Kuraizah

Kuraizah

Die Banu Quraiza (arabischبنو قريظة‎, DMG Banū Quraiẓa, auch Banu Qurayza, Banu Quraziyah, Banu Kuraiza, Banu Koraisa, Banu Quraytha, Banu Koreiza) waren zusammen mit den Banu Qainuqa und den Banu Nadir einer der drei einflussreichsten jüdischen Stämme Yathribs, dem vorislamischen Medina.

Wie die Banu Nadir besaßen die Banu Quraiza die landwirtschaftlich ergiebigsten Teile der Oase (vor allem Dattelpalmen) und hatten damit, aber auch durch Geldverleih, ihr Einkommen gesichert. Die Männer der Quraiza wurden 627 n.Chr. auf Befehl Sa'd ibn Mu'adhs und mit Zustimmung Mohammeds getötet; ihre Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei verkauft.

Überliefert wurden diese Ereignisse in der Prophetenbiographie (sira) des Ibn Ishaq, in der maghazi-Literatur, in der Koranexegese (tafsir) und in Hadithen und sind somit nur aus rein islamischer Sicht dargestellt. Zur tendenziösen Gestaltung dieser Überlieferungen siehe die grundlegende Studie von Meir J. Kister.[1]

Im Koran behandelt die Sure 33, Vers 22 bis 27 die Vernichtung der Banu Quraiza.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft der Banu Quraiza

Die Banu Quraiza und die Banu Nadir bezeichneten sich als kāhinan, was auf ihre priesterliche Abkunft hindeutet.[2] Außerdem waren sie als Banū Hārūn (Söhne des Aaron) bekannt.[2] Ihre Herkunft ist nicht eindeutig gesichert: Es ist unbekannt, ob sie nach der jüdischen Rebellion gegen Rom im Jahre 70 n.Chr. nach Yathrib gezogen sind oder ob sie arabische Proselyten waren.[3]

Situation vor und in der ersten Zeit nach der Ankunft Mohammeds

Später, im fünften Jahrhundert n.Chr.[4] siedelten sich die arabischen Stämme (die Chazradsch und die Banu Aus, die zusammen die Banu Qaila bildeten) nach ihrer Emigration aus dem Yemen in Yathrib an, wo sie zunächst den dort schon lebenden Juden unterworfen waren;[5] später erlangten sie nach und nach ihre Unabhängigkeit von den jüdischen Stämmen und wurden zu Herrschern der Oase.[4]

Bei der Ankunft Mohammeds in Yathrib 622 n.chr. herrschte in der Oase eine generationenlange Fehde zwischen den beiden dortigen arabischen Stämmen, den Banu Aus und den Chazradsch, die zu einer allgemeinen Erschöpfung geführt hatte. Die Banu Quraiza hatten sich dabei – zusammen mit den Banu Nadir – mit den Aus verbündet,[6] die Banu Qainuqa mit den Chasradsch.[7]

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Zur Zeit der Hidschra war nach längeren Kämpfen zwar eine gewisse Ruhe eingekehrt, die jedoch nur auf die gegenseitige Erschöpfung und nicht auf einen Friedensschluss gegründet war. Eine friedliche Lösung erhofften sich die Chasradsch von der Vermittlung Mohammeds, welchen sie während der Wallfahrt bei Aqaba trafen. Ein Jahr später, während der ersten Huldigung von Aqaba, nahmen einige Chasradsch den Islam an, während der zweiten Huldigung kamen noch viele Aus dazu und Mohammed wurde zusammen mit den in Mekka verfolgten frühen Muslimen nach Yathrib eingeladen. Er selbst musste aus Mekka fliehen, da er sich, weil er die Götter der Mekkaner verunglimpfte, mit dem Großteil der Bevölkerung dort zerstritten hatte und seine Beschützer, Chadidscha und Abu Talib ibn ʿAbd al-Muttalib, kurz zuvor (619) gestorben waren. Das Ergebnis war tatsächlich ein Friedensschluss und ein Vertrag, der den Stadtstaat „Madinatun-Nabi“ als Föderation autonomer Stämme mit einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik begründete. Die arabischen Stämme nahmen dabei, so die islamischen Quellen, mehr oder weniger aufrichtig den Islam an, und die jüdischen Stämme behielten ihre gesellschaftliche und religiöse Identität und ihre interne Rechtsautonomie.

