Höflichkeit

Höflichkeit

Die Höflichkeit ist eine Tugend, deren Folge eine rücksichtsvolle Verhaltensweise ist, die den Respekt vor dem Gegenüber zum Ausdruck bringen soll. Ihr Gegenteil ist die Grobheit.

Sozial gehört sie zu den Sitten, soziologisch zu den sozialen Normen. Das Wort hat sich aus dem Begriff „höfisch“ entwickelt, das die Lebensart am frühneuzeitlichen Hof bezeichnete.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Im Gegensatz zur Freundlichkeit, mit der man vertraute Menschen behandelt, ist die Höflichkeit stark durch gesellschaftliche Normen und Umgangsformen geprägt und drückt sich oft durch respektvolle Distanz aus. Je nach Kultur und Epoche finden sich sehr unterschiedliche Ausprägungen dessen, was als höflich gilt. Allgemein gültige Höflichkeitsregeln, die für alle Kulturen gelten, lassen sich daher nicht finden. Eine gerade nicht distanziert-kühle Höflichkeit wird auch als „Herzenshöflichkeit“ bezeichnet (vgl. das Taktgefühl).

Historisch entwickelte sich die Höflichkeit im Prozess der Zivilisation (Norbert Elias) im spätmittelalterlichen Übergang zur Neuzeit, zuerst bei Hofe, wo die Rohheit und Gewalttätigkeit des Feudaladels zur höfischen Courtoisie des Hofadels gebändigt wurde.

Beispiele

Einige wenige Beispiele von Höflichkeitsnormen, die zumindest in den meisten westlichen Gesellschaften allgemein gängig sind:

  • Man bringt andere nicht in Verlegenheit oder peinliche Situationen; dazu gehört auch Zurückhaltung beim Ansprechen womöglich heikler Themen. (Drastisches Sprichwort: Im Haus des Gehenkten spricht man nicht vom Strick.) So hält man sich auch mit kritischen Meinungsäußerungen gegenüber anwesenden oder sogar abwesenden Personen zurück (unhöflich ist es zum Beispiel auch, ein Gespräch schnell auf den Klatsch hinzusteuern).
  • Man dankt einem anderen für etwas, weicht aber einem Dank taktvoll aus.
  • Man begrüßt und verabschiedet sich von anderen (siehe Gruß). Nichterwiderung eines Grußes wird als grobe Unhöflichkeit empfunden.
  • Man klopft an einer Tür an, bevor man eintritt oder macht zurückhaltend auf die eigene Gegenwart aufmerksam (klassisch: Man hüstelt.).
  • Man bevorzugt in alltäglichen Situationen ältere Menschen und Frauen gegenüber rüstigeren Personen oder Männern (einen Sitz anbieten, Erfrischungen reichen, persönliche Begrüßung mehrerer).
  • Man drückt sich sprachlich in distanzierter und respektvoller Weise aus und wählt ohne Not keine rüden Wörter. (Einige Sprachen unterscheiden in der 2. Person zwischen Höflichkeitsform („Sie“) und allgemeiner Form („Du“) bzw. eines vertraulichen Sprachgebrauchs wie das Duzen.)

Moralphilosophische Definitionen und Empfehlungen

Der Moralphilosoph Friedrich Paulsen gab folgende klare und prägnante Definitionen und Empfehlungen:

Höflichkeit als Beachtung des jeweiligen Verkehrszeremoniells:
Sei höflich, d.h. gewöhne dich daran, das Verkehrszeremoniell zu beachten, das die Gesellschaft, d.h. hier die Gesamtheit derer, die durch geselligen Verkehr miteinander verbunden sind, wie jede Organisation hervorbringt. Durch das Verkehrszeremoniell wird allgemein verbindlich vorgeschrieben, wie der einzelne sich im geselligen Verkehr benehmen soll, wann und wie er

  • zu reden und zu schweigen,
  • zu nehmen und zu geben,
  • Besuche zu machen und zu empfangen,
  • zu essen und zu trinken,
  • sich zu kleiden und zu verbeugen,
  • Briefe zu schreiben und
  • Anreden zu machen habe.

Es ist die Aufgabe des Verkehrszeremoniells, den Störungen vorzubeugen, die im geselligen Verkehr durch Ungeschick und disziplinlose Selbstsucht hervorgerufen würden.

Anstand:
Wahre den Anstand, d.h. verletze niemand. Der Anstand gebietet, zu vermeiden, was dem anderen abstoßend, widerwärtig, ekelhaft sein könnte.

Höflichkeit im engeren Sinne (humanitas):
Erstrebe Höflichkeit im engeren Sinne (humanitas). Der Höfliche kommt dem Fremden mit Zeichen von Achtung und Wohlwollen entgegen und erklärt damit, dass er mit ihm auf einen friedlichen und freundlichen Verkehr einzugehen bereit sei.

Rücksichtslosigkeit und ihre Unterarten:
Meide Rücksichtslosigkeit, das Gegenteil der Höflichkeit. Sie zeigt sich entweder in

  • Rohheit oder Ungeschliffenheit, in Mangel an Erziehung oder in der Naturanlage begründet;
  • Grobheit, d. h. absichtlicher Vernachlässigung der Höflichkeitspflichten.

Höflichkeit in verschiedenen Kulturen

Judentum

Eine zentrale Rolle spielen Höflichkeit und gute Umgangsformen (hebr. Derech Eretz, דרך ארץ) in der jüdischen Kultur. Die jüdische Religion gebietet es dem Gläubigen, Gott zu ehren, indem er auf die Gefühle anderer Rücksicht nimmt und sensibel dafür ist. Zu den sozialen Feinheiten, zu denen der Einzelne angehalten ist, zählt insbesondere, dass er Menschen, die er kennt, grüßt, dass er sie zu sich nach Hause einlädt (Hachnasat orchim), und dass er über andere – Abwesende eingeschlossen – respektvoll spricht. Höflichkeit und gute Umgangsformen gelten als essenzielles Element einer stabilen und gesunden Gemeinschaft.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Brigitte Felderer/Thomas Macho (Hgg.): Höflichkeit. Aktualität und Genese von Umgangsformen, Fink, München 2002, ISBN 3-7705-3668-1
  • Andreas-Pazifikas Alkofer: Konturen der Höflichkeit. Handlung - Haltung - Ethos - Theologie. Versuch einer Rehabilitation, Books on Demand, Norderstedt 2005, ISBN 3-8334-3629-8 (zugleich: Was tut Ihr, wenn Ihr nur die Euren grüßt?, Habilitationsschrift 2004, Universität Regensburg)
  • Claudia Schmölders (Hg.): Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie. München 1986.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Höflichkeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Teaching Your Children about Derech Eretz; Derech Eretz Precedes Torah; Interpersonal Relating & Mitzvos: Derech Eretz (Civil, Polite and Thoughtful Behavior)

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