Georg Haas (Mediziner)

Georg Haas (Mediziner)

Georg Haas (* 24. April 1886 in Nürnberg; † 9. Dezember 1971 in Gießen) war ein deutscher Arzt und ein Begründer der Hämodialyse. Er führte 1924 die weltweit erste „Blutwäsche“ (wie er es nannte) außerhalb des Körpers mit Erfolg am Patienten durch. Im Januar 1925 veröffentlichte Haas die Beschreibung des Verfahrens in der Klinischen Wochenschrift. Heute werden in Deutschland 95 Prozent aller Dialyse-Patienten mit dieser Methode behandelt, auch weltweit ist sie das Standardverfahren.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Georg Haas studierte in München und Freiburg im Breisgau Medizin. Es folgten die Promotion 1911 und eine Assistententätigkeit am Physiologisch-Chemischen Institut der Universität Straßburg von 1911–1913. Dann arbeitete er von 1914–1916 an der Medizinischen Klinik der Universität Gießen und am dortigen Lazarett. Bereits 1916 wurde er habilitiert und Privatdozent. 1917–1918 war er im Sanitätsdienst in Rumänien im Einsatz. 1921 erhielt er eine außerordentliche Professur an der Universität Gießen und von 1924 bis 1954 war er Ärztlicher Direktor an deren Medizinischer Poliklinik. Während des Zweiten Weltkriegs hatte Haas auch die Lazarette in Gießen als Beratender Internist zu betreuen. Bei dem schweren Luftangriff auf Gießen Anfang Dezember 1944 wurde er zu Hause verschüttet und von einem Assistenten gerettet. 1950 erhielt Haas noch die Ordentliche Professur, und 1954 wurde er emeritiert.

1933 hatte Georg Haas Elisabeth Joeckel geheiratet. Er verstarb 1971 im Alter von 85 Jahren. Das Grab der Eheleute befindet sich auf dem Alten Friedhof in Gießen.

Nach dem Urteil von Zeitgenossen ist Georg Haas ein „guter katholischer Christ“ gewesen, „ein sehr guter und solider Kliniker“, „bei Kollegen und Patienten hochgeschätzt“, „ruhig und leutselig“, „persönlich anspruchslos und als Arzt und Wissenschaftler von großer Bescheidenheit, ist ihm zeitlebens die verdiente Anerkennung für seine (Pionier-)Leistungen versagt geblieben“ (zitiert nach Benedum, Medizinhistoriker in Gießen).

Die Entwicklung der Blutwäsche

Zur Entwicklung der Blutwäsche wurde Dr. med. Georg Haas aufgrund von Erlebnissen im Ersten Weltkrieg veranlasst, in dem er wiederholt Soldaten an einer Nierenentzündung mit Nierenversagen sterben sah, ohne dass man ihnen helfen konnte. Er deutete das klinische Bild der Erkrankten als Selbstvergiftung. Haas erinnerte sich an die Labordialyse, eine Methode, mit deren Hilfe er während seiner ärztlichen Ausbildung in Straßburg bei Professor Hofmeister chemische Substanzen aus Lösungen abgetrennt hatte. Dabei hatte er als Dialyse-Membranen Papyrus, Bauchfell und schließlich Kollodium (Nitrozellulose) eingesetzt. Er überlegte nun, ob man die Urämie-Gifte aus dem Blut der Patienten mit Hilfe der Dialyse entfernen könnte.

Haas hatte die Idee, dass man das Blut an einer semipermeablen Membran vorbeileiten könnte, auf deren anderer Seite eine wässrige Flüssigkeit sein müsste, so dass Giftstoffe aus dem Blut entsprechend dem Konzentrationsgefälle durch die Membran in die wässrige Flüssigkeit wandern könnten. Haas experimentierte 1915 in Gießen zunächst an Hunden. Er stellte selbst Kollodium-Membranen in Form von Röhren her, konstruierte ein passendes Gestell und leitete das Blut durch die Röhren, die außen von einer salzhaltigen Lösung umspült wurden. Als gerinnungshemmendes Mittel setzte er Hirudin ein, das er selbst aus Blutegeln isoliert hatte. Es war noch so toxisch, dass Hunde an Darmblutungen verstarben. Daher und weil der Kriegsverlauf ihn auf den Balkan verschlug, brach er die Experimente ab und hat auch erst später darüber berichtet.

Anfang der 1920er Jahre erlangte Haas – verzögert durch den Krieg – Kenntnis von Tierexperimenten mit Hämodialyse, die Abel, Rowntree und Turner 1912/13 in den USA (nicht bei Nierenversagen) durchgeführt hatten. Haas las auch, dass der Hamburger Necheless Hunde mit Hämodialyse behandelte, denen er beide Nieren entfernt hatte. Er nahm seine eigenen Tierversuche mit dem Ziel einer Urämie-Behandlung wieder auf, unter Einsatz von jetzt besser gereinigtem Hirudin. Die Versuche verliefen so, dass eine Dialyse beim Patienten verantwortbar wurde.