Mohammed und seine Muhadschirun (mekkanische „Auswanderer“) beraubten sich durch ihre Emigration aus Mekka jeglicher Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes und waren deshalb auf die Hilfe der Ansar (medinensische Anhänger, „Helfer“/„Unterstützer“) angewiesen. Da dies kein Dauerzustand sein konnte, organisierte der Prophet Karawanenraubzüge, um die Karawanen, die mit Mekka Handel trieben, abzufangen. Diese Überfälle stellten eine Provokation der Quraisch dar.[8]

In diesem Gemisch von Muhadschirun und Ansar, Chazradsch und Aus, Muslimen, Polytheisten und Juden gab es nicht nur Gewinner des Friedensschlusses innerhalb Medinas (außerhalb herrschte Krieg). Muslimische Quellen berichten von den vielen Fehden im Madinatun-Nabi. Die Unzufriedenen (z.B. die Wa'il) paktierten bisweilen auch mit den äußeren Feinden.

Die Grabenschlacht

Hauptartikel: Grabenschlacht

627 n.Chr. griffen die Quraisch mit Unterstützung anderer Stämme Medina an. Zur Verteidigung der Stadt ließ Mohammed einen Graben um diejenigen Gebiete Medinas ziehen, die nicht durch natürliche Umstände geschützt waren. Nach einer zweiwöchigen Belagerung der Oase zogen sich die Angreifer zurück, ohne den Graben erfolgreich überwunden zu haben.

Während der Belagerung verhielten sich die Banu Quraiza formal korrekt[3] und unterstützten die Muslime bei den Arbeiten am Graben, indem sie ihnen Schaufeln zum Ausheben des Grabens liehen.[9] Allerdings versorgten sie die Angreifer während der Belagerung mit Proviant[10] und waren mit ihnen in Machenschaften verwickelt;[11] einmal standen sie kurz davor, den Muslimen in den Rücken zu fallen.[12]

Der Angriff auf die Banū Quraiza

Nach der Grabenschlacht soll Mohammed der Erzengel Gabriel erschienen sein und ihm befohlen haben, die Banu Quraiza anzugreifen.[13] Mohammed forderte daraufhin seine Anhänger auf, sich mit ihm noch vor der Abenddämmerung vor den Festungen der Banu Quraiza zu versammeln, von wo sie den jüdischen Stamm zu belagern begannen. Die Quraiza wehrten sich nicht mit großer Mühe; während der Belagerung scheinen sie sich untereinander beraten zu haben. Folglich baten sie Mohammed, unter denselben Bedingungen wie schon zuvor die Banu Qainuqa und Banu Nadir, nämlich mit all ihren beweglichen Gütern aus Medina fliehen zu dürfen. Als diese Bitte verweigert wurde, boten sie Mohammed an, aus Medina ohne ihr Hab und Gut zu fliehen, doch auch dieses Angebot wurde ausgeschlagen: Sie wurden dazu aufgefordert, bedingungslos zu kapitulieren.[14] Nun wollten sie Abu Lubaba, einen mit ihnen befreundeten Muslim, um Rat bitten. Auf ihre Frage, ob sie sich ergeben sollten, antwortete er ihnen mit "Ja", deutete allerdings auf seine Kehle, um dadurch zu indizieren, dass man sie töten würde. Trotz dieses Hinweises kapitulierten die Quraiza nach einer 25 Tage andauernden Belagerung bedingungslos.

