Johann Georg Wilhelm Boehmer

Johann Georg Wilhelm Boehmer
Johann Georg Wilhelm Boehmer

Johann Georg Wilhelm Boehmer (7. Februar 1761 in Göttingen; † 12. Januar 1839 in Göttingen) war ein deutscher Theologe und Kirchenrechtsgelehrter, Mainzer Jakobiner und Mitbegründer der Mainzer Republik sowie Friedensrichter im Königreich Westphalen.

Inhaltsverzeichnis

Anfangsjahre

Johann Georg Wilhelm Boehmer studierte ab 1779 an der Universität Göttingen Theologie und belegte darüber hinaus Seminare in den Rechtswissenschaften. Nach seinem Abschluss wurde er im Jahre 1785 an der philosophischen Fakultät dieser Universität Privatdozent für Kirchenrecht und Kirchengeschichte sowie Assessor des historischen Instituts. Zwei Jahre später brachte er eine neue Zeitschrift: „Magazin für das Kirchenrecht, die Kirchen- und Gelehrtengeschichte“ heraus und wurde am 17. September 1787 zum Dr. Phil. ernannt. Doch Boehmer, dem die Reformen seines Vaters Georg Ludwig Boehmer nicht weit und schnell genug vorangingen, provozierte seine Vorgesetzten mit calvinistischem Gedankengut, „maßloser und intensiver Freigeisterei“ sowie aufbrausendem Gebaren. Trotzdem er Unterstützung für einige seiner Thesen vor allem durch Johann Salomo Semler (1725–1791) bekam, konnte Boehmer nicht mehr an der Universität gehalten werden.

Deutscher Jakobiner unter französischer Besatzungsherrschaft in Mainz 1792/93

1788 wechselte Boehmer als Professor und Konrektor an das Lutherische Gymnasium in Worms. Auch dort geriet er nach kurzer Zeit wegen seiner aufklärerischen Äußerungen in Konflikt mit der überwiegend aus Lutheranern bestehenden Bürgerschaft. Boehmer selbst war reformierter Protestant und hatte im Sinne seines theologischen Vorbildes Karl Friedrich Bahrdt (1741–1792). versucht, dem lutherischen Gymnasium den Stempel der „Aufklärung“ aufzudrücken, indem er Schüler über Toleranz, autonomes Denken und Vernunft schreiben ließ. Der Konflikt mit Bürgerschaft und Geistlichkeit gipfelte im Mai 1789 darin, dass die Zunft/Bürgerschaft bei Kaiser Joseph II. in Wien eine Klageschrift gegen Boehmer einreichte und ihm darin „freigeisterische Gesinnungen, unverdaute Aufklärungsgrillen und höhnische Verachtung allen Glaubens“ vorwarf. Angesichts seiner aufklärerischen Haltung ist es nicht verwunderlich, dass Boehmer mit großem Interesse und Sympathie die revolutionäre Bewegung in Frankreich verfolgte und die mit der Erstürmung der Bastille am 14. Juli 1789 beginnende Französische Revolution auf das Freudigste begrüßte. Als dann 1792 französische Revolutionstruppen das linksrheinische Gebiet um Worms und Speyer besetzten, signalisierte er dem nach Speyer vorgerückten General der französischen Truppen Adam-Philippe de Custine (1740–1793), dass er nach der Einnahme von Speyer nun doch auch in Worms die „Ketten der Knechtschaft“ brechen möge. Damit bewirkte er am 4. Oktober 1792 die Einnahme der Stadt durch General Custine und Boehmer wurde als persönlicher Sekretär in dessen Dienste gestellt und stand auch beim Weitermarsch der französischen Truppen nach Mainz an seiner Seite. In Mainz erfüllte Boehmer für Custine Verwaltungs- und Dolmetscheraufgaben, versuchte die Mainzer Bevölkerung von der französischen Verfassung zu überzeugen, führte in der Mainzer Zeitung seine Aufsatzserie „Magazin der Theologie“ weiter, übernahm weiterhin am 22. Oktober 1792 die Radaktion dieser Zeitung und war schließlich tags darauf im Mainzer Schloss Mitbegründer des ersten Mainzer Jakobinerklubs. Dadurch gewann er großen Einfluss auf das Besatzungsgeschehen und konnte in der Bevölkerung für die Ideale der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) und für die Errichtung einer deutschen Republik unter französischem Schutz werben. Publizistisch setzte er hierzu neben zahlreichen Schriften vor allem die von ihm herausgegebene „Mainzer National Zeitung“ ein, die auf Grund seiner Nähe zu General Custine zu einem halbamtlichen „Regierungsorgan“ wurde. Auch die Gründung der Mainzer „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“ nach dem Vorbild des Pariser und Straßburger Jakobinerklubs war im Wesentlichen sein Werk. Das zwanzigköpfige Gründungsgremium bestand vorwiegend aus Angehörigen der bürgerlichen Intelligenz. Schon nach wenigen Wochen überschritt die Mitgliederzahl die 500er Grenze. Die Mainzer Jakobiner, zu denen Persönlichkeiten wie der Naturforscher Georg Forster, der Mathematikprofessor Mathias Metternich, der Arzt Georg von Wedekind, der Theologe Felix Anton Blau und der Philosophieprofessor Anton Joseph Dorsch gehörten, bildeten den geistigen Mittelpunkt der revolutionären Bewegung am Rhein. Es folgten weitere Jakobinerclubs, wie etwa in Worms und Speyer. Trotz zahlreicher Bemühungen, wie der feierlichen Pflanzung von Freiheitsbäumen, der Veröffentlichung von Vorträgen über die Deklaration der Menschenrechte und der Errungenschaften der Revolution sowie der Herausgabe von „revolutionären“ Schriften und Zeitungen, war der Rückhalt bei der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem auf dem Lande, eher mäßig.

