Gefangenenjargon

Gefangenenjargon

Gefängnis-Jargon (auch: Gefangenenjargon, Gefängnissprache oder Knastsprache) bezeichnet den in deutschen Gefängnissen gebräuchlichen Jargon, der aus subkulturellen Umdeutungen und Neuschöpfungen entsteht, wobei in der Regel die Grammatik unverändert bleibt. Gefangene und Teile des Personals verwenden ihn gleichermaßen, sodass eine identitätsstiftende Wirkung auch in Wechselwirkung für alle Beteiligten zu beobachten ist. In verschiedenen Regionen sind erhebliche Unterschiede zwischen den Vollzugsanstalten, landesweit aber auch Entlehnungen aus oder Übertragungen zu anderen Jargons der Subkultur wahrscheinlich.

Eine ähnliche Rolle spielen auch Gesten, Zeichen und Tätowierungen, wobei letztere besonders bei russischstämmigen Gefangenen die Bedeutung von Abzeichen in der organisierten subkulturellen Hierarchie haben.

Inhaltsverzeichnis

Charakteristika

Die Knastsprache ist nicht homogen, vielmehr ist sie eine mit milieu-, schicht- und knasttypischen Formulierungen durchsetzte Umgangssprache.[1] Neue Ausdrücke haben ihren Ursprung für gewöhnlich in Randgruppenmilieus (z. B. Kiez, Jugend-, Drogenszene etc.), weshalb es relativ wenig knasteigene Begriffe gibt (siehe unten). Generell kann man von einem vulgären Sprachstil sprechen: je schlechter die Bedingungen, desto obszöner, intensiver und aggressiver fallen die Schimpfwortattacken gegen die Beamten aus. Die Sprache hat gemeinhin folgende Funktionen:

  • Tarnung verbotener Aktionen
  • Unverzagtheit, Humor
  • Freiheitsdrang
  • Witzige bis zynische Spitznamen

Beispiele

  • Abpissen: Urinkontrolle (UK), die für die Gewährung von Vollzugslockerungen (Ausgang, Urlaub) bei bestimmten/auffälligen Gefangenen angeordnet werden kann.
  • Angesetzter, Aufgesetzter: selbst angesetzter Alkohol
  • Ansage machen: Einem Mitgefangenen unmissverständlich klarmachen, dass er bestimmte Sanktionen zu befürchten hat, falls er sich nicht an gewisse Spielregeln oder Vereinbarungen hält.
  • Bambule: Gezieltes gemeinsames Lärmen der Inhaftierten durch Trommeln oder Klopfen, um so Unmut oder Protest auszudrücken
  • Boiler, Bello: Klo(schüssel)
  • Bombe: 250-Milliliter-Glas löslichen Kaffees oder 100- bis 200-Gramm-Dose Tabak, das/die als Zahlungsmittel verwendet wird
  • Blubber: Eintopf oder auch ein Rauchgerät ähnlich einer Wasserpfeife
  • Bunker: Besonders gesicherter Haftraum, in dem Gefangene zum Schutz vor Selbst- oder Fremdgefährdung vorübergehend untergebracht werden können
  • Dachdecker: Vollzugspsychologe
  • Den langen Schuh machen: Flüchten, ursprünglich wahrscheinlich aus dem Hooligan-Jargon stammend
  • Die Hütte kommen lassen: Im Haftraum randalieren und dessen Mobiliar beschädigen.
  • Drehung: geschnorrte selbst gedrehte Zigarette
  • Drogist: Gefangener, der wegen Verstoßes gegen das BtMG einsitzt oder in der Haft mit Drogen handelt bzw. selbige konsumiert
  • Gift: Drogen
  • Giftler: (siehe Drogist)
  • Grüne Minna: besonders gesicherter Bus für den Gefangenentransport.
  • Hausl: Hausarbeiter (wie Wäschehausl, Schulhausl, ...)
  • Hütte: Zelle
  • In den Harz fahren: Dahin gehen, wo der Pfeffer wächst: "Fahr in Harz, Du Spacken!"
  • Kalli: im norddeutschen Raum für Kalfaktor, also den "Hausarbeiter", der für die Abteilung zuständig ist und das Essen verteilt
  • Kamine-Freier: Betrüger, Angeber
  • Kamine machen: Angeben, so tun als ob, etwas vorgeben: "Krank? Mach keine Kamine!"
  • Kawumm: Rauchgerät bestehend aus dem Innenteil einer Toilettenpapierrolle und Silberpapier zum Konsum von rauchbaren Drogen
  • Knochen: Schlüssel
  • Koffer (mit Henkel): 40-Gramm-Päckchen Tabak (mit einem Heftchen Zigarettenpapier), das auch als Währung verwendet wird
  • Moped, Mofa, Turbo, Brummi: (selbst gebauter) Tauchsieder/Tätowiermaschine
  • Pendeln: Mit einem Seil Gegenstände von einem Zellenfenster zum anderen pendeln, oft über größere Entfernungen
  • Pop Shop haben/kriegen: Entzug der Genehmigung der Teilnahme an Freizeitveranstaltungen, auch mit TV-Entzug, ("Ich hab' drei Wochen Pop-Shop gekriegt!"), bzw. Ende von Freizeitmaßnahmen, Einschluss ("Jetzt ist Popshop!")
  • Rapportschein, Vormelder: Antragsschein, für jedes Begehren Grundvoraussetzung
  • Reißer: Vergewaltiger
  • Schließer/in, Wachtel: Justizvollzugsbedienstete/r
  • Schlick: Essen
  • Schmackofatz: Anstaltsverpflegung
  • Schwinge, Schüttelcomic, Schleuderwestern: Erotikheft/-zeitschrift oder Pornomagazin
  • Shore: Heroin, allgemein auch für (gestohlenes) "Zeug", "Sachen"
  • Sich grade machen: sich schlagen (oder seine Schuld bezahlen), um nicht zu kneifen oder nichts auf sich sitzen zu lassen ("da musste ich mich grade machen"), auch im Sinne von: die Verantwortung übernehmen
  • Singen: jemanden verraten
  • Sittich, Kifi, Fifi: Kindesmissbrauchstäter
  • Sixpack: Bulli der Polizei
  • Spaltengucker: Kammerbeamter (für körperliche Durchsuchung zuständig)
  • Spannmann: Der Mitinsasse in einer Zweierzelle
  • Sprecher: Besuch empfangen
  • Strecker: Vollstreckungsleiter im Jugendstrafvollzug (zuständiger Amtsrichter)
  • Wuchten oder Auswuchten: Überstellung eines Gefangenen in eine psychiatrische Abteilung.
  • Zellenspanner: (siehe Spannmann)
  • Ziegel: 200-Gramm-Päckchen Tabak
  • Zinken: (siehe Singen)
  • Zweidrittelgeier: Aussetzung der Vollstreckung des letzten Drittels der Strafe nach § 57 StGB.

Siehe auch

Literatur

  • Klaus Laubenthal: Lexikon der Knastsprache. Von Affenkotelett bis Zweidrittelgeier. Taschenbuch, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2001, ISBN 978-3896022998
  • Uta Klein, Helmut H. Koch (Hgg.): Gefangenenliteratur. Sprechen - Schreiben - Lesen in deutschen Gefängnissen. Hagen 1988, ISBN 3922957153

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rüdiger Wohlgemuth: Gibt es eine Knastsprache? In: Klein/Koch 1988, S. 51 ff.

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