Friedrich Paulsen

Friedrich Paulsen
Friedrich Paulsen, 1907

Friedrich Paulsen (* 16. Juli 1846 in Langenhorn bei Niebüll, (Nordfriesland); † 14. August 1908 in Steglitz b. Berlin) war ein deutscher Pädagoge und Philosoph.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Friedrich Paulsen mit seinen Eltern, um 1860
Friedrich Paulsens Geburtshaus in Langenhorn (um 1900)
Friedrich Paulsen als Privatdozent, 1877
Friedrich Paulsens Unterschrift

Friedrich Paulsen war der Sohn des Kleinbauern Paul Frerck Paulsen und dessen Ehefrau Christine Ketelsen. Er besuchte ab dem fünften Lebensjahr die Dorfschule und wechselte 1859 in die Schule von Lehrer Sönke Brodersen. Dieser förderte Paulsen nach allen Kräften und so konnte dieser ab 1863 die Sekunda des Christianeums in Altona besuchen. Drei Jahre später beendete Paulsen erfolgreich mit dem Abitur seine Schulzeit.

Im selben Jahr begann Paulsen an der Universität Erlangen Theologie zu studieren, wechselte aber nach drei Semestern zur Philosophie an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Dieses Studium beendete er 1871 erfolgreich mit seiner Dissertation bei Friedrich Adolf Trendelenburg über Form und Methode der Aristotelischen Ethik (Symbolae ad systemata philosophiae moralis historicae et criticae). 1875 konnte er sich mit einer Arbeit über die Erkenntnistheorie Immanuel Kants habilitieren (Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnisstheorie).

1877 heiratete er in Berlin Emilie Ferchel, eine Pflegetochter des Politikers Justus von Gruner. Mit ihr hatte er zwei Töchter und zwei Söhne; ein Sohn, Rudolf, wurde später ebenfalls Philosoph. Nachdem Paulsens Ehefrau bereits 1883 verstarb, heiratete er 1892 seine Schwägerin Laura Ferchel, die ihm seit dem Tod ihrer Schwester den Haushalt geführt hatte.

Im Jahr seiner ersten Hochzeit betraute man ihn, als erstem Professor in Deutschland, mit einem Lehrauftrag in Pädagogik, der im darauffolgenden Jahr zu einem Extraordinariat für Philosophie und Pädagogik erweitert wurde. 1894 berief man ihm in Berlin zum Ordinarius für Philosophie und Pädagogik. Hier avancierte Paulsen in den folgenden Jahren zu einem der einflussreichsten Professoren seiner Zeit. In den folgenden Jahren lehnte Paulsen immer wieder Rufe an die Universitäten Breslau, Würzburg, München, Kiel und Leipzig ab, ebenso wie die Einladung zu einer Gastprofessur in Harvard, Yale und Cornell (1905). Seine Schüler waren u. a. Jonas Cohn, Kurt Eisner, Friedrich Wilhelm Foerster, Paul Hinneberg, Edmund Husserl, Theodor Litt, George Herbert Mead, Herman Nohl, Berthold Otto, Albert Schweitzer, Eduard Spranger, William Stern, George Santayana und – ihm bald lebenslang befreundet – Ferdinand Tönnies, der Begründer der Soziologie in Deutschland.

Paulsen, dessen Werke in mehrere Weltsprachen übersetzt wurden, gilt als ein Vertreter des Neuidealismus. Es wird kolportiert, dass sogar Mao Zedong sich Paulsens sozialkritische Standpunkte zum Teil zu Eigen gemacht habe. Paulsen selbst führte Baruch Spinoza, John Stuart Mill und Immanuel Kant als seine Wurzeln an. Er war ein Befürworter der Reformpädagogik und wandte sich u. a. zugunsten des „deutschen Aufsatzes“ erfolgreich gegen den „lateinischen Aufsatz“ als Abitur-Leistung (vgl. Neuhumanismus). Seine Geschichte des gelehrten Unterrichts (1885) erreichte einen Status als Klassiker.

Paulsen kann als der geistige Vater des modernen Gymnasiums gelten, in dem die modernen Sprachen und Naturwissenschaften den alten Sprachen gleichberechtigt gegenüberstehen.

