Aktfotografie

Aktfotografie
Moderner Frauenakt

Als Aktfotografie bezeichnet man ein Genre der künstlerischen Fotografie, dessen Thema die Darstellung des nackten (Vollakt) oder teilweise nackten (Halbakt) menschlichen Körpers ist. Es stellt somit die Umsetzung des künstlerischen Aktes mit den technischen Mitteln der Fotografie dar.

„Aktaufnahmen sind ohne Zweifel ein sehr heikles Gebiet, denn nirgends ist die Gefahr, daß aus dem guten Wollen ein entsetzlicher Mißgriff wird, so groß wie beim Aktfoto. Vor einem falschen Hintergrund, in unechter Stellung und Gebärde kann ein unbekleideter Mensch allzu leicht nur «ausgezogen» wirken …“

Werner Wurst[1]

Umgangssprachlich ist es durchaus gebräuchlich, von „Nacktaufnahmen“ zu sprechen, Fotografen unterscheiden die beide Begriffe aber und legen Wert auf den künstlerischen Anspruch von Aktfotos.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein

Die Gestaltung von Akten ist wie die von Porträts hohe Schule der Fotografie. Neben technischen Fertigkeiten und einem gekonnten Umgang mit dem Licht als Gestaltungsmittel verlangt sie vom Schaffenden auch die Fähigkeit der Kommunikation und das Vermögen, eine positive Beziehung zu seinem Modell aufzubauen.

Geschichte und Entwicklung

Der Akt ist ein klassisches Motiv in der bildenden Kunst; bereits die frühen Hochkulturen (Sumer, Ägypten, Kreta, Indien unter anderem) kennen Aktdarstellungen. Die Entwicklung lässt sich weiter verfolgen über die griechische Plastik, mit Einschränkungen auch durch die Kunst des Mittelalters bis in die europäische Kunst der Neuzeit. Seit der Renaissance gehört das Studium des menschlichen Körpers zur Ausbildung an Kunstakademien.

Die extrem langen Belichtungszeiten in den ersten Jahren der Fotografie, in der Regel zwischen 10 bis 30 Minuten, machten Fotografien von Menschen zu einem schwierigen, wenn nicht gar unmöglichen Unterfangen. Erst die Entwicklung lichtempfindlicherer Platten und verbesserter Objektive ermöglichte Porträtaufnahmen allgemein und Akte im Besonderen.

Die ersten Daguerreotypien mit erotischen Darstellungen dürften etwa um 1845 bei Pariser Händlern aufgetaucht sein. Sie waren Unikate und wurden häufig entsprechend dem Zeitgeschmack handkoloriert. Zu den ersten Aktfotografen zählen beispielsweise Philippe Derussy, Eugène Delacroix, Eugène Durieu und Bruno Braquehais. Gerade für Maler fertigten in dieser Zeit Fotografen sogenannte Akademien an. Diese dienten den Malern zur Studie des menschlichen Körpers, wie die zuvor üblichen Stiche. Nach 1850 war es, wie Helmut Gernsheim formulierte, „beträchtlich billiger nach Fotos zu arbeiten als nach Berufsmodellen.“[2]

Félix-Jacques Moulin lieferte als erster Pariser Fotograf 1853 an die Bibliothèque Nationale als Pflichtstücke eine Serie von Aktfotos.[3]

Den „guten Sitten“ entsprach zu dieser Zeit der Handel nur bei Aktaufnahmen für die ein künstlerischer oder wissenschaftlicher Bedarf vorhanden war. So war auf künstlerischer Seite der Handel mit Aktfotografien, die als Mal- oder Zeichenvorlagen dienten. Auf wissenschaftlicher Seite als medizinisches oder ethnologisches Studienmaterial. Unter diesem Vorwand entwickelte sich dann auch die erotische Fotografie in den 1870er immer mehr.

