Europamode 1689–1721

Europamode 1689–1721
Europäische Chronique Scandaleuse aus England: Delarivier Manley, Memoirs of Europe (London: J. Morphew, 1710).

Zu einer Europamode kam es zwischen 1689 und 1721 in der europäischen Presse und im europäischen Kulturleben. Das Phänomen hatte eine längere Vorlaufphase als Frankreichmode auf dem internationalen Markt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Vorgeschichte

Mit den 1660ern verschärften sich in Frankreich die Zensurbestimmungen. Französische Autoren wichen auf den internationalen Markt der Niederlande als Druckort aus. In den Niederlanden gedruckte Ware wurde im Schleichhandel nach Frankreich re-importiert. Gleichzeitig war diese Ware, auf französisch gedruckt und damit in der internationalen modernen Verkehrssprache verlegt, in ganz Europa verkäuflich. Man findet sie in deutschen wie englischen Katalogen der Zeit von Amsterdam, Den Haag und Rotterdam aus vermarktet.

Frankreich war bereits in den Jahrzehnten vor 1680 das Land der internationalen Moden und des internationalen Geschmacks. Als 1685 die Hugenotten aus Frankreich vertrieben wurden und als 1689 Frankreich die Pfalz angriff, stellte sich eine besondere internationale Konstellation mit der Großen Allianz her. Die Öffentlichkeit des neuen Bündnisses wurde von den Niederlanden in französischer Sprache beliefert – frankreichkritisch, wie sie sich seit den 1660ern entwickelt hatte.

Die Jahre der ersten Großen Allianz 1689–1698

1688 hatte in Großbritannien die Glorious Revolution stattgefunden, bereits in den Jahren zuvor waren die Niederlande Refugium für regimekritische Engländer wie John Locke gewesen, mit der Glorious Revolution bestieg Wilhelm III. Englands Thron – der Niederländer der in den 1670ern den niederländischen Widerstand gegen Frankreichs Invasion militärisch organisiert hatte. Er stellte 1689 die Weichen für die Allianz Großbritanniens und der Niederlande mit dem angegriffenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Das mag ihm aus den vorangegangenen Erfahrungen als niederländischer Regent nahegelegen haben, mehr noch war es politisch angeraten, da Frankreich den Gegenspieler Wilhelms III. – den in der Glorious Revolution abgesetzten Jakob II. unterstützte.

Die Große Allianz erzeugte – gegen Frankreich gerichtet – keine frankreichfeindliche Mode. Ganz im Gegenteil wurde sie von französischen Intellektuellen, die seit Jahren über den niederländischen Markt publizierten, gefördert. Frankreichs Ludwig XIV. tat das naheliegende: Er unterstützte dieselbe Mode im Ringen um europäische Sympathie.

Für die deutschsprachige Öffentlichkeit entwickelte sich Europa in den folgenden neun Jahren des Pfälzer Erbfolgekriegs zu einem Garanten politischer Unterstützung. Hatten national gesinnte Kreise noch in den 1640ern gegen Frankreichs Moden gewettert, ändert sich dies in den 1680ern: Frankreich wird als das Land „galanter Conduite“ im deutschen Sprachraum beliebt – eine Mode, die vor allem die Studenten begierig aufnehmen und zu einem eigenständigen deutschen Phänomen machen.

Die Jahre des Großen Nordischen Kriegs und des Spanischen Erbfolgekriegs 1700–1721

Deutsch Panegyrik mit Interesse an Europa: Christian Friedrich Hunold alias Menantes, Europäische Höfe (Hamburg: Liebernickel, 1705).

Der Konflikt um die Pfalz sollte in der Europamode des späten 17. und frühen 18. Jahrhundert zur ersten Phase werden. Die Große Allianz fand 1701 ihre Neuauflage mit dem Haager Vertrag, der ein Beistandsabkommen der Niederlande und Großbritanniens mit dem Kaiserhaus in Wien fixierte, wirksam im Konflikt um Spaniens Kronie, die Karl II. von Spanien in einem angezweifelten Testament Frankreich vermacht hatte.

Nord und Osteuropa waren seit 1700 in den Großen Nordischen Krieg um die Vorrangstellung zwischen Schweden und Russland involviert.

