Fremdvölkisch

Fremdvölkisch

Fremdvölkische ist ein nationalsozialistischer Sammelbegriff, mit dem Menschen erfasst werden sollten, die nichtdeutschen oder artverwandten Blutes“ (vgl. Nürnberger Gesetze) oderdeutschblütigwaren. Der Begriff kam zunächst bei der SS, der Polizei, dann bei Justiz und Verwaltung in Gebrauch.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Volksgemeinschaftals Grundlagevölkischer Gleichheit

Neben Führerprinzip und Vorherrschaft der Partei, war Grundprinzip des staatlichen Lebens im Nationalsozialismus die Dominanz der Rasse und damit dervölkischen Gleichheitin derVolksgemeinschaftim Unterschied zur rassischen odervölkischen Ungleichheit“. DieVolksgemeinschaftwar dabei kein Rechtssubjekt, sondern dem Führerwillen nachgeordnet. Auf Carl Schmitts Lehre vom Unterscheidungsdenken zwischenFreundundFeindfußend, erfolgte die rechtsmindernde SonderstellungartfremderPersonen mit dem Ziel ihrerAusgliederungin konkreten juristischen administrativen Maßnahmen. „Fremdwar nicht rechtlich, sondern völkisch-rassisch definiert, und zwar nach politischer Zweckmäßigkeit (Werner Best, 1937). „Juden“, „Zigeuner“, „Farbige“ („Neger“) konnten zwar die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, fielen aber nach 1935 mit denNürnberger Gesetzenals Randgruppen dervölkischen Ungleichheitmit minderem Recht und schließlich der Rechtlosigkeit anheim.

Die ausgliedernde Sonderstellung war im Grunde auch vorgesehen für alle vom Regime als missliebig angesehenen Personen, deren politische, kirchliche, kriminelle oder arbeitsscheue Orientierung unter dem Schlagwortasozialsubsumiert wurde.[1] Es gab einen fortschreitenden Übergang von dervölkischen Ungleichheitüber die allgemeine Rechtsungleichheit undArtfremdheitzurGemeinschaftsfremdheit“.[2] Damit war der ursprünglich rassische Kern aufgegeben, wie das auch an der Verwendung des BegriffsFremdvölkischedeutlich wird. Denn Hitlers Rasseideen waren nach Diemut Majer auch nach außen hinnur politisches Mittel zur Verschleierung außenpolitischer Herrschaftsansprüche“.[3]

Prinzipielle Rechtlosigkeit der Völker Osteuropas

Mit der Ausrichtung derLebensraumpolitiknach Osten, die vorsah, den osteuropäischen Raum zur Errichtung desGroßgermanischen Reichs deutscher Nationbis zum Uralgermanischzu besiedeln, und der von Himmler im Juni 1941auf der Wewelsburg angekündigtenDezimierung der Bevölkerung der slawischen Nachbarländer um 30 Millionenzielte die Kategorie derFremdvölkischenvor allem auf die Slawen, die nach der nationalsozialistischen Rassenkunde eigentlich gar nicht als eigene Rasse galten (Hans F. K. GünthergenanntRassen-Günther“ – , 1930). So mutierte die ursprünglich rassisch fundiertevölkische Ungleichheitzum volkstumspolitischen Prinzip außerhalb der deutschenVolksgemeinschaft“.[4] Slawische Völker galten einfach alsminderwertigundkulturlos“. Man fürchtete dabei vor allem ihre Fruchtbarkeit, die sie zu einem erneuerten, gefürchtetenDrang nach Westenführen würde,[5] weshalb ihre Versklavung oder Vernichtung durch Zivilverwaltung und Polizeikräfte ausgeführt werden sollte (vgl. Generalplan Ost). Für sie galt auch ein besonderer Fremdarbeiterstatus, nämlich der desOstarbeiters“.

Zum Muster einer sonderrechtlich aufgebauten Reichsverwaltung imGroßdeutschen Reichwurden dieeingegliederten Ostgebiete“ (vgl. Reichsgaue Wartheland und Danzig-Westpreußen); imGeneralgouvernementwurde eine sonderrechtliche Kolonialverwaltung etabliert. Zum sonderrechtlichen Umgang mit denFremdvölkischenkonnte neben Versklavung auch die Möglichkeit verschiedenstufiger Einbürgerung gehören (Eintragung in dieDeutsche Volksliste[6]).

