- Johann Georg Kerner
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Johann Georg Kerner (* 9. April 1770 in Ludwigsburg; † 7. April 1812 in Hamburg), älterer Bruder des deutschen Romantikers Justinus Kerner, war Arzt, politischer Publizist und kritischer Chronist der Französischen Revolution.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Die Familie Kerners genoss in Württemberg hohes Ansehen. Der Vater war der Ludwigsburger Oberamtmann und Regierungsrat Christoph Ludwig Kerner, ein treuer Untertan des Herzogs Carl Eugen. Die Mutter brachte zwölf Kinder zur Welt, von denen nur zwei Töchter (darunter die Mutter von Ferdinand von Steinbeis) und vier Söhne überlebten. Johann Georg war das älteste, Justinus (Andreas), der bekannte Dichter und Arzt, das jüngste der Kinder. Ein weiterer Bruder, Karl Friedrich Freiherr von Kerner, diente im württembergischen Heer und wurde später Innenminister in Württemberg, in welcher Eigenschaft er zur Modernisierung des Hüttenwesens beitrug.
In seiner Schulzeit leidet Kerner unter der Strenge seines Vaters und den Hänseleien seiner Mitschüler, die dem kleinwüchsigen und schwächlichen Knaben das Leben schwer machen. Kerners Widerspruchsgeist bleibt aber dadurch ungebrochen, auch als der Vater Kerners seine Aufnahme in die Hohe Karlsschule in Stuttgart erwirkt. Diese vom Herzog Karl Eugen eingerichtete Eliteschule, deren Drill bereits 1782 Friedrich Schiller entflohen war, vermochte es aber nicht, den revolutionären Geist des jungen Kerner zu brechen. In einer Rede zum Namenstag des Herzogs setzt er sich für die Einrichtung einer staatlichen Armenfürsorge ein. Außerdem gründet er im gleichen Jahr in den Räumen der Schule einen politischen Klub von begeisterten Anhängern der französischen Revolutionsideen (u. a. Christoph Heinrich Pfaff, Ernst Franz Ludwig Marschall von Bieberstein, Joseph Anton Koch). Sie feiern im Geheimen den ersten Jahrestag des Sturms auf die Bastille. Diese und ähnliche Aktionen, bei denen Kerner mit seinen Freunden die Feudalgesellschaft und die von ihr hofierten französischen Emigranten mit Freiheitsparolen provozierte, ließen ein Verbleiben in Stuttgart nicht geraten erscheinen. Nachdem er mit Hilfe seiner Freunde in aller Eile sein Medizinstudium mit einer Dissertation beendet hatte, zieht es Kerner dorthin, wo sich zu diesem Zeitpunkt bereits viele deutsche Freiheitsfreunde aufhalten. Er setzt seine gerade erst vollzogene Verlobung mit einer Stuttgarterin aufs Spiel und geht 1791, unter dem Vorwand, seine Medizinkenntnisse vervollkommnen zu wollen, nach Straßburg.
Daraufhin verliert er sein Stipendium an der Hohen Karlsschule und die Berechtigung, nach Württemberg ungestraft zurückzukehren. In Straßburg beginnt nun seine aktive Betätigung als Revolutionär im Land der Revolution selber. Er tritt der Gesellschaft der Freunde der Revolution bei, tritt als Redner in französischer Sprache auf und schreibt für Journale. Im selben Jahr noch begibt er sich - zu Fuß und ohne Geld - nach Paris, ins Zentrum des revolutionären Geschehens. Für seinen Lebensunterhalt arbeitet er als Berichterstatter einer Hamburger Zeitung und als Arzt in einem Hospital. Auch in Paris versammeln sich wie in Straßburg zahlreiche junge Deutsche, die sich für die Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einsetzen und mit denen er freundschaftlich verbunden ist (z. B. Adam Lux, Gustav Graf von Schlabrendorf, Konrad Engelbert Oelsner, Johann Georg Adam Forster und Karl Friedrich Reinhard). Ähnlich wie viele seiner Freunde misstraut Kerner der Radikalisierung der Revolution als Freiheitsverlust und neigt daher aus Oppositionsgeist politischen Strömungen zu, deren Interessen nicht immer die seinen sind. So erklärt sich vor allem die Nähe vieler ernüchterter deutscher Revolutionsfreunde zu den Girondisten. Es kommt nicht zur völligen Abkehr von den Revolutionsideen, die Kerner immer noch menschenwürdiger erscheinen als das Leben „unter den Greueln der Anarchie“, die der Feudalismus in Österreich, Preußen und Russland für ihn darstellt.
