Karl Binding

Karl Binding

Karl Lorenz Binding (* 4. Juni 1841 in Frankfurt am Main; † 7. April 1920 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Rechtslehrer (Hauptarbeitsgebiet: Strafrecht).

Karl Binding

Inhaltsverzeichnis

Leben

Binding entstammte aus einer alten Frankfurter Bierbrauerfamilie. Sein Vater Georg Christoph Binding (1807–77) war Appellationsgerichtsrat und ordentlicher Professor in Basel. Karl Binding studierte 1860–1863 in Göttingen Rechtswissenschaft und Geschichte. Er wurde 1863 promoviert. Nach seiner Habilitation 1864 in Heidelberg war er Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Staatsrecht in Basel (1865), Freiburg im Breisgau (1870), Straßburg (1872) und von 1873 bis 1913 in Leipzig. In den akademischen Jahren 1892/93 und 1908/09 war er Rektor der Universität Leipzig. Die Stadt Leipzig ernannte ihn 1909 in seiner Funktion als Rektor des Universitätsjubiläums in Wertschätzung für die Universität zum Ehrenbürger. Die Ehrenbürgerwürde wurde ihm 2010 wegen seines für die nationalsozialistische Euthanasie maßgeblichen Werkes Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form vom Leipziger Stadtrat aberkannt. Die Turnerschaft im Vertreter-Convent Istaevonia ernannte ihn zum Ehrenmitglied. Binding wurde 1920 auf dem Hauptfriedhof Freiburg im Breisgau bestattet.

Ruhestätte Bindings auf dem Hauptfriedhof Freiburg im Breisgau

Bindings Sohn Rudolf G. Binding war ein bekannter Schriftsteller.

Werk

Nach Binding sind es nicht die Strafgesetze, die von Verbrechern verletzt werden (im Gegenteil: ihre Handlungen erfüllen ja gerade die Tatbestandsmerkmale), sondern die - dem öffentlichen Recht angehörenden, von Strafgesetzen fundamental verschiedenen - „Normen“. Die Strafgesetze erlauben es aber immerhin, die Normen, die ihnen zugrunde liegen, zu erkennen (gedankliche Umwandlung in einen Befehl).

Bindings Normentheorie sieht das Wesen des Verbrechens in der Verletzung des staatlichen Anspruchs auf Gehorsam gegenüber den Normen als Sonderform des Do ut des. Da der Staat den Einzelnen durch die Rechtsordnung vor der Verletzung seiner Rechte schützt, kann der Staat vom Bürger auch die Respektierung der Rechtsordnung verlangen. Wer ein Verbrechen begeht, verletzt die entsprechende Norm und gefährdet die Autorität des Gesetzes. Da es Binding vor allem auf die Respektierung der Rechtsordnung ankam, bestand für ihn ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Auflehnung gegen das Recht. Eine Vorsatzstrafe sollte im Gegensatz zur Rechtsprechung nur dann greifen, wenn der Täter das Unrecht seiner Tat erkannt hatte (sog. Vorsatztheorie).

Um die Autorität des Gesetzes zu bewahren, bedarf es nach Binding der Strafe (= vom Staat erzwungene Einbuße des Täters an Rechten oder Rechtsgütern). Die Strafe und der Strafvollzug dienen nicht der Resozialisierung o.ä., sondern allein der „Unterwerfung des Verbrechers“ unter die siegreiche Gewalt des Rechts. Wie und wozu die Strafe ansonsten vollzogen wird, interessiert Binding darüber hinaus allenfalls am Rande. Das bringt Binding in Konflikt mit der modernen oder soziologischen Schule der Strafrechtswissenschaft um Franz von Liszt und dessen Konzept der „Zweckstrafe“.

In einem anderen Licht erscheint Binding wegen des gemeinsam mit Alfred Hoche verfassten Werks Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens: Darin sprechen sich die Autoren dafür aus, die Tötung unrettbar Todkranker und unheilbar Verblödeter – von Hoche so genannte „geistig Tote“, die nicht in der Lage seien, einen Willen zu bilden oder auch nur Gefühlsbeziehungen zur Umwelt aufzunehmen, die also „Vollidioten“ im psychiatrischen Sinne seien – nach Mass und Form zur Vernichtung freizugeben.[1] Der Unwert eines Lebens kann sich nach Binding und Hoche dementsprechend nur daraus ergeben, dass es sowohl „für die Lebensträger wie für die Gesellschaft“ keinen Wert hat. Die Mehrzahl der „Ballastexistenzen“, die gesellschaftlich ohne Nutzen seien, komme für die vorgeschlagene „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nicht in Betracht, so Hoche abschließend.

