- Freifeldfrequenzgang
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Eine binaurale Tonaufnahme ist eine Aufnahme von Schallsignalen mit Mikrofonen, die bei der Wiedergabe nur über Kopfhörer einen natürlichen Höreindruck mit genauer Richtungslokalisation erzeugen sollen. Bei der Aufnahme in Kunstkopfstereofonie wird häufig ein Kunstkopf verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Stereo und binaural
Die Bezeichnung „binaural“ wurde früher häufig mit Stereo gleichgesetzt.
Allgemein werden Stereo-Tonaufnahmen allein über Lautsprecheranlagen beim Abhören gemischt; daher der Name „Lautsprecher-Stereofonie“. Dabei werden die vom Menschen zur Lokalisation verwendeten Eigenschaften wie die Kopf- oder Ohrmuschelformen zu Recht nicht berücksichtigt. Dieses liegt daran, dass beim natürlichen Hören und bei der Wiedergabe über die Stereo-Lautsprecher im Stereodreieck das jeweilige Gehör des Zuhörers die Ohrsignale selber bildet.
Binaurale Aufnahmen sind „Stereo“-Aufnahmen mit besonderer Aufnahmetechnik, die jedoch typischerweise nur mit Kopfhörern korrekt wiedergegeben werden sollten; daher der Name „Kopfhörer-Stereofonie“. Binaurale Aufnahmen - welche die durch Kopfhörerwiedergabe unterbundenen natürlichen Ohrsignale ersetzen - sind die beste Möglichkeit, einen räumlichen Höreindruck realitätsnah zu reproduzieren.
Puristen möchten nur Aufnahmen von Kunstköpfen mit Ohrmuscheln als „binaural“ bezeichnen. Das hat sich aber nicht durchgesetzt.Grundlagen des Hörens
Definition eines Hörereignisses
Ein Schallereignis wird erst dann zu einem Hörereignis, wenn die Schallwellen das Gehör durchdrungen haben und im Gehirn als Reiz anliegen. Man kann Schall- und Hörereignis auch nicht direkt vergleichen, da im Mittel- und Innenohr die Reizgestalt verändert wird. Das bedeutet, dass das Ohr das Signal gewissermaßen verzerrt. Diese Reize sind Empfindungen, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind und die von Frequenz, Dauer und dem Schalldruckpegel des Schallerereignisses abhängig sind. Empfindungen sind nicht messbar, jedoch durch Hörstudien psychoakustisch statistisch erfassbar.
Lokalisation von Schallereignissen
Der Mensch ist in der Lage, seine wahrgenommenen Hörereignisse bestimmten Richtungen zuzuweisen. Der Mensch besitzt Wahrnehmungsmechanismen für die halbe Horizontalebene und die Medianebene. In einem kopfbezogenen Koordinatensystem wird als 0°-Achse die Richtung waagerecht nach vorn definiert.
Horizontalebene
Sobald die Schallquelle nicht mehr direkt auf der 0°-Achse liegt, kommt es zu interauralen Laufzeitdifferenzen (ITD) und interauralen Pegeldifferenzen (ILD). Laufzeitdifferenzen (Laufzeitunterschiede) können durch das menschliche Gehör bereits ab einer Größe von 10 µs zur Richtungslokalisation ausgewertet werden. Dieses entspricht einer Lokalisationsschärfe in der Horizontalebene von etwa einem Grad. Bis zu einer Laufzeitdifferenz von 0,63 ms (also 630 µs) erhöht sich die seitliche Lokalisation in etwa proportional zum Laufzeitunterschied. Eine Laufzeitdifferenz von 0,63 ms entspricht einer Wegstreckendifferenz des Schalls von 21,5 cm. Diese, auch „Hornbostel-Wertheimer Konstante“ genannte Größe, entspricht der Wegstreckendifferenz bei Schalleinfall aus 90° bzw. 270° Einfallsrichtung bei einem durchschnittlichen Abstand der beiden Ohren am menschlichen Kopf.
