- Japanisch-Sowjetischer Grenzkonflikt
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Der Japanisch-Sowjetische Grenzkonflikt von 1938/1939 war Folge des Versuchs Japans, die Grenzen des Mandschukuostaats weiter in Richtung Norden auszudehnen.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Bis zum Jahr 1900 war die Mandschurei im russischen Einflussbereich. Im Zuge der japanischen Expansionsbestrebungen in Ostasien forderte Japan 1903 einen Rückzug der russischen Truppen aus der Mandschurei und die Anerkennung der japanischen Interessen in Korea. Der folgende Disput 1904 endete im russisch-japanischen Krieg, den Japan für sich entscheiden konnte. Russland musste 1905 die Mandschurei räumen, die wieder an China zurückgegeben wurde. Japan hatte nach dem ersten japanisch-chinesischen Krieg Korea als Einflussbereich gewonnen und interessierte sich für die Rohstoffvorkommen der Mandschurei. Um diese Rohstoffe aus der Mandschurei nach Korea zu bringen und von dort nach Japan verschiffen zu können, wurde die Südmandschurische Eisenbahn errichtet, die von der japanischen Kwantung-Armee bewacht wurde. Um die Rohstofflieferungen auch langfristig zu sichern, strebte man in Japan nach mehr politischem Einfluss in der Mandschurei. Auf den Mukden-Zwischenfall 1931, der vermutlich von den Japanern selbst initiiert worden war, folgte die Mandschurei-Krise, in der die Kwantung-Armee die Mandschurei besetzte und dort den Marionettenstaat Mandschukuo etablierte. Diese Okkupation wurde von Seiten der USA im Rahmen der Hoover-Stimson-Doktrin verurteilt, auch der Völkerbund protestierte, unternahm jedoch keine weiteren Schritte.
Die Expansionsbestrebungen Japans in China führten zum zweiten japanisch-chinesischen Krieg. Aus weiteren Ausdehnungsplänen in Richtung Norden zur russischen und mongolischen Grenze ergaben sich Streitigkeiten um den Grenzverlauf des Mandschukuostaats.
Gegenargumente zu japanischen Expansionsplänen Richtung Sowjetunion
Aus der Sicht der sowjetischen Historiographie wurden mit der Schlacht am Chalchyn gol (auch Chalcha; russische Schreibweise, transkribiert: Chalchin-Gol, auch Chalchin Gol) die Expansionspläne Japans Richtung Sowjetunion gestoppt. Die bewaffneten Provokationen der Japaner waren nach sowjetischer Geschichtsauffassung nur der Anfang zu einer großangelegten Operation. Dabei sollte der Einfluss der Sowjetunion auf die Mongolische Volksrepublik beseitigt und das Land dem japanischen Einfluss unterworfen werden.
Der Anlass für den Japanisch-Sowjetischen Grenzkonflikt war jedoch nur der ungeklärte Grenzverlauf. Die gegenseitigen Gebietsansprüche, von denen keine Seite abweichen wollte, bezogen sich auf wenige Kilometer. Mehrmalige bewaffnete Zusammenstöße zwischen berittenen mongolischen und mandschurischen Grenzpatrouillen führten allmählich zur Ausweitung des militärischen Konfliktes, wobei zuerst die japanische Seite und dann auch die sowjetische Seite Truppen heranführten.
Die japanische Seite hatte vorgeblich eher den Wunsch, die Gewaltspirale zu beenden, um keine militärischen Kapazitäten von der Hauptstoßrichtung in China abziehen zu müssen. Auf sowjetischer Seite herrschte die Meinung vor, dass man es den Japanern „ein für allemal zeigen“ müsse, um eventuellen Annexionswünschen eine Abfuhr zu erteilen.
