Fachkräftemangel

Fachkräftemangel

Als Fachkräftemangel bezeichnet man den Zustand einer Wirtschaft, in dem eine bedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen für Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten nicht besetzt werden kann, weil auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter (Fachkräfte) zur Verfügung stehen.

Ein Fachkräftemangel schwächt das mögliche Wachstum einer Wirtschaft. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt, früher auch in den Staaten des Realsozialismus, stellt er auch ein Problem für die Entwicklung der Gesellschaft dar, weil wesentliche Funktionen der Gesellschaft nicht besetzt werden können. In diesen Ländern führt die Auswanderung qualifizierter Arbeitnehmer („Braindrain“) zu einem Fachkräftemangel.

In Deutschland etwa ist der Begriff "Fachkräftemangel" primär ein interessengeleitetes Schlagwort. Im Jahr 2011 sind nur Engpässe bei Ärzten, Vulkaniseuren und Elektroinstallateuren wissenschaftlich belegt,[1] nicht dagegen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich.[2]

Inhaltsverzeichnis

Fachkräftemangel als ökonomisches Problem

Wie viel und welches Humankapital (wirtschaftlich nutzbaren Fähigkeiten und Kenntnissen) gebildet wird, entspricht nicht immer dem gesellschaftlichen Bedarf. Bedarf und Angebot an Humankapital sind allerdings keine festen Größen. Sie werden unter anderem über den Lohn von der jeweils anderen Marktseite beeinflusst. Daher muss Fachkräftemangel als Marktungleichgewicht aufgefasst werden, dem eine Störung des Preismechanismusses zugrunde liegt.

Ausbildungszyklen

Ausbildungen benötigen eine gewisse Ausbildungsdauer. Ein Fachkräftemangel führt daher erst mit einer zeitlichen Verzögerung zu einer Erhöhung der Zahl der Arbeitnehmer mit geforderter Qualifikation. Beispielsweise stieg im Vorfeld der Dotcom-Blase die Zahl der benötigten IT-Spezialisten mit Internet-Knowhow kurzfristig massiv an. Dieser Fachkräftemangel führte zu politischem Aktionismus wie dem Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs. Dieser Fachkräftemangel löste sich jedoch mit dem Platzen der Blase und dem Ende der Jahr-2000-Problem-Hysterie auf.

Auch im Bereich der Berufsausbildung bestehen Konjunkturzyklen. Die subjektive Wahrnehmung eines Fachkräftemangels führt zu einer verstärkten Ausbildungsleistung in den nachgefragten Bereichen. So führte der genannte Internet-Hype zu einer deutlich steigenden Zahl von Informatikern mit Spezialisierung auf Internet-Technologien. Daher verwandelte sich der Fachkräftemangel schnell in einen Überschuss so qualifizierter Informatiker.

Fachkräftemangel als langfristige Arbeitsmarktprognose

Bei der Diskussion von Fachkräftemangel ist es sinnvoll, einen eventuellen aktuellen Fachkräftemangel von Fachkräftemangel als langfristigem Arbeitsmarktungleichgewicht zu unterscheiden. Einer Diagnose von Fachkräftemangel als langfristigem Arbeitsmarktungleichgewicht liegen dabei typischer Weise die folgenden Argumente zugrunde.

  • Das Angebot an Fachkräften wird aus demografischen Gründen zurückgehen. Dabei wird angenommen, dass Veränderungen in der Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung und Veränderungen in der Bildungsbeteiligung nicht ausreichen, um den demographischen Rückgang auszugleichen.
  • Die Nachfrage nach Fachkräften wird steigen oder aber zumindest weniger stark sinken als das Angebot an Fachkräften. Das Verhältnis von Nachfrage und Angebot an Fachkräften wird also aus Sicht der Fachkräfte günstiger. Eine steigende Nachfrage nach Fachkräften kann dabei entweder dadurch zustande kommen, dass Sektoren mit hohem Fachkräfteeinsatz an Bedeutung gewinnen oder aber dadurch, dass technologische Entwicklungen den Einsatz von Fachkräften begünstigen.
  • Schließlich wird der Marktmechanismus, also die Anpassung des Lohnes von Fachkräften an die veränderten Marktbedingungen, nicht ausreichend funktionieren. Mithin sollten die beschriebenen Änderungen zu einer Anhebung des Lohnes von Fachkräften führen, was aus Sicht der Firmen den Einsatz an Fachkräften weniger lohnend erscheinen lässt und aus Sicht der Individuen einen Anreiz darstellt, in ihre Qualifikationen zu investieren.