Unter diesem Aspekt fanden Fotografen rasch einen Weg diese Akademien pikanter zu gestalten und so im Rahmen der zulässigen Verwendung auch den an erotischen Aufnahmen Interessierten bedienen zu können. Unter diesen Fotografen war schnell klar, was das „Prickeln“ bei den männlichen Kunden auslöste und so fand sich schnell eine einheitliche Gestaltung, die von den reinen Akademien abwich. Diese gilt immer noch in der Abgrenzung der Aktfotografie zur erotischen Fotografie. Die karge Studioeinrichtung wurde durch Kulissen ersetzt und das Ambiente suggerierte Orte, wie Park, Salon, Boudoir oder Schlafzimmer. Die Modelle waren nicht völlig nackt, was suggerieren sollte, dass sie sich im letzten Stadium der Entkleidung befinden. Der direkte Blick der Modelle in die Kamera und eine Mimik, die suggerieren sollte, dass die Modelle mit der Beobachtung ihrerseits einverstanden sind, sollten das „Prickeln“ bei den Käufern verstärken.

Neben diesen Pikanterien entwickelte sich die Produktion von Cochonnerien, „schamlosen Unzüchtigkeiten“ deren Vertrieb durch die jeweiligen Regierungen versucht wurde einzudämmen. Diese Aufnahmen entstanden häufig in Bordellen und waren auch eine Art Angebotsübersicht für diese Häuser. Hier arbeiteten die Fotografen anonym.

Paris entwickelte sich zur Hauptproduktionsstätte für solche Aufnahmen. Der Vertrieb war nach den bereits genannten Aspekten illegal, doch wurde er von der Obrigkeit auch mit Hinblick auf den aufkommenden Tourismus geduldet. Konnten doch die Besucher in den einschlägigen Etablissements die Abbildungen in natura bestaunen. So sollte es auch dem Paris-Besucher möglich sein, eine Erinnerung in Form einer Postkarte mit den entsprechenden Motiven mit nach Hause zu nehmen.

Für frühe Glamourportraits standen auch Tänzerinnen der Varietés Modell. Je nach Grad der Freizügigkeit signierten die Fotografen diese Aufnahmen mit ihrem bürgerlichen Namen. Teilweise wurde auch mehr „Fleisch“ gezeigt, jedoch war dies bei diesen Aufnahmen eine weitgehende Illusion, denn nackte Haut unter dem Ballettdress waren häufig enganliegende, gepuderte Strumpfhosen. Ebenso verhielt es sich bei Haut die durch spinnwebdünne Negligés schimmerte, hier kamen weiß gepuderte Trikots zum Einsatz.

Diese Bereiche haben mit der Aktfotografie wenig zu tun, da aber bedingt durch die hohen Produktionszahlen der so genannten Postkartenindustrie (1875–1925) eine Unmenge anonymer Fotografien entstanden, wird dieser Bereich landläufig mit den Strömungen in der Aktfotografie gleichgesetzt.

Die künstlerische Aktfotografie in den Jahren 1860 bis 1880 setzten die Trends aus den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts fort. In dieser Zeit bestimmen in Paris Fotografen wie Marie-Alexandre Alophe, Paul Marcellin Berthier, Nadar und Voland das Geschehen. Sie sind alle vom künstlerischen Metier zur Fotografie gekommen.

Gaudenzio Marconi gehörte zu den Künstler-Fotografen, die gezielt Akte aufnahmen, die Malern und Bildhauern geläufige Posen darstellten. Bei Marconi waren diese formatfüllend. Daneben führte er auch Akte in Form von Personen, welche Allegorien darstellten aus.

In den 1920er Jahren erschlossen reformistische, freiheitliche Bewegungen in Deutschland, die sich schon vor dem Ersten Weltkrieg bemerkbar gemacht hatten, auch der Aktfotografie neue Themenfelder. Neue Motive fanden Fotografen wie Gerhard Riebicke in der Freikörperkultur, die ebenso wie der Schönheits- und Ausdruckstanz mit einem neuen Körpergefühl und einem anderen Umgang mit Nacktheit experimentierte.

Der gesellschaftliche Dissens zu Fragen von Sitte und Moral war damit aber nicht aufgelöst. Entsprechend zwiespältig war die Rolle der Aktfotografie im Nationalsozialismus. Die Nazis duldeten nur solche Arbeiten, die ihrem ideologischen Rassenwahn dienstbar gemacht werden konnten und ihren Vorstellungen von „Volkshygiene“ nicht zuwider liefen.

