- Henne-Ei-Problem
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Das Henne-Ei-Problem – ausgedrückt durch die Redewendung „Was war zuerst da: die Henne oder das Ei?“ – bezeichnet als Redensart eine vermeintlich nicht zu beantwortende Frage nach dem ursprünglichen Auslöser einer Kausalkette, deren Ereignisse wechselseitig Ursache und Wirkung darstellen. Mathematisch liegt ein Henne-Ei-Problem vor, wenn sich Beziehungen nicht topologisch sortieren lassen, also keine Halbordnung bilden.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Frage, ob zuerst das Ei oder die Henne gewesen sei, spielt bereits in philosophischen Erörterungen in der Antike eine Rolle. Aristoteles formulierte die Überlegung im Zusammenhang mit der Entstehung des Lebens:
Wenn da ein erster Mensch war, so muss er ohne Vater und Mutter geboren worden sein; dies aber widerspricht der Natur. Denn es kann kein erstes Ei gegeben haben, aus dem ein Vogel geschlüpft ist, denn dann müsste es einen ersten Vogel gegeben haben, der das Ei gelegt hat. [1]
Plutarch erwähnt die Frage, nun mit Nennung von Henne und Ei, in seinen Tischgesprächen. Auch in den Saturnalia des Macrobius wird das Problem angesprochen.
Das Henne-Ei-Problem und die Entwicklung des Lebens
Als Charles Darwin seine Evolutionstheorie als Begründung für die Entwicklung der unterschiedlichen Lebensformen auf der Erde propagierte und diese Vorstellung sich in der Wissenschaft und im Laufe des 20. Jahrhunderts allmählich auch in der theologischen Lehrmeinung immer mehr durchzusetzen begann, wurde die Frage, was wohl zuerst da war, die Henne oder das Ei, zu einem viel diskutierten Thema.
Die konkrete Frage nach der Herkunft des Tieres Huhn stellt allerdings aus heutiger wissenschaftlicher Sicht kein Henne-Ei-Problem mehr dar, da ein großer Teil der Wissenschaftler annimmt, dass es sich evolutionär entwickelt hat, also im biologischen Sinn weder ein „erstes Huhn“ noch ein „erstes Hühnerei“ existierte. Entscheidend für diese Entwicklung ist die Annahme eines ersten Tieres, welches durch eine evolutionäre Abweichung als erstes die Fähigkeit besaß, nachfolgende Generationen über ein Ei zu erzeugen.
Die Fragestellung taucht in der Biologie erst im Zusammenhang mit der Entschlüsselung der Details der Entstehung des Lebens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als präbiotisches Henne-Ei-Problem wieder auf:
Heutiges Leben beruht sowohl auf Proteinen, die als Katalysatoren für die RNA-Replikation benötigt werden, als auch auf RNA, die die Protein-Synthese aus Aminosäuren steuert. Für die Synthese der Nukleinsäuren werden in den einfachsten heute bekannten Zellen mehr als hundert Enzyme (also Proteine) gebraucht. Zur Proteinbiosynthese wird in den Zellen wiederum die genetische Information benötigt, die auf der DNA abgelegt ist. Welcher der beiden Molekültypen sollte zuerst entstanden sein? Ohne die gleichzeitige Existenz von Proteinen und Nukleinsäuren kommen heutige Lebensprozesse nicht aus.
Heute wird meist die RNA-Welt als elegante Erklärung angesehen. Besonders die Entdeckung der Fähigkeit von RNA-Molekülen, andere RNA-Moleküle zu katalysieren (Thomas R. Cech, Sidney Altman, Nobelpreis für Chemie 1989), ist hier von Bedeutung. Dadurch wurde klar, dass RNA, welche sowohl katalysierende Eigenschaften wie die Proteine als auch informationsspeichernde Fähigkeiten wie die DNA besitzt, das Potential zur Selbstreplikation besitzt; RNA-Moleküle sind als „Alleskönner“ also praktisch Henne und Ei in Einem. Unterstützt werden solche Vorstellungen von der Entdeckung der enzymfreien Selbstreplikation von kurzen Nukleinsäuren (Kiedrowski, 1986) sowie mehrerer anderer selbstreplizierender Systeme (darunter auch Peptidsysteme). Hier sind wiederum besonders solche Replikations-Systeme mit nahezu exponentiellem Wachstum von Bedeutung, da diese Eigenschaften für die weitere Evolvierbarkeit der Systeme, letztlich hin zu zellulärem Leben, wichtig ist. Auch die Entdeckung, dass PNA oder TNA als mögliche RNA-Vorläufermoleküle für Entstehung der RNA-Welt von Bedeutung sein können, unterstützt diese Vorstellung.