Missbräuchliche Nutzung des Begriffs

Qualifizierte Fachkräfte sind aus Arbeitgebersicht eine wertvolle, wenn nicht die wertvollste Ressource. Allerdings vermeiden Arbeitgeber oft Fachkräfte angemessen zu entgelten, wenn ein entsprechendes Überangebot an Fachkräften existiert. Daher erscheint es für Arbeitgeber oft ökonomisch sinnvoll, einen Fachkräftemangel zu behaupten, auch wenn es keinen solchen gibt.

Anzeichen für einen Fachkräftemangel können z. B. überdurchschnittliche Gehaltsentwicklungen einer Fachrichtung sein. In der marktwirtschaftlichen Praxis liegen diese Anzeichen regelmäßig nicht vor.

Politische Diskussion in Deutschland

In Beiträgen, die bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen sind, wird vor Fachkräftemangel gewarnt (s.u.). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vertritt in seinen bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema überwiegend die Meinung, dass Fachkräftemangel sich zu einem ernst zu nehmenden Problem entwickeln könne [3][4], obgleich nach Ansicht derzeit nicht von einem allgemeinen Fachkräftemangel gesprochen werden kann, aber selbst unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung prognostiziert die Studie von Fuchs und Zika[5] eine deutliche Unterbeschäftigung für die nächsten Jahre. Auch Branchenverbände, wie der Verband der Chemischen Industrie, sehen derzeit keinen generellen Fachkräftemangel [6].

In der Diskussion sind auch immer wieder zusätzliche Anwerbungeanstrengungen für Fachkräfte aus dem Ausland, wobei viele eingewanderte Hochqualifizierte in Deutschland bereits in Niedriglohnjobs arbeiten und keine ihrer Qualifikation entsprechende Position erlangen.[7] Öffentliche Aufmerksamkeit erregte eine Studie des Arbeitsmarktexperten Karl Brenke des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, weil sie kurz nach einer Vorabveröffentlichung durch seinen Institutsdirektor Klaus F. Zimmermann redigiert wurde. [8]

„So tauchen in der neuen Fassung komplett neue Passagen auf: "Die zeitliche Perspektive ist die aktuelle Situation - mit Blick auf die Ausbildung der nächsten vier bis fünf Jahre. Mittel- und längerfristige Trends sind nicht das Thema dieses Berichts", heißt es jetzt etwas verquer formuliert gleich zu Anfang. Übersetzt soll das wohl heißen: Brenke bezweifelt nunmehr den von seinem Chef heraufbeschworenen Fachkräftemangel nicht. Auch die ursprüngliche Überschrift "Fachkräftemangel in Deutschland: eine Fata Morgana" wurde in eine Harmlosvariante geändert: "Fachkräftemangel kurzfristig noch nicht in Sicht".“

[9][10]

Lars Niggemeyer sieht die Diskussion über den angeblichen Fachkräftemangel eine Phantomdebatte, die dem Interesse der Arbeitgeber nach einem Überangebot an Arbeitskräften, längerer Lebensarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, Ausweitung der Zuwanderung und niedrigen Löhnen dient. Im Interesse der Arbeitnehmer sollten ganz andere Punkte diskutiert werden: die Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung und der Ausbau der Beschäftigung im öffentlichen Dienstleistungssektor, bei Gesundheit, Pflege, Bildung und Erziehung.[11]

Daneben gibt es Tendenzen, die verstärkt den Einsatz heimischer Arbeitskräfte empfehlen. Meinungsführer wie Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt fordern die Wirtschaft auf, Fachkräfte auszubilden und heimische Quereinsteiger einzusetzen.[12][13]

