Erich Wulffen

Erich Wulffen

Wolf Hasso Erich Wulffen (* 3. Oktober 1862 in Dresden; † 10. Juli 1936 ebenda) war ein Kriminologe des frühen 20. Jahrhunderts und der Weimarer Republik.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Erich Wulffen wurde als zweites Kind des Buchdruckereibesitzers und Verlagsbuchhändlers Edmund Wulffen geboren. Der Vater, gestorben 1898, stammt aus einer Berliner Offiziersfamilie; die Mutter, Alma Wulffen geb. Clauß, eine Gutsbesitzerstochter aus Wantewitz in Sachsen, starb 1911. Erich Wulffen hatte eine Schwester.

Die ersten Kinderjahre waren durch Krankheit und einen daraus resultierenden zweijährigen Aufenthalt in einer Klinik geprägt. Es handelte sich um eine spezielle Einrichtung mit Schulunterricht, die jedoch auf Mädchen beschränkt war. Nur auf Bitten seines Vaters war Erich hier aufgenommen worden. Der weitere Schulbesuch und die Jugendzeit verliefen ebenfalls durch Krankheit gehemmt, so dass Erich erst im Alter von 23 Jahren die Universität besuchen konnte. Neben den Rechtswissenschaften in Freiburg und Leipzig studierte er Literatur und Germanistik. Seiner Neigung entsprechend wollte er sich als Privatdozent den schönen Künsten widmen, doch sein Vater drängte ihn, Beamter zu werden. Dennoch schrieb und veröffentlichte Wulffen Gedichte und Theaterstücke und er absolvierte neben dem Studium eine regelrechte dramaturgische Ausbildung, die ihn 1888 zum Volontär an das Leipziger Stadttheater und zu Rollen an weiteren Bühnen brachte.

Im Juli 1890 legte Wulffen die erste juristische Prüfung ab. Der darauf folgende Vorbereitungsdienst führte ihn als Referendar nach Leipzig, Waldheim, Chemnitz und Dresden. Im Jahr 1895 heiratete er Illa Behrisch, die Tochter eines Gefängnisdirektors. Aus der Ehe gingen zwei Söhne und zwei Töchter hervor.

Im März 1895 legte Erich Wulffen die zweite Staatsprüfung ab und trat in den Dienst der Staatsanwaltschaft. In Chemnitz wurde er als Assessor auch mit der Arbeit der Kriminalpolizei vertraut gemacht. Während dieser Vorbereitung auf die Beamtenlaufbahn ging er weiterhin seinen Theaterneigungen nach. Nicht zuletzt die künstlerische Auseinandersetzung mit den heroischen Verbrechergestalten in den großen Dramen der Literatur hatten in ihm den Entschluss gefestigt, Staatsanwalt zu werden.

Am 1. April 1899 wurde Erich Wulffen zum Staatsanwalt in Dresden ernannt und schon nach wenigen Jahren in die Generalstaatsanwaltschaft und als Hilfsarbeiter in das sächsische Justizministerium berufen.

Leistungen

Bis etwa 1901 war Wulffen seiner Leidenschaft für das Theater gefolgt. Doch von dieser Zeit an widmete er sich neben dem eingehenden Studium der Kriminologie und unter dem Einfluss großer Leitbilder wie Franz von Liszt, Aschrott und Aschaffenburg dem materiellen Strafrecht, dem Strafprozessrecht, dem Strafvollzug und der Modernisierung des Strafrechts. In den Jahren 1905 bis 1913 erschienen in rascher Folge die kriminalistischen Werke Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Psychologie des Verbrechers, Der Sexualverbrecher, Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung und Reichspreßgesetz.

Das 1905 erschienene zweibändige Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, für Geschworene und Schöffen, sowie für Strafanstaltsbeamte ist vom Geiste der Humanität erfüllt. Es beginnt mit der Mahnung: „Der Exekutivbeamte arbeite in seinem Berufe ohne Lust am Wehe, das er seinen Mitmenschen zufügen muß; er fühle jederzeit, daß auch der verworfenste Verbrecher immer noch sein, wenn auch für dieses Leben vielleicht verlorener Bruder ist, der durch geborene oder vererbte Veranlagung, durch Erziehung, Schicksal und Gelegenheiten des täglichen Lebens in Schuld geriet.“

Mit dem zweibändigen Werk Psychologie des Verbrechers, Berlin 1908/1913, begann Wulffen eine Reihe kriminalistischer Schriften, in denen er neue Erkenntnisse der Psychologie in die Kriminologie einführte. Er gab dem Begriff des Sexualverbrechers einen völlig neuen, wesentlich erweiterten Inhalt. Er spricht von Sexualverbrechen nicht nur, wenn die Beweggründe offensichtlich geschlechtlicher Art sind, sondern in allen Fällen, in denen Motiv und Zweck der Straftat in ihren tiefsten und geheimsten Wurzeln irgendwie mit der Geschlechtssphäre zusammenhängen.