Die mit den Banu Quraiza schon seit vorislamischen Zeiten verbündeten Aus baten den Propheten darum, bei seiner Entscheidung über den Stamm Milde walten zu lassen, weshalb dieser ihnen anbot, die Entscheidung einem ihrer Stammesmitglieder zu übertragen. Als alle Parteien diesem Vorschlag zugestimmt hatten, erwählte Mohammed Sa'd ibn Mu'adh als Richter. Dieser entschied, dass die Männer der Quraiza (darunter fiel jedes männliche Stammesmitglied, dessen Schamhaarwuchs begonnen hatte) getötet, ihr Besitz unter den Muslimen verteilt und ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft werden sollten. Das Urteil wurde am darauf folgenden Tag vollstreckt.[15]

Der arabische Historiker Ibn Ishaq beschreibt in seiner Prophetenbiographie das Ende der Banu Quraiza folgendermaßen:

„Schließlich mußten sich die Quraiza ergeben, und der Prophet ließ sie im Gehöft der Bint Harith, einer Frau vom Stamme Nadjjar, einsperren. Sodann begab er sich zum Markt von Medina, dort, wo heute noch der Markt ist, und befahl, einige Gräben auszuheben. Als dies geschehen war, wurden die Quraiza geholt und Gruppe um Gruppe in den Gräben enthauptet. Darunter befanden sich auch der Feind Gottes Huyayy ibn Achtab und das Stammesoberhaupt Ka'b ibn Asad.“

Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen von Gernot Rotter. Kandern, 2004. S. 180[16]

Auch im Koran findet dieses Ereignis seine Erwähnung:

„Und er ließ diejenigen von den Leuten der Schrift, die sie (d.h. die Ungläubigen) unterstützt hatten, aus ihren Burgen herunterkommen und jagte ihnen Schrecken ein, so daß ihr sie (in eure Gewalt bekamet und) zum Teil töten, zum Teil gefangennehmen konntet.“

33:26 nach Paret (siehe auch 8:55-58)

In Folge der Exekution sind etwa 400 bis 900 Stammesangehörige der Banu Quraiza getötet worden.[17] Zwei oder drei Anhänger der Quraiza sind durch Konversion zum Islam der Exekution entgangen.[18]

Mit der Vernichtung der Banū Quraiza sind auch die Angehörigen der arabischstämmigen Banu Kilab ibn 'Amir, die Verbündeten der Banū Quraiza, hingerichtet worden. Eine ihrer Frauen, al-Naschat (Variante: asch-Schat) bint Rifa'a, hat Mohammed geheiratet, aber nach kurzer Zeit verstoßen. Während die Frauen und Kinder der Banū Quraiẓa versklavt werden durften, liegen keine Berichte darüber vor, dass al-Naschat bint Rifa'a ebenfalls Sklavin war. Michael Lecker folgert daraus, dass die arabischen Frauen, die man in den Festungen der Quraiza gefangen genommen hat, womöglich nicht versklavt wurden; alternativ sei es allerdings – so Lecker – auch möglich, dass ihre Stammesangehörigen sie freigekauft hätten.[19]

Nach der Exekution der Banu Quraiza war Mohammeds Position in Medina gestärkt. Nun gab es in der Oase keinen wichtigen jüdischen Stamm mehr, allerdings mehrere kleinere Gruppen, die von nun an jegliche feindseelige Handlung gegenüber Mohammed und seinen Anhängern mieden.[20]