2011 behauptete Wirtschaftsminister Philipp Rösler, dass Deutschland im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich 140.000 Fachkräfte fehlen würden.[14] Röslers Behauptungen widersprechen wissenschaftlichen Ergebnissen des DIW für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich:

Für einen aktuell erheblichen Fachkräftemangel sind in Deutschland kaum Anzeichen zu erkennen. Dies ergibt sowohl hinsichtlich der aktuellen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als auch hinsichtlich der Situation bei der akademischen und betrieblichen beruflichen Ausbildung. Zudem sind die Löhne – ein Indikator für Knappheiten auf dem Markt – bei den Fachkräften in den letzten Jahren kaum gestiegen. Auch in den nächsten fünf Jahren ist angesichts stark gestiegener Studentenzahlen noch nicht damit zu rechnen, dass in technisch-naturwissenschaftlichen Berufsfeldern ein starker Engpass beim Arbeitskräfteangebot eintritt.[15]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/mai/die-propaganda-vom-fachkraeftemangel
  2. Karl Brenke: Fachkräftemangel kurzfristig noch nicht in Sicht http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.363686.de/10-46-1.pdf, S. 2
  3. Alexander Reinberg, Markus Hummel: Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel zu?, IAB Kurzbericht, No.9, Nürnberg, 2003.
  4. [1] Martin Dietz/Ulrich Walwei(2007): Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wissenschaftliche Befunde und Forschungsperspektiven, Aug. 2007
  5. [2] Johann Fuchs/Gerd Zika(2010): IAB Kurzbericht: Arbeitsmarktbilanz bis 2025 - Demografie gibt die Richtung vor, Juni 2010
  6. VCI Fakten und Standpunkte: Naturwissenschaftliche Fachkräfte in der Chemie. In: VCI Online. 1. August 2010, abgerufen am 7. März 2010.
  7. Stefan Dietrich: Die Illusion des Fachkräftemangels, FAZ, 3. August 2010
  8. DIW-Experten bezweifeln Mangel an Fachkräften Spiegel Online vom 16. November 2010
  9. DIW-Experten bezweifeln Mangel an Fachkräften Spiegel Online vom 16. November 2010
  10. Vgl. auch: zeit.de vom 1. Februar 2011 (Philip Faigle): Abschied ohne Rosen. - DIW-Chef Klaus Zimmermann tritt ab – und hinterlässt viele Feinde. Sein Nachfolger könnte ein Keynesianer werden.
  11. Lars Niggemeyer: Die Propaganda vom Fachkräftemangel http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/mai/die-propaganda-vom-fachkraeftemangel
  12. Dann soll die Wirtschaft gefälligst Fachkräfte ausbilden Welt Online vom 15. Dezember 2010
  13. ManagerSeminare - Auf die Vermittlung von Quereinsteigern konzentrieren ManagerSeminare Heft 153 - Dezember 2010
  14. Wirtschaftsminister: Deutschland hat Grenzen zu spät geöffnet. Abgerufen am 26. Juni 2011.
  15. Karl Brenke: Fachkräftemangel kurzfristig noch nicht in Sicht http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.363686.de/10-46-1.pdf

Literatur

  • Holger Bonin, Marc Schneider, Hermann Quinke, Tobias Ahrens: Zukunft von Bildung und Arbeit. Perspektiven von Arbeitskräftebedarf und -angebot bis 2020. IZA Research Report, No.9, Bonn, 2007.
  • Richard B. Freeman: Is a great labor shortage coming? Replacement demand in the global economy. NBER working papers, No. 12541, Cambridge, 2006.
  • Alexander Reinberg, Markus Hummel: Steuert Deutschland langfristig auf einen Fachkräftemangel zu? IAB Kurzbericht, No.9, Nürnberg, 2003.
  • Klaus F. Zimmermann, Thomas Bauer, Holger Bonin, Rene Fahr, Holger Hinte: Arbeitskräftebedarf bei hoher Arbeitslosigkeit. Ein ökonomisches Zuwanderunsgkonzept für Deutschland. Springer-Verlag, 2002.

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