Judenwohnung

Judenwohnung

Der Begriff Judenhaus wurde im nationalsozialistischen Deutschen Reich im Alltags- und Behördengebrauch für Wohnhäuser aus (ehemals) jüdischem Eigentum verwendet, in die ausschließlich jüdische Mieter und Untermieter eingewiesen wurden.[1] Wer als Jude galt, bestimmte sich dabei durch § 5 der „Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 14. November 1935.

Diese Vorform einer innerstädtischen Ghettoisierung erleichterte die Kontrolle der jüdischen Bewohner und unterband gewachsene nachbarschaftliche Beziehungen.

Inhaltsverzeichnis

Lockerung des Mieterschutzes

Die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938 verpflichtete jüdische Hauseigentümer, ihre Immobilien zu verkaufen. Einige Gebäude aus ehemals jüdischem Eigentum wurden von der Sicherheitspolizei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland überlassen, die dann auch die Verwaltung dieser Gebäude übernahm.

Das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 lockerte den Mieterschutz für Juden. Eine vertragliche vereinbarte langfristige Mietdauer mit jüdischen Mietern konnte vom „deutschblütigen“ Vermieter auf die gesetzlichen Fristen reduziert werden. In juristischen Kommentaren zum „Wohnungssonderrecht für Juden“ hieß es zur Begründung: „Es widerspricht nationalsozialistischem Rechtsempfinden, wenn deutsche Volksgenossen in einem Hause mit Juden zusammenleben müssen.“[2] Jüdische Mieter konnten angewiesen werden, weitere Juden als Untermieter in ihre Wohnung aufzunehmen. Den Mietvertrag sowie die Höhe der Miete konnte die Gemeindebehörde bestimmen.

Schon im Vorgriff hatte eine „Verordnung über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin und der Hauptstadt der Bewegung München vom 8. Februar 1939“ eine Meldepflicht für freiwerdende jüdische Wohnungen in Berlin und München eingeführt; diese sollten als Ersatzwohnraum für „deutschblütige Mieter“ dienen.[3] Als die Konzentrationsbestrebungen in den Großstädten Berlin, München und Wien nicht den gewünschten Erfolg zeigten, wurde der Mieterschutz am 10. September 1940 dort auch für jüdische Mieter und Untermieter eingeschränkt, falls das Gebäude an einen „arischen“ Eigentümer übergegangen war oder von der Kultusgemeinde oder der „Reichsvereinigung“ verwaltet wurde[4]

Einweisung und Wohnsituation

Meist wurden die Juden auf Anweisung der Gestapo von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland in „Judenhäuser“ eingewiesen und dort sehr beengt untergebracht.

Neben ideologischen Gründen bestimmten auch handfeste materielle Interessen diese Maßnahme. Die allgemeine Wohnungsnot in Großstädten verschärfte sich laufend durch Luftangriffe. In Hamburg waren bis Ende 1941 schon über 1.000 Wohnungen durch Bomben zerstört worden. In einer vertraulichen Niederschrift hieß es:

„Der ursprüngliche Plan, die Juden an mehreren Stellen im Stadtgebiet zusammenzuziehen, ist aufgegeben worden. Nunmehr hat der Führer auf Antrag des Reichsstatthalters entschieden, dass die hier wohnenden Juden bis auf ganz Alte und Sieche nach Osten evakuiert werden sollen. [...] Gerechnet wird [alsbald] mit einem Zugang von ca. 1.000 freien Wohnungen auf Grund dieser Maßnahme.“[5]

Seit April 1942 wurden in Hamburg die Träger von „Judensternen“ zwangsweise in Judenhäuser eingewiesen; betroffen waren davon ab Herbst 1942 auch die Partner aus „nichtprivilegierten Mischehen“. Ab 1943 mussten in einigen Reichsgauen auch Partner aus „privilegierten Mischehen“ in Judenhäuser umziehen.[6]

In Hamburg wurden pro Person sechs bis acht Quadratmeter Wohnfläche zugestanden. Victor Klemperer notierte über ein Dresdner Judenhaus: „Cohns, Stühlers, wir. Badezimmer und Klo gemeinsam. Küche gemeinsam mit Stühlers, nur halb getrennt - eine Wasserstelle für alle drei […] Es ist schon halb Barackenleben, man stolpert übereinander, durcheinander.“  [7]

