- Ethikunterricht in Deutschland
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Ethikunterricht in Deutschland dient der Vermittlung von Werten bzw. der Diskussion darüber, dem Vermitteln von Wissen über Religionen und Weltanschauungen, sowie der Diskussion über philosophische Fragestellungen. Je nach Bundesland ist Ethikunterricht entweder als Ersatzfach für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, als Wahlpflichtfach, oder als ordentliches Lehrfach konzipiert. Im Unterschied zum konfessionell gebundenen Religionsunterricht ist der Ethik-Unterricht religiös-weltanschaulich neutral zu halten.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Vorgeschichte
Bis in die 1970er Jahre ließen sich in den Ländern der Bundesrepublik, in denen evangelischer und katholischer Religionsunterricht Pflichtfach waren, nur wenige Schüler vom Religionsunterricht befreien. Deren Zahl nahm jedoch im Laufe der Jahre zu, als immer mehr Schüler einer anderen Religion angehörten als den im Religionsunterricht vertretenen. Vor allem hat auch die fortschreitende Säkularisierung innerhalb Deutschlands bis dahin wirksame Bindungen an die Kirchen gelockert, was dazu führte, dass Eltern ihren Kindern die Teilnahme am Religionsunterricht immer öfter freistellten bzw. über 14-jährige, also religionsmündige Schüler ihre Nichtteilnahme am Religionsunterricht erklärten. Um den vom Religionsunterricht befreiten Schülern eine vergleichbare Werteerziehung zukommen zu lassen, wurde für diese Schüler in etlichen Bundesländern Ethikunterricht (in einigen Bundesländern stattdessen das Unterrichtsfach Philosophie) als verpflichtendes Ersatzfach eingerichtet. Dies hatte auch schulorganisatorische Gründe, denn Schüler, die vom Religionsunterricht abgemeldet und noch nicht volljährig sind, unterliegen der schulischen Aufsichtspflicht. Die Schulen waren daher bemüht, einen Ersatzunterricht einzuführen. (Siehe hierzu auch: Teilnahme am Religionsunterricht)
Doch auch die Kirchen hatten ein Interesse an der Einführung eines solchen Ersatzunterrichts, erhofften sie sich doch davon wieder steigende Teilnahme am Religionsunterricht.[1]
Erste Beschlüsse und ihre Umsetzung
Die Katholische Kirche (Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer vom 22. November 1974) sowie ein Jahr später die Evangelische Kirche (Beschluss des Ausschusses Bildung und Erziehung der Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau vom 22./23. August 1975) fassten den Beschluss, für die Nichtteilnehmer am Religionsunterricht den „Ersatzunterricht“ zu fordern.
Dies korrespondiert mit nachfolgenden Grundsatzentscheidungen der Bundesländer nur wenige Jahre später, die diese Forderung der Kirchen auf eine rechtspolitische Grundlage stellten:
- Baden-Württemberg 1976 (Regeleinführung des Ethikunterrichts 1983)
- Hamburg 1977
- Hessen, Niedersachsen und das Saarland 1978
Im Anschluss wurden Lehrplankommissionen eingesetzt und in den meisten Bundesländern bereits in der ersten Hälfte der 1980er Jahre Lehrpläne in Kraft gesetzt, so dass nach und nach der Ethikunterricht alsbald Teil des Stundenplans werden konnte. (Ausnahmen bildeten hierzu lediglich Berlin und Bremen, die erst ab 1993 Lehrpläne dazu ausweisen.) Tatsächlich waren dann auch, wie von den Kirchen erhofft, die Abmeldungen vom Religionsunterricht wieder rückläufig.[1]
Situation nach 1990
Durch die „Deutsche Wiedervereinigung“ 1990 gilt Art. 7 GG für ganz Deutschland. Durch die ebenfalls im Grundgesetz verankerte „Bremer Klausel“ findet Artikel 7 Abs. 3 Satz 1 jedoch keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.
Bezeichnung und Status
Den Ethikunterricht einzurichten ist in Deutschland Sache der Bundesländer. Ethik bzw. Philosophie (auch: Praktische Philosophie) wird in der Regel in Sekundarstufe I (Klassen 7-10; in Bayern und Sachsen ab Klasse 5, in Rheinland-Pfalz ab Klasse 4) und Sekundarstufe II (Klassen 11-13) je nach geltendem Recht eines Bundeslandes als Ersatzfach, Wahlpflichtfach oder als ordentliches Lehrfach erteilt.[2] Die in den Bundesländern graduell voneinander abweichenden Inhalte und Schwerpunkte des Ethikunterrichtes finden auch in unterschiedlichen Bezeichnungen dieses Unterrichtsfaches ihren Niederschlag.
Bezeichnung in den Bundesländern
- Ethik: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen
- Ethikunterricht: Sachsen-Anhalt
- Allgemeine Ethik: Saarland
- Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER): Brandenburg
- Philosophie: Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein
- Philosophieren mit Kindern / Philosophie: Mecklenburg-Vorpommern
- Praktische Philosophie / Philosophie: Nordrhein-Westfalen
- Werte und Normen: Niedersachsen[2]
Ersatzfach
Den Status eines Ersatzfaches hat der Ethikunterricht derzeit nur noch in Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein.[2] Zum Ersatzfach siehe auch weiter oben: Vorgeschichte und Erste Beschlüsse und ihre Umsetzung
Der Ersatzunterricht in Ethik bzw. Philosophie ist Pflichtunterricht für alle Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, was 1998 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde, nachdem es den Ethikunterricht als Ersatz-Pflichtfach für zulässig erklärt hat.