Durch interaurale Signaldifferenzen kann Schall in der Horizontalebene lokalisiert werden. Hierbei kann allerdings nicht zwischen Schall aus der vorderen und hinteren Horizontalebene unterschieden werden, denn hierfür sind die interauralen Signaldifferenzen gleich. Man unterscheidet hierbei 3 Frequenzbereiche; vergleiche auch Duplex-Theorie von John William Strutt, 3. Baron Rayleigh, J. W. Strutt 1907.
- Unterhalb von 800 Hz beruht die Bestimmung von interauralen Laufzeitdifferenzen ITD vor allem aus der Auswertung von Phasendifferenzen zwischen den Ohrsignalen. Interaurale Pegeldifferenzen spielen hier keine Rolle.
- Oberhalb von 1600 Hz beruht die Lokalisation auf der Auswertung interauraler Pegeldifferenzen ILD, sowie auf der Auswertung interauraler Gruppenlaufzeit-Differenzen (Laufzeitdifferenzen der Signal-Hüllkurven)
- Im Bereich zwischen 800 Hz und 1600 Hz überlappt sich der Wirkungsbereich der beteiligten Effekte. Mit zunehmender Frequenz wird der Winkelbereich, in dem interaurale Phasendifferenzen ausgewertet werden können, immer kleiner. Dafür steigt die Größe der interauralen Pegeldifferenzen.
Interaurale Pegeldifferenzen entstehen durch Abschattungen durch den Kopf. Interaurale Pegeldifferenzen sind stark frequenzabhängig. Frequenzen mit Wellenlängen in der Größenordnung des Hindernisses werden kaum noch gebeugt. Tiefe Frequenzen unterhalb von etwa 300 Hz bilden keinen Schallschatten und damit keine für die Lokalisation der Richtung heranziehbaren Pegeldifferenzen aus. Wohl haben jedoch diese tiefen Frequenzen mit den Phasendifferenzen einen besonderen Einfluss auf das Räumlichkeitsempfinden und das Umhüllungsgefühl.
Medianebene
In der Medianebene gibt es fast keine Laufzeitdifferenzen und Pegeldifferenzen zwischen beiden Ohren. Zur Lokalisation eines Schallereignisses werden hier die akustischen Eigenschaften des Außenohres ausgenutzt.
Die unterschiedlichen Erhebungen und Vertiefungen der Ohrmuschel bilden zusammen mit dem Gehörgang ein akustisches Resonatorsystem, das je nach dem, ob der Schall von vorn, von oben oder von hinten eintrifft, unterschiedlich angeregt wird. Hierdurch entstehen richtungsabhängige Minima und Maxima im Spektrum der Ohrsignale, die vom Gehör zur Richtungsbestimmung in der Medianebene ausgewertet werden. Die hierdurch verursachten Klangfarbenunterschiede werden vom Gehör nicht wahrgenommen.
Die Frequenzbereiche, die durch bestimmte Einfallsrichtungen angeregt werden, werden auch richtungsbestimmende Bänder genannt. Da die Form des Außenohres bei jedem Menschen anders ist, besitzt auch jeder Mensch etwas andere "Frequenzgänge" für vorne, oben und hinten.
Mit dem Kunstkopf aufgenommene Schallereignisse, die in der Medianebene liegen, sind beim späteren Abhören oft nur schwer zu lokalisieren. So kommt es oft zu Vorne-Hinten-Vertauschungen oder Im-Kopf-Lokalisation bei Kopfhörer-Wiedergabe. Eine Ursache ist, dass der Kunstkopf meistens nicht die individuelle Frequenzstruktur erzeugt, so dass die Richtungen dann nicht korrekt zugeordnet werden können.
Naturgemäß dürfen Hörereignisse für diese Art der Lokalisation nicht zu schmalbandig sein. Es ist im allgemeinen bei einer Kunstkopfaufnahme nicht sinnvoll, die gemessenen Signale mit einem Equalizer zu bearbeiten. Durch eine Manipulation des Frequenzgangs werden ansonsten unter Umständen auch richtungsbestimmende Frequenzbänder verändert, was dann zu einer stärkeren Fehllokalisation führt.
Die Lokalisationsschärfe liegt bei unbekannten Signalen bei rund 17 Grad, bei bekannten Signalen um 9 Grad. Diese Werte gelten für den Blick nach vorne. Je weiter ein Signal aus der Vorwärtsrichtung austritt, desto schlechter wird die Lokalisationsgenauigkeit.