Beide Kriege, der von 1700 bis 1721 dauernde Große Nordische Krieg und der von 1702 bis 1713 dauernde Spanische Erbfolgekrieg wuchsen sich zu einem gesamteuropäischen Krieg aus dessen Berichterstattung über die französischsprachige Presse der Niederlande und deren Zeitungen verlief und hier einen freien und liberalen Markt fand.

Einen ersten Einbruch fand die Europamode der Jahre 1689–1721 nach 1704 in Großbritannien. Wilhelm III. war 1701 gestorben, die Whigs führten seine Politik und die Politik der Glorious Revolution fort, gerieten jedoch nach 1704 zunehmend in Misskredit. 1704 siegte die Große Allianz unter erheblichen Verlusten in der Schlacht von Höchstädt, doch beendete das den Krieg nicht. Die Verluste nachfolgender Schlachten blieben hoch, die Preise in London stiegen. Londons Öffentlichkeit diskutierte zunehmend, dass dieser Krieg womöglich nur im Interesse Marlboroughs geführt wurde, des Oberbefehlshabers der Landstreitkräfte und seiner Partei der Whigs, die über Marlboroughs Gattin den besseren Einfluss auf Königin Anne hatten.

1709/10 stürzten die Whigs in London. Die Tories kamen – mit Frankreich sympathisierend – an die Macht und begannen Verhandlungen mit Ludwig XIV., die schließlich diesem die Spanische Krone sicherten.

1712/13 wurde der Friede zu Utrecht ausgehandelt, für die deutschsprachige Öffentlichkeit ein herber Schlag – alle militärischen Opfer und Erfolge der letzten Jahre waren damit hinfällig. Noch blieb Europa jedoch ein positiv besetztes Thema: 1701 hatte sich Großbritannien für die hannoversche Erbfolge entschieden, für den Fall, dass Königin Anne erbenlos bliebe. 1714 musste sich beweisen, ob der Act of Settlement galt. Georg von Hannover wechselte als Regent nach Großbritannien und behielt in den Wirren des Jahres 1715, die von der deutschen Presse verfolgt wurden, die Oberhand.

Bis an das Ende des Nordischen Kriegs blieben die Niederlande der Austragungsort der französischen pro-europäischen Presse, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eingerichtet hatte. Nach 1720 kamen nationalere Strömungen in den europäischen Nationen zum Zuge, die die Europamode der Jahre 1689–1721 ziemlich bald relativierten und als fehlgegangene abtaten.

Presse

Die englische Buchproduktion 1600–1800, Titelzählung nach dem English Short Title Catalogue. Die Statistik zeigt deutlich – eine Besonderheit des englischen Marktes – das Aufkommen der aktuellen politischen Berichterstattung mit der Revolution 1641/42. Die Höhepunkte der Presseaktivität liegen vor 1730 jeweils in politisch turbulenten Jahren. Als Phasen zeichnen sich die Bürgerkriegszeit mit abfallender Produktion, die Zeit der Kriege gegen die Niederlande (1670er) und der Großen Allianz (1689–1712) ab. Mitte des 18. Jahrhunderts setzt ein neues Wachstum mit bald exponentieller Kurve, hinter dem entscheidend der Aufstieg der Belletristik steht.

Markant lassen sich die Ereignisse der Jahre 1689–1721 als Pressephänomen verfolgen. Auf dem englischen Buchmarkt hatte mit der ersten Revolution 1641/42 eine plötzliche Presseaktivität eingesetzt, die in kurzen religiösen und politischen Traktaten ihre Hauptproduktion fand. Die Ereignisse des nachfolgenden Bürgerkriegs brachten hier ihre Spitzenjahre, gleichzeitig jedoch eher einen Niedergang.

Der gegenläufige Trend setzt mit der Restauration der Stuarts in den 1660ern ein und gewinnt in den politische Auseinandersetzungen mit den Niederlanden und dann im Vorfeld der Glorious Revolution neue Höhepunkte. Die steigende Presseaktivität läuft hier durch Phase europäischer Konflikte der Jahre 1689–1721 durch, bevor die Walpole Ära mit den 1720ern Ruhe im Pressewesen einkehren lässt.

Einen eigenen Abdruck hinterließ die Europamode der Jahre 1689–1721 auf dem deutschen Markt, wenn man hier die Produktion des fiktiven Verlegers Pierre Marteau zu Köln als Indiz des Imports französischer Presse der Niederlande nimmt.

