Landesstreik

Landesstreik
Flugblatt des Oltener Komitees mit dem Aufruf zum «allgemeinen Landesstreik»

Der Landesstreik war ein Generalstreik, der vom 11. bis zum 14. November 1918 in der Schweiz stattfand. Es beteiligten sich gegen 250'000 Arbeiter und Gewerkschafter. Der Landesstreik gilt als wichtigste gesellschaftspolitische Auseinandersetzung der schweizerischen Zeitgeschichte.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Der Erste Weltkrieg verursachte auch in der Schweiz Elend und brachte soziale Ungerechtigkeiten. Daraus entstanden revolutionäre Unruhen. Noch während des Krieges fanden in der Schweiz internationale Sozialistenkongresse statt und die Sozialisten und Kommunisten verfolgten mit grossem Interesse die revolutionären Entwicklungen in Russland.

Infolge der militärischen Dienstzeit, Arbeitslosigkeit und Armut lebte 1918 ein Sechstel der Schweizer Bevölkerung unter dem Existenzminimum. Es gab eine starke Teuerung – die Preise verdoppelten sich während der Kriegsjahre, ohne dass die Löhne anstiegen. Und auch die eidgenössische Kriegssteuer (die heutige Bundessteuer), die eingeführt wurde, um die hohen Bundesausgaben zu finanzieren, trug das Ihre bei. Auf der anderen Seite gab es Kriegsprofiteure, die sich alles leisten konnten.

Wirtschaftliche Lage

Der im 19. und anfangs 20. Jahrhunderts in der Schweiz praktizierte Freihandel brachte den Brotgetreideanbau wegen des billigeren Importgetreides weitgehend zum Verschwinden. 1913 vermahlten die Schweizer Mühlen noch 12% Brotgetreide aus der Schweiz während der Rest importiert wurde. Ab August 1914 fielen alle drei Stabilitätsbedingungen, unter denen dieses Wirtschaftsmodell funktionierte, weg. Der Krieg führte zu einer generellen Rohstoffverknappung, einem Zusammenbruch der internationalen Kooperation und zu Schwierigkeiten der Logistik (mangelnde Transportmittel, Treibstoffmangel, gesperrte Handelswege). Die fehlenden Getreideimporte brachten eine rasche Verknappung beim Brot und 1918 eine Hungersnot, der auch mit viel Geld nicht mehr beizukommen war.

Forderungen des Oltener Aktionskomitees

Wegen diesen Missständen bildete sich um die Sozialisten und Arbeiterschaft das Oltener Aktionskomitee und erhob folgende Forderungen:

Streikaufruf

Der Bundesrat reagierte auf diese Forderungen mit militärischen Drohungen. Das Aktionskomitee rief am 7. November 1918 zu einem Proteststreik auf, der am Samstag, 9. November, in 19 Industriezentren ruhig verlief. Die Arbeiterunion in Zürich setzte den Streik fort, und darauf kam es am 10. November zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Militär. Nun musste sich das Oltener Aktionskomitee entscheiden, ob es sich den Zürcher Arbeitern anschliessen möchte oder sich lieber von ihnen distanzierte und so ihren Einfluss verlor. Das Komitee entschied sich für das erstere und rief für Dienstag, 12. November, zu einem unbefristeten, landesweiten Generalstreik auf.

Streikablauf

Kavallerie auf dem Paradeplatz Zürich während des Landesstreiks im November 1918

Am 11. November organisierten Arbeitnehmer und Sozialisten lokale Streiks und Blockaden. Schliesslich beteiligten sich gegen 400'000 Arbeitnehmer an den Bestreikungen ihrer Betriebe. Fabriken, öffentliche Verwaltung, Eisenbahnen und Zeitungsdruckereien standen in den meisten Orten der Schweiz still. Der Bundesrat berief die Bundesversammlung zu einer ausserordentlichen Session ein und forderte den sofortigen Streikabbruch. General Ulrich Wille liess unter Führung von Divisionär Emil Sonderegger Zürich, Bern und weitere Zentren militärisch besetzen. Auch die Eisenbahn wurde militarisiert (durch Soldaten betrieben).