Die Judenhäuser waren gekennzeichnet und standen unter Kontrolle der Gestapo.[8] Klemperer schreibt in seinen Tagebüchern mehrfach über ihm berichtete wie auch selbst erlebte „Haussuchungspogrome“, bei denen die Bewohner von Gestapobeamten beleidigt, bespuckt, geohrfeigt, getreten, geschlagen und bestohlen wurden. „Im Aufwachen: Werden 'sie' heute kommen? Beim Waschen…: Wohin mit der Seife, wenn 'sie' jetzt kommen? Dann Frühstück: alles aus dem Versteck holen, in das Versteck zurücktragen. […] Dann das Klingeln… Ist es die Briefträgerin, oder sind 'sie' es?“  [9]

Planungen für Berlin

Ab Januar 1941 und verstärkt ab Ende März 1941 mussten in Berlin zahlreiche Juden ihre Wohnungen verlassen, um Platz zu schaffen oder Ersatzwohnraum freizugeben, weil die Reichshauptstadt nach Plänen von Generalbauinspektor Albert Speer zur Welthauptstadt Germania umgestaltet werden sollte. Allein im August 1941 sollten über 5.000 „jüdische Wohnungen“ geräumt werden.[10]

Nicht realisiert wurden Pläne, die im Zusammenhang mit der Einführung des Judensterns im Reichspropagandaministerium im August 1941 besprochen wurden. Danach sollten mehr als 70.000 Berliner Juden aus ihren Wohnungen vertrieben und in Barackenlagern konzentriert werden.[11] Da im Herbst 1941 die Deportationen reichsdeutscher Juden nach Litzmannstadt (Łódź), Minsk und Riga einsetzten, blieb es bei zahlreichen Zwangsräumungen und Wohnungszusammenlegungen.

Sogenannte Sammelwohnungen in Wien

Am Beispiel des gesamten Wohnhauses und speziell der Wohnung von Sigmund Freud in der Berggasse 19 in Wien wurde das System der Arisierung von Wohnungseigentum umfassend erforscht und dargestellt. [12] [13]

Fußnoten

  1. Angelika Schwarz: Von den Wohnstiften zu den "Judenhäusern". In: A. Ebbinghaus/K. Linne (Hrsg.): Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im "Dritten Reich". Hamburg 1997, ISBN 3-434-52006-6, S. 246.
  2. nach Angela Schwarz: Von den Wohnstiften zu den ‚Judenhäusern’. S. 238
  3. Verordnung über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin und der Hauptstadt der Bewegung München vom 8. Februar 1939 (RGBl I 159); http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=19390007&zoom=2&seite=00000159&x=13&y=8
  4. Wolf Gruner: Judenverfolgung in Berlin 1933-1945. Eine Chronologie der Behördenmaßnahmen in der Reichshauptstadt. Berlin 1996, ISBN 3-89468-238-8, S. 66 bzw. 75.
  5. Zitat bei Ina Lorenz: Das Leben der Hamburger Juden im Zeichen der „Endlösung“. In: Saskia Rohde: Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus. Hamburg 1992, ISBN 3-7672-1173-4. S. 214f / tatsächlich wurden bis Juli 1942 1.900 Wohnungen frei
  6. Deutsch-jüdische-Gesellschaft Hamburg (Hrsg.): Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten in den Stadtteilen Eimsbüttel/Rotherbaum. Hamburg 1985, S. 140
  7. Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942 - 1945. Berlin 1995, ISBN 3-351-02340-5, S. 459 / 14. Dezember 1943.
  8. Beate Meyer: Glossar. In: Ulrike Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. LzfpB Hamburg 2008, ISBN 978-3-929728-16-3, S.290
  9. Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen ... Tagebücher 1942 - 1945. ISBN 3-351-02340-5, S. 215 (20. 8. 1942) / s. a. S. 92-98 und 119-124.
  10. Wolf Gruner: Judenverfolgung in Berlin 1933-1945... Berlin 1996, ISBN 3-89468-238-8, S. 79 / genauer bei Susanne Willems: Der entsiedelte Jude. Berlin 2002, ISBN 3-89468-259-0, S. 374.
  11. Wolf Gruner: Terra incognita? Die Lager für den jüdischen Arbeitseinsatz (1938-1942)... In: Ursula Büttner (Hrsg.): Die Deutschen und die Judenverfolgung im Dritten Reich. Frankfurt/M 2003, ISBN 3-596-15896-6, S. 175.
  12. Onlineauftritt freud museum wien Ausstellung 2003 Freuds verschwundene Nachbarn
  13. Onlineauftritt judentum.net Ausstellung 2003 Freuds verschwundene Nachbarn', mit Fotos

Literatur

  • Susanne Willems: Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau. Berlin: Edition Hentrich 2002, ISBN 3894682590
  • Karin Guth: Bornstraße 22. Ein Erinnerungsbuch. Hamburg 2001, ISBN 3-935549-06-7

Weblinks


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