Gender-Mainstreaming

Gender-Mainstreaming
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Der Begriff Gender-Mainstreaming, auch Gender Mainstreaming geschrieben, bezeichnet den Versuch, die Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen durchzusetzen. Der Begriff wurde erstmals 1985 auf der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi diskutiert und zehn Jahre später auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking propagiert.[1] Bekannt wurde Gender-Mainstreaming insbesondere dadurch, dass der Amsterdamer Vertrag 1997/1999 das Konzept zum offiziellen Ziel der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union machte.

Gender-Mainstreaming unterscheidet sich von expliziter Frauenpolitik dadurch, dass beide Geschlechter gleichermaßen in die Konzeptgestaltung einbezogen werden sollen.

Inhaltsverzeichnis

Worterklärung und Übersetzung

Der englische Ausdruck Gender [ˈdʒɛndɚ] bezeichnet das soziale oder psychologische Geschlecht einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen Geschlecht (engl. sex). Da das deutsche Wort Geschlecht in beiden Bedeutungen verwendet wird, hat sich der Begriff Gender in der Fachliteratur durchgesetzt.

„Mainstreaming“ (engl. mainstream „Hauptströmung“: „zum Hauptstrom machen“, „in den Hauptstrom bringen“) bezeichnet den Versuch, benachteiligte bzw. Randgruppen in die Mitte der Gesellschaft (also den mainstream) zu bringen.

So lässt sich aus gender mainstreaming die deutsche Übersetzung „durchgängige Gleichstellungsorientierung“ herleiten. Bei den Behörden der Europäischen Union werden für die Übersetzungen folgende Formulierungen verwendet: „geschlechtersensible Folgenabschätzung“, „gleichstellungsorientierte Politik“ oder „Gleichstellungspolitik“.

Aufgaben

Davon ausgehend, dass es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt, ist Gender-Mainstreaming nach dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Bundesrepublik Deutschland (2004) ein Auftrag an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Struktur, in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen, in den Ergebnissen und Produkten, in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und in der Steuerung (Controlling) von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können.[2] Zu den von der EU als Strategie für die Jahre 2010-2015 definierten Aufgaben des Gender-Mainstreamings gehört es, die Hindernisse zu beseitigen, die dazu führen, „dass die Wirtschaft ihr Potenzial nicht ausschöpfen kann und wertvolle Begabungen [der Frauen] ungenutzt bleiben.“[3]

So besteht die Aufgabe des Gender-Mainstreaming darin, den Blick weg von „den Frauen“ – also sogenannten „frauenspezifischen“ Problemen oder Politikfeldern – auf „die Geschlechter“ allgemein zu richten, damit eine geschlechtersensible Perspektive in alle sozio-politischen und wirtschaftlichen Bereiche integriert werden und somit eine Gleichstellung der Geschlechter von allen in allen Bereichen gefordert werden kann. (Holz/Neusüß 2006)

Rechtliche Grundlagen

Sowohl im internationalen Recht als auch im nationalen Verfassungsrecht und in Bundesgesetzen in Deutschland ist aktive Gleichstellungspolitik verankert, die im Sinne des Gender-Mainstreaming interpretiert wird.

Verpflichtungen zur Umsetzung einer aktiven, effektiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender-Mainstreaming ergeben sich zum Teil sowohl aus internationalem Recht als auch aus Deutschlands nationalem Verfassungsrecht.

Die Umsetzung des konzeptionell eher schwachen Instruments des Gender-Mainstreaming bleibt aber trotz seiner Festschreibung in der EU-Politik weiterhin nationale Aufgabe, so dass die Implementierung von Gender-Mainstreaming international erhebliche Unterschiede aufzeigt. Die normativen gleichstellungspolitischen Standards und juristischen Regelungen gegen die Geschlechterdiskriminierung und für die Gleichstellung der Geschlechter sind in der gesamten EU in vielen Bereichen zwar weitreichend und verbindlich, aber die Umsetzung liegt oftmals weit hinter den rechtlichen Standards und ist stark vom politischen Willen der Regierungen sowie der politischen Kultur der einzelnen Länder abhängig. (Holz/Neusüß 2006).

„Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft […] die Gleichstellung von Männern und Frauen […] zu fördern.“ (Artikel 2 des Amsterdamer Vertrags, in Kraft getreten am 1. Mai 1999) Dies bedeutet in der Praxis eine erhöhte Integration von Frauen in den europäischen Arbeitsmarkt.

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Art. 3 Absatz 2 Satz 1, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland), der Staat wird nun ausdrücklich in die Pflicht genommen, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, Änderung von 1994).

„Hierbei geht es darum, die Bemühungen um das Vorantreiben der Chancengleichheit nicht auf die Durchführung von Sondermaßnahmen für Frauen zu beschränken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdrücklich sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen einzuspannen, indem nämlich die etwaigen Auswirkungen auf die Situation der Frauen bzw. der Männer bereits in der Konzeptionsphase aktiv und erkennbar integriert werden („gender perspective“). Dies setzt voraus, dass diese politischen Konzepte und Maßnahmen systematisch hinterfragt und die etwaigen Auswirkungen bei der Festlegung und Umsetzung berücksichtigt werden.“ (Auszug aus der Kommissionsmitteilung zur „Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“ (KOM(96)67 endg.))

Methoden

In Stiegler (2000) werden einige Verfahren vorgestellt, wie Gender-Mainstreaming realisiert werden kann.

  • Aufstellung geschlechtsspezifischer Statistiken
  • Kosten-Nutzen-Analysen nach Geschlecht und Geschlechterrollen
  • Erarbeitung von Gender-Analysen
  • Checklisten
  • Die 3-R-Methode. Unter den drei Kategorien Repräsentation, Ressourcen und Realität wird jede politische Maßnahme geprüft.
  • Das Gleichstellungs-Controlling als betriebswirtschaftliches Instrument des Gender-Mainstreaming

Beispiele des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die folgenden Beispiele stammen von der Website des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Bundesrepublik Deutschland (2004).

Gesundheit

Typische „Männerprobleme“ wie Alkoholkrankheit und Nikotinsucht sowie Herzinfarkt seien auch „männerspezifisch“ erforscht, so dass Frauen mit gleicher Problematik weniger Hilfsmöglichkeiten hätten. Das Gleiche gelte für „Frauenprobleme“ wie Mager- oder Tablettensucht und deren Forschungslage bezüglich Männern.

Mobilität

Zitat von der Website: Frauen verfügen für den alltäglichen Gebrauch wesentlich seltener über ein Auto als Männer. Gleichzeitig haben sie aufgrund der immer noch vorherrschenden geschlechtsspezifischen Rollenverteilung die Hauptverantwortung für die Koordinierung aller familiären Aktivitäten. Daraus ergeben sich geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen z. B. an das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs.

Siehe auch: Räumliche Mobilität, Familien- und berufsbedingte Mobilität

Berufswahl und Folgen

Zitat von der Website: Mädchen und Frauen begreifen ihre Berufstätigkeit oft als „Zuverdienst“ und sind eher bereit, ihren Beruf zugunsten der Familienarbeit einzuschränken, zu unterbrechen oder sogar ganz aufzugeben – mit entsprechenden Folgen für ihre Altersversorgung bzw. ihre Einkommensmöglichkeiten, wenn die Partnerschaft scheitern sollte. Gleichzeitig erhalten sie hierdurch die „Alleinkompetenz“ für Haushalt, Beziehungspflege und Kindererziehung, ohne dass dies aber ihr gesellschaftliches Ansehen steigern würde.

Für junge Männer stellt sich dagegen oft erst gar nicht die Frage, ob sie ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie einschränken, sie fühlen sich wie selbstverständlich für das Familieneinkommen zuständig. Ihr Bedürfnis nach gemeinsamer Zeit mit der Familie kommt fast zwangsläufig zu kurz, wenn sie ihr Leben überwiegend nach den beruflichen Anforderungen ausrichten. Teilzeitarbeit wird von der Gesellschaft eher Frauen zugeschrieben, für Männer wird sie weniger akzeptiert. All dies führt zu unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungswelten bei Männern und Frauen, die Auswirkungen auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche haben.

