Igor Fjodorowitsch Strawinski

Igor Fjodorowitsch Strawinski
Igor Strawinski im Alter von 18 Jahren
Stravinskys Unterschrift

Igor Fjodorowitsch Strawinski (russisch Игорь Фёдорович Стравинский, frz. Transkription Igor Stravinski, engl. Transkription Igor Stravinsky; * 5. Junijul./ 17. Juni 1882greg. in Oranienbaum, Russland; † 6. April 1971 in New York City) war ein russisch-französisch-US-amerikanischer Komponist und einer der bedeutendsten Vertreter der „Neuen Musik“. Zwei seiner Kinder, die Söhne Soulima Strawinski und Théodore Strawinski, erreichten ebenfalls einen gewissen Bekanntheitsgrad.

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Igor Strawinski

Strawinski wurde in Oranienbaum (heute Lomonossow), in der Nähe von Sankt Petersburg in Russland geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er unter dem Einfluss seines Vaters, eines Sängers des Marinskijtheaters. In jungen Jahren wurde er mit seiner Cousine verheiratet und war bereits früh bekannt mit führenden russischen Dirigenten und Komponisten. 1910 reiste er erstmals nach Paris, dort wurden die Ballette Der Feuervogel und später die Nachfolgewerke Petruschka und Le sacre du printemps aufgeführt.

Dass er sich in einer derart restriktiven Umgebung eine intakte Persönlichkeit bewahrte, ist Zeugnis für seinen unstillbaren Entdeckerdrang, der sein ganzes Leben lang anhalten sollte. Er legte ein unermüdliches Verlangen an den Tag, über Kunst, Literatur und das Leben selbst zu lernen und zu forschen. Es überrascht wenig, dass seine russische Vergangenheit mit dem nach innen gerichteten Kulturleben schon bald sehr eingeschränkt und provinziell auf ihn wirkte und sein Verlangen nach der Außenwelt erhöhte. Seit 1920 lebte Strawinski vorwiegend in Frankreich; 1934 wurde er französischer Staatsbürger. Im Jahre 1967 wurde Igor Strawinski mit dem Titel des Ehrendoktors der Rutgers University in New Jersey geehrt.

Igor Fjodorowitsch Strawinski starb am 6. April 1971 in New York; Totenmesse und Beisetzung erfolgten auf Wunsch des Komponisten in Venedig. Er und seine Frau Vera wurden auf dem Friedhof San Michele in Venedig beigesetzt.

Charakter

In den frühen 1920er Jahren ließ Leopold Stokowski ihn regelmäßig durch einen Strohmann unterstützen. Auch war Strawinski in bemerkenswertem Maße oft in der Lage, Kommissionen zu gewinnen. Viele seiner Werke seit dem Feuervogel wurden für spezielle Anlässe komponiert und bezahlt. Igor Strawinski war somit in der Lage, dem Problem so vieler Komponisten zu entgehen: der Notwendigkeit einer gewöhnlichen Arbeitsstelle.

Auch als Pianist und Dirigent trat er erfolgreich auf den Bühnen der Welt auf: in Paris, Venedig, Berlin, London und New York.

Strawinski zeigte sich oft als erfahrener „Mann von Welt“, er erwarb im Gegensatz zu den meisten anderen Komponisten seiner Zeit ein feines Gespür für Geschäftsangelegenheiten (obwohl nicht verschwiegen werden sollte, dass seine Urheberrechts-Probleme ebenfalls legendär sind).

Hierin zeigt sich ein Schlüssel zu seiner Persönlichkeit. Die meisten Leute, welche aufgrund von Aufführungen Beziehungen zu ihm unterhielten, beschrieben ihn als höflich, zuvorkommend und hilfsbereit. Otto Klemperer beispielsweise, der auch Arnold Schönberg gut kannte, beschrieb Strawinski als stets kooperativ und unkompliziert. Gleichzeitig legte Strawinski eine aristokratische Geringschätzung gegenüber gesellschaftlich geringer Gestellten an den Tag: Robert Craft war peinlich berührt von Strawinskis Angewohnheit, in Restaurants mit einer Gabel an ein Glas schlagend laut Aufmerksamkeit zu verlangen.

Familie Strawinskis und seine zweite Ehe in den USA

Strawinski war ein Familienmensch, der einen beachtlichen Teil seiner Zeit, Anstrengungen und Ausgaben auf seine Söhne und Töchter verwendete. Trotzdem entstand nach seinem Tode ein Streit um seinen Besitz und seine Aufführungsrechte, was seine Witwe Vera de Bosset die verbleibenden Jahre verbitterte.