Mitbegründer der Mainzer Republik 1793

Enttäuscht über die Zurückhaltung der Bevölkerung drängte der Pariser Nationalkonvent in mehreren Dekreten von Dezember 1792 darauf, in den besetzten Gebieten die bisherige Feudalordnung zu beseitigen und im Zuge von Wahlen die revolutionäre Staatsverfassung Frankreichs einzuführen. So begannen schließlich am 24. Februar 1793 im linksrheinischen Gebiet die ersten Munizipalitäts- und Konventswahlen. Die Wahlbeteiligung war allerdings schwach. Viele Bürger hatten Angst vor Repressalien bei einer etwaigen Rückkehr der früheren Herrscher, die in das benachbarte Reichsgebiet geflohen waren, und weigerten sich, mit der Wahlabgabe zugleich auch den vorgeschriebenen Eid auf die Volkssouveränität, Freiheit und Gleichheit abzugeben. Hinzu kommt, dass sich die französischen Besatzungstruppen durch das Eintreiben hoher Kontributionen zunehmend unbeliebt gemacht hatten. Nachdem die Munizipalitäts- und Konventswahlen nach etlichem Hin und Her beendet waren, konstituierte sich am 17.März 1793 in Mainz der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent mit seinen 130 gewählten Abgeordneten, zu denen auch Boehmer mit weiteren führenden Jakobinern gehörte. Die Abgeordneten erklärten als erstes „das linksrheinische Gebiet zwischen Bingen und Landau ...zu einem freien, unzertrennlichen Staat, der gemeinschaftlichen, auf Freiheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht“ (die so genannte „Mainzer Republik“) und beschlossen die Loslösung vom deutschen Kaiser und dem Reichsgebiet. Wenig später stellten sie an den Pariser Nationalkonvent den Antrag, die neue Republik in den französischen Staatsverbund einzugliedern.

In preußischer Festungshaft 1793–1795

Die erste Republik auf deutschem Boden blieb jedoch eine Episode der Geschichte. Durch das Vorrücken der preußischen und österreichischen Armee im Rahmen der Belagerung von Mainz (1793) ging Ende Juli 1793 die Franzosenzeit zu Ende. Die Franzosen räumten hastig das Feld und überließen die „Revolutionäre“ ihrem Schicksal. Wer nicht fliehen konnte, wurde gefangen genommen, wobei manch einer von seinen eigenen Landsleuten als „Vaterlandsverräter“ übel misshandelt wurde. Die über 40 Mainzer Clubisten, zu denen unter anderem auch Boehmers Schwägerin Caroline Michaelis (1763–1809) zählte, wurden festgenommen und als Geisel zunächst für fast zwei Jahre auf die Festung Ehrenbreitstein und später auf der Zitadelle Petersberg bei Erfurt eingesperrt. Knapp ein halbes Jahr nach seiner Gefangenschaft schrieb er am 31. Dezember 1793 einen Bittbrief an den preußischen König Friedrich Wilhelm II. von Preußen und bat um seine Freilassung. In seinem Brief distanzierte sich Boehmer von der seit Mitte 1793 unter Maximilien de Robespierre (1758–1794) anhaltenden Schreckensherrschaft in Frankreich und schrieb, seine Überzeugung gestatte es ihm nicht mehr, in ein Land zu gehen, „wo Laster und Unglaube triumphieren und die heiligsten Menschenrechte mit Füßen getreten werden“. Sein Gesuch um Freilassung wurde abgelehnt.

