Hurra-Patriotismus

Hurra-Patriotismus

Hurra-Patriotismus ist ein pejorativer Ausdruck für eine Form des Patriotismus, die mit Kriegseuphorie einhergeht. Er enthält gewöhnlich Elemente von Nationalismus und Chauvinismus, oft auch Rassismus.

Das Wort ist abgeleitet vom Schlachtruf Hurra, der bei den preußischen Truppen im Befreiungskrieg 1813 Bajonettangriffe der Infanterie begleitete. Der Schlachtruf ist u. a. in den populären Gedichten des Dichters der Befreiungskriege, Theodor Körner zu finden (etwa Schwertlied oder Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd). Im Schwertlied heißt es, bezogen auf das jede Strophe abschließende „Hurra!“: „Bei dem 'Hurra!' wird mit den Schwertern geklirrt.“ Danach fand der Schlachtruf ins Reglement der preußischen Armee Eingang, wie der Brockhaus von 1880 ausführt. Kriegsbegeisterung in Verbindung mit dem Kampfruf „Hurra!“ wird von da an während des 19. Jahrhunderts in Deutschland immer wieder wirkungsmächtig, in Kriegervereinen und Verbänden, aber auch in der patriotischen Lyrik. Ein prominentes Beispiel ist Ferdinand Freiligrath, der 1870 kurz nach Kriegsausbruch dichtete: „Hurra, du stolzes schönes Weib, /Hurra, Germania! /Wie kühn mit vorgebeugtem Leib/ Am Rheine stehst du da!/ Im vollen Brand der Juliglut,/ Wie ziehst du frisch dein Schwert!/ Wie trittst du zornig frohgemut/ Zum Schutz vor deinen Herd! / Hurra, hurra, hurra! / Hurra, Germania!“

Derartige Exzesse boten Anlass zu der ironischen Wortbildung „Hurra-Patriotismus“, die zunächst vor allem auf das kriegsverherrlichende Brauchtum im Umkreis des Alldeutschen Verbands, des Deutschen Flottenvereins, der Kriegervereine usw. zielte [1], das an speziellen Festtagen wie dem Sedantag, Kaisers Geburtstag oder zu Jubiläen wie dem der Befreiungskriege in geballter Form stattfand. Zwei beispielhafte Belege dieser Begriffsbildung in ihrer Verwendung vor dem Ersten Weltkrieg: Lily Braun erwähnt 1911 in ihren Memoiren einer Sozialistin den „künstlich aufgepeitschten Hurrapatriotismus der Kriegserinnerungsfeiern der Gegenwart“. In einem Brief an Gerhart Hauptmann 1912 anlässlich des Auftrags an diesen, ein Festspiel zur hundertjährigen Wiederkehr des Befreiungskriegs zu verfassen, schreibt Max Reinhardts Geschäftsführer Gersdorff: Es dürfe kein „billiger Hurrapatriotismus“ erwartet werden.

Eine eindrucksvolle Beschreibung des Hurra-Patriotismus im Wilhelminismus liefert Heinrich Mann im Untertan 1916: „Hurra, schrie Diederich, denn alle schrien es. Und inmitten eines mächtigen Stoßes von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen, aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen. Auf dem Pferd dort unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit Zügen steinern und blitzend ritt die Macht.“ Auch Hedwig Dohm benutzte den Begriff im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg.

1914 gab es in Deutschland, aber auch z. B. in Frankreich eine regelrechte Welle von Kriegsbegeisterung, die heute als Augusterlebnis bezeichnet wird. Diese Begeisterung und ihre propagandistische Nutzung und Orchestrierung im Anschluss an die o.g. Phänomene waren es vor allem, die in der Weimarer Republik und später unter dem Begriff des Hurra-Patriotismus verstanden wurden. Kurt Tucholsky etwa richtete seine Kritik besonders scharf gegen den in Kriegervereinen und studentischen Corps vertretenen Militarismus, der auf eine Revision der Kriegsergebnisse von 1918/19 zielte – und damit auf eine Wiederholung von 1914. Ein Beispiel dafür ist sein Text Nebenan von 1922: Ein Kriegerverein feiert im Nebenzimmer einer Gaststätte („Hurra! Rra! Rra!“), in der Schankstube verfolgt ein Kriegsversehrter ohne Arme den Auftritt und kommentiert ihn. Tucholsky benutzte den Ausdruck „Hurrapatriotismus“ jedoch nicht – zur Kennzeichnung der von ihm kritisierten Haltung genügte ihm der Begriff „Patriotismus“: „Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand“ (Heimat, 1929).

Heute kann man den Begriff als internationalisiert bezeichnen: Hurra-Patriotismus wird in der deutschsprachigen Debatte oft den USA oder Großbritannien vorgeworfen, während die Charakterisierung des deutschen Standpunkts meist eher in Abgrenzung vom Hurrapatriotismus geschieht. Aktuell ist der Begriff etwa von Gerhard Schröder in einer Rede vom 3. Oktober 2003 zum Tag der Deutschen Einheit verwendet worden, in der er angibt, die Auslandseinsätze der Bundeswehr seien „ohne jeden Hurra-Patriotismus“ vor sich gegangen, oder auch in folgender Äußerung über die SPD: „Wir sind wahrlich eine patriotische Partei. Aber wir sind keine Partei des Hurra-Patriotismus“ (21. März 2004, nach taz vom 8. Dezember 2005). Dies deutet auch an, dass das kritische Potenzial des Begriffs in seiner heutigen Verwendung begrenzt ist, da er regelmäßig für den kriegerischen Nationalismus der anderen benutzt wird, von dem sich dann der eigene Patriotismus absetzen lässt.

Die englischsprachige Form des Hurra-Patriotismus ist in der britischen Variante der Jingoismus, in den USA auch der so genannte Spread-Eagleismus.

Quellen

  1. vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/index.html

Lieder


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