Gustav von Schlabrendorf

Gustav von Schlabrendorf

Gustav Graf von Schlabrendorf (* 22. März 1750 in Stettin; † 21. August 1824 in Paris) war ein Weltbürger, politischer Schriftsteller, Aufklärer, Freimaurer, Sympathisant und später Kritiker der Französischen Revolution. Er schrieb ein kritisches Werk über Napoléon Bonaparte.

Leben

Gustav von Schlabrendorf wurde als Sohn des seit 1755 als preußischer Minister für Schlesien amtierenden Ernst Wilhelm von Schlabrendorf 1750 in Stettin geboren. Er verlebte seine frühe Kindheit in Schlesien, das er immer als seine wahre Heimat betrachtete, obwohl er die zweite Lebenshälfte im selbstgewählten Exil in Paris verbrachte. Nach einer sorgfältigen häuslichen Erziehung, folgte das Studium der Rechte an den Universitäten von Frankfurt (Oder) und Halle. Jedoch reichten die Studien weit über die Jurisprudenz hinaus und erstreckten sich auf den gründlichen Erwerb alter und neuer Sprachen sowie ein Studium generale, das sowohl die Wissenschaften als auch die Kunst einschloss. In dieser Zeit wandte sich Schlabrendorf außerdem der Freimaurerei zu und wurde 1777 in der Freimaurerloge Minerva zu den drei Palmen in Leipzig aufgenommen.

Nach dem Tod des Vaters 1770 erbte er ein beträchtliches Vermögen und gewann dadurch bereits als junger Mann neben den Standesprivilegien die materielle Unabhängigkeit für eine selbstbestimmte Lebensführung. Ungebändigte intellektuelle Neugier und Offenheit gegenüber allem Unbekannten und Fremden veranlasste ihn zu ausgedehnten Bildungsreisen durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich. In England verbrachte er sechs Jahre, in denen er, zeitweilig in der Begleitung des Freiherrn vom Stein, dieses Land bereiste. Hier begegnete er auch dem aufgeklärten Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, mit dem ihn lebenslange Freundschaft verband. Schlabrendorf begeisterte sich für die englische Staatsverfassung.

Noch vor dem Beginn der Französischen Revolution fuhr Schlabrendorf erneut nach Frankreich und lebte fortan in Paris. Als Augenzeuge und Sympathisant erlebte er die politische Entwicklung von der Zeit der Aufklärung zur Revolution in Frankreich mit. Mit vielen französischen philosophes und Revolutionären war er persönlich bekannt und stand mit ihnen in Gedankenaustausch, darunter z. B. mit Condorcet, Mercier und Brissot.

Dabei mangelte es ihm jedoch nie an der nötigen kritischen Distanz gegenüber den politischen Entwicklungen, was ihn in der Zeit der jakobinischen Terrorherrschaft verdächtig machte. Nur durch Zufall entging er der Hinrichtung durch die Guillotine. Er hatte engen Kontakt mit den deutschen Landsleuten, die sich aus Begeisterung für die revolutionären Ideen in Paris versammelt hatten, vor allem mit Georg Forster, Johann Georg Kerner, Konrad Engelbert Oelsner und, in der kurzen Zeit bis zu dessen Hinrichtung, Adam Lux). Schlabrendorf war in diesem Kreis der Älteste, der mit weisem Rat und materieller Unterstützung den Mittelpunkt unter den deutschen Demokraten in Paris bildete.

Bei zunehmender Sorge angesichts der Aushöhlung der ursprünglichen revolutionären Ideen und Hoffnungen, betätigte sich Schlabrendorf unermüdlich durch die Förderung gemeinnütziger und humanitärer Unternehmungen. Als frommer Protestant unterstützte er eine Bibelgesellschaft und die protestantische Gemeinde, engagierte er sich für den Ausbau des Schulwesens und der Armenfürsorge. Wilhelm von Humboldt berichtet in seinem Tagebuch, dass sich Schlabrendorf von Mary Wollstonecraft, die ihn häufig im Gefängnis besucht hatte, und deren Engagement für die Frauenrechte beeindruckt zeigte. Ohne selbst namentlich als Schriftsteller in Erscheinung zu treten, äußerte er sich doch zu allen aktuellen politischen Fragen und bewährte sich als unermüdlicher Anreger und ausdauernder Gesprächspartner im Kreis seiner Freunde.