Politische Aktivitäten in Paris ab 1795

Anfang 1795 wurde Boehmer schließlich aus der Haft in Petersberge entlassen. Inzwischen hatten sich die politischen Verhältnisse in Paris nach der Verhaftung und Hinrichtung Robespierres im Juli 1794 und der anschließenden Übernahme der Regierung durch das Direktorium wieder verbessert. Er beschloss, mit seiner Frau nach Paris zu flüchten und sich dort für eine erneute Besetzung und Annektierung der linksrheinischen Gebiete durch Frankreich einzusetzen. Daher schrieb er am 2.Juni 1795 einen Bittbrief an das Pariser Comité de Secours Public und bat unter Hinweis auf seine republikanische Gesinnung und seine wichtige Rolle bei der Besetzung des linksrheinischen Gebiets durch französische Truppen im Jahre 1792 um finanzielle Unterstützung. Diese wurde ihm gewährt. Boehmer lebte von da an in Paris, hielt diesbezüglich am 12. Oktober 1795 in Paris vor dem Konvent eine flammende Ansprache und veröffentlichte ein Jahr später unter dem Titel „La rive gauche du Rhin, limite de la république francaise“ eine Sammlung von französischen Texten zur Annexion des linksrheinischen Gebiets an Frankreich. Zusammen mit weiteren Mainzer Emigranten wie Anton Joseph Dorsch und Felix Anton Blau gab er die deutschsprachige Zeitung „Pariser Zuschauer“ heraus, die als offizielles deutschsprachiges Organ des Direktoriums anzusehen ist und für die Bewohner der an Frankreich grenzenden deutschsprachigen Gebiete gedacht war. Boehmer diente mehrere Jahre in verschiedenen Ämtern unter dem Pariser Direktorium und unter Napoléon Bonaparte (1769–1821), bis ihn 1807 die Errichtung des Königreichs Westphalen unter Jerome Bonaparte (1784–1860), dem Bruder Napoleons, wieder in die Heimat zurückführte. Er wurde Friedensrichter in Schlanstedt bei Oschersleben und Generalkommissar der höheren Polizei im Harz- und Leinedepartement. Dabei wirkte er an der Einführung der „Neuen Westfälischen Kriminalverfassung“ mit, die unter anderem die Tortur endgültig abschaffte.

Nach der Auflösung des Königreiches Westfalen im Jahre 1813 wurde Johann Georg Wilhelm Boehmer von der Universität Göttingen zunächst mit der Aufstellung eines juristischen Katalogs für die dortige Bibliothek betraut und anschließend im Jahr 1816 als Privatdozent übernommen. In dieser Zeit entstanden noch seine größeren Werke wie die „Litteratur des Criminalrechts" und „Über die authentischen Ausgaben der Carolina“ sowie mehrere kleinere Schriften, in denen er aber weiterhin, sich selbst treu bleibend, seine reformerischen Gedanken niederschreibt.

Familie

Johann Georg Wilhelm Boehmer, Sohn von Georg Ludwig Boehmer (1715–1797) und Henriette Elisabeth Philippine Mejer (1734–1796) und Enkel von Justus Henning Boehmer, war zunächst verheiratet mit Juliane von Mußig. Diese Ehe blieb kinderlos. Schließlich heirate er Valentina Veronica von Benzrath aus Trier, mit der er zwei Kinder hatte. Später folgte noch die Ehe mit Charlotte Bacmeister, die aber ebenfalls wieder kinderlos blieb.

Werke (Auswahl)

  • La rive gauche du Rhin, limite de la république francaise, Paris, 1796
  • Litteratur des Criminalrechts, Göttingen, 1816
  • Über die authentischen Ausgaben der Carolina, Göttingen, 1818

Literatur und Quellen

  • Leser: Boehmer, Georg Wilhelm. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 3, Duncker & Humblot, Leipzig 1876, S. 75 f.
  • Johann Georg Wilhelm Boehmer in Deutsche Nationalbibliothek: [1]
  • Johann Georg Wilhelm Boehmer in Library of Congress: [2], [3], [4]
  • Erwähnung des Johann Georg Wilhelm Böhmer im Brockhaus: [5]
  • Johann Stephan Pütter: Gelehrten-Geschichte der Universität Göttingen, Bd. II, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1788
  • Magazin für das Kirchenrecht, die Kirchen- und Gelehrtengeschichte: [6]
  • Franz Dumont: Deutsche Jakobiner, Mainzer Republik und Cisrhenanen 1792-1798,Band 1, S.25-36,57-62, Bundesarchiv und Stadt Mainz (Hrsg.),Mainz 1981
  • Franz Dumont: Die Mainzer Republik 1792/93. Studien zur Revolutionierung in Rheinhessen und der Pfalz, in: Schriftenreihe Alzeyer Geschichtsblätter, Sonderheft 9, erweiterte Auflage, Alzey 1993
  • Franz Dumont: Liberté und Libertät. Dokumente dt-frz.Beziehungenim Jahre 1792/93, in: Francia, Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, Band 6, München 1978
  • Landtag Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Die Mainzer Republik. Der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent, Mainz, 1993.
  • Heinrich Scheel: Die Mainzer Republik, Bd. 1-3, Berlin, 1981-1989
  • Bericht über Boehmers Tätigkeit als Mainzer Klubist: [7]
  • Hans-Thorald Michaelis: „Geschichte der Familie von Boehmer - In Fortführung der von Hugo Erich von Boehmer im Jahre 1892 verfassten Genealogie der von Justus Henning Boehmer abstammenden Familien sowie auch einiger der mit ihnen verschwägerten Familien.“ Rheinische Verlagsanstalt, Bonn-Bad Godesberg (1978); 247 Seiten; Privat-Archiv und in Library of Congress: [8]

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