- Kernkraftwerk Tschernobyl
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Kernkraftwerk Tschernobyl Das Kernkraftwerk Tschernobyl, aufgenommen von Prypjat aus Lage Koordinaten 51° 23′ 23,2″ N, 30° 5′ 58,9″ O51.38977777777830.099705555556Koordinaten: 51° 23′ 23,2″ N, 30° 5′ 58,9″ O Land: Ukraine Daten Eigentümer: Energoatom Betreiber: Ministerium für Brennstoff und Energie (Mintopenergo) der Ukraine Projektbeginn: 1970 Kommerzieller Betrieb: 27. Mai 1978 Stilllegung: 15. Dezember 2000 Stillgelegte Reaktoren (Brutto):
4 (3800 MW) Bau eingestellt (Brutto):
2 (2000 MW) Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme: 271.262,82 GWh Website: http://www.chnpp.gov.ua/eng/ Stand: 4. Juni 2011 Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation. Das heute stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl[1] (ukrainisch Чорно́бильська АЕС, russisch Чернобыльская АЭС им. В.И.Ленина, übersetzt „Tschernobyler Kernkraftwerk namens W. I. Lenin“) befindet sich im Norden der Ukraine nahe der ukrainisch-weißrussischen Grenze. Es ist etwa vier Kilometer von der Stadt Prypjat und 18 Kilometer von Tschornobyl entfernt. Die Katastrophe von Tschernobyl, bei der 1986 der Reaktor des Blocks 4 explodierte, gilt als bisher weltweit schwerster Unfall in einem Atomkraftwerk.
Inhaltsverzeichnis
Reaktortechnik
Bei den für Tschernobyl eingesetzten und geplanten Reaktoren handelte es sich um solche des Typs RBMK-1000 der ersten (Blöcke 1 und 2) und zweiten Generation (Blöcke 3 bis 4). Diese graphitmoderierten Reaktoren weisen eklatante Sicherheitsmängel auf. Jedem Reaktor waren zwei Generatoren zugeteilt, die in einer für alle vier Blöcke gemeinsamen Turbinenhalle mit einer Länge von fast 800 Metern untergebracht waren.
Die Reaktoren hatten eine elektrische Bruttoleistung von jeweils 1.000 Megawatt. Das Kraftwerk verfügte somit zwischen 1983 und 1986 über eine Maximalleistung von 4.000 Megawatt elektrisch oder 12.800 Megawatt thermisch.
Am 23. April 2008 wurde der letzte Kernbrennstoff entfernt. Am gleichen Tag nahm in der Zone am Kraftwerk die Atommüll-Verarbeitungsanlage Vektor den Betrieb auf. Dort soll begonnen werden, die kontaminierten Teile in der Zone zu verarbeiten, um diese für eine Endlagerung vorzubereiten.[2]
Bau und Betrieb
Das Kraftwerk wurde ursprünglich mit einer Kapazität von 2000 MW geplant. Zur Auswahl standen drei verschiedene Reaktortypen; zwei RK-1000, vier WWER-440 oder zwei RBMK-1000. Nach genauer Planung des Projektes fiel aufgrund der Wirtschaftlichkeit die Wahl auf zwei Reaktoren vom Typ RBMK (Beschluss der Minister der Sowjetunion vom 19. Juni 1969/14. Dezember 1970). Damit wurde Tschernobyl die dritte Anlage mit Reaktoren vom Typ RBMK-1000. [3]
Während der Bauzeit wurden weitere Blöcke an Tschernobyl geplant und der Ausbau auf bis zu sechs Blöcke genehmigt. Das Kraftwerk in der heutigen Form wurde etwa von 1970 bis 1983 erbaut. Eigens für das Kraftwerk wurde Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre ein Kühlsee angelegt. Mit dem Bau der Blöcke 5 und 6 wurde der Kühlsee erweitert. Auch nach der Katastrophe in Block 4 wurden (nach einer Unterbrechung) die anderen Reaktorblöcke des Atomkraftwerks Tschernobyl bis zum Dezember 2000 zur Stromerzeugung genutzt. Das Kraftwerk galt in der Sowjetunion in den 1980er-Jahren als Musteranlage. [4]
Block 1
