- Herrschen
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Herrschaft ist sozialwissenschaftlich nach dem deutschen Soziologen Max Weber wie folgt definiert: „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“. Im Unterschied zu seiner Definition der Macht (die er als soziologisch amorph, also formlos bezeichnet) setzt Herrschaft ein bestimmtes Maß an Dauerhaftigkeit voraus; sie ist eine institutionalisierte Form von Über- und Unterordnung (Subordination), die jedoch keinerlei hierarchische Strukturen voraussetzt.
Dadurch, dass Weber ein Minimum an Gehorsam voraussetzt, geht seine Definition über die von Karl Marx hinaus, dessen Herrschaftsbegriff auf Macht basierte. Ähnlich meint Franz Oppenheimer mit Herrschaft eine Beziehung zwischen zwei rechtsungleichen sozialen Klassen. Er unterscheidet mit Otto von Gierke die Herrschaft als vertikale Sozialbeziehung von der Genossenschaft als horizontale Beziehung.
In der Geschichtswissenschaft ist Herrschaft die Ausübung der Macht über Untergeordnete und Abhängige durch Machtmittel. Herrschaft ist nur legitim, wenn über dem Herrscher und dem Beherrschten stehende Rechte zur Machtausübung eingehalten werden. Der Ursprung der Herrschaft ist in der Hausherrschaft (Gewalt des Hausherrn über die Hausgenossen) zu suchen, aus dieser entwickelte sich die Grundherrschaft. Der Ausübende der Herrschaft war der Adel; die Königsherrschaft, die ihre Legitimität durch symbolische Rituale (Wahlen, Salbung, Krönung) und durch Herrschaftsinsignien repräsentierte, war im Feudalismus nur eine Sonderform der Adelsherrschaft (vgl. Lehnsherrschaft). Im Zeitalter der Stände ist die Macht des Herrschers durch erzwungene Herrschaftsverträge beschränkt. In der Neuzeit setzte sich die einheitliche Staatsgewalt durch. Die neuen Herrschaftsformen unterliegen einem fortlaufenden Prozess der Neuorientierung ihrer Legitimitätsgrundlage.
Inhaltsverzeichnis
Max Webers Herrschaftsbegriff
Typen der legitimen Herrschaft nach Max Weber
Nach Weber kann der Gehorsam als konstitutives Element der Herrschaft rein affektuell, aber auch ideell (wertrational) oder materiell (zweckrational) begründet sein. Rein ideelle oder rein materielle Motive des beziehungsweise der Gehorchenden (z. B. des Verwaltungsstabes) begründen jedoch eine lediglich labile Herrschaft, zu der meist ein weiteres, sie stabilisierendes Element hinzukommt: der Legitimitätsglaube.
Weber unterscheidet drei Idealtypen legitimer Herrschaft nach der Art ihrer Legitimation:
- rationale/legale Herrschaft, die auf dem Glauben der an die Legalität gesetzter Ordnungen (zum Beispiel Gesetze) ruht, Beispiel: Bürokratie
- traditionale Herrschaft, die auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und der Legitimität der durch sie Berufenen ruht, Beispiel: Patriarchat, Feudalismus
- charismatische Herrschaft, die auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie geschaffenen Ordnung ruht. Sie versachlicht sich stets in eine rationale oder traditionale Herrschaft, Beispiel: Prophet
Max Webers Begriffsdefintion
Der Begriff der Herrschaft wird heute in der von Weber durchgesetzten Bedeutung des legitimierten Machtverhältnisses verstanden. Max Weber war der erste der den Begriff Legitimität mit Herrschaft zusammen dachte. Vor Max Weber bezog sich Legitimität auf den Staat und die Form der Regierung. In der antiken politischen Philosophie bezog sich Herrschaft auf Gesetze, die das Zusammenleben der Menschen im Staat regelten. Im Feudalismus wurde Herrschaft als persönliche Beziehung von Herr und Vasall gedacht. Der Herr oder der Vasall konnte abtrünnig werden, dies betraf aber nicht die gottgegebene Basis der Legitimität als solche. Durch den Säkularisierungsprozeß der Neuzeit stellt sich Frage der Herrschaft im Zusammenhang mit ihrer Legitimität. Herrschaft ist nicht etwas immer schon Vorhandenes, wie in der Antike oder etwas Gottgewolltes wie im Feudalismus, sondern etwas von Menschen Gemachtes und damit auch Hinterfragbares. Max Webers typologische Antwort bringt zwar Legitimität und Herrschaft zusammen, aber es kann bei Max Weber keine illegitime Herrschaft geben. Entweder es gibt Gehorsam, dann gibt es Herrschaft oder es gibt keinen Gehorsam, dann existiert auch keine Herrschaft. Damit hat Max Weber den Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse geworfen. Es waren z. B. Talcott Parsons oder Norbert Elias, die Max Webers Frage der Herrschaft auf die Frage nach den Bedingungen der Herrschaft erweiterten. Diese Fragestellung liegt aber jenseits des Begriffs der Herrschaft.