Musik, Malerei, Poesie, Romane und Literatur

Französische Musik und Architektur, und die italienische Musik und Oper wurden zu Medien der neuen Mode. Im freien gelegene Herrschersitze im Stil von Versailles wurden europaweit kopiert. In der Musik zeugen Kompositionen wie André Campras L'Europe galante (1699) von ihr, in Deutschland die Mischungen der Stile, die am Ende zum Typikum eines eigenen deutschen Stils werden.

Auf dem Gebiet des Romans wurde eine skandalöse Produktion Markenzeichen der Jahre 1688–1721 – im Englischen unter dem Wort „Novel“, im deutschen unter dem Wort „galanter Roman“.

Auf dem Gebiet der „Literatur“ der Wissenschaften, wurden über den neuen Markt wissenschaftliche Journale die wichtigste Mode – Journale, die die neueste Literatur – neueste wissenschaftliche Publikationen – rezensierten. Ihre Weiterentwicklung führte im 18. Jahrhundert zu den Literaturzeitschriften, die die Literaturdebatte auf den Roman, das Drama und das Gedicht brachten.

Politische Theorie

Markant ist hier vor allem das Projekt eines europäischen Staatenverbunds das Charles Irénée Castel de Saint-Pierre während der Friedensverhandlungen von Utrecht in die Diskussion brachte mit der Publikation der Memoires pour rendre la paix perpetuelle en Europe (Cologne: Jaques le Pacifique, 1712). Kant nahm das Projekt 1795 in seiner Schrift Zum ewigen Frieden wieder auf.

Wesentlich handfester waren die Erfahrungen die Europa in jenen Jahren mit der freuen niederländischen Presse als wichtigstem und relativ verlässlichen Informanten machte. Pressefreiheit und eine Demokratisierung der Öffentlichkeit wurden von hier aus ein einflussreiches Thema. Großbritannien übernahm früh Regelungen, Autoren wie Locke und Shaftesbury wurden hier zentrale Vertreter einer politischen Theorie die vom Vorbild der Niederlande profitierte und die am Ende auf die Gestaltung der amerikanischen Verfassung Einfluss gewann.

Auf einer eigenen Ebene muss die Theorie moderner Kriegführung angesiedelt werden, die mit den neuen Kriegen 1689–1721 Gestalt annahm. Europa hatte verheerende Erfahrungen mit dem Dreißigjährigen Krieg gemacht, sie wiederholten sich in der Konfliktlage weit größerer Erstreckung nicht. Die neuen Auseinandersetzungen wurden mit neuen logistischen Anstrengungen geführt – sie führten nicht mehr zu Verwüstungen der betroffenen Regionen, und das rechnete man den Militärstrategen hoch an. Die Zeitungsöffentlichket verfolgte die Auseinandersetzungen. Die europäische Fama machte die involvierten Militärstrategen – von Prinz Eugen, dem „edlen Ritter“ über Max Emanuel, den (wegen seiner Kleidung) „blauen Kurfürsten“, Marlbourough, Karl XII. von Schweden bis hin zu Peter „dem Großen“ – zu neuen Helden der Zivilisation, der Krieg war zivilisiert worden. Fortlaufende Diplomatie begleitete die Auseinandersetzungen. Eine neue Politik gewann mit ihr europäische Dimensionen: Die britische Politik des Mächtegleichgewichts, der Österreich und Preußen im Verlauf des nächsten Jahrhunderts Gleichwertiges entgegenzusetzen suchten. Die hier gesetzten Rahmenbedingungen europäischer diplomatisch-militärischer Interaktion sollten bis zum Wiener Kongress andauern.

Literatur

  • Paul Hazard, Die Krise des europäischen Geistes. La Crise de la Conscience Européene. 1680–1715 [1935], übers. Harriet Wegener [=Europa-Bibliothek, ed. Erich Brandenburg/ Erich Rothacker/ Friedrich Stieve/ I. Tönnies] (Hamburg, 1939).
  • Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit [=Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 103] (Göttingen, 1994).
  • Olaf Simons, Marteaus Europa oder der Roman, bevor er Literatur wurde (Amsterdam, 2001).

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