Die Möglichkeit der Einbürgerung auf verschiedenen Stufen galt allerdings nur für die sog. eingegliederten Ostgebiete. Eingebürgertallerdings mit Widerrufsmöglichkeitkonnten sog. Volksdeutsche werden, d. h. deutschstämmige Personen, die in diesen Gebieten lebten, sowie Polen, die mit dem Deutschtum (durch Heirat, Sprache und Kultur etc.) verbunden waren. Dies diente dazu, sog. rassisch wertvollen Nachwuchs zu gewinnen. Das Ziel war, die seit 1935 eingeführte Reichsbürgerschaft diesen Personen nach einer bestimmten Bewährungszeit zu verleihen und ihnen das Abstreifen des volksfremden Status zu ermöglichen. (Diese Möglichkeit der Einbürgerung galt allerdings für dasGeneralgouvernementnicht.)

Instrumentalisierung derFremdvölkischen“-Vergangenheit im heutigen Polen

Gegen Kriegsende wurden im Zusammenhang des Umgangs mit denFremdvölkischenin deneingegliederten Ostgebietenauch junge Männer polnischer Herkunft für die deutsche Wehrmacht rekrutiert, nachdem sie die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf erhalten hatten. Darüber muss allerdings in der Kinder- und Enkelgeneration der davon Betroffenen heute noch geschwiegen werden, wollen sie nicht im gegenwärtigen Polen allgemeiner Ächtung anheimfallen. So diskreditierte Lech Kaczyński vor seiner Wahl ins Präsidentenamt seinen Konkurrenten Donald Tusk mit dem Gerücht, dessen Großvater sei in der Wehrmacht gewesen. Die Danziger Journalistin Barbara Szczepula veröffentlichte dazu das bisher nur auf Polnisch erschienene Buch "Großvater in der Wehrmacht". "Sehr viele Betroffene haben mir gesagt, wir können unsere Namen nicht veröffentlichen", so Szczepula[7]. Dabei ist das Schicksal dieser Menschen äußerst tragisch: Sie wurden gezwungen, in die Wehrmacht einzutreten - bei Weigerung drohte die Internierung im KZ. Zwar seien viele im Verlauf des Krieges desertiert und hätten auf britischer Seite gegen die Nazis gekämpft, doch das Brandmal sei geblieben.

Siehe auch

Deutscher Drang nach Osten, Sybel-Ficker-Streit, Code de l'indigénat

Literatur

  • Martin Broszat: Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik, Frankfurt a.M. 1972. Dort S. 272 ff.: Fremdvolk-Doktrin und Terror
  • Diemut Majer: Fremdvölkischeim Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Schriften des Bundesarchivs, Bd. 28 München (Oldenbourg Wissenschaftsverlag) 1993. ISBN 978-3-486-41933-7.
  • Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 21. Zehnte, völlig neu bearbeitete Auflage: Rolf-Dieter Müller, Der Zweite Weltkrieg 1939-1945, Stuttgart 2004.
  • Hans-Erich Volkmann (Hg.), Das Russlandbild im Dritten Reich, Köln-Weimar-Wien 1994.

Weblinks

Heinrich Himmler: Fremdvölkische im Osten

Anmerkungen

  1. Diemut Majer, 1993, S. 109 ff., 915.
  2. Majer, 1993, S. 140.
  3. Majer, 1993, S. 85 f.
  4. Majer, 1993, S. 127.
  5. Andreas Hillgruber, Das Russland-Bild der führenden deutschen Militärs vor Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion, S. 125, in: Hans-Erich Volkmann (Hg.), Das Russlandbild im Dritten Reich, Köln-Weimar-Wien 1994, S. 125-140.
  6. H. H. Schubert: Volkspolitische Voraussetzungen der Deutschen Volksliste
  7. 15.8.2007 in 3sat-Kulturzeit

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