Quellen

  1. Wolfgang Naucke, Einführung zu "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens"

Werke

  • Die Normen und ihre Übertretung, vier Bände (1872 bis 1920)
  • Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts, bes. Teil, zwei Bände (1902 bis 1905)
  • Die Schuld im deutschen Strafrecht (1919).
  • Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form, zusammen mit Alfred Hoche postum 1920
  • Der Versuch der Reichsgründung durch die Paulskirche, Nachdruck, Schutterwald/Baden 1998

Literatur

  • Armin Kaufmann: Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie. Schwartz 1954
  • F. Limacher (Bern): Die Vernichtung lebensunwerten Lebens. in Zs. Internationales Ärztliches Bulletin, Dezember 1934, Nummer 12, Prag. S. 181-183 (zusammenfassende Rezension)
    • wieder in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik. Band 7: "Internationales Ärztliches Bulletin, Jahrgang 1 - 6, 1934-1939. Reprint." Rotbuch, Berlin 1989
    • weiterer Reprint: Götz Aly & Matthias Hamann & Jochen August & Peter Chroust & Klaus Dörner, Hgg.; im Mabuse-Verlag, Frankfurt 2009 ISBN 3940529745
  • Ortrun Riha (Hrsg.): Die Freigabe der "Vernichtung lebensunwerten Lebens." Beiträge des Symposiums über Karl Binding und Alfred Hoche am 2. Dezember 2004 in Leipzig. Shaker, Aachen 2005
  • Jan Schröder, Karl Binding (1840-1920), In: Gerd Kleinheyer, Jan Schröder (Hrsg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 5. Aufl., Heidelberg u.a. 2008, S. 62-66.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Karl Binding — Karl Ludwig Lorenz Binding (April 6 1841 April 7 1920) was a German jurist known as a promoter of the theory of retributive justice. His influential book, Die Freigabe der Vernichtung Lebensunwertem Lebens ( Allowing the Destruction of Life… …   Wikipedia

  • Sophie und Karl Binding Stiftung — Die Sophie und Karl Binding Stiftung mit Sitz in Basel/Schweiz ist eine gemeinnützige Stiftung, die in der ganzen Schweiz Projekte aus den Bereichen Umwelt, Soziales, Bildung und Kultur unterstützt. Logo der Sophie und Karl Binding Stiftung… …   Deutsch Wikipedia

  • Binding — bezeichnet: Binding Preis für Natur und Umweltschutz, liechtensteinischer Preis für Natur und Umweltschutz Sophie und Karl Binding Stiftung, gemeinnützige Stiftung in Basel/Schweiz Binding Waldpreis, Preis für nachhaltige Waldwirtschaft in der… …   Deutsch Wikipedia

  • Binding — may refer to: * Ski binding, a device for connecting a foot to a ski * Snowboard binding, a device for connecting a foot to a snowboard * Bookbinding, the protective cover of a book and the art of constructing this * Binding (computer science), a …   Wikipedia

  • Binding Waldpreis — Der Binding Waldpreis (franz. Prix Binding pour la forêt, ital. Premio Binding per il bosco) der Sophie und Karl Binding Stiftung wurde 1987 ins Leben gerufen und wird jährlich an einen Schweizer Waldeigentümer vergeben, der sich für die… …   Deutsch Wikipedia

  • Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz — Der Binding Preis für Natur und Umweltschutz wird für besonderes Engagement für Natur und Umweltschutz vergeben, er wird jährlich in Vaduz an mehrere Preisträger verliehen. Der Preis wurde von Sophie und Dr. Karl Binding initiiert, die in zwei… …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Gustav Vollmoeller — Karl Vollmoeller (eigentlich Karl Gustav Vollmöller; * 7. Mai 1878 in Stuttgart; † 18. Oktober 1948 in Los Angeles) war ein deutscher Archäologe, Philologe, Lyriker, Dramatiker, Schriftsteller, Drehbuchautor, Übersetzer, Pionier des Automobilbaus …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Otto Götz — (* 22. Februar 1914 in Aachen), bekannt als K. O. Götz, ist ein Hauptvertreter der abstrakten Kunst und des Informel in Deutschland und ein Lyriker des Surrealismus. Er lebt und arbeitet in Niederbreitbach Wolfenacker. Inhaltsverzeichnis 1… …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Llewellyn — Karl N. Llewellyn (1893–1962) was a prominent American jurisprudential scholar associated with the school of legal realism.BiographyHe was born in Seattle but grew up in Brooklyn. He attended Yale College and Yale Law School, where he served as… …   Wikipedia

  • Karl Dietrich Wolff — Karl Dietrich Wolff, häufig KD Wolff, (* 27. Februar 1943 in Marburg) ist ein deutscher Verleger. Nach seinem Engagement als SDS Vorsitzender in der 68er Bewegung machte er sich als Verleger von historisch kritischen Editionen der Gesamtwerke von …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”