Das Henne-Ei-Problem der Lebensentstehung aus Sicht des Schöpfungsglaubens
Die meisten Religionen erklären die Welt als göttliche Schöpfung. So galt bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in der christlichen Welt die Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose (Genesis), mit der der Kanon der Bibel beginnt, als weithin akzeptiertes Modell der Entstehung des Lebens auf der Erde. Für die christlichen Kirchen und die meisten Menschen hatte Gott alle Arten von Tieren geschaffen und damit auch die Henne. Nach der Begattung durch den ersten Hahn legte die Henne das erste Ei, aus dem dann der erste Nachwuchs in Form von Hühnerküken schlüpfte. Mit derselben Begründung wurde auch argumentiert, dass Adam und Eva wohl keinen Bauchnabel hatten. Ein „Henne-Ei-Problem“ existierte damit noch gar nicht. Heute noch an dieser traditionellen Sichtweise festhaltende Positionen werden als kreationistisch bezeichnet. Ähnliche Argumentationslinien findet man heute auch im islamischen Umfeld bei der Rezeption von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.
Henne-Ei-Problem als Metapher in der Philosophie
Logik
In der Logik steht das Henne-Ei-Problem als Metapher und hinterfragt, ob es eine letzte Begründung gibt, also einen „Grund an sich“, wie es Arthur Schopenhauer formuliert. Als Beispiel wird bei Schopenhauer das Fallen eines Gegenstandes genannt. Warum fällt ein Stein herunter? Wegen der Anziehungskraft. Warum gibt es eine Anziehungskraft? Usw. Das, was hier auf den ersten Blick nach der Frage nach dem Grund aussieht, ist in Wahrheit nur die Frage nach der Ursache.
Der Unterschied zwischen Ursache und Grund wird deutlich, wenn man sich klar macht, dass eine Ursache immer nur denkbar in einer Kausalkette mit Zeitschiene ist. Der Grund ist nur dann einer, wenn er das Fundament bildet und nicht selber Folge von etwas ist.
Ausführlich wird das Problem in „Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“ von Schopenhauer dargestellt.
Ethik
In der Ethik steht das Henne-Ei-Problem in der Nachbarschaft zum Tautologie-Problem in der (fehlenden) Begründbarkeit ethischen Handelns, die in einem Zirkelschluss endet oder sich aus sich selbst begründet.
Beispielsweise sucht Immanuel Kant die Begründung für moralisches Handeln nicht in der Kausalität, wie etwa der Satz „wie du mir, so ich dir“ (Goldene Regel), weil er feststellt, dass die (Be-)Gründung unbefriedigend ist, sondern im „kategorischen Imperativ“. Bei dem „wie du mir, so ich dir“ (biblisch Auge um Auge, Zahn um Zahn) kann nicht von moralischem Handeln gesprochen werden, weil ich mein Verhalten immer mit dem Verhalten des Anderen begründe und dieser es (wohl möglich) genauso tut. Wenn beide Schlechtes tun und es damit begründen, dass es der andere auch tut, ist das ohne Zweifel kein moralisches Handeln und muss somit als Grundlage moralischen Handelns verworfen werden. Es mündet in dem Henne-Ei-Problem. Kant rettet sich in den „kategorischen Imperativ".
Rhetorik
Die Henne-Ei-Metapher kann ein rhetorisches Mittel in einer Auseinandersetzung sein. Siehe auch: Rhetorische Figuren
Verwandte Themen
- Eine zyklische Kausalkette mit ungünstigen Auswirkungen bezeichnet man umgangssprachlich als Teufelskreis.
- Catch-22, so der Titel eines Romans von Joseph Heller, wurde zum Inbegriff für eine Zwickmühle im Sinne von Dilemma.
Einzelnachweise
- ↑ François Fénelon: Abrégé des vies des anciens philosophes, Paris 1726, S. 314 frz. Text, engl. Übersetzung: Lives of the ancient philosophers, London 1825, S. 202 engl. Text
Literatur
- Bruno Heller: Fragen der Philosophie 1: Zugänge. Books on Demand GmbH, ohne Ort, 2000, ISBN 3-8311-0286-4.
Weblinks
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