Bezug zum islamischen Völkerrecht

Muslimische Juristen des 8. und frühen 9. Jahrhunderts stützten sich bei verschiedenen das islamische Völkerrecht betreffenden juristischen Begründungen auf die Darstellung der Exekution.[21] So hat der berühmte islamische Rechtsgelehrte Asch-Schafii (†820 n.Chr./204 A.H.), auf den die Rechtsschule der Schafiiten zurückgeht, die Vernichtung der Quraiza untersucht, die Art ihres Verrats an den Muslimen erläutert, das Wesen ihres Verstoßes beurteilt und auf Basis dessen die Fragestellung über Individual- und Kollektivhaftung erklärt.[22] Seinem Urteil nach sind auch Personen zu bestrafen, die zwar formal keinen Vertrag brechen, hingegen nicht aktiv gegen Vertragsbrüchige Partei ergreifen, wenn sie auf deren Gebiet verweilen.[23] Der berühmte Rechtsgelehrte al-Mawardi († 1058) hat die Exekution aus einem religiösen Blickwinkel erläutert: Ihm zufolge war sie eine von Gott auferlegte religiöse Pflicht des Propheten.[24] Meir J. Kister zufolge scheint al-Mawardis Standpunkt die gängige Meinung unter sunnitischen Gelehrten zu sein.[25] Asch-Schaibani († 805) verwies auf das Ereignis als Beweis dafür, dass es legitim sei, Kriegsgefangene nach Ende der Kampfhandlungen zu exekutieren.[26] Des Weiteren vertrat er die Ansicht, dass bei der Exekution die Hände des Exekutierten nur dann gefesselt sein sollen, wenn die Gefahr besteht, dass er flieht oder einen Muslim tötet.[26] Außerdem solle das Leid der Exekutierten dadurch vermindert werden, dass man sie mit Nahrung und Wasser versorgt; hierbei beruft sich asch-Schaibani auf den Propheten, der befahl, die Gefangenen der Quraiza mit Datteln zu versorgen, ihnen zu erlauben, sich Mittags auszuruhen und den Zeitpunkt ihrer Exekution zu verschieben, so dass sie nicht zur heißesten Tageszeit stattfand.[26]

Die Behandlung der Quraiza wurde allerdings nicht zum Vorbild für den späteren Umgang mit den Schriftbesitzern unter islamischer Herrschaft:[27] Trotz der religiösen Polemik gegenüber den Juden und Christen ist in Form eines Prophetenspruchs folgender Grundsatz aufgestellt worden:

„Wer einem Juden oder Christen Unrecht tut, gegen den trete ich (der Prophet) selbst als Ankläger auf am Tage des Gerichts.[28][29]

Entsprechend soll der zweite Kalif Umar (†644 n.Chr./12 A.H.) auf dem Sterbebett seinen Nachfolger angewiesen haben, das mit den auf islamischem Gebiet verweilenden Schriftbesitzern geschlossene Schutzbündnis einzuhalten, diejenigen zu bekämpfen, die sie bekämpfen und sie steuerlich nicht außerhalb ihrer Leistungsfähigkeit zu belasten;[30] eine Verletzung dieses Bündnisses galt als schwere Perfidie.[31]

Rezeption der Ereignisse in der Moderne

Für die Exekution der Quraiza haben mit dem Thema vertraute europäische Forscher Mohammed oft harsch kritisiert.[32]

So vermerkt der dänische Orientalist Frants Buhl über den Propheten in Bezug auf die Exekution der Banu Quraiza:

„Diesmal war Muhammed jedoch zu erbittert, um Schonung zu gewähren; aber die Art, wie er seinen Willen durchsetzte, hatte etwas in hohem Grade Raffiniertes und zeigt wieder seinen Charakter in einem sehr abstoßenden Licht.“

Frants Buhl: Das Leben Muhammeds. Übersetzt von Hans Heinrich Schaeder. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1961. S. 275

Der italienische Orientalist Francesco Gabrieli urteilt über den Vorfall wie folgt:

„This dark episode, which Muslim tradition, it must be said, takes quite calmly, has provoked lively discussion among western biographers of Muhammad, with caustic accusations on the one hand and legalistic excuses on the other... In this case he was ruthless, with the approval of his conscience and of his God, for the two were one; we can only record the fact, while reaffirming our consciousness as Christians and civilised men, that this God or at least this aspect of Him, is not ours.“

Francesco Gabrieli: Muhammad and the Conquest of Islam. London, 1968. S. 73[33]

Im Gegensatz dazu haben andere Forscher versucht, das Ereignis am Maßstab damaliger Verhältnisse zu beurteilen, und geben militärische Gründe für die Exekution an.