1794 flieht Kerner wie Konrad Engelbert Oelsner und andere deutsche Revolutionäre in die Schweiz, von wo er in geheimer Mission von der dortigen französischen Gesandtschaft in seine württembergische Heimat geschickt wird, um für die französische Republik einen Separatfrieden zwischen dem Herzog und Frankreich herbeizuführen. Erfolglos kehrt er 1795 nach Paris zurück. Er schreibt für Paul Usteris Zeitschrift Klio eine Artikelserie, seine Briefe aus Paris. Darin beschreibt er als Augenzeuge die Ereignisse, an denen er auch stets handelnd beteiligt ist. Immer wieder gerät er durch seine gemäßigte Haltung in Gefahr und Verdacht, z. B. wenn er versucht, bei den Volksaufständen des Germinal und Prairial die Sansculotten zu beschwichtigen. Dabei steht er in engem Kontakt mit politisch Gleichgesinnten wie Konrad Engelbert Oelsner, Karl Friedrich Reinhard, Gustav Graf von Schlabrendorf, Emmanuel Joseph Sieyès und dem Deutsch-Dänen Jens Immanuel Baggesen.
Als Privatsekretär Karl Friedrich Reinhards, der Gesandter der französischen Republik bei den deutschen Hansestädten geworden ist, reist Kerner 1795 nach Hamburg, wo ihn neue politische Herausforderungen erwarten. Noch verteidigt er die Expansionspolitik des revolutionären Frankreich und wirbt für dessen Politik in den liberalen und demokratischen Zirkeln Hamburgs, wo er u. a. auch dem Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock begegnet. Häufig ist er in Sonderaufträgen, oft zu Pferde, zwischen Deutschland, den Niederlanden und Frankreich unterwegs, hat aber wenig diplomatischen Erfolg, nicht zuletzt wegen seiner brüsken Art, für die revolutionäre Sache einzutreten. Auch als Spion beim Hildesheimer Kongress wird er als Parteigänger der Revolution enttarnt, ebenso in Berlin, wo er sich auf einer Mission nach St. Petersburg aufhält.
Mit bedeutenden Zeitgenossen wie Adolph Freiherr Knigge, Charles Maurice de Talleyrand, Emmanuel Joseph Sieyès und dem Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling steht Kerner um 1796 im Briefwechsel. Er gründet im damals dänischen Altona einen politischen Klub, der sich als Philanthropische Gesellschaft tarnt, aber revolutionären Zusammenkünften dient und 1797 bereits verboten wird. Bei einem kurzen Aufenthalt in Paris erlebt Kerner den Staatsstreich des 18. Fructidor V (4. September 1797) mit und freut sich über die Siege des anfänglich von ihm bewunderten Generals Bonaparte.
Im Mai 1798 begleitet Kerner den inzwischen zum französischen Gesandten in Florenz ernannten Karl Friedrich Reinhard ins Großherzogtum Toskana. Es charakterisiert Kerners Temperament, dass er sich auch in Italien leidenschaftlich in die politischen Unruhen einmischt und für Frankreich agiert. Mit einer von ihm aufgestellten Bürgerwehr zieht er gegen aufständische Bewohner von Arezzo ins Gefecht und wird dabei verwundet, was ihn nicht hindert, bald darauf in Reinhards Auftrag in die Niederlande zu eilen, wo er als Pionieroffizier gegen die Koalitionstruppen an einer Schlacht teilnimmt.
Nach Napoléons Staatsstreich Ende 1799 wird Reinhard in Italien abgelöst und in die Schweiz entsandt, wo nunmehr die Helvetische Republik entstanden ist. Kerner folgt ihm dorthin in der offiziellen Funktion eines französischen Legationssekretärs. Angesichts der napoleonischen Politik in den besetzten Ländern wächst Kerners Kritik und Ablehnung gegenüber Napoleon.
Nachdem bei einer Deutschlandreise Kerners Versuche, in seiner Heimat Württemberg einen „Friedensaufstand“ herbeizuführen, gescheitert sind, wächst seine politische Enttäuschung und Ernüchterung. In der Schweiz hat er Johann Heinrich Pestalozzi kennengelernt und begeistert sich von nun an für dessen Pädagogik. Bildung, die die geistigen, psychischen und praktischen Fähigkeiten in gleichem Maße fördert, erscheint ihm als ein Ausweg aus dem politischen Dilemma.
