months organisiert, um auf die Wurzeln der Afrodeutschen und anderer Schwarze sowie ihre gesellschaftliche Situation in Deutschland aufmerksam zu machen.[8]
Inhaltsverzeichnis
Begriffsdefinition
Der Begriff Afrodeutsche umfasst deutsche Staatsangehörige mit dunkler Hautfarbe, etwa bei subsahara-afrikanischer oder afroamerikanischer Abstammung, und bezieht sich nicht auf die genaue geografische Herkunft.
Nana Odoi[9] weist darauf hin, dass es einen rechtlichen Unterschied zwischen Afrodeutschen und Schwarzen in Deutschland gibt: Nur erstere besitzen alle Bürgerrechte eines deutschen Staatsangehörigen. Zur Gruppe der Schwarzen in Deutschland gehören jedoch auch Ausländer und Staatenlose, deren Wohnsitz sich in Deutschland befindet.
Geschichte
Die ältesten Berichte über Menschen dunkler Hautfarbe im heute deutschsprachigen Raum sind die Legenden über den Heiligen Mauritius und die Angehörigen seiner Thebaischen Legion, die gegen Ende des 3. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Schweizer Kanton Wallis gestorben sein sollen. Unabhängig vom konkreten Wahrheitsgehalt dieser Legende ist davon auszugehen, dass in der Antike sowohl im Rahmen des Fernhandels als auch durch im ganzen Römischen Reich operierende militärische Verbände regelmäßig Menschen afrikanischen Ursprungs mit dunkler Hautfarbe im römischen Germanien lebten. Nach dem Ende der römischen Herrschaft in Nordafrika und Germanien waren ab dem Mittelalter Menschen dunkler Hautfarbe normalerweise nicht mehr in Mitteleuropa anzutreffen. An Adelshöfen und in den Häusern wohlhabender Kaufleute wurde es im 18. Jahrhundert Mode, „Kammermohren“ als Kammerdiener oder „Mohren“ in sonstigen dienenden Funktionen zu beschäftigen. Ein Beispiel hierfür ist Ignatius Fortuna, der auf Schloss Borbeck in den Diensten der Fürstäbtissin zu Essen stand. Eine Ausnahmekarriere beschritt Anton Wilhelm Amo, dem es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelang, eine akademische Ausbildung zu erwerben und Anstellungen als Hochschullehrer zu finden.
Das deutsche Kaiserreich erwarb ab 1884 zahlreiche Kolonien in Afrika. Infolge dessen reisten erstmals seit der Antike größere Zahlen dunkelhäutiger Menschen nach Deutschland ein. Hierzu gehörten auch Schwarze, die auf Jahrmärkten, in Wandermenagerien und Völkerschauen zur Schau gestellt wurden. In den Kolonien wurden viele Einheimische auf deutschsprachigen Schulen ausgebildet, arbeiteten als Übersetzer und Dolmetscher für das Deutsche Reich oder wurden Teil der deutschen Kolonialtruppen, der sogenannten Askaris. Etwa 40.000 deutsche Askaris trugen während des Ersten Weltkriegs die Hauptlast des Kampfes gegen die britischen Truppen in Deutsch-Ostafrika. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde den deutschen Askaris eine lebenslange Rente von der Weimarer Republik ausgezahlt. Die Pensionen der Askaris wurden von der Bundesrepublik Deutschland von Anfang der 1960er Jahre bis zum Tode der letzten Askaris Ende der 1990er Jahre weiterhin übernommen.
Zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus lebten schätzungsweise zwischen tausend und dreitausend Schwarze in Deutschland. Sie stammten damals zum größten Teil aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika[10]. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die wenigen in Deutschland lebenden Schwarzen oft Opfer von Diskriminierung und Verfolgung, teilweise zwangssterilisiert und meist in Konzentrationslagern interniert. Bekannte Afrodeutsche, die während dieser Zeit in Deutschland lebten, sind etwa Hans-Jürgen Massaquoi, Gert Schramm oder Bayume Husen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg endete auch die offene Diskriminierung und Verfolgung der Afrodeutschen, nach wie vor gab es in der Bevölkerung jedoch große Vorbehalte gegenüber den in Deutschland lebenden Schwarzen. Nach 1945 wanderten über die Jahre hinweg wieder zahlreiche Afrikaner nach Westdeutschland ein, sodass die afrodeutsche Gemeinde heute größer ist als je zuvor.