So behauptet beispielsweise Norman Arthur Stillman, dass die Behandlung der Banu Quraiza nicht nach heutigen Maßstäben messbar sei: Ihr Schicksal sei schlimm gewesen, aber nicht ungewohnt für die damaligen Regeln der Kriegsführung.[34] Stillman zitiert dazu den berühmten Dichter aus der vorislamischen Zeit Zuhair ibn Abi Sulma, der mit folgenden Worten die – so Stillman – herbe Gesinnung des damaligen Zeitalters zusammengefasst hat: "Wer nicht Leid zufügt, dem wird Leid zugefügt."[35] Zusätzlich verweist er als Beispiel für seine Behauptung, dass die Exekution von erwachsenen Männern und die Versklavung ihrer Frauen und Kinder ein gängiges Verfahren in der gesamten antiken Welt gewesen sei, auf das Schicksal der Bewohner der Insel Milos im fünften Jahrhundert n.Chr.[36] sowie das Alte Testament (5. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 13–14).[37]

Ähnlich argumentiert William Montgomery Watt:

„Some European writers have criticized this sentence for what they call its savage and inhuman character. It has to be remembered, however, that in the Arabia of that day when tribes were at war with one another or simply had no agreement, they had no obligations towards one another, not even of what we would call common decency. The enemy and the complete stranger had no rights whatsoever.“

W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 173

Des weiteren beweise die Tatsache, dass auch nach der Exekution der Banu Quraiza wenigstens einige Juden in Medina verbleiben durften, dass Mohammed nicht – wie manchmal von europäischen Forschern behauptet – nach der Hidschra alle Juden aus Medina zu vertreiben beziehungsweise zu töten geplant habe.[38] Die Banu Quraiza sollen demnach exekutiert worden sein, weil sie durch ihr Verhalten in der Grabenschlacht sich des Verrats gegenüber der medinensischen Gemeinschaft schuldig gemacht hätten: Mohammed, dessen Position nach dem fehlgeschlagenen Angriff der Quraisch nun gefestigt war, sei nicht bereit gewesen, solches Verhalten zu tolerieren, und beschloss, diese Schwachstelle in der Oase zu entfernen, um so seinen tatsächlichen sowie potentiellen Feinden eine Lektion zu erteilen.[15]

Auch Rudi Paret stellt ähnliche Behauptungen auf: Die Juden Medinas seien nicht aufgrund ihrer religiösen Überzeugung bekämpft worden, sondern...

„...weil sie innerhalb des Gemeinwesens von Medina in sich geschlossene Gruppen bildeten, die für Mohammed und seine Parteigänger jederzeit, vor allem aber bei einer Bedrohung durch auswärtige Gegner, gefährlich werden konnten.“

Rudi Paret: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündung des arabischen Propheten. Kohlhammer, 2001. S. 123

Zudem hätten sich die Unternehmungen Mohammeds immer nur auf einzelne jüdische Stämme, nie auf das medinensische Judentum in seiner Gesamtheit erstreckt.[39] Auch Paret argumentiert, dass diese Ereignisse am Maßstab der damaligen Zeit zu messen seien: Mohammed sei – so Paret – seinerzeit durchaus berechtigt gewesen, keine Gnade walten zu lassen.[40]

Dieselbe These vertreten auch der französische Orientalist Maxime Rodinson[41] und der britische Islamwissenschaftler Bernard Lewis.[42]