Siehe auch: Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Weitere Beispiele

Stadtplanung

In Wien wird Gender-Mainstreaming in der Stadt- und Wohnraumplanung umgesetzt. Insbesondere wird dabei auch „frauengerechtes Wohnen“ nach Kriterien der Sicherheit (etwa Sicht- und Rufkontakt zu Kinderspielzonen und in den Hauseingangsbereichen) und der Alltagstauglichkeit (etwa Vorhandensein kombinierter Kinderwagen- und Fahrradabstellräume) bemessen.[4]

Abgrenzung zur Frauenpolitik/Frauenförderung

Mit Gender-Mainstreaming wird eine Strategie bezeichnet, um unterschiedliche Ausgangslagen und möglicherweise unterschiedliche Wirkungen von Maßnahmen auf Männer und Frauen systematisch zu berücksichtigen. Werden bei diesem Vorgehen Benachteiligungen festgestellt, sind „Frauenpolitik“ bzw. „Männerpolitik“ die einzusetzenden Instrumente, um der jeweiligen Benachteiligung entgegenzuwirken (siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen & Jugend, 2004).

Gender-Mainstreaming soll daher Frauenpolitik und Männerpolitik keinesfalls ersetzen. Vielmehr können geschlechtsspezifische Angebote aufgrund von Analysen im Rahmen von Gender-Mainstreaming als notwendig erachtet werden. Trotzdem wurden unter Verweis auf Gender-Mainstreaming frauenspezifische Angebote (z. B. in der Jugendarbeit) oder Frauenförderstellen eingespart. Da dies dem Ziel von Gender-Mainstreaming, der Gleichstellung der Geschlechter, zuwiderlaufe, sprechen Kritiker von einem Missbrauch der Strategie. Dieser Missbrauch diskreditiere Gender-Mainstreaming insbesondere in den Kreisen, die ebenfalls gleichstellungspolitische Interessen verfolgen.

Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Die konsequente Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Gedankens wird in Europa noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen, da die Integration des Gleichstellungsziels in ganz normale Arbeitsroutinen anspruchsvoll ist: Es bedarf der institutionellen Verankerung von Gender-Mainstreaming, um die Umsetzung zu organisieren, es bedarf der Genderkompetenz sowohl der Leitung als auch der Mitarbeiter in einer Organisation, und es bedarf geschlechtsdifferenzierter Daten. Der Blick auf die Berücksichtigung beider Geschlechter bei allen Maßnahmen und Programmen muss zunächst geübt werden und auch bei den Fällen, bei denen unter Umständen gender-spezifische Ausgangsbedingungen nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind, zum Ausgangspunkt der Entscheidungen gemacht werden.

Ohne einführende Schulung und ohne geschlechtsdifferenzierte Daten bergen Gender-Mainstreaming Instrumente die Gefahr, dass die Anwender Geschlechterverhältnisse nicht gründlich hinterfragen und analysieren sondern stattdessen Stereotype und traditionelle Rollenerwartungen festgeschrieben werden. Statt der Gleichstellungsziele „Freiheit von Diskriminierung“, „gleiche Teilhabe“ und „echte Wahlfreiheit“[5] werden dann geschlechtliche Zuschreibungen festgeschrieben.

Mit Blick auf die realpolitische Ebene wird des Weiteren bemängelt, dass es sich bei der Verankerung von Gender-Mainstreaming in Gesetzes- oder Verfassungstexten meist lediglich um „soft laws“ handelt, die im Gegensatz zu zielgerichteten Frauen-/Gleichstellungspolitiken konzeptionell unklar bleiben und meist keine einklagbaren Leitlinien sind. So lassen sich trotz der Festschreibung von Gender-Mainstreaming als Leitlinie der EU-Politik in allen Ländern Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis, zwischen den Rechtsnormen und der Realität erkennen. So stellt die Frage der Umsetzung der europäischen Gleichstellungsstandards für die wenig vernetzten europäischen Frauenorganisationen und frauen- und geschlechterpolitischen Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft, Parteien und Zivilgesellschaft eine große Herausforderung dar. (Holz/Neusüß 2006)

Kritik

Viele Anhänger des Feminismus beurteilen Gender-Mainstreaming als angepassten und wirkungslosen Reformismus. Andere Feministinnen sehen darüber hinaus eine Gefahr der Verwässerung erreichter Ziele und weisen auf ein Missbrauchspotenzial hin. So spricht Barbara Stiegler (2000) von einem „Missbrauch“, wenn mit Verweis auf das Gender-Mainstreaming Frauenbeauftragte abgeschafft oder Frauenfördermittel gekürzt werden. Auch die Sorge um eine Zementierung von binären Geschlechtervorstellungen (beispielsweise John Grays Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus) wird vielfach geäußert.