Im-Kopf-Lokalisation
Die Im-Kopf-Lokalisation ist ein als unangenehm empfundener Effekt, der vor allem bei der Kopfhörerwiedergabe, aber auch bei Lautsprecherwiedergabe eintreten kann. Die Hörereignisse werden dann nicht mehr außerhalb des Kopfes lokalisiert, sondern im Kopf.
Das Gehirn vergleicht die eintreffenden Ohrsignale auf bekannte interaurale Signaldifferenzen und bekannten spektrale Strukturen. Wenn die Signale interaurale Zeit- und Pegeldifferenzen aufweisen, die in dieser Kombination unbekannt sind oder wenn die Signale eine spektrale Charakteristik aufweisen, die mit dem eigenen Außenohr noch nie wahrgenommen wurde, kann es zu einer Im-Kopf-Lokalisation kommen. Bei Lautsprechern kann dieser Fall bei Verpolung eintreten und wenn man sie in einem Winkel von mehr als 90 Grad aufstellt.
Eine solche Lokalisation kann experimentell simuliert werden, indem man bei einem Stereosignal, dessen beide Kanäle identisch sind, die Amplitudenwerte eines der beiden Kanäle spiegelt (invertiert) und sich das resultierende Signal mit Kopfhörern anhört.
Diffusfeldentzerrung und Freifeldentzerrung
In den Anfangszeiten dieses Aufnahmeverfahrens waren alle Kunstköpfe freifeldentzerrt. Anfang der 80er Jahre entwickelte das Institut für Rundfunktechnik mit der Firma Neumann den KU80 zum KU81, dessen einziger Unterschied die Entzerrung der Mikrofone war. Der KU80 war nicht geeignet, die Kunstkopfaufnahmen über Lautsprecher wiederzugeben, weshalb die damals verwendete Freifeldentzerrung in Frage gestellt wurde.
Messungen im freien Schallfeld (Freifeld) werden ohne reflektierende akustische Begrenzungsflächen, durchgeführt. Diese Bedingungen erhält man mit guter Näherung in einem reflexionsarmen Raum. Der daraus entstehende Freifeldfrequenzgang gilt nur für eine bestimmte Schalleinfallsrichtung. Da ein ebener Frequenzgang gewünscht ist, muss man das Signal mit Hilfe eines Filters entzerren. Bei Druckmikrofonen wie sie bei einem Kunstkopf verwendet werden, unterscheidet sich der Diffusfeldfrequenzgang sehr stark vom Freifeldfrequenzgang. Das liegt daran, dass bei Druckmikrofonen bei Direktschall aus 0°-Besprechungsrichtung, bei einem Membrandurchmesser von etwa 18 mm, eine Pegelanhebung um 6 dB bei 10 kHz im Übertragungsmaß stattfindet. Das wird durch die Schallwellen verursacht, deren Wellenlänge dem Membrandurchmesser entsprechen oder kleiner sind. Diese werden an der Membran reflektiert und der Schalldruck verdoppelt sich somit an der Membran. Im Diffusfeld führt das zu einem Höhenabfall, da Frequenzen mit kleinerer Wellenlänge nicht mehr um die Mikrofonkapsel gebeugt werden. Das betrifft allerdings nur Frequenzen aus seitlicher oder rückwärtiger Schalleinfallsrichtung. Für Schallwellen in einem bestimmten Höhenbereich, die von vorne auf die Membran auftreffen, also aus der Nähe der Vorne-Schalleinfallsrichtung, kommt es zu einer Pegelanhebung um 6 dB. Da der Kunstkopf aber nicht für die Aufnahme im Nahfeld gedacht ist, sondern eher eine größere Entfernung zur Schallquelle hat, spielt der Diffusfeldfrequenzgang eine erheblich größere Rolle. Das Diffusfeld ist gekennzeichnet durch gleichmäßig einfallende Schallanteile aus allen Richtungen. Es gibt im diffusen Schallfeld also nicht nur eine Schalleinfallsrichtung, wie es beim freien Schallfeld der Fall ist.