Bei aller Härte der Schlacht am Chalchin Gol hatten die Japaner nur eine Front von 38 km Breite (in mehreren Linien gestaffelt), die von der Roten Armee auf beiden Seiten umgangen wurde (60 km sowjetische Frontbreite). Eine ernsthafte militärische Invasion hätte sich in ganz anderen Größenordnungen abgespielt. Auch sowjetische Historiker führen an, dass es sich noch nicht um eine Invasion, sondern zunächst nur um japanische Testangriffe gehandelt habe, die vor allem Aufschlüsse über Schnelligkeit und Umfang einer sowjetisch-mongolischen Reaktion im Falle einer Invasion erbringen sollte.
Die Kampfhandlungen hatten aber den erforderlichen Umfang, um die streitigen Gebietsansprüche im Grenzgebiet nachhaltig durchzusetzen. Aus sowjetischer Sicht hätten die Japaner erkennen müssen, dass eine Invasion der Mongolei auf heftigeren Widerstand als erwartet treffen würde.
Schlacht am Chassansee/Changkufeng-Zwischenfall
Als der japanische Botschafter am 15. Juli 1938 von der Sowjetunion forderte, ihre Truppen von den zwei Anhöhen (высота) Bezymjannaja (russ. высота Безымянная, deutsch namenlose Höhe, chin. Shachaofeng) und Saosjornaja (russ. высота Заозёрная, deutsch Anhöhe hinter dem See, chin. Changkufeng) am Chassansee (ca. 130 km südwestlich von Wladiwostok, Region Primorje) zurückzuziehen, kam die Sowjetunion den Forderungen nicht nach. So kam es am 29. Juli zu ersten Kampfhandlungen, die die Rote Armee noch abwehren konnte. Doch am 31. Juli gelang den Japanern der Durchbruch und die sowjetischen Truppen zogen sich zurück. Da die Sowjetunion es aber schaffte, ihre Truppen neu zu organisieren und aufzufrischen, konnten Anfang August die Japaner wieder vertrieben werden und am 11. August endete der Konflikt, nachdem der japanische Botschafter um Frieden gebeten hatte. Dieser Vorfall wird im Westen auch nach dem chinesischen Namen als Changkufeng-Zwischenfall (jap. chōkohōjiken) bezeichnet.
Schlacht am Chalchin Gol/Nomonhan-Zwischenfall
Der Fluss Chalchin Gol liegt im Grenzgebiet zwischen der Mongolei und dem damaligen Mandschukuo.
Die Grenzstreitigkeiten betrafen den Unterlauf des Flusses, der dort von Nord nach Süd läuft, 130 m breit ist und relativ schnell fließt. Die Japaner beanspruchten den Fluss als Westgrenze Mandschukuos, während die Sowjetunion für die Mongolei einen 15 km breiten Gebietsstreifen am Ostufer beanspruchte. 25 km östlich liegt das Städtchen Nomonhan, das – vor allem in Japan – ebenfalls als Namensgeber für den Konflikt dient (ノモンハン事件, Nomonhan jiken, deutsch Nomonhan-Zwischenfall).
Als am 11. Mai 1939 eine mongolische Kavallerie-Einheit von etwa 70 bis 90 Soldaten in der umstrittenen Gegend am Ostufer des Flusses ihre Pferde grasen ließ, wurde sie von Mandschukuo-Truppen vertrieben. Als einige Tage später eine größere Einheit mongolischer Soldaten in das Gebiet einrückte, schafften es die Truppen aus Mandschukuo nicht mehr, diese zu vertreiben. Deshalb wurde die japanische Kwantung-Armee zur Hilfe gerufen, die eine Aufklärungstruppe entsandte.
Die Gegend war für ernsthafte militärische Handlungen ungeeignet, da keinerlei Infrastruktur und Transportwege bestanden. Die Japaner hatten für den Truppen- und Ausrüstungstransport lediglich eine kleine Eisenbahnlinie (mit geringer Kapazität) bis Nomonhan (mit einem sehr kleinen Bahnhof). Der restliche Weg zur Front musste auf einer unbefestigten Straße (ca. 30 km) zurückgelegt werden.