Seine Lebensführung war bei all diesen Aktivitäten jedoch die eines Exzentrikers. Man nannte ihn liebevoll-ironisch den „Diogenes von Paris“. Er versammelte lieber Menschen um sich, als selbst seine Wohnung und seine Bücher zu verlassen, vernachlässigte sein Äußeres (so ließ er z. B. seinen Bart ungehemmt wachsen) und seine Kleidung. Dennoch suchten viele seine Unterhaltung und seinen Rat. In seiner Wohnung trafen sich Politiker und Diplomaten ebenso wie Gelehrte und Künstler, Deutsche wie Franzosen. Joseph von Eichendorff schrieb in seiner autobiographischen Schrift "Erlebtes":

So auch der berühmte Pariser Einsiedler Graf Schlabrendorf, der in seiner Klause die ganze soziale Umwälzung wie eine große Welttragödie unangefochten, betrachtend, richtend und häufig lenkend, an sich vorübergehen ließ. Denn er stand so hoch über allen Parteien, daß er Sinn und Gang der Geisterschlacht jederzeit klar überschauen konnte, ohne von ihrem wirren Lärm erreicht zu werden. Dieser prophetische Magier trat noch jugendlich vor die große Bühne, und als kaum die Katastrophe abgelaufen, war ihm der greise Bart bis an den Gürtel gewachsen.

Seine berühmteste Publikation, deren Autorschaft er zunächst verleugnete, erschien 1804 unter dem Titel „Napoleon Bonaparte und das französische Volk unter seinem Konsulate“. Sein Biograph Karl August Varnhagen von Ense spricht davon, dass das Buch „zu seiner Zeit am trüben politischen Himmel wie ein Lichtmeteor erschien“. Das deutsche Lesepublikum (darunter Goethe, Johannes von Müller u. a.) sah sich zum ersten Mal mit einer Schrift konfrontiert, die Napoleon in seiner bedrohlichen Rolle für die demokratische Entwicklung Europas erkennen ließ. Schlabrendorfs leidenschaftliche Kritik an Napoleon hätte gewiss ernstere Konsequenzen für ihn gehabt, wenn seine eigenbrötlerische Lebensführung die französischen Zensurbehörden nicht von seiner politischen Harmlosigkeit überzeugt hätten. Man nahm ihn als politischen Gegner nicht ernst, was für ihn vermutlich lebensrettend war.

So konnte Schlabrendorf ungehindert sein Vermögen z.B. für die finanzielle Unterstützung preußischer Kriegsgefangener aus den Revolutionskriegen einsetzen. 1813 reizte ihn die preußische Erhebung gegen Napoleon, sich in seine Heimat zu begeben, aber ihm wurden die nötigen Einreisepässe verweigert. Als nach 1815 die Reise nach Deutschland möglich gewesen wäre, zeigte sich jedoch, dass seine Bindungen an Frankreich und Paris stärker wirkten. Er verlegte sich mehr und mehr auf die Schriftstellerei, arbeitete z.B. intensiv an einer allgemeinen Sprachlehre und etymologischen Studien. Aber es kam nicht zur Veröffentlichung. Statt dessen lassen sich deutliche Spuren seiner Arbeiten in Veröffentlichungen von Freunden auffinden.

Schlabrendorf begann in seinen letzten Jahren damit, eine Sammlung von Schriften mit Bezug auf die Französische Revolution zusammenzutragen, die er ursprünglich einer preußischen Universität vermachen wollte. Da er es versäumte, seine Hinterlassenschaft eindeutig zu regeln, wurde sie nach seinem Tode versteigert und in alle Winde zerstreut. Einen bis heute ungehobener Schatz dürfte seine Korrespondenz darstellen, die er im Laufe seines Lebens mit einer Vielzahl bedeutender Persönlichkeiten seiner Zeit geführt hat.

Gustav Graf von Schlabrendorf starb fast mittellos am 21. August 1824 in der Nähe von Paris und wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise unter großer Anteilnahme seiner Freunde beigesetzt.

Theodor Heuss beschrieb seine letzten Jahre folgendermaßen:

Alexander von Humboldt kümmerte sich etwas um ihn, und nach dem Tode (1824) verspricht er der Schwägerin, die auch zu Schlabrendorfs Freundinnen gehörte, eine Büste zu besorgen. Aber dem Bruder schreibt er, daß der Graf ‚eigentlich im Schmutz verkommen ist‘, ‚aus Bizarrerie‘ nur Obst aß, seit drei Jahren kein Hemd mehr trug und so fort. Der Bericht ist wohlwollend, aber fast peinlich. Das Paradoxe seiner Existenz mußte den Tod überdauern. Die Bücher sollten einer deutschen Universität hinterlassen werden, aber er konnte sich nicht entscheiden, welcher, und darüber starb er. Ein Pariser Versteigerungskatalog von 1826 ist der Nachhall einer immensen Sammlertätigkeit, die frühe Drucke aller Nationen und Disziplinen umfasste. Und da er kein reguläres Testament hinterlassen, aber mancherlei Verfügungen und Zusagen gemacht hatte, gab es solange Kämpfe und Prozesse um die große Erbschaft. Die Beerdigungskosten freilich hatte aus Mangel an Barmitteln die preußische Gesandtschaft bestritten.

Literatur

  1. Ernst Penzoldt: Die verlorenen Schuhe. Komödie.
  2. Ilse Foerst: Der historische Schlabrendorf. Dokumente.

Weblinks


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