Bild: Übertragungsmaße eines Druckmikrofons
Bei der Wiedergabe über Kopfhörer sollte ebenfalls ein diffusfeldentzerrter Kopfhörer verwendet werden. Die Kopfhörer mit einem ebenen Diffusfeldübertragungsmaß bieten eine optimale Klangneutralität. Besser wäre dazu ein Kopfhörer mit einer speziellen IRT-Entzerrung.
Binaurale Aufnahmetechnik
Ohne Kunstkopf
Bei der einfachsten binauralen Aufnahmemethode braucht man zwei Mikrofone, die seitwärts voneinander weg zeigen und einen Abstand (Mikrofonbasis) von etwa 17 cm bis 22 cm zueinander haben. Beliebt sind die geheimnisvollen 17,5 cm. Dieser Ohrabstand und die Platzierung stellen angenähert die Position der Gehörgänge (Ohrkanäle) eines durchschnittlichen Menschen dar. Ein den Schall absorbierender oder auch reflektierender Trennkörper, wie beispielsweise ein Fußball oder eine Metallplatte, wird zwischen die Mikrofone platziert, um einen Kopf angenähert zu simulieren. Eine bekannte Ausführung dieser Anordnung ist die Jecklin-Scheibe OSS, eine absorbierende, 30 cm große Scheibe zwischen zwei Mikrofonen mit Kugelcharakteristik bei einer Mikrofonbasis von 16,5 cm. Die Mikrofone werden dabei leicht nach außen gedreht. In den Scripten von Jecklin findet man neuerdings den vergrößerten Scheibendurchmesser von 35 cm und die jetzt sogar mehr als verdoppelte Mikrofonbasis von 36 cm. Siehe pdf-Scipt Seite 32 ganz unten: OSS - Technik (Jecklin-Scheibe)
Dieses ist noch nicht allgemein bemerkt worden, denn man nimmt weiterhin die veralteten 30-cm-Scheiben-Abmessungen und die zu kleine 16,5 cm Mikrofonbasis.Eine weitere kopfähnliche Anordnung ist das Kugelflächenmikrofon.
Binaurale Kunstkopfaufnahmen
Aufwändigere Techniken bestehen aus genauen Kopfnachbildungen mittels eines Kunstkopfes. Ein typisches binaurales Aufnahmegerät hat zwei Kondensator-Studiomikrofone mit Kugelcharakteristik, die im Gehörgang des Kunstkopfs eingesetzt sind. Hier werden die in psychoakustischen Forschungsgemeinschaften erarbeiteten kopfbezogenen Übertragungsfunktionen (KBÜF), besser bekannt unter der Bezeichnung HRTF (Head Related Transfer Function), nachgebildet.
Der erste Stereo-Kunstkopf mit Nachbildung des menschlichen Gehörganges wurde bereits 1933 gebaut. Die Kunstköpfe KU-81 und KU-100 der Firma Neumann sind heute die am meisten benutzten binauralen Mikrofone. Das KEMAR-System ist eine andere Alternative. Das aufwändigere HMS-System von Head Acoustics aus Aachen hat eine automatische Frequenzgangeinstellung und vermittelt einen besseren Rundumeindruck. Es ist überwiegend in der akustischen Messtechnik verbreitet.
Das erste im deutschen Radio ausgestrahlte Hörspiel in Kunstkopf-Stereofonie war zur Funkausstellung 1973 in Berlin die RIAS/BR/WDR-Produktion „Demolition“ (The demolished man) nach dem Roman von Alfred Bester.
Weitere binaurale Mikrofonsystem-Alternativen
Es gibt auch Alternativen, die ähnlich arbeiten.
Ohrstecker mit Mikrofon: Diese „Ohrstöpsel mit Mikrofon“, auch unter der Bezeichnung „Originalkopf-Mikrofon“ (OKM) bekannt, sehen aus wie ganz normale Kopfhörer, wie man sie von einem Walkman kennt. Sie sind mit Elektretmikrofonkapseln mit Kugelcharakteristik versehen. Die Mikrofone sind mit 3,5-mm-Klinkensteckern ausgestattet und eignen sich somit für den mobilen Einsatz, da man mit handelsüblichen MiniDisc-Playern oder DAT-Recordern aufnehmen kann.
