Jüdisches Museum Hohenems

Jüdisches Museum Hohenems
Jüdisches Museum in Hohenems
Schrägansicht der Hausfassade

Das Jüdische Museum Hohenems (Kürzel JMH) ist das regionale Museum für die Tradition der landjüdischen Gemeinde Hohenems und deren vielfältige Beiträge zur Entwicklung Vorarlbergs und der umliegenden Regionen (bis Bregenz und St. Gallen). Darüber hinaus besitzt es inzwischen mit seiner Tätigkeit internationale Ausstrahlung. Es beschäftigt sich auch mit jüdischer Gegenwart in Europa, der Diaspora und Israel und mit Fragen der Zukunft der europäischen Einwanderungsgesellschaft.

Das Ende der jüdischen Gemeinde von Hohenems, der regionalen NS-Geschichte, Vertreibung und Deportation der letzten Gemeindemitglieder, Antisemitismus in Österreich und die Shoa / der Holocaust stellen einen Schwerpunkt dar. Außer der regionalen und globalen Geschichte widmet es sich den Menschen und ihren Geschichten und pflegt Beziehungen zu den Nachkommen jüdischer Familien aus Hohenems in aller Welt.

Die Dauerausstellung in der 1864 erbauten Villa Heimann-Rosenthal [Anm. 1] dokumentiert die Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenems, die über drei Jahrhunderte, bis zu ihrer Vernichtung in der NS-Zeit, existierte. Das Museum bietet jährliche Wechselausstellungen und ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm.

Da in Hohenems keine jüdische Gemeinde mehr besteht, kein jüdisches Leben mehr stattfindet, muss die Vermittlung und Kommunikation des Museums weitgehend durch nichtjüdische Personen gemacht werden.[1]

Inhaltsverzeichnis

Das Museum

Das Jüdische Museum Hohenems wurde im April 1991 in der Villa Heimann-Rosenthal im Zentrum des ehemaligen jüdischen Viertels eröffnet. Das Museum thematisiert keine allgemeine Geschichte des Judentums, sondern stellt in erster Linie die lokalen und regionalen Verhältnisse dar. Die wenigen Objekte, die noch von der jüdischen Gemeinde Hohenems erhalten geblieben sind, zeugen auch von der Tilgung dieser jüdischen Spuren in Vorarlberg. Die deshalb überwiegend zweidimensionalen Exponate sind durch ein komplexes, mehrschichtiges System von Darstellung, Übersetzung und Einordnung dem Museumsbesucher zugänglich gemacht. Ergänzend werden andere Medien wie Videos, akustische Installationen und Dias eingesetzt.

Thematisch und zeitlich spannt das Museum einen Bogen von der unsicheren Existenz der Schutzjuden des 17. Jahrhunderts über das religiöse Leben in Synagoge und Alltag, jüdisch-christliches Zusammenleben, die Periode des kulturellen und politischen Aufbruchs in der liberalen Ära der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zu Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus. Ein Kapitel über die jüdischen Flüchtlinge in der Nachkriegszeit schließt die Darstellung des wechselhaften Zusammenlebens von Mehrheit und Minderheit ab.

Architektonisch ist die Villa Heimann-Rosenthal vom privaten Wohnhaus funktionell und semantisch zum öffentlichen Museum umgedeutet worden. Gleichzeitig hat das Haus jedoch die durch seine Geschichte bedingte Eigenschaft als Exponat bewahrt.

Entstehungsgeschichte

Als die Stadt Hohenems die von einer Fabrikantenfamilie erbaute Villa Heimann-Rosenthal 1983 erwarb und nach einer Nutzung für das Gebäude suchte, wurde bald die Möglichkeit eines jüdischen Museums diskutiert. Kulturpolitisch engagierte Bürger um Bürgermeister Otto Amann gründeten 1986 den 'Verein Jüdisches Museum Hohenems', um eine solche Institution einrichten zu können und damit die Möglichkeit zu bieten, jüdische Geschichte, Kult- und Kulturleben kennenzulernen. Otto Amann wurde auch zum ersten Präsidenten des Vereins gewählt.