Zum Einsatz kamen vor allem Angehörige von Bauernregimentern, etwa aus dem Emmental. An verschiedenen Orten kam es zu Zusammenstössen, in Grenchen wurden am 14. November drei Arbeiter erschossen.

Bald wurde sichtbar, dass die Streikparole nicht über die organisierten Arbeiter und Angestellten hinaus zu wirken vermochte, und das Komitee erkannte die Ausweglosigkeit der Aktion. Darauf befahl es nach drei Tagen den Abbruch des Streiks. Er endete mit einer klaren politischen Niederlage des revolutionären Flügels innerhalb der Sozialdemokratie.

Folgen

In einem öffentlichen Verfahren wurde die Verantwortung für den Landesstreik abgeklärt und die Hauptakteure des Oltener Aktionskomitees erhielten Gefängnisstrafen von vier Wochen bis sechs Monaten Dauer. Das mit diesen in Verbindung gestandene russische Botschaftspersonal wurde ausgewiesen.

Ein Teil der Forderungen des Oltener Aktionskomitees wurden auch nach ihrer Niederlage ernst genommen. Der Streik zeigte seine Auswirkungen und im Oktober 1919 wurde bei den Nationalratswahlen vom Majorzsystem zum Proporzsystem gewechselt. Ebenfalls brachte das neue Fabrikgesetz die geforderte 48-Stunden-Woche. Die meisten anderen Forderungen wurden in der Zwischenzeit demokratisch verwirklicht.

In Olten wurde am 11. November 2008, zum 90. Jahrestag des Landesstreiks, das erste Denkmal eingeweiht, das an den Landesstreik erinnert. Am 18. November 2008 wurde in Grenchen mit einer Gedenktafel der 3 erschossenen Männer gedacht.

Zitate

Strittig ist bis heute, inwieweit der Generalstreik durch die russische Oktoberrevolution und die revolutionären Umtriebe im Nachkriegs-Deutschland motiviert war, resp. ob man im Streikkomitee hintergründig auch mit Umsturz-Plänen sympathisierte. Dazu zwei Zitate aus Kurt Humbel, Das Friedensabkommen in der schweizerischen Maschinenindustrie. Sie zeigen den Einfluss des Erfurter Programms der deutschen Vorkriegs-SPD mit der Handschrift Karl Kautskys, das zwar marxistisch geprägt war, aber nicht von gewaltsamem Umsturz sprach:

Streikführer und SP-Nationalrat Robert Grimm, 1919: Erstens gehört dazu, dass die Revolution durchgeführt werde von einer Klasse, die bisher unterdrückt war. ... Die Wahl der Mittel aber hat mit dem Begriffe der Revolution gar nichts zu tun.

Streikführer und späterer Ko-Verantwortlicher des Friedensabkommens Konrad Ilg, 1919: Zunächst muss die schweizerische Arbeiterschaft danach trachten, die politische Macht zu erringen. Dann erst ist es möglich, die Revolution siegreich durchzuführen. Heute würde ein Bürgerkrieg der Arbeiterschaft ein Fiasko bringen.

Literatur

  • Paul Schmid-Ammann: Die Wahrheit über den Generalstreik von 1918: seine Ursachen, sein Verlauf, seine Folgen. Zürich: Morgarten 1968.
  • Der Landesstreik-Prozeß gegen die Mitglieder des Oltener Aktionskomitees vor dem Militärgericht III vom 12. März bis 9. April 1919. Mit Vorwort von Robert Grimm. 2 Bände. Bern: Unionsdruckerei 1919.
  • Fritz Brupbacher: Zürich während Krieg und Landesstreik. Zürich: Unionsdruckerei 1928.
  • Martin Disteli: Schweizer Klassenkämpfe: Reformation, Bauernkrieg, Bürgerliche Revolution, Landesstreik. Zürich: Unions-Verlag 1976.
  • Willi Gautschi: Der Landesstreik 1918. 3., durchgesehene Auflage. Zürich: Chronos 1988.
  • René Dubach: Strizzis, Krakeeler und Panduren: Aktivitäten des Staatsschutzes vom Landesstreik bis zum roten Zürich. Dissertation Universität Zürich, 1996.

Weblinks


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