Subgenres und Sujets

High-Key Aktfoto

Aktfotografie bietet drei grundlegende Darstellungsformen des Aktes:

  • Den „klassischen“ Vollakt (einfacher Hintergrund, Vollakt, Modell ist vollständig nackt),
  • die Darstellung von Detailansichten (Details des Körpers, abstrahierend und anonymisierend, Betonung auf Formen und Strukturen, Nahaufnahme),
  • sowie den Halbakt (Modell ist teilweise bekleidet oder drapiert, verdecken Objekte das Modell so spricht man auch von einem verdeckten Akt).

Neben diesen drei Grundformen hat sich die Aktfotografie in zahlreiche Sub-Genres oder Sujets mit verschiedenen, teilweise spezifischen, Techniken aufgefächert. Dazu gehören beispielsweise:

Aktfotografie und Recht

Aktmodell

Die Grenzen zwischen Aktfotografie und erotischer Fotografie sind fließend, den subjektiven Moralvorstellungen des Einzelnen und den jeweiligen kulturellen Vorstellungen von „guten Sitten“ unterworfen.

Zur Pornografie lässt sich die Aktfotografie anhand der Definition jener abgrenzen: eine Darstellung wird heute nach deutschem Recht als pornografisch bezeichnet, wenn sie unter Hintenansetzen sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt, und wenn ihre objektive Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend zur Aufreizung des Sexualtriebs abzielt (Stefen, 1989). Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) beinhaltet ein Totalverbot bestimmter pornografischer Schriften, die als sozialschädlich eingestuft werden (§ 184 Abs. 3).
Aktfotografien beabsichtigen hingegen nicht primär eine sexuelle Erregung und sind neben einem ästhetischen und handwerklichen Anspruch auch durch menschliche Achtung gekennzeichnet.

Andererseits schützt das deutsche Grundgesetz explizit die Kunst: Die Kunst ist frei; die Freiheit der Kunst ist in Art. 5 Abs. 3 GG ohne Vorbehalt gewährleistet. Der Kunstbegriff ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf ein bestimmtes Niveau und daher auch nicht auf „wertvolle“ oder gar klassische Kunst beschränkt.[4] Die Abwägung zwischen Kunstschutz und anderen durch die Verfassung geschützten Rechtsgütern, beispielsweise Jugendschutz, beschäftigt regelmäßig die Gerichte, so beispielsweise im Juni 1990 im Fall Opus Pistorum.

Der Jugendschutz ist daher ein Problemfeld Sexualität darstellender Fotografie. Das Verbot (Indizierung) für Jugendliche unter 18 Jahren ist in Deutschland und anderen demokratischen Staaten nur im Rahmen einer Nachzensur möglich und kommt bei Aktfotografien kaum vor – häufiger müssen jedoch zum Beispiel in der Werbung oder in Zeitschriften verwendete Aktfotografien oder Akt-Darstellungen in anderen, weniger liberalen Ländern im Rahmen einer Vorzensur entfernt oder modifiziert werden.

Aktfotografie und Moralvorstellungen

Weibliche Nacktheit muss man den Männern mit dem Teelöffel geben, nicht mit der Schöpfkelle.

Coco Chanel

Ob es sich bei einem Bild um Kunst, Kitsch oder gar Provokation handelt, liegt immer im Auge des Betrachters. Eine (ebenfalls subjektive) Definition von Günter Rinnhofer: „Ein Aktfoto ist dann gut, wenn das Modell es beim Geburtstag der Großmutter am Kaffeetisch rumzeigt und die Anwesenden es gut finden.“[5]

Andere Definitionen sind weitaus kontroverser:

  • So ging es Horst Werner immer um die Provokation, um das Hervorrufen von Emotionen: Ihm war Abscheu oder Verstörung (zum Beispiel Akt auf einem Friedhof, Akte von Behinderten) lieber als Gleichgültigkeit.
  • Die Arbeiten von Jeff Koons bewegen sich zwischen Kitsch und Pornografie.
  • Fotografen wie Joel-Peter Witkin rufen mit ihren Arbeiten starke Emotionen bis hin zu Abscheu hervor.
  • Nan Goldin zeigt mit ihren Aktfotografien innere Ängste und Zwänge auf.
  • Bettina Rheims schockiert mit ihrer Direktheit.
  • Aktfotografien von Petter Hegre bewegen sich an der Grenze zur Pornografie.
  • Natacha Merritt exhibitionierte sich mit ihren Digital Diaries, indem sie sich bei sexuellen Handlungen mit sich selbst und verschiedenen Männern und Frauen fotografiert hat.
  • Henning von Berg möchte mit seinen Spaß-Happenings in der Öffentlichkeit bewusst provozieren und dadurch zum Nachdenken anregen.[6]
  • Terry Richardson macht überhaupt keine Unterschiede mehr zwischen Akt-, Porno-, Kunst- und Modeaufnahmen. Er begibt sich oft selbst als Protagonist in seine Fotos.

Abgrenzung zu anderen Genres

Die Bestimmung des ästhetischen Wertes einer Aktfotografie und die Abgrenzung der Aktfotografie von der erotischen Fotografie ist intersubjektiv nur schwer zu leisten, darüber hinaus gibt es Überschneidungen mit der Pornografie – im Gegensatz zur Pornografie verfolgt die Aktfotografie jedoch nicht das Ziel, den Betrachter sexuell zu erregen. Das schließt natürlich nicht aus, dass Aktfotos auch aus diesem Grund betrachtet werden.

Aktfotografie und erotische Fotografie stehen immer im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Freiheit, Ästhetik, Kitsch, Provokation und dem Verstoß gegen die „guten Sitten“ oder die Sexualmoral.

Beispiele für Aktfotografie


Literatur

  • David Daye: Aktfotografie. München 2001, ISBN 3-87467-774-5.
  • Roger Hicks, Frances Schultz: Aktfotografie. München 1997, ISBN 3-87467-698-6.
  • Michael Köhler, Gisela Barche: Das Aktfoto – Ästhetik, Geschichte, Ideologie. Bucher, München 1985, ISBN 3-7658-0675-7.
  • Martin Sigrist, Matthias Stolt: Die neue Akt Fotoschule. Gilching 2000, ISBN 3-933131-00-6.
  • Achim Sommer, Nils Ohlsen (Hrsg.): Der Akt in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Wienand, Köln 2002, ISBN 3-87909-795-X.
  • Michael Köhler, Gisela Barche: Ansichten vom Körper – Das Aktfoto 1840-1986. Ed. Stemmle, Schaffhausen, ISBN 3-7231-6900-7.
  • William F. Ewing (Hrsg.): Das Jahrhundert des Körpers – Figürliches Fotografieren. Seemann, Berlin 2000, ISBN 3-363-00747-7.
  • Schön nackt. Aktfotografie in der DDR. Verlag Das Neue Berlin, 2009, ISBN 978-3-360-01957-8.
  • D.M. Klinger: Zeitgenössische Meister der erotischen Fotografie. Band 16, DOMINIK ALTERIO BRD- W. Pavelec - Polen, Barry Pringle - GB, DMK Verlag - Nürnberg / jetzt H.B. Wilson-DMK CO 1987 ISBN 3-923642-57-1.

Weblinks

 Commons: Aktfotos – Sammlung von Bildern
Wiktionary Wiktionary: Aktfotografie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Werner Wurst: Exakta Kleinbild-Fotografie. 5. Auflage, VEB Wilhelm Knapp Verlag, Halle (Saale) 1956, S. 194
  2. Helmut Gernsheim: Geschichte der Photografie - Die ersten hundert Jahre (Propyläen Kunstgeschichte) 1983, S. 198
  3. Das Aktfoto. Ansichten vom Körper im fotografischen Zeitalter. Ästhetik Geschichte Ideologie. Bucher Verlag, München 1985; S.421
  4. Beschluss vom 3. Juni 1987, Az: 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369
  5. Stefan Weis: Digitale Fotoschule Aktfotografie. Franzis, 2007, Seite 8, ISBN 978-3-7723-7129-5
  6. Naked city German photographer Henning von Berg captures the bare urban essentials of Berlin, Sydney – and now Montreal. In: Montreal Mirror, Divers/Cite 2005

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