1801 reist Kerner, dessen publizistische Bemühungen in der Schweiz keinen Erfolg hatten, nach Hamburg, um sich eine neue Existenz als Kaufmann aufzubauen. Seine politische Vergangenheit macht ihn jedoch bei der konservativen hanseatischen Kaufmannschaft verdächtig, so dass er als Verleger eines politischen Journals Nordstern versucht, sein Glück zu machen. In den von Kerner selbst verfassten Beiträgen kritisiert er die Politik der französischen Republik und Napoleons und entwickelt dabei eine geschickte Form der „verdeckten Schreibweise“, indem er negative Bemerkungen anderer Kritiker kommentarlos zitiert. Ausgerechnet der aus der Schweiz zurückkehrende Reinhard sieht sich nun veranlasst, die Zeitschrift zu verbieten.
Kerners Entschluss steht nun fest: „Ich wollte der Bekämpfung der geistigen Gebrechen der Menschheit mein Leben weihen, es gelang mir nicht. Nun kehre ich zur Bestimmung meiner Jugend zurück, zur Bekämpfung körperlicher Gebrechen der Menschen.“ 1803 lässt er sich in Hamburg als Arzt nieder. Er führt die Pockenschutzimpfung ein, die er auf einer Schweden-Reise („Reise über den Sund“) kennengelernt hatte, und wird 1804 vom Senat zum „Arzt für die Baracken“ (gemeint sind die Elendsviertel auf dem Hamburger Berg, das heutige St. Pauli) ernannt. Neben der Einführung der Impfungen baut er das Entbindungswesen der Stadt auf und setzt sich unermüdlich für Armenpflege und Sozialeinrichtungen ein.
Damit ist jedoch der politische Publizist keineswegs verstummt. Er schreibt für das Hamburger Wochenblatt Nordische Miszellen regelmäßig Artikel, in denen er seiner politischen Unzufriedenheit Ausdruck verleiht. Als 1806 die Franzosen Hamburg und Bremen besetzen, stellt Kerner sich noch einmal der aktiven Politik zur Verfügung. Bremen und Lübeck machen ihn auf Grund seiner Kontakte zu den neuen Machthabern zum Beauftragten bei den französischen Behörden in Hamburg.
1806 beruft der Senat ihn zusätzlich zum Armenarzt. Im Frühjahr 1812 infiziert er sich bei seiner aufopfernden Tätigkeit im Verlauf einer Epidemie „am Nervenfieber“, wahrscheinlich an einer Flecktyphus-Erkrankung. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wird Johann Georg Kerner auf dem Hamburger St.-Petri-Kirchhof begraben. In einem Nachruf heißt es: „Eine sich selbst vergessende Uneigennützigkeit, eine seltene Genialität und eine nichts verhehlende Offenheit machten ihn seinen Freunden besonders teuer. Er scheint in einem kurzen, aber gehaltvollen Leben die Summe eines längeren Daseins erschöpft und dessen Zweck erfüllt zu haben.“
Schriften
- Über den wichtigen Einfluß gut eingerichteter Kranken-Anstalten und Armen-Häuser auf das Wohl eines Staates. Rede zum Namenstag des Herzogs Karl Eugen. Stuttgart 1790
- Einige Bemerkungen über Tochtergeschwülste. Doktorarbeit Stuttgart 1791
- Briefe aus Paris. In: Klio. Band 1, Heft 2–4, 1705, S. 245–261, 310–379 und 424–506 sowie Band 2, Heft 5, 1795, S. 90–126
- Der Nordstern. Ein politisches Wochenblatt. 1.–19. Stück, 1802
- Reise über den Sund. Cotta, Tübingen 1803
- Das blaue Fieber (Gedicht gegen Napoleon), frühestens 1806
- Über das Hamburgische Entbindungshaus und das Entbindungswesen der Armenanstalt. Hamburg 1810
Literatur
- Adolf Wohlwill: Kerner, Georg. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 15, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S. 640–643.
- Hedwig Voegt (Hrsg.): Georg Kerner. Jakobiner und Armenarzt. Reisebriefe, Berichte, Lebenszeugnisse. Rütten und Loening, Berlin (Ost) 1978.
- Hellmut G. Haasis: Gebt der Freiheit Flügel. Die Zeit der deutschen Jakobiner 1789–1805. 2 Bände. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988, ISBN 3-499-18363-3, (rororo-Sachbuch 8363).
- Andreas Fritz: Georg Kerner (1770–1812). Fürstenfeind und Menschenfreund. Eine politische Biographie. 4. erweiterte Auflage. Liberté!-Verlag, Ludwigsburg 2003, ISBN 3-00-010372-4, (Zugleich: Stuttgart, Univ., Diss., 1998/99).
Weblinks
- Literatur von und über Johann Georg Kerner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Das blaue Fieber
- Zugang zu Sekundärliteratur zu Johann Georg Kerner
Commons: Johann Georg Kerner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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