Auf der anderen Seite des Spektrums sehen Kritiker des Feminismus wie Bettina Röhl in Gender-Mainstreaming „eine Art totalitäre[n] Kommunismus in Sachen Sex und Geschlechterbeziehung“,[6] in Form von Frauenbevorzugung und Männerbenachteiligung.

Auch der Mainzer Kriminologe und Soziologe Michael Bock bezeichnet Gender-Mainstreaming als ideologisch gut vorbereitete „totalitäre Steigerung von Frauenpolitik“.[7]

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass dem Gender-Mainstreaming ein eurozentrisches Weltbild zugrunde liege, welches traditionelle Wertvorstellungen von Einwanderern teilweise bewusst ignoriere, wodurch eine Verstärkung von Vorurteilen und Rassismus begünstigt werde.

Kritisiert wurde die Durchsetzung von „Gender-Perspektiven“ auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking und auf den verschiedenen Vorbereitungskonferenzen; insbesondere die Vertreter von Staaten und Nichtregierungsorganisationen der Entwicklungsländer sahen in der Pekinger „Aktionsplattform“ einen direkten Angriff auf die Werte, Kulturen, Traditionen und religiösen Überzeugungen der großen Mehrheit.[8]

Scharf wird Gender-Mainstreaming von manchen christlichen Gruppierungen als gegen biblische Werte gerichtet kritisiert, insbesondere von Evangelikalen. So kritisierte die evangelikale Ärztin Christl Vonholdt und Leiterin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft 2008 auf der Jahreskonferenz der Deutschen Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg, Vertreter der Gender-Bewegung wollten die sozialen Geschlechterrollen von Mann und Frau von allen biologisch-leiblichen Gegebenheiten abkoppeln und leugneten dabei die "wesenhaften Unterschiede zwischen Mann und Frau". Dies widerspreche aber aller Erfahrung und der wissenschaftlichen Forschung.[9] Die Evangelische Allianz nahm diese grundsätzliche Kritik auch in ihre Wahlprüfsteine 2009 auf mit der Formulierung „Was werden Sie tun, dass Gender Mainstreaming nicht zu einer ideologischen Verfremdung der geschlechtlichen Identität von Mann und Frau führt?“[10] Einige evangelikale Gruppen sehen hinter Gender-Mainstreaming eine Strategie der Lesben- und Schwulenbewegung.[11]

Die deutsche Schriftstellerin Gabriele Kuby kritisiert Gender-Mainstreaming, da hierdurch „die Geschlechtsdifferenzierung von Mann und Frau und die Heterosexualität als Norm [...] aufgehoben werden“.[12][13] 2006 erschien ein Buch von ihr zu diesem Thema.[14]

Die Wochenzeitung Junge Freiheit sieht in der Kritik an Gender-Mainstreaming ein neues Tätigkeitsfeld.[15]

Kritik an der praktischen Umsetzung

Die aktuelle praktische Umsetzung von Gender-Mainstreaming wird noch stärker kritisiert als das Gender-Mainstreaming selbst. Häufige Kritikpunkte sind, dass Männerbeauftragte zur Gestaltung von Gender-Mainstreaming-Prozessen selten eingeladen würden.[16] Als prägnantes Beispiel hierfür wird häufig die Website gender-mainstreaming.net des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend[17] benannt. Männerspezifische Benachteiligungen, zum Beispiel in der Schulausbildung[18] oder im Familienrecht,[16] würden dort nach Ansicht der Kritiker in unzureichender Weise dargestellt.