Mit vielen Schriften, besonders System der Ethik und Einleitung in die Philosophie, zielte Paulsen durch Allgemeinverständlichkeit auf Breitenwirkung, was ihm außerordentlich hohe Auflagen, aber auch Kritik von Seiten der Fachkollegen einbrachte.

„[Er] bot kein geschlossenes System der Philosophie, sondern reale Lebenshilfe, die auch von einfachen Leuten in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit verstanden werden konnte.“

Reinhard Kränsel: NDB 20, S. 128.

Im Alter von 62 Jahren starb Friedrich Paulsen am 14. August 1908 in Steglitz. Sein Grab auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof ist erhalten. 1908 wurde ein Realgymnasium in Steglitz b. Berlin nach ihm benannt. Diese Schule bemühte sich um die Umsetzung seiner pädagogischen Reformideen, genau wie auch die 1925 gegründete Friedrich-Paulsen-Schule in Niebüll. 1911 wurde im Auftrag der "Deutschen Oberlehrer" im "Park am Fichtenberg" (Heute Ruth-Andreas-Friedrich-Park) in Steglitz ein Denkmal für Paulsen errichtet. Die verschollene Originalbüste wurde 1959 durch eine Büste Paulsens von der Hand der Bildhauerin Magdalena Müller-Martin ersetzt.

Rezeption

Insbesondere in den USA fanden Paulsens Werke weite Verbreitung, während er in Deutschland weithin in Vergessenheit geriet. Paulsen hinterließ ein umfangreiches Manuskript mit seinen Lebenserinnerungen, aus dem der Diederichs-Verlag in Jena 1909 die Kapitel herausbrachte, in denen Paulsen seine Kindheit und Jugend beschrieben hatte. Der umfassendere Teil über sein wissenschaftliches Wirken blieb in Deutschland ungedruckt. Paulsens Schüler Theodor Lorenz, der in die USA emigriert war, erkannte die Bedeutung des Textes und übersetzte die gesamte Autobiographie, allerdings mit vielen Kürzungen, ins Englische; 1938 erschien sie in New York. Daher wurden die Erinnerungen 70 Jahre lang in englischer Sprache zitiert, nicht aber in der deutschen Originalfassung. Zu Paulsens 100. Todestag erschienen seine Lebenserinnerungen erstmals vollständig im Jahr 2008.

Werke

Paulsens Grab auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg
  • Symbolae ad systemata philosophiae moralis historicae et criticae. Schade, Berlin 1871.
  • Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnisstheorie. Fues, Leipzig 1875.
  • Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht. 2 Bde., Veit/Metzger & Wittig, Leipzig 1885.
  • System der Ethik. Mit einem Umriß der Staats- und Gesellschaftslehre. Hertz, Berlin 1889.
  • Einleitung in die Philosophie. Ferdinand Tönnies gewidmet. Hertz, Berlin 1892; späterhin mehr als 40 Auflagen.
  • Immanuel Kant. Sein Leben und seine Lehre. Stuttgart 1898.
  • Philosophia militans. Gegen Klerikalismus und Naturalismus. Berlin 1901
  • Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium. Asher, Berlin 1902.
  • Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung. Teubner, Leipzig 1906.

Postum erstmals erschienen:

  • Aus meinem Leben. Jugenderinnerungen. Diederichs, Jena 1909 (online auf zeno.org).
  • Aus meinem Leben. Vollständige Ausgabe. Herausgegeben von Dieter Lohmeier und Thomas Steensen. Verlag Nordfriisk Instituut, Bräist/Bredstedt 2008. ISBN 978-3-88007-346-3
  • Pädagogik. Cotta, Stuttgart 1911.
  • Ferdinand Tönnies/Friedrich Paulsen: Briefwechsel 1876–1908. Hgg. von Olaf Klose/Eduard Georg Jacoby/Irma Fischer, Hirt, Kiel 1961.
  • An autobiography. Übersetzt u. hgg. von Theodor Lorenz. New York: Columbia Univ. Press, 1938.

Literatur

Weblinks

 Commons: Friedrich Paulsen – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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