1989 wurde der Historiker Kurt Greussing beauftragt, ein Museumskonzept zu erarbeiten, das die Geschichte der Juden in Vorarlberg unter der Perspektive des Verhältnisses zwischen Minderheit und Mehrheit veranschaulicht und dem Museumsbenutzer zugänglich macht. Ein Projektteam bestehend aus Bernhard Purin, Eva Grabherr und Sabine Fuchs hat dieses Konzept in knapp einem Jahr umgesetzt. Gemeinsam mit den Architekten (Elsa Prochazka und Mitarbeiter, Wien) und Grafikern (A&H Haller, Wien) wurde das Museum als „begehbares Buch“ konzipiert.

Bewusst wurde auf den Ankauf von Judaika verzichtet. Die wenigen Objekte, die noch von der jüdischen Gemeinde Hohenems erhalten geblieben sind, zeugen auch von der Tilgung dieser jüdischen Spuren in Vorarlberg. Die deshalb überwiegend zweidimensionalen Exponate sind durch ein komplexes, mehrschichtiges System von Darstellung, Übersetzung und Einordnung dem Museumsbesucher zugänglich gemacht. Ergänzend werden andere Medien wie Video, akustische Installation und Dias eingesetzt: Ein Sprachlabor stellt die auch in Vorarlberg gesprochene jiddische Sprache vor. Ein Raum ist der Musik des Hohenemsers Salomon Sulzer (1804-1890, Kantor), eines Erneuerers der Synagogenmusik, gewidmet. Im Dachgeschoss erzählen Zeitzeugen von ihren Erinnerungen an das jüdische Hohenems.

Die Dauerausstellung wurde 2007 gemeinsam mit den Architekten Erich Steinmayr und Friedrich Mascher, dem Designbüro stecher id und dem Ausstellungskurator Hannes Sulzenbacher neu konzipiert und gestaltet. Dabei wurden die Ausstellungsräume mit einer flexibel bespielbaren gläsernen Außenhülle umgeben in der die Geschichte der Hohenemser Juden nun auch mit Blick auf Migration und Diaspora erzählt wird. Fragen jüdischer Religion, unterschiedliche Deutungen von Gesetzen und Festen werden nun in der Darstellung zyklischer Zeit der historischen Zeit gegenübergestellt und damit neu kontextuiert: als Ressource, aber auch als Konfliktstoff im Spannungsfeld zwischen Alltag, individuellem Leben und Tradition. Auch den Geschehnissen im 20. Jahrhundert wurde dabei mehr Raum gegeben werden, etwa durch Videoinstallationen über Hohenems als Station auf der Flucht zwischen 1938 und 1945. Um den internationalen Charakter des Museums zu verdeutlichen, wurde ein mehrsprachiges Audiosystem in die Ausstellung integriert. Schließlich wird die neue Ausstellung auch von einer Kinderausstellung begleitet, welche durch kleine Erzählungen und Schattenbilder jungen Menschen die Geschichte der Juden von Hohenems ein Stück näher bringt.