Presseberichte im Magazin Der Spiegel[19] und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung[20] setzen Gender-Mainstreaming mit „Umerziehungsmaßnahmen“ gleich und kritisieren dabei, dass es hier um „Zerstörung von Identitäten“ gehe. Als Beleg dient ein Text über ein pädagogisches Projekt des Berliner Trägers Dissens e.V., in dem eine pädagogische Intervention vom Verfasser in diesem Sinne analysiert wird. Dissens e.V. weist die von René Pfister geübte Kritik zurück und konstatiert, der von ihm angeführte Text sei sinnentstellend zitiert worden.[21] Beispielsweise heißt es in einem Spiegel-Artikel, der Versuch der Vermeidung geschlechterstereotyper Zuschreibungen im Schulunterricht führe dazu, dass sich Jungen mit mehr Interesse für traditionellerweise eher Jungen zugeordnete Themen oft langweilten und in der Folge schlechtere Leistungen erbrächten, da nun in den Lehrmitteln traditionellerweise eher Mädchen zugeordnete Themen bevorzugt würden.[22] Auf der Interpretation des Spiegels wiederum baut Gerhard Amendt auf, der im Anschluss daran eine Kampagne gegen identitätskritische Jungenarbeit startete, mit der Begründung, „Identitätszerstörung“ sei weder ein wissenschaftlich begründetes noch anerkanntes Verfahren in der Sozialpädagogik, der Pädagogik, der Weiterbildung, Beratung oder Psychotherapie. Denn Identitätszerstörung oder nur deren -verwirrung führten zu „pathologischen Zuständen, die als leidvolle Desorientierung erlebt werden.“[23] Nach Julia Roßhart hingegen sei die o.a. Mediendiskussion als Strategie zur Delegitimierung feministischer und de-/konstruktivistischer Kritik an Geschlechterverhältnissen anzusehen. Gender-Mainstreaming stehe hier nur stellvertretend für diese Gesellschaftskritik, welche in den genannten Artikeln versucht werde, als irrelevant darzustellen.[24]

Die Kosten für die Einführung eines großen Bürokratieapparates stehen bei der praktischen Umsetzung von Gender-Mainstreaming ebenfalls in der Kritik.[25]

Literatur

  • Susanne Baer, Karin Hildebrandt (Hrsg.): Gender Works! Gender Mainstreaming: Gute Beispiele aus der Facharbeit. Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. 2007, ISBN 978-3-631-55107-3.
  • Susanne Baer, Dietrich Englert (Hrsg.): Gender Mainstreaming in der Personalentwicklung. Diskriminierungsfreie Leistungsbewertung im öffentlichen Dienst. Kleine, Bielefeld 2006, ISBN 3-89370-413-2. (Gender kompetent; Band 1)
  • Ute Behning, Birgit Sauer (Hrsg.): Was bewirkt Gender Mainstreaming? Evaluierung durch Policy Analysen. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2005, ISBN 3-593-37608-3.
  • Silke Bothfeld, Sigrid Gronbach, Barbara Riedmüller (Hrsg.): Gender Mainstreaming – eine Innovation in der Gleichstellungspolitik. Zwischenberichte aus der politischen Praxis. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2002, ISBN 3-593-37038-7.
  • Regina Frey: Gender im Mainstreaming. Geschlechtertheorie und -praxis im internationalen Diskurs. Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2003, ISBN 3-89741-083-4.
  • Dietmar Krafft, Claudia Wiepcke: Gender Mainstreaming durch ökonomische Bildung. In: Bernd Weitz (Hrsg.): Standards in der ökonomischen Bildung. Bergisch Gladbach 2005, ISBN 3-924985-41-3, S. 313-332.
  • Barbara Nohr, Silke Veth (Hrsg.): Gender Mainstreaming. Kritische Reflexion einer neuen Strategie. Rosa Luxemburg-Stiftung, Texte 7. Karl Dietz Verlag, Berlin 2002.
  • Norbert Kühne: Mädchen und Jungen - Entwicklung, Erziehung, Identität. In: Praxisbuch Sozialpädagogik. Band 8, Bildungsverlag EINS, Troisdorf 2010, ISBN 978-3-427-75416-9, S. 9-41.
  • Gertraude Krell, Renate Ortlieb, Barbara Sieben (Hrsg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik: Gleichstellung von Frauen und Männern in Unternehmen und Verwaltungen: Rechtliche Regelungen - Problemanalysen – Lösungen. 6. Auflage. Verlag Dr. Th. Gabler, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-8349-2979-2.
  • Michael Meuser, Claudia Neusüß: Gender Mainstreaming. Konzepte – Handlungsfelder – Instrumente. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, ISBN 3-89331-508-X.
  • Barbara Stiegler: Wie Gender in den Mainstream kommt: Konzepte, Argumente und Praxisbeispiele zur EU-Strategie des Gender Mainstreaming. Bonn 2000, ISBN 3-86077-881-1 (online)
  • Gabriele Kuby: Die Gender Revolution: Relativismus in Aktion. fe-medienverlag, Kisslegg 2006, ISBN 3-939684-04-X.
  • Gabriele Kuby: Verstaatlichung der Erziehung: Auf dem Weg zum neuen Gender-Menschen. fe-medienverlag, Kisslegg 2007, ISBN 978-3-939684-09-1.
  • Volker Zastrow: Gender - politische Geschlechtsumwandlung. Manuskriptum, Waltrop/Leipzig 2006, ISBN 3-937801-13-8.