Von sowjetischer bzw. mongolischer Seite stellten sich die Transportmöglichkeiten noch schlechter dar. Die nächste Eisenbahnstation war ca. 350 km entfernt. Die Rote Armee (RKKA) setzte noch am Anfang, als der Konflikt langsam eskalierte, ein Eisenbahnbataillon ein, um eine Bahnstrecke an die Front zu bauen. Dadurch hatte die japanische Seite wenig militärische Kräfte am Konfliktherd, die sie kaum mit Nahrungsmitteln und schon gar nicht ausreichend mit Munition versorgen konnte, während die Sowjetunion ein Vielfaches an Truppen und Kampftechnik (besonders Artillerie) sowie Munition bereitstellen konnte. Die Übermacht der Roten Armee war bei der Artillerie dreifach (bei zusätzlich überlegener Qualität der Waffen), bei der Truppenstärke zweifach und den sowjetischen Panzern hatten die Japaner nichts qualitativ Ebenbürtiges gegenüberzustellen.
Josef Stalin ließ einen Plan zur Vertreibung der Japaner ausarbeiten. Nach Zusammenziehungen von sowjetischen und mongolischen Truppen standen die Japaner einer Übermacht gegenüber. Bei der ersten ernsthaften Auseinandersetzung starben acht Offiziere und 97 Soldaten, ein Offizier und 33 Soldaten wurden verwundet. Die Kwantung-Armee hielt das Gebiet nun für zu unbedeutend, um weitere Truppen zu opfern.
Nachdem Sowjets und Mongolen bei kleineren Gefechten im Juni einige Mandschukuo-Einheiten angegriffen hatten, erhielt der lokale Kommandant der Kwantung-Armee Generalleutnant Komatsubara Michitarō die Erlaubnis, die Eindringlinge zu vertreiben. Am 1. Juli starteten die Japaner ihre Operationen und schafften es, den Fluss zu überqueren, bis sie am Abend des 3. Juli von den Sowjets wieder zurückgeworfen wurden.
Es folgte eine Waffenruhe, bis am 22. August etwa 50.000 sowjetische Soldaten unter dem Kommando Schukows vom Ostufer des Flusses aus und drei Infanterie-Divisionen mit etwa 70.000 Soldaten mit Unterstützung von Artillerie, Panzern und Flugzeugen die japanischen Elite-Einheiten angriffen.
Die damalige japanische Verteidigungsdoktrin sah vor, dass die Position mit starkem Beschuss zu verteidigen und auf eine Entlastung zu warten sei. Dies war gegen schlecht ausgerüstete chinesische Truppen zwar sehr erfolgreich, aber die sowjetischen Panzer durchbrachen die Linien, schlossen zwei Divisionen ein und rieben die anderen Truppen auf.
Ein Ausbruchsversuch scheiterte am 22. August. Da die Truppen sich nicht ergeben wollten, wurde die 6. japanische Armee bis zum 30. August völlig aufgerieben.
Am 16. September unterzeichneten beide Seiten einen Waffenstillstand und einigten sich auf die existierenden Grenzen. Schukow erhielt für den Sieg das erste Mal (von insgesamt vier Malen) die Auszeichnung „Held der Sowjetunion“.
Auf japanischer Seite kämpften (die 6. japanische Armee):
- 2 Panzerdivisionen (ca. 60 Panzer, mit kurzläufiger 37 mm Kanone)
- 4 Artilleriedivisionen
- 3 Infanteriedivisionen
- 3 Kavalleriebrigaden
- 200 Flugzeuge
Auf sowjetisch-mongolischer Seite kämpften:
- 19 Infanteriedivisionen bzw. Motorisierte Infanteriedivisionen
- 11 Kavalleriedivisionen
- 15 Artilleriedivisionen
- 7 Luftwaffendivisionen
- 18 Panzerbataillone
- 13 Bataillone mit gepanzerten Fahrzeugen
Geführt wurden die sowjetisch-mongolischen Truppen von:
- 1 Frontstab
- 2 Armeestäben
- 2 Korpsstäben
Der Ausgang der Kämpfe war durch das asymmetrische Kräfteverhältnis vorbestimmt. Noch vor Unterzeichnung des Waffenstillstandes war eine japanische Division vernichtet.