Konträr zu dieser Behauptung vertritt Michael Lecker die Ansicht, dass die Exekution der Banu Quraiza ein Novum auf der Arabischen Halbinsel gewesen sei: Vor der Entstehung des Islam sei unter den Arabern die Vernichtung des Feindes nie ein Kriegsziel gewesen.[43] Lecker verweist hierbei auf ein Massaker der Aus an den Chasradsch nach der Schlacht von Buath 617 n.Chr.[44] Während des Massakers, als die Aus viele der besiegten Anhänger der Chasradsch töteten, soll jemand die Aus gemahnt haben, schonend mit den Chasradsch umzugehen und sie nicht zu vernichten, da es besser sei, sie als Nachbarn zu haben als Füchse. Dies ist Lecker zufolge eine korrekte Widerspiegelung der diesbezüglichen vorislamischen Haltung und Bräuche.[43]

Derselben These folgt Irving M. Zeitlin[45] und verweist dabei auf Leckers Arbeit.[46] Zusätzlich vermerkt er, dass nicht nur religiöse und ideologische Differenzen zum Streit mit den Juden Medinas und schließlich der Exekution der Quraiza geführt hätten, sondern vor allem wirtschaftliche und politische.[47]

Den Anschuldigungen einiger Orientalisten gegenüber dem Propheten traten auch muslimische Gelehrte entgegen, die darauf verwiesen, dass die Banu Quraiza die Muslime verraten hätten – Sa'd ibn Mu'adhs Entscheidung sei lebenswichtig gewesen, da es um das Überleben der islamischen Gemeinschaft gegangen sei; die Schuld liege bei Huyayy ibn Achtab, der die Banu Quraiza zum Verrat am Propheten verführt habe.[32]

Walid N. Arafat[48] und Barakat Ahmad[49] haben indes den Versuch unternommen zu beweisen, dass die Männer der Banu Quraiza nicht allesamt getötet worden seien, und die Glaubwürdigkeit der Informationen der islamischen Historiographie angezweifelt. Arafats Ausführungen sind allerdings von Meir J. Kister widerlegt worden.[50]