Jüdisches Hohenems

Siehe Hauptartikel: Jüdisches Leben in Hohenems

Jüdische Geschichte beginnt in Hohenems 1617 mit der Ansiedlung der ersten Juden durch die örtliche Reichsgrafenfamilie (Schutzbrief) und endete 1942 mit den Deportationen ins Konzentrationslager Theresienstadt. Zusammen mit der ehemaligen Christengasse (heute Marktstraße) bildet das ehemalige jüdische Viertel den Kern des historischen Hohenems. Heute sind im Ort viele Spuren der jüdischen Geschichte lesbar gemacht worden, aber es gibt hier keine Jüdische Gemeinde mehr. Neben Synagoge, Schul, Armenhaus und Mikwe war ein 1797 gegründetes Café, das „Kaffeehaus Kitzinger“, bemerkenswert. Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde kontinuierlich; nach der Liberalisierung durch das Staatsgrundgesetz von 1867 folgte eine starke Abwanderung in umliegende, auch schweizerische, Städte. 1935 zählte die jüdische Gemeinde noch 35 Mitglieder. Nach Kriegsende wurden 1945 jüdische Displaced Persons (DPs) vorübergehend untergebracht. Der Jüdische Friedhof wird gelegentlich noch als Beerdigungsstätte genutzt. Aber von den ehemaligen Gemeindemitgliedern kehrte niemand zum Hierwohnen zurück.

Nachkommen

Das Jüdische Museum Hohenems hält Kontakt zu Nachkommen der Hohenemser Juden in aller Welt. Dieses Netzwerk ist auch für die Nachkommen selbst eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das Museum unterstützt sie bei der Kommunikation untereinander und bei genealogischen Recherchen. Nicht zuletzt seit dem Nachkommentreffen 1998 mit mehr als 160 Teilnehmern bereichert die Kommunikation mit diesen Menschen die Programm- und Ausstellungstätigkeit. So ist das Jüdische Museum Fokus und Schaltstelle einer „virtual community“, die jüdische Geschichte und jüdisches Leben heute miteinander produktiv verbindet. Sie finden hier unter anderem Informationen über die Aktivitäten der American Friends of the Jewish Museum of Hohenems und über die jüdischen Familien von Hohenems.

Publikationen

Das Jüdische Museum Hohenems publiziert Kataloge, Sammelbände und Monographien zu unterschiedlichen Aspekten Jüdischer Kultur, Geschichte und Gegenwart. Ausgangspunkt ist dabei sowohl der exemplarische Fokus der Hohenemser Jüdischen Gemeinde und ihr Fortleben in den Nachkommen der Hohenemser Jüdischen Familien, wie auch die breitgefächerte Ausstellungs- und Programmarbeit des Museums, die von der Geschichte der Juden im Bodenseeraum bis zu Fragen Jüdischer Gegenwart in Europa, im Kontext moderner Einwanderungsgesellschaften reicht.