Diese bemerkenswerte Dame war zunächst mit dem Maler und Bühnenbildner Sergei Sudeikin verheiratet. Aber Strawinski fing bald eine Affäre mit ihr an, worauf sie ihren Ehemann verließ. Von diesem Zeitpunkt an führte Strawinski bis zum Tod seiner Frau (1939) ein Doppelleben, in dem er seine Zeit zwischen seiner ersten Familie und Vera aufteilte. Jekaterina Strawinski erfuhr bald von der Beziehung und akzeptierte sie als unausweichlich und dauerhaft.

Nach ihrem Tod heirateten Strawinski und Vera in New York (1940), wohin sie aus Frankreich vor den Kriegshandlungen in Europa geflohen waren. Für den Rest seines Lebens unterstützte Vera Strawinski ihn zunehmend in der zunächst fremden Umgebung, es existieren zahlreiche Geschichten über ihre unermüdlichen Bemühungen um sein Wohlergehen und die Ruhe, die er zum Komponieren benötigte. Zwar hatte sich Strawinski an das Leben in Frankreich gewöhnt, aber mit 58 Jahren nach Amerika auszuwandern war eine andere Angelegenheit, auch wenn er bereits 1946 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb. Eine Zeit lang unterhielt er einen Freundeskreis aus ausgewanderten russischen Freunden und Kontakten. Letztendlich erkannte er aber, dass dies sein künstlerisches und berufliches Leben in den USA nicht würde unterstützen können.

Als er zusammen mit W. H. Auden eine Oper plante, traf die Notwendigkeit, mehr Vertrautheit mit der englischsprechenden Welt zu gewinnen, mit der Ankunft des Komponisten und Musikers Robert Craft in seinem Leben zusammen. Dieser blieb bis zu seinem Tod mit ihm zusammen und fungierte als Übersetzer, Chronist, assistierender Dirigent und Faktotum für unzählbare musikalische und gesellschaftliche Aufgaben.

Inspiration

Strawinski verfügte über einen breit gefächerten Literaturgeschmack, der sein fortwährendes Verlangen nach neuen Entdeckungen widerspiegelt. Die Texte und Literaturquellen seiner Arbeit begannen mit einem Interesse an russischer Folklore, erstreckten sich über klassische Autoren und die lateinische Liturgie bis hin zu gegenwärtiger französischer (André Gide, Persephone) und englischer Literatur (Auden, T. S. Eliot), die englische Bibel in der „King James Version“ aus dem Jahre 1611 und mittelalterliche englische Dichtung. Gegen Ende seines Lebens setzte er sogar hebräische Schrift in Abraham und Isaak ein. In seinen späteren Jahren war er ein begeisterter Anhänger des Spiels Scrabble.

Wirken

Er schrieb zunächst Werke in spätromantisch-impressionistischer Tradition (Der Feuervogel), danach wandte er sich einer völlig neuen Tonsprache zu (dominante Rhythmik, Melodienarmut, revolutionär neue Akkorde: Le Sacre du Printemps, L'Histoire du Soldat), und danach schrieb er im neoklassizistischen Stil (vgl. Bela Bartok). Wichtige Stilmittel seiner Musik waren bis zum Zweiten Weltkrieg die Polytonalität und eine ausgeprägte Rhythmik, mitunter auch Zitate der Unterhaltungsmusik. Strawinski komponierte in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auch serielle Werke. Überhaupt sind viele verschiedene Einflüsse in seiner Musik zu finden, die er zu einem unverwechselbaren Stil verschmolz.

Seine bekanntesten Werke entstammen seiner frühen russischen Periode: Der Feuervogel, Petruschka und Le sacre du printemps. Diese Ballette führten praktisch zu einer Renaissance des Genres. Strawinski schrieb auch für ein breites Spektrum von Ensemble-Kombinationen und klassischen Formen. Sein Werk reicht von Symphonien und Opern bis hin zu Klavier-Miniaturen.

Weiterhin erlangte Strawinski Berühmtheit als Pianist und Dirigent, oft mit Uraufführungen seiner eigenen Werke. Außerdem war er als Autor tätig. Mithilfe seines Protegés Robert Craft, der ihn in Hinblick auf die englische Sprache unterstützte, erstellte Strawinski ein theoretisches Werk Poetics of Music. Darin stellt er die bekanntgewordene Behauptung auf, dass Musik „nichts als sich selbst ausdrücken kann“. Craft übersetzte auch verschiedene Interviews mit dem Komponisten, die als Conversations with Stravinsky publiziert wurden.