Der Studie Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Strafvollzugs, Dresden 1905, sind die Worte aus Sophokles' Antigone vorangestellt: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.“ Seine Vorschläge und Forderungen fasste Wulffen in die Schlusssätze zusammen: „Erziehung, Psychologie und Innerlichkeit, das sind die drei erhöhten Forderungen, die wir an den Strafvollzug der Zukunft zu stellen haben. Mit militärischer Disziplinierung, bürokratischem Formalismus und Handwerkerkenntnissen allein ist nichts gewonnen.“

Mit prophetischem Blick sah Wulffen die künftige Entwicklung des Strafvollzugs voraus, wenn er schreibt: „Das neue Strafgesetzbuch wird mildere Strafen aufweisen als das jetzt geltende; es wird vor allem die Anwendung der Geldstrafe ausdehnen. Es ist ein Zeichen steigender Kultur, wenn sie ihre Strafen mildert. Die Geldstrafe wird die Hauptstrafe der Zukunft sein.“

Von Erich Wulffen stammen einige Psychogramme bekannter Krimineller seiner Zeit, die wegen des literarischen Hintergrundes des Verfassers besonders gelungen sind. Die Studie Manolescu und seine Memoiren, Berlin 1907, zeichnet ein Charakterbild des Hochstaplers und Meisterdiebs Manolescu. Hierzu stand er in Briefkontakt mit Manolescu selbst, da andere Quellen auf Grund der Eitelkeit Manolescus zu unzuverlässig erschienen.

Wulffen wurde von Karl Mays Verleger E. A. Schmid vorgeschlagen, die Polizei- und Gerichtsakten zur Strafsache des Schriftstellers auszuwerten. Der Schriftsteller hatte vor seinem schriftstellerischen Durchbruch vier Jahre wegen Hochstapelei im Zuchthaus verbracht. Die Witwe des Schriftstellers willigte jedoch nicht in diese Untersuchung ein. In seiner angewandten Kriminalpsychologie erklärt Wulffen den Zusammenhang zwischen schöpferischer Kraft und krimineller Energie so: „Alle drei - Psychopathen, Kriminelle, Geniale - leiden an egozentrischer Betrachtung und Zielsetzung, die aber beim Genialen in seinem “Werk” auch eine objektive sachliche Erweiterung finden. Daß in Kunst und Kulturgeschichte nicht viele kriminelle Ausbrüche Genialer zu verzeichnen sind, liegt daran, daß bei ihnen die kriminellen Regungen im psychisch verwandten genialen Schaffen mit aufgezehrt werden.“

Eine tiefgründige Darstellung der zu seiner Zeit grassierenden Hochstapelei gab Wulffen in dem kleinen Buch Die Psychologie des Hochstaplers. In diesem Buch entwickelt Wulffen eine Art „Kulturkriminologie“. Die Ursprünge der Täuschung liegen nach Wulffen in der Triebausstattung des Menschen. Die Natur habe dem Menschen einen ursprünglichen Verheimlichungs- und Verstellungsinstinkt mitgegeben, der dem allgemeinen Selbsterhaltungstrieb zu Hilfe kommt. Er verfolgte diese Triebstrukturen bis in das Tierreich zurück und führt Bären, Affen, Pferde u.a. an, die schon bei Verstellungen beobachtet wurden.

In dem 1913 erschienenen Roman Frau Justitias Walpurgisnacht zeichnete Wulffen ein Sittenbild des damaligen Justizwesens und fand damit ein lebhaftes Echo. Einige seiner Kollegen meinten sich in den Figuren des Romans zu erkennen. Es muss deshalb kein Zufall sein, dass Wulffen kurz nach dem Erscheinen des Buches als Zivilrichter an das Amtsgericht Zwickau versetzt wurde.

1919 wurde Wulffen durch den sächsischen Justizminister Harnisch „rehabilitiert“ indem er zum Landgerichtsdirektor in Dresden bestellt wurde und kurz darauf eine Ministerialkariere begann. Ab 1920 hatte er ein Mandat der gerade gegründeten Demokratischen Partei im sächsischen Landtag. Nun konnte er seine Reformideen sowohl auf ministerieller wie auch auf parlamentarischer Ebene vertreten.

Wulffen verstarb 1936 in Dresden und wurde auf dem Johannisfriedhof beigesetzt.

Werke

  • Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten, Dresden, 1905
  • Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Dresden, 1905
  • Psychologie des Verbrechers, Berlin, 1908 / 1913
  • Der Sexualverbrecher, Berlin, 1910 / 1928
  • Das Kind. Sein Wesen und seine Entartung, Berlin, 1913
  • Shakespeares große Verbrecher. Richard III., Macbeth, Othello, Berlin, 1911
  • Shakespeares Hamlet. Ein Sexualproblem, Berlin, 1913
  • Frau Justitias Walpurgisnacht, Berlin, 1913
  • Das Haus ohne Fenster. Ein Kriminalroman, Berlin, 1913
  • Psychologie des Hochstaplers, Leipzig, 1923
  • Sexualspiegel von Kunst und Verbrechen, Dresden, 1928

Literatur

  • Alexander Baumgarten, Hugo Dingeldey (Hrsg.): Erich Wulffen. Festschrift zu seinem 70. Geburtstag. Hanseatischer Rechts- und Wirtschaftsverlag, Berlin 1932, Inhalt (PDF; 8 KB).
  • Volkmar Sigusch: Erich Wulffen (1862–1936). In: Volkmar Sigusch und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung, Campus Verlag, Frankfurt und New York 2009, ISBN 978-3-593-39049-9, S. 783–788

Weblinks


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