Block 1 wurde 1977 fertiggestellt. Am 1. September 1982 wurde ein zentrales Brennelement durch Überhitzung infolge eines Bedienungsfehlers zerstört. Erhebliche Mengen an Radioaktivität traten aus, die radioaktiven Gase gelangten bis Prypjat. Bei der Reparatur wurden diverse Arbeiter einer deutlich überhöhten Strahlendosis ausgesetzt,[5] der Unfall wird mit Kategorie INES 5 gelistet.[6] Block 1 ging schließlich im November 1996 vom Netz, nachdem die Betriebsdauer mit Beschluss vom 20. Oktober 1993 ein letztes Mal um drei Jahre verlängert worden war.[4]
Block 2
Block 2 wurde 1978 fertiggestellt. Während längerer Zeit bestand ein Leck im Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente. Der Austritt geringer Mengen an Radioaktivität wird vermutet. Am 11. Oktober 1991 kam es nach einer Wasserstoffexplosion zu einem Großbrand in der Turbinenhalle, das Dach stürzte teilweise ein und einer der beiden Generatoren wurde schwer beschädigt. Da die manuelle Reaktorabschaltung gelang, wurde der Reaktor selbst nur minimal beschädigt und es trat kaum Radioaktivität aus.[5] Nach Kostenabschätzungen für eine mögliche Reparatur wurde vorerst auf eine Reparatur verzichtet und abgewartet. 1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, beschloss die ukrainische Regierung, Block 2 vorerst auf Warteposition zu halten. Am 20. Oktober 1993 wurde der Beschluss revidiert, die Betriebserlaubnis für Block 2 entzogen und der Reaktor endgültig stillgelegt.[4]
Block 3
Block 3 wurde 1981 fertiggestellt. Er bildet mit dem Block 4 einen Doppelblock. Mit Beschluss vom 20. Oktober 1993 wurde die Betriebsdauer um sieben Jahre verlängert.[4] Der Block wurde schließlich erst im Dezember 2000 auch auf Druck und nach Ausgleichszahlungen der Europäischen Union vom Netz genommen.
Block 4
Block 4 wurde 1983 fertiggestellt und bildet mit Block 3 und dem dazwischenliegenden Hilfsanlagengebäude einen Doppelblock. Am 26. April 1986 kam es zu einer Kernschmelze und Explosion des Reaktorkerns, wodurch der Block vollständig zerstört wurde. Große Teile des radioaktiven Inventars gelangten in die Umwelt. Das Graphit, mit dem der Reaktor moderiert wird, geriet in Brand und konnte erst Tage später gelöscht werden. Der Landstrich um den Reaktor musste geräumt werden und ist bis heute unbewohnbar. Die mit dem Rauch in große Höhe gelangte Radioaktivität wurde nach Westen getrieben und bewirkte einen radioaktiven Niederschlag (Fallout) über Nord- und Mitteleuropa. Diese Havarie machte den Ortsnamen „Tschernobyl“ zum Synonym für die Gefahren der Kernenergie.
Blöcke 5 und 6
Die Blöcke 5 und 6 waren ab 1981 etwas abseits der Blöcke 1 bis 4 im Bau. Block 5 hätte im Herbst 1986 den Probebetrieb aufnehmen sollen, Block 6 war 1986 zur Hälfte fertiggestellt. Trotz des Super-GAUs in Block 4 wurde zunächst an beiden Blöcken weitergebaut. Durch die hohe radioaktive Belastung des Gebiets mussten die Bauarbeiten am 1. Januar 1988 eingestellt werden.[7][8] Beide Blöcke wurden mit einem Schutzanstrich vor Witterung und Alterung geschützt. Die UdSSR plante, die beiden Blöcke nach Absinken der Radioaktivität fertigzustellen. Die neue politische Lage in den 1990er Jahren machte die Durchführung dieses Plans unmöglich, da die Ukraine als Nachfolgestaat auf diesem Gebiet weder den politischen Willen noch die finanziellen Mittel zur Fertigstellung hatte.