Als kosmopolitischer Russe war Strawinski sowohl im Westen als auch in seiner Heimat einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Adorno hat in seiner „Philosophie der Neuen Musik“ (erschienen 1949) den Komponisten als den herausragenden Vertreter einer zur Position Schönbergs genau entgegengesetzten Einstellung dargestellt, wodurch er ihm hohen Respekt in Bezug auf seine kompositorischen Fähigkeiten zollte. In Hinsicht auf die Aussage von Musik sind die Positionen Adornos und des Komponisten ähnlich. Andererseits kritisierte Adorno den Stil des Neoklassizismus allgemein als „Absud bereits gewesener Musik“. Potentiell positiv sei daran nur ein Erkenntnisgewinn dadurch, dass das Zerfallsmoment der klassischen Musik deutlicher hervortrete.

Einem breiten Publikum ist Strawinski auch durch den Film Fantasia (1940) bekannt geworden, in dem Walt Disney und seine Künstler die Musik aus Le Sacre du Printemps in der Schöpfungs- und Dinosaurier-Sequenz in Bilder umsetzten.

Ehrungen

Russische Platinmünze (Nominal 150 Rubel) zu Ehren Strawinskis (1993)
Ukrainische Briefmarke, 2007
  • Ihm wurde ein Stern auf dem Hollywood Walk of Fame im 6340 Hollywood Boulevard gewidmet.
  • In Paris ist vor dem Centre Georges Pompidou ein Platz nach ihm benannt, auf dem der Strawinski-Brunnen steht, der seine Werke skulptural umsetzt.
  • 1993 wurde in Russland eine Platinmünze der Serie Russlands Beitrag zur Weltkultur mit dem Porträt Strawinskis und der Darstellung einer Szene aus dem Ballett Petruschka herausgegeben.

Werke (Auswahl)

Opern und Bühnenwerke

Szenische Uraufführung der Sintflut am 30. April 1963

Ballette

  • L'Oiseau de feu (Der Feuervogel) (1910)
  • Petrouchka (1911/revidiert 1946)
  • Le sacre du printemps (Die Frühlingsweihe) (1913/revidiert 1922/1943)
  • Pulcinella (1920)
  • Les Noces (1923)
  • Scènes de ballet (1944)
  • Apollon musagète (1928/revidiert 1947)
  • Le Baiser de la fée (Der Kuss der Fee) (1928/revidiert 1950)
  • Jeu de cartes (Das Kartenspiel) (1936)
  • Orpheus (1957)
  • Agon (1953/1964)

Vokalwerke

  • Psalmensinfonie für Chor und Orchester (1930/1949)
  • Babel für Sprecher, zweistimmigen Männerchor und Orchester (1944, Schlusssatz der Genesis Suite)
  • Mass für Chor und Orchester (UA 1948)
  • Pater noster Motette für gem. Chor
  • Ave Maria für gem. Chor

Orchesterwerke

  • Concerto in D für Streichorchester (1947)
  • Sinfonie Es-Dur op. 1 (1905-07)
  • Faune et bergère Suite für Gesang und Orchester, op.2
  • Le chant du rossignol Sinf. Dichtung (1917)
  • Konzert für Violine und Orchester in D (Concerto en ré pour violon et orchestre, 1931)
  • Konzert in Es für Kammerorchester „Dumbarton Oaks“ (1937/38)
  • Sinfonie in C (1939/40)
  • Sinfonie in 3 Sätzen (1942-45)
  • Symphonies d’instruments à vent für 23 Blasinstrumente (1920/1945–1947)
  • Oktett (1922–1923)
    1. Sinfonia
    2. Thema con variazioni
    3. Finale
  • Concerto - für Klavier und Blasorchester (1923–1924)
  • Zirkuspolka (1942/44)
  • Scherzo à la Russe (1944)
  • Ebony Concerto (1946)
    1. Allegro moderato
    2. Andante
    3. Moderato
  • Fanfare for a new Theatre (1964)

Klavierwerke

  • Sonate pour piano (1924)
  • 4 Etüden op. 7 (1908)
  • Serenade en la (in A) (1925)
  • Piano-Rag-Musik (1919)
  • Trois mouvements de Petrouchka (2- und 4-händige Version) (1921)
  • Concerto (2 Klaviere)

Literatur

Sonstiges

Aspekte aus Strawinskis Leben thematisiert der Film Coco Chanel & Igor Stravinsky, der 2009 bei den Filmfestspielen in Cannes vorgestellt wurde und am 15. April 2010 in die Kinos kam. Er handelt von der leidenschaftlichen Liebesbeziehung zwischen Strawinski und Coco Chanel, die unter der Regie von Jan Kounen von der Französin Anna Mouglalis und dem Dänen Mads Mikkelsen dargestellt werden.[1]

Weblinks

 Commons: Igor Stravinsky – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. rp-online.de vom 15. April 2010

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