- Fichenskandal
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Der sogenannte Fichenskandal (auch Fichenaffäre) ist eine Episode der neueren Schweizergeschichte in der Endphase des Kalten Krieges. Fiche [ˈfiʃə] ist die französische Bezeichnung für Karteikarte. Davon abgeleitet hat sich in der Schweiz das Wort «Fichenstaat» als Umschreibung für einen «Schnüffelstaat» gebildet.
Inhaltsverzeichnis
Ablauf
Zur Untersuchung des sogenannten „Falls Kopp“ beschloss das Parlament am 31. Januar 1989, eine Parlamentarische Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des damaligen Nationalrats und späteren Bundesrats Moritz Leuenberger einzusetzen. Der Auftrag umfasste auch eine detaillierte Untersuchung der zum Zweck des Staatsschutzes von der Bundesanwaltschaft betriebenen Datensammlungsaktivitäten mittels sogenannter Fichen (Registerkarten), für welche die reguläre Geschäftsprüfungskommission (GPK) nicht über ausreichende Befugnisse verfügte, obwohl sie seit Mai 1988 über Existenz und Anzahl der Fichen informiert war.
In den späten 1980er Jahren war nach und nach ans Licht gekommen, dass die Bundesbehörden und auch die kantonalen Polizeibehörden rund 900'000 Fichen angelegt hatten. Laut offiziellen Archiven waren mehr als 700'000 Personen und Organisationen betroffen;[1] bei der damaligen Einwohnerzahl von rund 6,5 Mio. Menschen waren dies mehr als 10 Prozent der gesamten Bevölkerung. Die Beobachtungsaktivitäten erfassten vor allem linksstehende Politiker und Mitglieder von Gewerkschaften. Offizielles Ziel der Fichierung war es, das Land vor aus dem Ausland gesteuerten subversiven Aktivitäten zur Destabilisierung des Systems und nachfolgender Errichtung einer totalitären (kommunistischen) Diktatur zu schützen.
Als Vorgänger dieser staatlichen Überwachungstätigkeit hatte der Zürcher FDP-Politiker Ernst Cincera eine eigene Kartei angelegt, welche von privater Seite etwa im Zusammenhang mit Stellenbewerbungen konsultiert werden konnte.
Die Aufdeckung des Fichenskandals bewegte die schweizerische Öffentlichkeit stark. Das Vertrauen vieler Bürger in den Staat war erschüttert. Zahlreiche Bürger reichten Gesuche ein, um die Herausgabe der persönlichen Fichen zu erreichen. Sie erhielten schliesslich Kopien ihrer Fichen, auf denen die Namen von Drittpersonen abgedeckt wurden, um die Identität der Informanten geheimzuhalten.
Im Zusammenhang mit den Nachforschungen zur Kopp- und Fichen-Affäre wurden auch Hinweise auf weitere Auffälligkeiten gefunden. So wurde ein Bericht über die Geheimorganisationen P-26 und P-27 erstellt, dessen Inhalt aber teilweise bis heute der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Unklarheiten bestehen nach wie vor auch bezüglich der Registrierung von Zigeunern. Dass ein entsprechendes Archiv angelegt wurde, wird heute nicht mehr bestritten. Da jedoch bisher sämtliche Recherchen von Historikern (z. B. im Rahmen der sog. Bergier-Kommission, der unabhängigen Expertenkommission, die die Geschichte der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs aufbereitete) nur Einzelbelege in verstreuten Archivbeständen zutage fördern konnten und die Behörden sich zu diesem Thema ausschweigen, bleibt unklar, ob diese Registratur vernichtet wurde oder nach wie vor in Gebrauch ist.
Einzelnachweise
Literatur
- Schweiz. Parlamentarische Untersuchungskommission (EJPD): Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vom 22. November 1989: Vorkommnisse im EJPD. Bern 1989.
- Schweiz. Parlamentarische Untersuchungskommission (EJPD): Ergänzungsbericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) vom 29. Mai 1990: Vorkommnisse im EJPD. Bern 1990.
- Urs Paul Engeler: Grosser Bruder Schweiz: wie aus wilden Demokraten überwachte Bürger wurden: die Geschichte der politischen Polizei. Weltwoche-ABC-Verlag, Zürich 1990.
- Komitee Schluss mit dem Schnüffelstaat, Red.: Jürg Frischknecht und Liliane Studer: Schnüffelstaat Schweiz: hundert Jahre sind genug. Limmat Verlag, Zürich 1990.
- Georg Sonderegger, Christian Dütschler: Ein PUK-Bericht erschüttert die Schweiz. Der Fichenskandal. In: Heinz Looser et al. (Hrsgg.): Die Schweiz und ihre Skandale. Limmat Verlag, Zürich 1995.
- Thomas Huonker, Regula Ludi: Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus – Beitrag zur Forschung, Unveränderte Ausgabe des publizierten Beihefts zum Flüchtlingsbericht von 1999, Reihe: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg – Commission Indépendante d'Experts Suisse – Seconde Guerre Mondiale. Band: 23, Bern 2001, ISBN 978-3-0340-0623-1.
Weblinks
- Regula Ludi, Thomas Huonker: Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus.(PDF; 320 kB) Veröffentlichungen der UEK, Band 23
- Videoclips zum Fichenskandal Archiv der SRG (erfordert RealPlayer)
- Die seltsame Hinterlassenschaft des Staatsschutzes. Vor zwanzig Jahren erschütterte die Fichen-Affäre die Schweizer Öffentlichkeit – Streifzüge durch ein kurioses Archiv, NZZ vom 13. Juli 2009.
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