Auch in der DDR gab es eine schwarze Minderheit, die größtenteils aus angeworbenen Vertragsarbeitern aus den „sozialistischen Bruderstaaten“ Afrikas, insbesondere aus Benin und Mosambik, und deren Nachfahren bestand.[11] Daneben sind auch die DDR-Kinder von Namibia zu erwähnen. Ein Großteil der Schwarzen, die in der DDR lebten, kehrte nach der Wiedervereinigung in ihre ihnen oft unbekannte Heimat zurück, ein anderer Teil entschied sich jedoch zu bleiben. Zu tragischer Bekanntheit kam Alberto Adriano, der im Juni 2000 von drei Neonazis in Dessau niedergeschlagen wurde und wenige Tage später seinen Verletzungen erlag.
In den 1980er Jahren entwickelte sich unter vielen Afrodeutschen ein stärkeres Bewusstsein für Fragen der Identität und gemeinsamer Interessen in der bundesdeutschen Gesellschaft. Eine daraus hervorgehende Bewegung nannte sich Neue Schwarze Bewegung, nachdem ihr bewusst geworden war, dass es schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in deutschen Großstädten, vor allem in Berlin und Hamburg, schwarze Vereine und Gesellschaften gegeben hatte. Eine Aktivistin der Neuen Schwarzen Bewegung und eine Begründerin der Kritischen Weißseinsforschung in Deutschland war die Pädagogin May Ayim.
Ab den 1990er Jahren wurden Schwarze in der deutschen Öffentlichkeit deutlich stärker präsent, vor allem im Sport und den Medien waren nun vermehrt Afrodeutsche zu sehen. Kleine Teile des Fußballpublikums reagierten jedoch bei Auftritten schwarzer Fußballer noch Ende der 1990er Jahre offen rassistisch.[12]
Gegenwart
Die aktuelle Zahl der Schwarzen in Deutschland wird auf 300.000 [13] bis 800.000[14] geschätzt. Die Zahl der Afrodeutschen unter ihnen schätzte die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) im Jahre 2008 auf etwa 500.000 Personen.[15] Die größten Gemeinden Schwarzer und Afrodeutscher gibt es in Berlin und Hamburg. Alleine in Berlin sind etwa 2% der Bevölkerung (ca. 70.000 Einwohner) afrikanischer Herkunft.[16] Weitere Zentren der afrodeutschen Community gibt es in München, Bremen, Köln, Frankfurt am Main und im Ruhrgebiet. Da es keine genaue wissenschaftliche Definition des Attributs „schwarz“ gibt und geben kann (→ siehe hierzu Kritik und Überwindung der Rassentheorie), handelt es sich hierbei – anders als bei einer amtlichen Zählung und Einordnung nach den Nürnberger Gesetzen der Nationalsozialisten – um einen groben Schätzwert. Die meisten der heute in Deutschland lebenden Afrodeutschen sind eingebürgerte afrikanische Einwanderer und deren Nachkommen, „Besatzungskinder“, sowie Kinder von Studenten, Seeleuten, Gastarbeitern oder angeworbener Fachkräfte afrikanischer Abstammung. Viele Afrodeutsche haben auch einen deutschstämmigen Elternteil. Wie viele der Schwarzen in Deutschland auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben, ist nicht bekannt.
Der Aufenthaltsstatus der in Deutschland lebenden nichtdeutschen Schwarzen ist unterschiedlich: Es gibt (privilegierte) EU-Inländer, Menschen mit einer Niederlassungserlaubnis, mit einer Aufenthaltserlaubnis, aber auch Geduldete. Daneben gibt es Menschen ohne Aufenthaltsstatus.
In Deutschland ist der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung deutlich höher als in den Ländern Ost- und Südeuropas, aber dennoch weit niedriger als etwa in Frankreich oder Großbritannien. Dies hat unter anderem historische Gründe. Während das deutsche Kolonialreich nur kurz bestand, existierten britische und französische Kolonien in Afrika bis weit in das 20. Jahrhundert.