Wahlpflichtfach
In den Bundesländern Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat der Ethikunterricht den Status eines Wahlpflichtfachs d.h. die Schüler der betreffenden Jahrgangsstufen haben de facto die Möglichkeit, zwischen Religion und Ethik als gleichrangige Alternativen zu wählen.[2] Dadurch hat das Fach Ethik de facto keine Ersatzfunktion, sondern steht in Konkurrenz zum Fach Religion. Die grundgesetzlich vorgeschriebene Stellung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach macht dabei jedoch erforderlich, dass die Schüler, die Ethik belegen wollen, förmlich ihre Abmeldung vom Religionsunterricht erklären.
In Nordrhein-Westfalen ist zudem geplant, den Philosophie-Unterricht ähnlich wie den Ethikunterricht in Berlin und LER in Brandenburg zu einem für alle Schüler geltenden Pflichtfach auszubauen.[1]
Ordentliches Lehrfach (Pflichtfach)
In Berlin ist Ethik seit dem 23. März 2006 für die 7. bis 10. Klassen ordentliches Lehrfach[2], während der Religionsunterricht zusätzlich als freiwilliges, nicht versetzungsrelevantes Wahlfach angeboten wird. Der Volksentscheid "Pro Reli", der Ethik und Religionsunterricht zu Wahlpflichtfächern machen wollte, wurde im April 2009 mehrheitlich abgelehnt.
Besonderheiten
- In Brandenburg wurde Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde bzw. LER nach einem Modellversuch (1992-1995) ab 1996 zu einem Pflichtfach und wird seit dem Schuljahr 2004/05 flächendeckend für die Klassen 7 – 10 erteilt. Im April 1996 verabschiedete der Brandenburgische Landtag ein Schulgesetz, das die Einführung von LER als allgemein bildendes Schulfach vorsah. Es eröffnete den Schülern auch die Möglichkeit, sich vom LER-Unterricht abzumelden. Sie haben seither drei Möglichkeiten:
- nur den LER-Unterricht besuchen,
- zusätzlich zum LER-Unterricht das Angebot des Religionsunterricht wahrnehmen,
- nur in den Religionsunterricht gehen.
- In Bremen gibt es keinen Religionsunterricht in kirchlicher Verantwortung, sondern das überkonfessionelle Fach Biblische Geschichte/Religionskunde. Philosophie/Ethik ab Sekundarstufe I bzw. Philosophie ab Sekundarstufe II haben hierzu die Funktion eines Ersatzfachs bzw. eines Wahlpflichtfachs.[1]
Ausbildung der Lehrkräfte
Alle Bundesländer außer dem Saarland, also Baden-Württemberg, Bayern (seit 2002), Berlin (seit 2007), Brandenburg (seit 2003), Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz (seit 2007), Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen bieten für Ethik/Philosophie/Werte und Normen-Lehrkräfte eigene Studiengänge an ("grundständiges Studium"). Mittlerweile gibt es in vielen Bundesländern zahlreiche Absolventen dieser Studiengänge.[2][3]
Alle Bundesländer außer dem Saarland qualifizieren die Ethik/Philosophie/Werte und Normen-Lehrkräfte auch durch Fortbildungsmaßnahmen.[2]
In Berlin zum Beispiel werden für den Ethikunterricht in der Sekundarstufe I Lehrkräfte neben ihren sonstigen Unterrichtsverpflichtungen in drei Semestern jeweils an einem Tag pro Woche fort- bzw. weitergebildet.[4] Da es jedoch noch nicht genügend Absolventen dieses Studiengangs gibt, werden derzeit (Stand: 2010) nicht selten Lehrkräfte (zumeist Klassenlehrer bzw. Klassenlehrerinnen) ohne diese Qualifikation mit der Unterrichtung dieses Faches beauftragt.[5][6]
Literatur
- Peter Köck: Handbuch des Ethikunterrichts. Fachliche Grundlagen, Didaktik und Methodik, Beispiele und Materialien. Auer 2002 ISBN 978-3403036630
- Volker Pfeifer: Didaktik des Ethikunterrichts. Wie lässt sich Moral lehren und lernen?, Kohlhammer, Stuttgart 2008 ISBN 978-3170163065
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Alfred K. Treml: Ethik als Unterrichtsfach in den verschiedenen Bundesländern Eine Zwischenbilanz, Frankfurt/M. 1994. PDF-Datei; 165 KB Siehe Synopse auf S. 7.
- ↑ a b c d e f g Zur Situation des Ethikunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland - Bericht der Kultusministerkonferenz, 22. Februar 2008 (PDF-Datei; 584 kB)
- ↑ studienwahl.de - Lehrämter
- ↑ tagesspiegel.de Sabine Beikler: 1000 Lehrer für Ethik im Tagesspiegel vom 30. August 2006
- ↑ tagesspiegel.de Daniela Martens: Was Ethiklehrer lernen im Tagesspiegel vom 5. Mai 2009
- ↑ tagesspiegel.de Claudia Keller: Qualitätskriterien für die „Laberstunde“ - Ein Jahr nach dem Volksbegehren Pro Reli ist die endgültige Form des Ethikunterrichts noch unklar; Das Bündnis Pro Ethik hat vier Jahre nach Einführung des Faches (2010) eine „Qualitätsinitiative“ angestoßen, um es insgesamt aufzuwerten. Die Lehrkräfte sollen demnach „besser ausgebildet“ und der „Rahmenplan kompakter“ werden - „mit mehr konkreten Zielen und mehr Raum für die Weltreligionen und Weltanschauungen“. Das Bündnis fordert hierfür eine viersemestrige berufsbegleitende Weiterbildung. Laut Pro Ethik erhalten in Berlin 4400 Klassen Ethikunterricht, die lediglich von 950 fortgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. (Stand: 2010)
Weblinks
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