Die Arbeit im KKW
Von der Reaktorkatastrophe 1986 bis zur Abschaltung des letzten Blocks im Jahre 2000 arbeiteten bis zu 9.000 Menschen im Kraftwerk. 2006 waren noch ungefähr 3.000 Personen mit Überwachungs- und Wartungsarbeiten beschäftigt. Das Kraftwerk, obwohl stillgelegt, ist somit bei weitem nicht verwaist. Bis 1986 kamen die meisten Arbeiter aus der eigens für das Kraftwerk erbauten Siedlung Prypjat. Da Prypjat nach der Reaktorkatastrophe evakuiert wurde, kommen heute die meisten Arbeiter aus Slawutytsch, der nach der Katastrophe erbauten Ersatzstadt für Prypjat. Ab 1986 war die Arbeit – trotz sehr hoher Strahlenbelastung – vergleichsweise attraktiv: Einerseits durch eine äußerst gute Bezahlung, andererseits durch den 2-Wochen-Zyklus: 2 Wochen (normale) Arbeitszeit, 2 Wochen frei.
Energiepolitische Bedeutung
Das Kraftwerk hatte eine für die Energieversorgung der UdSSR und vor allem für deren Nachfolgestaat Ukraine sehr hohe energiepolitische Bedeutung. Die Ukraine leidet deshalb besonders an dem fehlenden Strom aus dem KKW Tschernobyl. Das Kernkraftwerk lieferte ungefähr ein Sechstel des in der Ukraine erzeugten Atomstroms, was etwa 4–10 % der Gesamtstrommenge entsprach.[9] Nur dieser Hintergrund macht es erklärbar, weshalb das Kraftwerk noch 14 Jahre lang nach dem Super-GAU weiterbetrieben wurde und weiterhin viele Menschen in diesem Gebiet arbeiteten.
Für den Ersatz der fehlenden Kapazität gab es drei verschiedene Konzepte: die Vollendung von drei sichereren Reaktoren in der Ukraine, deren Bau bereits fortgeschritten war, der Bau eines Gaskraftwerks mit 3.000 MW Leistung nahe der Stadt Slawutytsch, das einem Teil der Angestellten von Tschernobyl Arbeit geben könnte, oder die Modernisierung von einigen Kohlekraftwerken. Später stellte man zwei Kernkraftwerke vom Typ WWER-1000 fertig.[10]
Derzeitige Situation (Stand Juli 2011)
Momentan werden in den Reaktorblöcken 1 bis 3 die Brennstäbe entfernt.[11] Diese Demontagearbeiten laufen wie geplant, und 2010 kam es zu keinen Vorfällen im gesamten Kernkraftwerk. Aus dem Reaktorblock 3 wurden 2010 insgesamt 891 Brennstäbe zum Nasslager ISF-1 transportiert, 134 Brennstäbe verblieben (?) zunächst im Kühlwasser des Reaktors. Bis September 2010 liefen diverse Reparaturarbeiten, um auf den Winter vorbereitet zu sein. Im Süden und Norden von Block vier wurden bis September Fundamente für den neuen Sarkophag gebaut, welcher durch das Novarka Konsortium entworfen wurde. Das Abfallbehandlungsgebäude für flüssige radioaktive Abfälle (englisch Liquid Radioactive Waste Treatment Plant, kurz LRTP) ist noch nicht fertiggestellt. Weiterhin werden im gesamten Kernkraftwerk kleinere Wartungsarbeiten und die Installation von weiteren Sicherheitseinrichtungen, wie zum Beispiel speziellen Türen oder Brandschutzanlagen, durchgeführt.