Man kann sich aus dem Nachteil, dass man immer an einen menschlichen Kopf gebunden ist, der sicher nie ganz still gehalten wird, einen Vorteil machen. Für Hörspiele sind Choreographien möglich, die mit einem herkömmlichen Kunstkopf nicht ohne weiteres zu erzeugen wären. Somit kann man nicht nur Bewegungen um den Kunstkopf machen, sondern auch den Kunstkopf ganz bewusst in das Stück mit einbeziehen. Viele Bootlegs von Live-Konzerten werden mit Hilfe dieser Mikrofone produziert, da die Aufnahme-Ohrstöpsel sehr unauffällig zu tragen sind und brauchbare Ergebnisse für Kopfhörerwiedergabe liefern können.Die Wiedergabe
Eine so hergestellte binaurale Tonaufnahme kann nur bei der Verwendung eines Kopfhörers optimal „räumlich“ erfahren werden. Die Wiedergabe über Lautsprecher ergibt nicht diesen Eindruck, sondern nur einen etwas „hohl“ klingenden Stereo-Effekt. Der Versuch, Kunstkopfaufnahmen mit diffusfeldentzerrtem Kunstkopf auch für Lautsprecherwiedergabe kompatibel zu erklären, ist wegen klanglicher Schwächen nicht angenommen worden.
Das Abhören mit Kopfhörern ergibt eine Hörerfahrung, die die Räumlichkeit des üblichen Lautsprecher-Klangbildes übertreffen kann, da es eine präzisere binaurale Abbildung der Schallwellen ermöglicht. Obwohl die Rechts-links-Lokalisation sicher erfolgt, ist die Identifizierung der Oben-unten-Position von Tonsignalen schwieriger. Auch die Lokalisierung eines frontalen Schallereignisses bereitet Probleme, da es in einem bestimmten Winkel in die Höhe als Elevation (Tontechnik) verschoben scheint. Typisch ist es auch, dass eigentlich vorne vorhandene Signale vielfach von hinten gehört werden und seltener umgekehrt, so dass man von einer vorne/hinten-Vertauschung ehrlicherweise nicht sprechen kann.
Lautsprecherwiedergabe
Die Lautsprecherwiedergabe ist eines der größten Probleme der Kunstkopfaufnahmen. Bei der Wiedergabe der Signale sollte darauf geachtet werden, dass beide Signale, also das der rechten Seite und das der linken Seite, völlig getrennt an den beiden Ohren ankommen. Das heißt genauer: Das linke Ohr darf nur Signale des linken Stereo-Kanals erhalten und das rechte nur Signale des rechten Kanals. Bei der Kopfhörerwiedergabe ist das selbstverständlich der Fall, jedoch bei einer normalen Stereo-Aufstellung der Lautsprecher nicht. Weiterhin kommt noch hinzu, dass die jeweiligen Nachhallzeiten des Abhörraumes zu den schon aufgenommenen hinzugefügt werden. Hiergegen kann man allerdings nicht viel tun.
Für das Problem der Kanaltrennung gibt es einen Lösungsvorschlag des Heinrich-Hertz-Instituts in Berlin und des Instituts für technische Akustik der TU Berlin. Hier werden, wie in der Skizze zu erkennen, vier Lautsprecher aufgestellt. Die jeweils gegenüberliegenden Lautsprecher „arbeiten zusammen“. Das heißt, die hinteren Lautsprecher sind jeweils phasengedreht, mit einem Filter bearbeitet (Höhenabsenkung) und jeweils so laufzeitverzögert, dass eine Auslöschung hervorgerufen wird. Es ist bei dieser Lautsprecheraufstellung notwendig, die richtige Hörposition einzuhalten.