  • Rosie und der Urgroßvater. Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Illustrationen von Barbara Steinitz. Hanser Verlag, 2010, ISBN 978-3-446-23587-8
  • Hast du meine Alpen gesehen? Eine jüdische Beziehungsgeschichte. Hanno Loewy und Gerhard Milchram (Hg.). Bucher Verlag, 2009, ISBN 978-3-902679-41-3
  • Hier. Gedächtnisorte in Vorarlberg. Hanno Loewy (Hg.). Bucher Verlag, 2008, ISBN 978-3-902679-04-8
  • Heimat Diaspora. Das Jüdische Museum Hohenems. Hanno Loewy (Hg.), Beiträge von Hannes Sulzenbacher, Isolde Charim, Eva Grabherr, Kurt Greussing, Michael Guggenheimer, Felix Jaffé, Luisa Jaffé de Winne, Michael Köhlmeier, Yves Kugelmann, Sabine Offe, Zafer Senocak, Vladimir Vertlib, Monika Helfer und Barbara Steinitz. Bucher Verlag, 2008, ISBN 978-3-902612-68-7
  • At Home: Diaspora. The Jewish Museum Hohenems. Hanno Loewy (Ed.), with esays by Hannes Sulzenbacher, Isolde Charim, Eva Grabherr, Kurt Greussing, Michael Guggenheimer, Felix Jaffé, Luisa Jaffé de Winne, Michael Köhlmeier, Yves Kugelmann, Sabine Offe, Zafer Senocak, Vladimir Vertlib, Monika Helfer and Barbara Steinitz. Bucher Verlag, 2008, ISBN 978-3-902612-69-4
  • Antijüdischer Nippes und populäre "Judenbilder". Die Sammlung Finkelstein. Falk Wiesemann, Klartext Verlag, 2005, zahlr. farb. Abbild., € 29,90, ISBN 3-89861-502-2
  • Gerüchte über die Juden. Antisemitismus, Philosemitismus und aktuelle Verschwörungstheorien. Hanno Loewy (Hg.), Essays von Richard Bartholomew, Dan Diner, Werner Dreier, Monique Eckmann, Bernd Fechler, Holger Gehle, Kurt Greussing, Ruth Gruber, Thomas Haury, Yves Kugelmann, Hanno Loewy, Astrid Messerschmidt, Zafer Senocak, Frank Stern, Juliane Wetzel, Moshe Zuckermann. Klartext Verlag, 2005, ISBN 3-89861-501-4
  • Shlock Shop. Die wunderbare Welt des jüdischen Kitschs Hanno Loewy/Michael Wuliger, herausgegeben vom Jüdischen Museum Hohenems, Hämmerle Verlag (A), ISBN 3-902249-87-0, Mosse Verlag (D), ISBN 3-935097-05-0,
  • Kantormania CD mit 18 Liedern, Beiträge von Shmuel Barzilai (Schma Israel), Yossle Rosenblatt (Kol Nidre), Joseph Schmidt (Hoch erhaben/Ein Kamocha), Al Jolson (Kol Nidre), Marzel Lang (Kiddush/Kurt Weil), Jalda Rebling (Baruch ha-Gever) u.a.,
  • wohl eine Illusion“? Geschichte und Gegenwart der Hohenemser Synagoge Jüdisches Museum, 2004, 192 S., Der reich bebilderte Band enthält Beiträge zur Geschichte und Architektur des Gebäudes, darunter auch künstlerische Reflexionen. Eine exemplarische Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Erinnerung und jüdischem Erbe in Mitteleuropa.
  • So einfach war das. Jüdische Kindheiten und Jugend seit 1945 in Österreich, der Schweiz und Deutschland. ISBN 3-8321-7818-x,
  • ...eine ganz kleine jüdische Gemeinde, die nur von den Erinnerungen lebt! Juden in Hohenems. Katalog des Jüdischen Museums Hohenems, 1996, 270 Seiten,
  • Jews in Hohenems. Catalogue of the Jewish Museum Hohenems with all the texts of the permanent exhibition. Hohenems 1996, 85 pages, brochure, english.
  • Texte im Museum. Jüdisches Museum Hohenems, Hohenems 1991. [2]

Weblinks

 Commons: Jüdisches Museum Hohenems – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. erinnern.at Bruno Winkler: Kommunikation an einem Erinnerungsort. Vermittlungsarbeit im Jüdischen Museum Hohenems.
  2. Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund. (ISBN ungültig).

Anmerkungen

  1. Die Familie Rosenthal, die 1841 die Baumwollfabrik in Hohenems-Schwefel erwarb, war die wohlhabendste jüdische Familie im Hohenems des 19. Jahrhunderts. 1864 ließ der Fabrikant Anton Rosenthal (1840–1912) die historistische Villa erbauen. Der Plan dazu stammt vermutlich von dem St. Galler Architekten Felix Wilhelm Kubly (1802–1872), der zur gleichen Zeit den Umbau der Hohenemser Synagoge plante. Original erhalten ist die Möblierung des Salons, der als zentraler Wohnraum der großbürgerlichen Fabrikantenfamilie Rosenthal besonders kostbar ausgestattet wurde. Die Möbel sind nach Fertigstellung der Villa, möglicherweise um 1880, im Stil der Neorenaissance gearbeitet und unterscheiden sich von der Massenproduktion der Gründerzeit durch ihre handwerklich gekonnte Ausführung. – Die Villa Heimann-Rosenthal und ihr Salon. In: Texte im Museum, s.p.
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