Fußnoten

  1. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiẓa: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 61–96
  2. a b Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 9
  3. a b The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 5, S. 436 (Kurayza, Banū)
  4. a b Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen von Gernot Rotter. Kandern, 2004. S. 280, s.v. Khazradj
  5. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1187 (al-Khazradj)
  6. Michael Lecker: Muslims, Jews and Pagans. Studies on Early Islamic Medina. Brill, 1995. S. 26
  7. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 824 (Kaynukā, banū)
  8. W. Montgomery Watt: Muhammad at Medina. Oxford University Press, 1962. S. 4
  9. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 86
  10. Encyclopaedia Judaica. 2nd Edition. Macmillan Reference USA, Detroit. Bd. 16, S. 776 (Qurayẓa, Banū)
  11. W. Montgomery Watt, Alford T. Welch: Der Islam: Mohammed und die Frühzeit, Islamisches Recht, Religiöses Leben. In: Christel Matthias Schröder: Die Religionen der Menschheit. Kohlhammer, 1980. Bd. 25/1, S. 114
  12. W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 171
  13. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 61
  14. W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 172
  15. a b W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 173
  16. Siehe auch Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 141; Francis E. Peters: Muhammad and the Origins of Islam. State University of New York Press, 1994. S. 224
  17. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 62
  18. Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 16
  19. M. Lecker: On Arabs of the Banū Kilāb executed together with the Jewish Banū Qurayẓa. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 19 (1995). S. 70
  20. W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 174 f.
  21. Siehe Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 66 ff. und dort angegebene Literatur
  22. Siehe Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 66–67
  23. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 68
  24. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 69
  25. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 70
  26. a b c Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 72
  27. A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, 1941. S. 18
  28. Ahmad Ibn Yahya al-Baladhuri: Kitab Futūḥ al-Buldān. Herausgegeben von Michael J. de Goeje. Leiden, 1866. S. 162; zitiert nach: A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, 1941. S. 18
  29. Für ähnliche Überlieferungen siehe: Yaḫyā ibn Ādam: Kitāb al-Kharāj. Brill, 1896. S. 54; Abu Dawud: Kitab as-Sunan. Buch 19, Nr. 3046
  30. Mahmoud Ayoub: Dhimmah in Qur'an and Hadith. In: Arab Studies Quarterly 5 (1983). S. 179; siehe: Sahih al-Bukhari, Band 2, Buch 23, Nr. 475 sowie Band 5, Buch 57, Nr. 50
  31. A. J. Wensinck und J. H. Kramers: Handwörterbuch des Islam. Brill, 1941. S. 18
  32. a b siehe Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 63 und die dort angegebene Literatur
  33. zitiert nach: Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiza: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 63
  34. Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 16
  35. Siehe Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 16, Anm. 32 sowie dortige Quellenangabe
  36. Die wehrfähigen Männer der Melos, die sich zur Zeit des Peloponnesischen Krieges Athen widersetzt hatten, wurden nach ihrer Unterwerfung exekutiert und ihre Frauen und Kinder versklavt.
  37. Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 16, Anm. 32
  38. W. Montgomery Watt: Muhammad at Medina. Oxford University Press, 1962. S. 216 f.
  39. Rudi Paret: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündung des arabischen Propheten. Kohlhammer, 2001. S. 123
  40. Rudi Paret: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündung des arabischen Propheten. Kohlhammer, 2001. S. 123 f.
  41. Maxime Rodinson: Mohammed. C. J. Bucher, 1975. S. 204–206
  42. Bernard Lewis: The Political Language of Islam. University of Chicago Press, 1991. S. 191: "In Arab expectations (as among many ancient peoples), when enemy captives were taken, the women and children were enslaved but adult males were killed or held for ransom, as they were not dependable as slaves."
  43. a b Michael Lecker: On Arabs of the Banu Kilab executed together with the Jewish Banu Qurayẓa. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 19 (1995). S. 66
  44. Zur Schlacht von Buath siehe The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 1, S. 1283
  45. Irving M. Zeitlin: The Historical Muhammad. Polity Press, 2007. S. 13
  46. Irving M. Zeitlin: The Historical Muhammad. Polity Press, 2007. S. 133
  47. Irving M. Zeitlin: The Historical Muhammad. Polity Press, 2007. S. 13: "To grasp adequately the underlying socioeconomic causes of the growing antagonism between Muhammad and the Jews, we have to invoke Ibn Khalduns Theory of the interplay between the desert and the sown, between bedouins and sedentary cultures (...). In the context of Yathrib-Medina and its environs, the Jews represented the sown and were correspondingly better off than the Emigrants and the Medinan supporters of Muhammad. It was, therefore, not only religious-ideological differences , but also and, primarily, material economic and political differences that resulted in the killing of between 600–900 men of the Jewish tribe, Banu-Qurayza, and the selling of the women and children into slavery."
  48. Walid N. Arafat: New Light on the Story of Banū Quraiẓa and the Jews of Medina. In: Journal of the Royal Asiatic Society (1976). S. 100–107; online Version
  49. Barakat Ahmad: Muhammad and the Jews: A Re-Examination. In: Journal of the American Academy of Religion 50 (1982)
  50. Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiẓa: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 61–96.

Literatur

  • Encyclopaedia Judaica. 2nd Edition. Macmillan Reference USA, Detroit. Bd. 16, S. 776 (Qurayẓa, Banū)
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 5, S. 436 (Kurayza, Banū)
  • Meir J. Kister: The Massacre of the Banū Quraiẓa: A re-examination of a tradition. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 8 (1986). S. 61–96.
  • W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1962. S. 171–175
  • W. Montgomery Watt: The Condemnation of the Jews of Banu Qurayẓah. In: The Muslim World 42 (1952). S. 160–171

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