Der zweite Lösungsvorschlag stammt vom 3. Physikalischen Institut in Göttingen. Hier wird jedes Ohr mit einem Lautsprecher beschallt. Man verwendet hier aber nicht mehr die übliche Stereo-Aufstellung der Lautsprecher, sondern die Lautsprecher werden neben dem Hörer positioniert. Es kommt zu Pegel- und Laufzeitunterschieden an den Ohren, und auch der Frequenzgang ist verändert. Alle Frequenzen, die im Bereich der Kopfgröße und kleiner liegen, werden am Kopf reflektiert und nicht mehr gebeugt. Die Signale, die immer noch am anderen Ohr ankommen, werden durch die entstandenen Laufzeitunterschiede phasenverschoben und dadurch möglicherweise ausgelöscht. Dieses Verfahren erfordert ebenfalls eine feste Einhaltung der Hörposition und ist noch dazu empfindlich gegen Kopfdrehungen. Kann ein Hörer nicht die optimale Hörposition einhalten und sitzt außerhalb, bekommt er immer noch eine der Stereo-Aufstellung ähnliche Klangübertragung, allerdings muss mit Klangfärbungen gerechnet werden.
Anwendungen
Der Kunstkopf ist im Prinzip überall einsetzbar, wo es darum geht, eine möglichst naturgetreue Aufnahme von dem zu bekommen, was ein Hörer an der Stelle erhalten würde. Daher kommt der Kunstkopf bei Messungen, Hörspielen und, wenn auch selten, bei Musikaufnahmen zum Einsatz. Bei diesen verschiedenen Anwendungsgebieten werden auch verschiedene Kunstkopfmodelle mit verschiedenen Eigenschaften verwendet.
Messungen
Oft werden bei Messungen ganz normale Messmikrofone verwendet, die sich allerdings für viele Anwendungen nicht wirklich gut eignen, da sie eben den räumlichen Eindruck, also auch das menschliche Hörempfinden, bei der Auswertung der akustischen Signale nicht berücksichtigen. Untersuchungen, die menschliche Eigenschaften mit einbeziehen, sind nur mit Hilfe des Kunstkopfs zu realisieren. Bei Messungen in der Industrie wird der Kunstkopf oft als eine Art „Dummy“ verwendet, der sich in unmittelbarer Nähe von Explosionen, Unfällen, lauten Maschinen oder ähnlichem befindet. Die Kunstköpfe für Messungen sind meistens auch mit speziellen Computerschnittstellen verbunden, um die akustischen Signale auszuwerten. Messungen, die auch noch psychoakustische Parameter, wie zum Beispiel eine Erwartungshaltung des Hörers, beinhalten, werden dann meistens auch im Zusammenhang mit Hörstudien ausgewertet.
Hörspiele
Vor allem in den 70er Jahren wurde der Kunstkopf auch bei kreativen Hörspielen eingesetzt. Aber auch heute findet man noch vereinzelt Hörspielproduktionen, die mit dem Kunstkopf aufgenommen wurden, vor allem bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Bei Hörspielen kann man ganz deutlich hören, dass allein die Aufstellung des Kunstkopfs mit in die Handlung des Stückes und die darin aufkommende Stimmung eingeht, was auch bewusst so eingesetzt wird.
Musikproduktionen
Nur bei sehr wenigen Musikproduktionen wird die Kunstkopftechnik eingesetzt. Dieses liegt nicht an den damit verbundenen Kosten, sondern an der nicht vorhandenen Lautsprecherkompatibilität. Kunstkopfaufnahmen klingen mulmig verfärbt über Lautsprecher, weil zu den kunstkopfeigenen Spektraldifferenzen noch die eigenen Ohrsignale hinzukommen, und das doppelt und überkreuz.
Grundsätzlich ist bei Musikaufnahmen zwischen dem im Rock- und Pop-Bereich üblichen „Take-by-Take-Verfahren“ auf mehreren Einzelspuren und reinen Stereo-Aufnahmen zu unterscheiden. Dieses Verfahren ist auch bei Kunstkopfaufnahmen möglich. Man muss, bevor man die Aufnahme beginnt, alle Instrumente so um den Kunstkopf verteilen, wie sie später im Klangbild platziert sein sollen. Man kann die einzelnen Instrumente dann auf einem Multitrack-Recorder wie gewohnt nacheinander aufnehmen. Beim späteren Mixdown ist nur darauf zu achten, dass man die einzelnen Signale nicht mehr uneingeschränkt mit einem Equalizer bearbeiten sollte, da dieses die richtungsbestimmenden Frequenzbänder beeinträcht, die zur Lokalisierung des jeweiligen Instruments wichtig sind. Auch ein Bearbeiten mit dem Panpot sollte vermieden werden.