Die 740 Millionen Euro für den neuen Sarkophag sind aufgebracht worden, dadurch kann laut Präsident Wiktor Janukowitsch noch dieses Jahr mit dem Bau begonnen werden, der bis 2015 abgeschlossen werden soll.Daten der Reaktorblöcke
Das Kernkraftwerk Tschernobyl hat insgesamt sechs Blöcke:
Reaktorblock [12] Reaktortyp Netto-
leistungBrutto-
leistungBaubeginn Netzsyn-
chronisationKommer-
zieller BetriebAbschal-
tungTschernobyl-1 RBMK-1000 740 MW 800 MW 01.03.1970 26.09.1977 27.05.1978 30.11.1996 Tschernobyl-2 RBMK-1000 925 MW 1.000 MW 01.02.1973 21.12.1978 28.05.1979 11.10.1991 Tschernobyl-3 RBMK-1000 925 MW 1.000 MW 01.03.1976 03.12.1981 08.06.1982 15.12.2000 Tschernobyl-4 RBMK-1000 925 MW 1.000 MW 01.04.1979 22.12.1983 26.03.1984 26.04.1986 (zerstört) Tschernobyl-5[7] RBMK-1000 950 MW 1.000 MW 01.12.1981 - - (Bau 1988 eingestellt) Tschernobyl-6[8] RBMK-1000 950 MW 1.000 MW 01.12.1983 - - (Bau 1988 eingestellt) Siehe auch
- Liste von Unfällen in kerntechnischen Anlagen (INES Stufe 4 bis 7)
- Liste der Kernkraftwerke
- Liste von Kernkraftanlagen
- Liste der Kernreaktoren in der Ukraine
- Liste der kerntechnischen Anlagen in Russland
- Liste der RBMK
- Druckröhrenreaktor
Weblinks
Commons: Kernkraftwerk Tschernobyl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- SSE "Chernobyl NPP". Englischsprachige Internetseite des Kernkraftwerks Tschernobyl
- Das KKW Tschernobyl bei der Wiener Umweltanwaltschaft
- Tschernobyl und seine Folgen 20 Jahre danach - Fotos vom Besuch eines Teams aus Mitarbeitern des WDR und des Forschungszentrum Jülich im Reaktor Nr. 4 und in Prypjat
- "Metoffice-UK" Ausbreitung der radioaktiven Wolke aus dem Kernkraftwerk Tschernoby vom 26.04.bis 07.05.1986l
Einzelnachweise
- ↑ Schreibweise nach sowjetrussischer Transliteration bis zum Ende der Sowjetunion und insbesondere während der Reaktorkatastrophe; heutige Bezeichnung nach ukrainischer Transliteration: Tschornobyl
- ↑ RIA Novosti - 23/04/2008 - http://de.rian.ru/postsowjetischen/20080423/105725425.html
- ↑ Homepage des Kraftwerkes - Über den Bau (Englisch)
- ↑ a b c d Reaktorunfall von Tschernobyl (pdf)
- ↑ a b http://wua-wien.at/home/atomschutz/akw-in-europa/tschernobyl-3
- ↑ Atomkraft in der Ukraine
- ↑ a b Kernkraftwerk Chernobyl 5 im PRIS der IAEA (englisch)
- ↑ a b Kernkraftwerk Chernobyl 6 im PRIS der IAEA (englisch)
- ↑ Das KKW Tschernobyl bei der Wiener Umweltanwaltschaft, abgerufen am 24. April 2006, Inhalt in dieser Form nicht mehr online
- ↑ Der Reaktorunfall von Tschernobyl; Herausgeber:Informationskreis KernEnergie Robert-Koch-Platz 4, 10115 Berlin; Redaktion: Dipl.-Kfm. Martin Czakainski, Dr. Thomas Kinzelmann, Dr. Gunter Pretzsch, Dipl.-Geogr. Volker Wasgindt; Satz, Layout: T. Espey Satz-Layout Grafik-Beratung, Bonn; Druck: Druckerei Hermann Schlesener KG, Berlin, 4. Auflage Juni 2007; ISBN 3-926956-48-8; Seite 46, 58
- ↑ Gesamtbericht vom 7. Juli 2010 des Kraftwerkbetreibers (englisch)
- ↑ Power Reactor Information System der IAEA: „Ukraine: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
Nuklearunfälle ab INES-Stufe 5 („Ernster Unfall“)INES 7: Tschernobyl (1986) | Fukushima Daiichi (2011)
INES 6: Kyschtym (1957)
INES 5: Chalk River (1952) | Sellafield (1957) | Santa Susana (1959) | Belojarsk (1977) | Harrisburg (1979) | Tschernobyl (1982) | Wladiwostok (1985) | Goiânia (1987)
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