Nachbau der „Haas-Niere“

Georg Haas benutzte dafür ein selbst entwickeltes „Kabinensystem“ aus 16 Kollodiumschläuchen in acht Glasbehältern, das technisch sicher funktionierte. Aus Vorsicht beschränkte Haas die (weltweit erste) Hämodialyse beim Menschen 1924 auf nur 15 Minuten. Sie verlief ohne Komplikationen. Bei weiteren Behandlungen wurde auch eine Blutpumpe eingesetzt, vor allem aber wurden die Dialyse-Zeiten verlängert. So konnte Haas nicht nur eine Verbesserung der Laborparameter feststellen, sondern auch die Symptome einer Entschlackung bei den Patienten. Ihr Bewusstsein klarte auf, sie verloren ihren Brechreiz, ihr hoher Blutdruck sank ab, die Luftnot besserte sich. Haas bemerkte auch, dass er bei Überwässerung Flüssigkeit aus dem Blutplasma und folgend aus dem Körpergewebe, vor allem den Lungen, abziehen konnte, wenn er den blutseitigen Druck im Dialysegerät über den in der Spüllösung erhöhte. Damit hatte er die Hämodialyse mittels Ultrafiltration entdeckt und eingesetzt. Als Mitte der 1920er Jahre das vorteilhafte blutgerinnungshemmende Mittel Heparin für Thrombosebehandlung auf den Markt kam, verwendete Haas es ab 1927 auch erfolgreich statt des Hirudin für seine Blutwäschen. Insgesamt hat Haas bis 1928 11 Hämodialyse-Behandlungen durchgeführt und seine Erfahrungen publiziert. Dann nahm ihn seine Haupttätigkeit als Klinikdirektor so in Anspruch, dass er die Dialyse-Behandlungen beendete. Zu diesem Entschluss kann auch beigetragen haben, dass er auf einem Kongress von der medizinischen Autorität Franz Volhard angegriffen wurde, weil er mit der Dialyse keine Heilung der Patienten, sondern nur eine zeitweise Besserung herbeiführen könne. Diese Meinung war aus der Zeit heraus zu verstehen.

In den 1940er Jahren konnte Willem Kolff für seine zusammen mit Hendrik Berk entwickelte Künstliche Niere als Dialysemembran hervorragend geeignete, seit den 1930er Jahren als Meterware für die Wurstproduktion erhältliche Zellophan-Schläuche einsetzen; wie auch Nils Alwall, der ab 1946 das erste klinisch wirklich brauchbare Dialysegerät entwickelte.

Heute überleben weltweit über 1,4 Millionen Menschen mit Hilfe der regelmäßigen maschinellen Blutwäsche, rund 60.000 davon allein in Deutschland. Der bescheidene und zurückhaltende Georg Haas, der 1924 mit seinem Dialysegerät das erste künstliche Organ in der Medizingeschichte geschaffen und verwendet hatte, wurde vergessen und musste sich selber 1952 mit seiner Pionierleistung in einem Beitrag in einer wissenschaftlichen Zeitschrift wieder in Erinnerung bringen.

Literatur

  • Haas, G.: "Dialysieren des strömenden Blutes am Lebenden". Klinische Wochenschrift 2 (1923), 1888-1888
  • Haas, G.: "Über Blutwaschung". Klinische Wochenschrift 7 (1928), 1356-1362
  • Haas, G.: "Die Methodik der Blutauswaschung (Dialysis in vivo)". In: "Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden". Hrsg. E.Abderhalden (Berlin-Wien), Abt.V, Teil 8, 1935
  • Haas, G.: "Über die künstliche Niere". Deutsche Medizinische Wochenschrift 77 (1952), 1640-1641
  • Bach,H.: "Die Entwicklung der künstlichen Niere aus Hydrodiffusion und Hämodialyse - von J.A. Nollet bis G.Haas. Der Ursprung des ersten künstlichen Organs". Promotionsarbeit in Gießen. Wilhelm-Schmitz-Verlag, Gießen 1983
  • Benedum,J. und M.Weise: "Georg Haas (1886-1971). Sein Beitrag zur Frühgeschichte der künstlichen Niere". Deutsche Medizinische Wochenschrift 103 (1978), 1674-1676
  • Enke, Ulrike: "Georg Haas – Pionier der Hämodialyse", Deutsches Ärzteblatt 104 (2007), A 2252–4 [1]

Weblinks


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