Siehe auch

Weblinks

Kritik

Einzelnachweise

  1. Michael Meuser, Claudia Neusüß: Gender Mainstreaming – eine Einführung. In: dies. (Hrsg.): Gender Mainstreaming. Konzepte – Handlungsfelder – Instrumente. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, S. 9-22.
  2. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen & Jugend: Definition von „Gender-Mainstreaming“, „Gender“ und „Mainstreaming“.Von 2004 bis August 2007 eine Unterseite mit GM-Definition bei www.gender-mainstreaming.net (Website des deutschen BMFSFJ)
  3. Europäische Kommission - Beschäftigung, Soziales und Integration: Strategie 2010–2015.
  4. Wohnen in “Frauen-Werk-Stadt II”. In: Webservice der Stadt Wien. 22. Februar 2001, abgerufen am 5. März 2008.
  5. Arbeitshilfe Rechtsetzung der Bundesministerien
  6. Bettina Röhl: Die Gender Mainstreaming-Strategie. In: Cicero. April 2005.
  7. Kellmann-Stiftung
  8. Dale O'Leary: The Gender Agenda – Redefining Equality. Vital Issues Press, Lafayette 1997. (Deutsche Zusammenfassung: Teil I, Teil II, beide aus dem Internet Archive vom 28. September 2007)
  9. EAD: Scharfe Kritik an „Gender Mainstreaming“. 9. August 2008
  10. Christen wählen Werte. FDP Hessen, abgerufen am 29. Juni 2010 (PDF).
  11. „die „biologische Wirklichkeit“, gegen die die Gender-Perspektive vergeblich anrennt“
  12. Gabriele Kuby: Auf dem Weg zum neuen Menschen. In: Junge Freiheit. 29. Juni 2007.
  13. Die große Umerziehung. In: Junge Freiheit. 21. September 2007.
  14. Die Gender Revolution - Relativismus in Aktion. fe-medienverlag, Kißlegg 2006, ISBN 3-939684-04-X.
  15. Projekt der Jungen Freiheit zu Gender Mainstreaming
  16. a b MANNdat: Bruno Köhler: Ist Gender Mainstreaming wirklich eine Geschlechterpolitik für Frauen UND Männer?, Januar 2006.
  17. wie Anm. 1
  18. Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: Bildungs(Miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen
  19. René Pfister: Der neue Mensch. In: Der Spiegel 1/2007.
  20. Volker Zastrow: Politische Geschlechtsumwandlung. In: FAZ. 20. Juni 2006.
  21. Stellungnahme von Dissens e.V. zum Spiegelartikel
  22. 1. Teil: Triumph der Schmetterlinge und insbesondere 2. Teil: Das Prinzip „Gender Mainstreaming“ – (Artikel von Ralf Neukirch in Spiegel Online 25. August 2008, und Heft 35/2008)
  23. Stellungnahme von Prof. Dr. Gerhard Amendt zum pädagogischen Konzept der Identitätszerstörung bei Dissens e. V. Berlin: Ein weiterer Skandal in der Sozialpädagogik?
  24. Julia Roßhart: Bedrohungsszenario "Gender". Gesellschaftliches Geschlechterwissen und Antifeminismus in der Medienberichterstattung zum Gender Mainstreaming. Potsdam 2007.
  25. MANNdat: Gender Mainstreaming – was das kostet!

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