Von japanischer Seite wurden in dem Konflikt, wie auch später im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg, biologische Waffen eingesetzt, darunter solche, die Aerosole mit Milzbrand-Erregern ausströmten. Erkrankte sowjetische und mongolische Soldaten mussten mit langwieriger Genesung und teils mit Spätfolgen kämpfen.
Die Rote Armee hatte sehr hohe Verluste an gepanzerten Fahrzeugen und Panzern. Die Japaner waren im Abwehrkampf sehr stark und psychologisch gut vorbereitet. Die sowjetische Armeeführung erkannte, dass das Vorrücken mit Panzerverbänden und gepanzerter Technik ohne gleichzeitige Unterstützung durch Infanterie und Artillerie sehr hohe Verluste nach sich ziehen kann.[1]
Verluste
Auf Seite der japanischen Armee waren 30.000 Soldaten in dem Konflikt beteiligt, von denen nach japanischen Behauptungen 8.440 starben und 8.766 verwundet wurden. Die Rote Armee hatte 57.000 Infanteristen, 498 Panzer und 346 gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt und behauptete, 9.284 Mann seien verwundet oder getötet worden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wurden jedoch Dokumente veröffentlicht, die eine weitaus größere Zahl von 23.926 Soldaten (6.831 getötet, 1.143 vermisst und 15.952 verwundet) als Verluste angaben.
Folgen
Als Folge des Konfliktes versuchten die Japaner, weiter im Süden ihre Gebiete zu erweitern, und führten den zweiten japanisch-chinesischen Krieg massiv weiter, bis es zum Pazifikkrieg kam. Außerdem sorgte das Ergebnis dafür, dass Japan nicht die Sowjetunion angriff, um das verbündete Deutsche Reich zu unterstützen, so wie es Adolf Hitler eigentlich erwartet hatte. Am 13. April 1941 unterzeichneten Japan und die Sowjetunion einen Neutralitätspakt.
Im August 1945 kam es mit der Operation Auguststurm zu weiteren Kampfhandlungen, als die Sowjetunion, einer Bitte der Alliierten auf der Konferenz von Jalta nachkommend, exakt drei Monate nach Beendigung der Kampfhandlungen in Europa, mit über einer Million Soldaten die japanische Armee in der Mandschurei angriff.
1969 folgte ein weiterer bewaffneter Konflikt über die Grenzziehung, diesmal aber zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion.
Literatur
- Chiyoko Sasaki: Der Nomonhan Konflikt: Das fernöstl. Vorspiel zum 2. Weltkrieg. Universität Bonn, 1968. Phil. F., Diss. v. 6. Nov. 1968.
- Rainer Göpfert: Der unerklärte Krieg am Chasan-See und am Chalchin-Gol, Flieger Revue Extra Nr. 4, Berlin, 2004, Möller, ISSN 0941/889X
- Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami baute Berichte über den japanisch-russischen Grenzkonflikt in seinen Roman Mister Aufziehvogel (1994, dt. 2000) ein.
- Alvin D. Coox, Nomonhan: Japan Against Russia, 1939. Stanford, Stanford University Press. ISBN 0-8047-1835-0.
- John Erickson: The Soviet High Command: A Military-Political History, 1918-1941. Routledge, 2001. ISBN 0-7146-5178-8.
- Edward J. Drea: Nomonhan: Japanese-Soviet tactical combat, 1939. Fort Leavenworth, Kansas: Combat Studies Institute, 1981. Leavenworth papers; 2.
- Onda Shigetaka: 人間の記録 ノモンハン戦 (Ningen no kiroku. Nomonhan-sen). Tokuma Shoten, Tokio 1977.
Einzelnachweise
- ↑ vgl.: Katsu H. Young: The Nomonhan Incident: Imperial Japan and the Soviet Union. In: Monumenta Nipponica, Vol. 22, No. 1/2 (1967), Seiten 82–102.
Siehe
Weblinks
Commons: Japanisch-Sowjetischer Grenzkonflikt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- CCTV-Dokumentation: Memories of Nomonhan (englisch)
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