Siehe auch
- Lokalisation (Akustik) | Ohrabstand | Lateralisation | Stereofonie | Ohrsignal |
- Interaural | Interchannel |
- Laufzeitstereofonie | Intensitätsstereofonie | Äquivalenzstereofonie |
- Jecklin-Scheibe | Kugelflächenmikrofon |
Tonträger in Kunstkopfstereofonie
- Die Bremer Kulturgesellschaft Dacapo gGmbH produzierte unter der Leitung von Ingo Ahmels seit Mitte der 90er-Jahre auf ihrem Label d'c records eine Reihe von CDs mit dem HMS-Kunstkopfsystem von Head Acoustics. Darunter befinden sich Klassikaufnahmen mit dem Philharmonischen Staatsorchester Bremen und die CD „d'c 9 – Alphorn in Manhattan (Mike Svoboda's Alphorn Special, Folge 2)“. Diese CD aus dem Jahre 1998 enthält Aufnahmen, die in der akustischen Umgebung von New York City entstanden.
- Auf der LP/CD „Tales of Mystery and Imagination“ von „Alan Parsons Project“ wurde im Titel „The Fall of the House of Usher“ das Gewitter in Kunstkopf-Technik aufgenommen.
- Edgar Froese: „Aqua“. LP 1974
- Jane (Rockband): „Fire, Water, Earth & Air“. LP 1976
- Lou Reed: „The Bells“, LP 1979
- delta-acoustic-Sampler: „Kunstkopf-Dimensionen“, LP 10-130-1
- Code III: „Planet of Man“, Delta-Acoustic LP 25-125-1
- Seedog: „We hope to see you“, Delta-Acoustic LP 25-126-1
- Kopfsongs: „Folklore“, Delta-Acoustic LP 25-127-1
- Golem: „Golem“, Delta-Acoustic LP 25-127-1
- alte Musik-Sampler: „Kostproben“, Delta-Acoustic LP 25-129-1
- Pearl Jam: „Binaural“, CD aus dem Jahr 2000 enthält einige binaurale Stücke
- „Stakkato Spezial“, CD 1989, Hörtest-Beispiele in Kunstkopfstereophonie. Auch die CDs „Stakkato“ und „Stakkato 2“ aus den Jahren 1981 und 1988 enthalten Kunstkopf- sowie kunstkopfähnliche Aufnahmen. Alle drei CDs wurden von der Zeitschrift „AUDIO“ vertrieben und stellen Sampler verschiedener Hörbeispiele dar.
- Hanns-Dieter Hüsch: „Nachtvorstellung“, CD 1995, Track 8 ist in Kunstkopf-Stereo aufgenommen worden.
- Walter Adler: „Centropolis", MC 1997, Hörspiel von 1975.
- Henry Sorg: „Am Fischbach", MP3 Naturaufnahmen von 2008
Literatur
- Zur Theorie der optimalen Wiedergabe von stereofonen Signalen über Lautsprecher und Kopfhörer. Rundfunktechnische Mitteilungen, RTM, 1981 - Deutsch, 16 Seiten, [1]
- H. Hudde, Schröter: Verbesserungen am Neumann-Kunstkopfsystem. JRTM, 1981
- R. Kürer, G. Plenge, H. Wilkens: Wiedergabe von Kunstkopfsignalen über Lautsprecher. Radio Mentor, 1973
- Stephan Peus: Natürliches Hören mit künstlichem Kopf, Funkschau 1983, [2]
- Neumann Broschüre: Der Kunstkopf – Theorie und Praxis, [3]
- G. Theile: Die Bedeutung der Diffusfeldentzerrung für die stereofone Aufnahme und Wiedergabe., 13. Tonmeistertagung, München, 1984, Tagungsbericht S. 112-124
- R. Kohemann, K. Genuit: Einsatz der Kunstkopftechnik bei Musikproduktionen'.'
Weblinks
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