Herrschaftsformen
Herrschaft kann auch danach unterschieden werden, welche Personen oder Gruppen sie ausüben, siehe Liste der Herrschaftsformen. Hier wird die Pluralität des Begriffes deutlich, der sowohl positiv als Herrschaft des Volkes in der Demokratie wie auch negativ, beispielsweise als NS-Herrschaft verwendet wird. Dies ist abzugrenzen zu den Regierungsformen, die danach unterschieden werden, wer Träger der Staatsgewalt ist, sowie den Staatsformen im engeren Sinne, die nach der Stellung des Staatsoberhauptes unterschieden werden.
Siehe auch
Autorität, Anarchie, Soziologische Staatstheorie, Charismatische Herrschaft, kulturelle Hegemonien, Macht, Gewalt, Neopatrimonialismus
Literatur
- Hartmut Aden (Hrsg.): Herrschaftstheorien und Herrschaftsphänomene, Wiesbaden 2004
- Giorgio Agamben: Homo Sacer, Turin: Giulio Einaudi 1995 (dt.: Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main 2002)
- Giorgio Agamben: (Homo Sacer II) Quel che resta di Auschwitz, Turin: Bollati Boringhieri 1998 (dt.: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge. Frankfurt am Main 2003)
- Walter Benjamin: Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, 1965.
- Stefan Breuer: Max Webers Herrschaftssoziologie., 1991, ISBN 3-593-34458-0
- Ralf Dahrendorf: Anfechtungen liberaler Demokratien. Festvortrag zum zehnjährigen Bestehen der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus (Stiftung-Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Kleine Reihe 19), Stuttgart 2007
- Edwards, Richard: Herrschaft im modernen Produktionsprozeß, Campus, 1981
- Edith Hanke, Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.): Max Webers Herrschaftssoziologie. Studien zu Entstehung und Wirkung. Tübingen 2001, ISBN 3-16-147649-2
- Werner Kruck: Herrschaft oder Genossenschaft. Zwei disjunktive Grundbegriffe der Soziologie und die Kritik Franz Oppenheimers an Max Weber.
- Hans Haferkamp: Soziologie der Herrschaft. Analyse von Struktur, Entwicklung und Zustand von Herrschaftszusammenhängen. Opladen 1983, ISBN 3-531-21635-X
- Andrea Maurer: Herrschaftssoziologie. Eine Einführung. Frankfurt am Main, New York 2004, ISBN 3-593-37240-1
- Petra Neuenhaus: Max Weber und Michel Foucault. Über Macht und Herrschaft in der Moderne. ISBN 3-89085-820-1
- Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, 2. erw. Aufl., Mohr (Siebeck), Tübingen 1992, ISBN 3-16-145897-4
- Werner Rösener, Grundherrschaft, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1989, Sp. 1739–1750.
- Schluchter, Wolfgang: Aspekte bürokratischer Herrschaft. Studien zur Interpretation der fortschreitenden Industriegesellschaft, suhrkamp, 1985
- Klaus Türk: Die Organisation der Welt. Herrschaft durch Organisation in der modernen Gesellschaft. Westdt. Verlag, Opladen 1995
- Klaus Türk, Thomas Lemke, Michael Bruch: Organisation in der modernen Gesellschaft. Eine historische Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, ²2006, ISBN 3-531-33752-1
- Ullrich, Otto: Technik und Herrschaft. Vom Hand-werk zur verdinglichten Blockstruktur industrieller Produktion, suhrkamp, 1979
- Voigt, Alfred (Hrsg.): Der Herrschaftsvertrag. Luchterhand, 1965
- Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen, 1985. Teil 1, Kapitel 1, § 16; Kapitel 3.
Weblinks
- Max Weber, WuG, Teil 1, Kapitel 1, § 16: Macht und Herrschaft
- Max Weber, WuG, Teil 1, Kapitel 3: Die Typen der Herrschaft
- Eine linke politische Analyse von Herrschaftsbegriff und -kritik von schöner leben göttingen.
- zu Franz Oppenheimers Herrschaftsbegriff
- Zur Definition und Wirkungsweise von Herrschaft, sowie Grundanforderungen emanzipatorischer Politik. Text als PDF-Datei: Ohne Herrschaft ginge vieles nicht – und das wäre gut so!
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