- Fritz Kiehn
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Fritz Kiehn (* 15. Oktober 1885 in Burgsteinfurt; † 1. September 1980 in Schwenningen) war ein mittelständischer Zigarettenpapierfabrikant und Politiker in der NS-Zeit wie auch in der Nachkriegszeit.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Der Sohn eines preußischen Polizisten übersiedelte 1908 als Handlungsreisender ins württembergische Trossingen. 1911 heiratete er Bertha Neipp, Tochter einer alteingesessenen wohlhabenden Trossinger Familie. Dank ihrer Mitgift konnte er 1912 eine Schreibwarenhandlung übernehmen und begründete so die Efka-Werke, die nach seinen Initialen benannt sind. Die stark erhöhte Nachfrage nach günstigen Alternativen zu Fertigzigaretten in den Kriegsjahren legte den Grundstein für seine erfolgreiche Karriere als Zigarettenpapierfabrikant. Vor Ort entwickelte er sich zu einer Konkurrenz zu den alten Honoratioren, vor allem die Mundharmonika- und Akkordeon-Fabrikanten Hohner, die seit langer Zeit Trossingen dominierten.
Karriere im Nationalsozialismus
Als die Nationalsozialisten Ende der 20er Jahre erstarkten, sah er die Chance, sich gegenüber den politisch einflussreichen, konservativen Hohners in der Lokalpolitik zu positionieren. 1930 trat Kiehn in die NSdAP ein und gründete die Trossinger Ortsgruppe. 1931 wurde er mit der höchsten Stimmenzahl in den Trossinger Gemeinderat gewählt. In den zahlreichen Wahlkämpfen des Jahres 1932 war Fritz Kiehn einer der wichtigsten NS-Agitatoren im südlichen Württemberg und einer der größten Geldgeber der württembergischen NSdAP. Auf seinem Werk wehte schon vor 1933 die Hakenkreuzflagge. Im Juli 1932 wurde er in den Reichstag gewählt und behielt sein Mandat bis 1945.
Nach Adolf Hitlers „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 avancierte Kiehn vom Ortsgruppenleiter zum Kreisleiter und wurde zum wichtigsten Bürger der Stadt. Die Straße vor seiner Fabrik erhielt seinen Namen. Zum 50. Geburtstag am 15. Oktober 1935 verlieh ihm die Stadt die Ehrenbürgerwürde. Prominente NS-Größen gingen bei ihm ein und aus und er errang Amt um Amt. Kiehn wurde Präsident der württembergischen Wirtschaftskammer und saß, inzwischen zum SS-Sturmbannführer befördert, im „Freundeskreis Reichsführer-SS“, was ihm die Möglichkeit gab, „arisierte“ Unternehmen aufzukaufen. So kaufte er die C. D. Magirus AG und verkaufte sie mit Gewinn an die Kölner Klöckner-Deutz AG, wodurch die Nutzfahrzeugmarke Magirus-Deutz entstand. MIt diesem wirtschaftlichen Aktivitäten zog er sich jedoch starke Kritik der NSdAP, namentlich des Gauleiters Wilhelm Murr in Stuttgart, zu. Einem Parteiausschlußverfahren konnte er sich entziehen.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vergrößerte sein Wirtschaftsimperium noch. Filialen in Straßburg und Posen wurden gegründet und Kiehn erwarb Anteile einer Fabrik im polnischen Łódź.
Bundesrepublik
Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschen Reichs setzte sich Kiehn nach Innsbruck ab, wurde dort aber von US-Soldaten festgenommen und für vier Jahre inhaftiert. Ab 1949 gelang dem inzwischen 64-Jährigen ein Wiederaufstieg. Im Zuge der Entnazifizierung wurde er von der Spruchkammer 1949 als „minderbelastet“ eingestuft, 1950 gewährte ihm die Regierung des württembergischen Ministerpräsidenten Gebhard Müller einen Drei-Millionen-D-Mark-Kredit zur Sanierung eines ehemaligen Rüstungsunternehmens in Tuttlingen. Der daraufhin eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuss blieb für Kiehn folgenlos. In trauter Eintracht standen Belegschaft und Gewerkschaft hinter Kiehn.
Kiehn wurde 1953 mit einer sensationellen Stimmenzahl wieder in den Trossinger Gemeinderat gewählt, was einer Rehabilitierung durch die Bevölkerung gleichkam. 1955 erhielt er stillschweigend seine 1945 aberkannte Ehrenbürgerschaft zurück. Nach den Direktoren der Harmonikafabrik Matthias Hohner war Kiehn der großzügigste Stifter der Stadt. Die von ihm gestiftete städtische Sportanlage, eine Straße und der Fritz-Kiehn-Platz (zu dessen Gestaltung er mit seiner Frau Berta beigetragen hatte) wurden nach ihm benannt. Im übrigen galt er unter der Bevölkerung und v. a. bei seiner Belegschaft als ausgesprochen sozialer und arbeitnehmerfreundlicher Unternehmer.
1954 verteidigte Friedrich Grimm den ehemaligen NSdAP-Fraktionskollegen in einem Prozess wegen einer gerichtlichen Falschaussage. Grimm versuchte − entgegen der Sachlage − Kiehn als Opfer einer politischen Justiz zu stilisieren, Kiehn ließ seine Verteidigungsrede drucken und verteilen.[1]
Nachdem seine Bemühungen, das Bundesverdienstkreuz zu erhalten, scheiterten, wurde ihm dank seiner guten Kontakte und erheblicher Geldspenden von der Universität Innsbruck die Ehrenbürger- und 1966 gar die Ehrensenatorwürde verliehen.
1972, inzwischen 87-jährig, verlor er im Zuge von Sanierungsmaßnahmen die Entscheidungsbefugnis in seinem angeschlagenen Unternehmen. Seine Anteile an den Efka-Werken hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits größtenteils vererbt, die verbliebenen Anteile musste er übertragen. Wenige Wochen vor seinem 95. Geburtstag starb Fritz Kiehn 1980 als hochgeachteter Bürger Trossingens. Im Jahr 2000 bestätigte der Gemeinderat die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von 1945 endgültig. 2010 wurde der Fritz-Kiehn-Platz anlässlich der 75-Jahr-Feier der Theresienkirche in „Theresienplatz“ umbenannt.
Literatur
- Berghoff, Hartmut und Rauh-Kühne, Cornelia: Fritz K., Ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert. DVA, Stuttgart München 2000, ISBN 3-421-05339-1
- Erich Stockhorst: 5000 Köpfe – Wer war was im Dritten Reich. Arndt, Kiel 2000, ISBN 3-88741-116-1.
Einzelnachweise
- ↑ Ankündigungen von mehreren Vorträgen des Haus der Geschichte Baden-Württembergs zum Fall Kiehn [1]
Weblinks
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