Gibbssches Phänomen

Gibbssches Phänomen

Als Gibbs'sches Phänomen bezeichnet man in der Mathematik das Verhalten, dass bei Fourierreihen und der Fourier-Transformation von stückweise kontinuierlichen, ableitbaren Funktionen in der Umgebung von Sprungstellen sogenannte Überschwingungen auftreten. Diese Überschwingungen verschwinden auch dann nicht wenn die endliche Anzahl Terme zur Approximierung bzw. die Bandbreite auf beliebig hohe aber endliche Wert erhöht wird, sondern weisen in der maximalen Auslenkung einen konstante, relative Auslenkung von ca. 9% auf.[1]

Der Effekt wurde nach dem amerikanischen Physiker Josiah Willard Gibbs benannt, welcher sich um 1898 mit der Analyse von Kippschwingungen beschäftigte. Die Bezeichnung stammt von dem Mathematiker Maxime Bôcher welcher 1906 die praktisch motivierten Arbeiten von Gibbs mathematisch korrekt ausformulierte. Erste Arbeiten zu den Effekt datieren allerdings auf den 50 Jahre früher tätigen englischen Mathematiker Henry Wilbraham, dessen 1848 publizierte Arbeit zu der Zeit aber keine weitere Beachtung fand.[2]

Das Gibbs'sche Phänomen ist im Bereich der Signalverarbeitung eines von mehreren Effekten, welche auch als Ringing bezeichnet werden.[3] Das spezifische Gibbs'sche Phänomen sollte nicht mit dem allgemeinen Überschwingen von Signalen verwechselt werden.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Gibbssches Phänomen bei einem periodischen Rechtecksignal, mit 5 Oberschwingungen approximiert
Rechtecksignal mit 25 Oberschwingungen approximiert
Rechtecksignal mit 125 Oberschwingungen approximiert

Entwickelt man eine Fourierreihe aus einer unstetigen, periodischen Funktion, wie beispielsweise an den Abbildungen dargestellten Rechteckfunktion, so ergeben sich an den Unstetigkeitsstellen typische Über- und Unterschwinger, die sich auch dann nicht verringern, wenn man versucht, die Funktion durch weitere Summenglieder anzunähern wie in den Darstellungen mit 5, 25 und 120 Oberschwingungen dargestellt. Dabei ist erkennbar, dass zwar die Frequenz der Überschwingung zunimmt und die Dauer abnimmt, die maximale Auslenkung der Überschwingung kurz vor bzw. nach der Sprungstelle bleibt aber konstant.

Analog tritt das Gibbssche Phänomen auch bei Fourier-Transformation an Sprungstellen auf, wobei dabei die zu approximierende Funktion nicht periodisch sein muss.

Physikalisch liegt die Bedeutung darin, dass jedes real existierende System auch die Eigenschaft eines Tiefpasses aufweist und ein Signal in seiner Bandbreite limitiert. Sprungstellen welche „unendlich viele“ Frequenzanteile aufweisen, können in realen Systemen nicht auftreten.

Berechnung

Die relative Höhe des Überschwingers in einer Richtung, bezogen auf die Sprunghöhe, lässt sich im Grenzwert unendlich vieler Fourier-Summenglieder bestimmen zu:

\frac{1}{\pi}\int_0^\pi \frac{\sin t}{t}\, \mathrm dt - \frac{1}{2} \approx 0{,}08949

womit sich ein prozentualer Fehler von etwa 9 % der Sprunghöhe ergibt. Der Ausdruck im Integral wird auch als Kardinalsinus oder als si-Funktion bezeichnet. Der Wert des Integrals

\int_0^\pi \frac{\sin t}{t}\ \mathrm dt = (1{,}851937052\dots) = \frac{\pi}{2} + \pi \cdot (0{,}089490\dots)

wird als Wilbraham–Gibbs-Konstante bezeichnet.

Anwendungen

In der Praxis bedeutet das etwa für die Bildkompression, dass bei jenen digitalen Bildern, die harte Farbübergänge aufweisen, wie etwa bei Text, Strichzeichnungen oder einfachen Diagrammen, und die Bilddaten in spektraler Form, d.h. in Form von Frequenzkomponenten speichern, das Gibbs'sche Phänomen als ein Artefakt auftritt. Dies ist beispielsweise bei dem auf der diskreten Kosinustransformation (DCT) basierenden Bildformat JPEG der Fall. Allerdings ist im Bezug zu JPEG und davon abgeleiteten Verfahren nicht jedes Artefakt, insbesondere bei niedrigen Qualitätsstufen, auf das Gibbs'sche Phänomen zurückzuführen. Die verschiedenartigen Artefakte werden davon unabhängig auch durch die Effekte der Quantisierung, Blockbildung oder Rundungsfehler bei der Berechnung verursacht.

In Grafikformaten, welche die Bilddaten nicht in Frequenzkomponenten speichern, wie beispielsweise bei dem PNG-Grafikformat, tritt prinzipbedingt kein Gibbs'sches Phänomen als Artefakt auf, da dabei keine Integraltransformationen zur Signalkorrelation des Bildinhaltes eingesetzt werden.

Literatur

  • Fernando Puente León, Uwe Kiencke, Holger Jäkel: Signale und Systeme. 5. Auflage. Oldenbourg, 2011, ISBN 978-3-486-59748-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. H S Carslaw: Introduction to the theory of Fourier's series and integrals, Third Edition, New York: Dover Publications Inc. 1930
  2. Edwin Hewitt, Hewitt, Robert E.: The Gibbs-Wilbraham phenomenon: An episode in fourier analysis. In: Archive for History of Exact Sciences. 21, Nr. 2, 1979, S. 129-160. doi:10.1007/BF00330404. Abgerufen am 16. September 2011.
  3. http://mathworld.wolfram.com/GibbsPhenomenon.html

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