Die Lage und die Probleme schwarzer Menschen in Deutschland sind heute Gegenstand einer intensiveren wissenschaftlichen Erforschung. Die Soziologin Nkechi Madubuko fand heraus, dass schwarze Akademiker durch die Konfrontation mit Stereotypen und Vorurteilen einem stärkeren Akkulturationsstress ausgesetzt sind, auf den sie mit bestimmten Verhaltensmustern reagieren. Nicht selten müssen sie auf ihren Fachgebieten viel mehr leisten als andere, um eine gleiche gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren.[17]
Siehe auch
Weblinks
- Portal des Vereins Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)
- Portal des Vereins Schwarze deutsche Frauen und Schwarze Frauen in Deutschland (ADEFRA)
- Katharina Oguntoye. Afrikanische Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1884 und 1945, 30. Juli 2004
- May-Ayim-Award. Erster schwarzer deutscher Literaturpreis. UNESCO. Mai 2004
- Dossier über die Schwarze Community in Deutschland der Böll-Stiftung
- Kritische Weißseinsforschung und deutscher Kontext 2006 (PDF-Datei; 314 kB)
- „Sie sind Deutsch?“ – „Ja, klar. Afro-Deutsch“. Radio-Interview von DW-World. 5:48 Minuten
- Tobias Nagl: Fantasien in Schwarzweiß – Schwarze Deutsche, deutsches Kino Über Afrika und Afrikaner im dt. Film seit 1919. Mit Bildbeispielen. Besonders wertvoll ist die getrennt eingestellte Biblio- und Filmografie: Filmografie
- John A. Kantara und Mo Asumang ehren das Grab des afrodeutschen Philosophen Anton Wilhelm Amo in Shama, Ghana, Video vom September 2008 im Online-Portal Kantara's World
Einzelnachweise
- ↑ Großschreibung als feststehender Begriff
- ↑ Der Begriff Neue Schwarze Bewegung bezeichnet die Organisationsformen schwarzer Menschen ab den 1980er Jahren. Dieser Begriff beruht auf der Erkenntnis, dass eine Schwarze Bewegung als Organisationsform schwarzer Menschen in Deutschland, vor allem in Gestalt von Vereinen von Afrikanern in den Kolonialmetropolen Hamburg und Berlin, bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts feststellbar ist. – Bundeszentrale für politische Bildung, Eleonore Wiedenroth-Coulibaly/Sascha Zinflou: Schwarze Organisierung in Deutschland
- ↑ Oguntoye, K.; Opitz (Ayim), M.; Schultz, D. (Hrsg.): Farbe Bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Berlin 1986
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung: Nana Odoi: Die Farbe der Gerechtigkeit ist weiß Institutioneller Rassismus im deutschen Strafrechtssystem S.1
- ↑ Duden 101 ausgewählte Neuwörter aus Duden – Die deutsche Rechtschreibung” (24. Auflage)
- ↑ Duden-Newsletterarchiv Newsletter vom 29. Oktober 2004
- ↑ Siehe Näheres unter Weblinks
- ↑ Ulrike Kahnert: Black History Month – „Nicht alle Deutschen sind weiß“, Artikel vom 22. Februar 2006 im Online-Portal Der Spiegel, abgerufen am 27. September 2011
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung: Nana Odoi: Die Farbe der Gerechtigkeit ist weiß Institutioneller Rassismus im deutschen Strafrechtssystem S.2
- ↑ Exil-Club: Nazis und „Neger“ http://www.exil-club.de/dyn/9.asp?Aid=38&Avalidate=974056422&cache=66694&url=56369.asp
- ↑ DDR afrikanische Bruderstaaten
- ↑ 90 Minuten Urwaldgeräusche, Otto Addo am im Interview mit Kai Hirschmann, Artikel vom 21. März 2006 im Wissenportal Helles Köpfchen, abgerufen am 9. August 2011
- ↑ Nina Zimnik: Nicht jeder Deutsche ist automatisch weiß. 15. August 2000, abgerufen am 26. April 2011 (PDF).
- ↑ David G. Smith (5. Juni 2008): German Newspaper Slammed for Racist Cover. Spiegel Online. Abgerufen am 18. Juni 2008.
- ↑ David Gordon Smith: German Newspaper Slammed for Racist Cover, Artikel vom 6. Mai 2008 im Portal SPIEGEL ONLINE INTERNATIONAL, abgerufen am 31. Oktober 2011
- ↑ http://www.isdonline.de/
- ↑ Amory Burchard: Afrodeutsche - Kämpfer und Künstler, Artikel vom 21. Januar 2011 im Portal ZEIT ONLINE, abgerufen am 11. August 2011
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