Anti-Irischer Rassismus

Anti-Irischer Rassismus

Der Begriff Anti-Irischer Rassismus bezeichnet im engeren Sinne vor allem eine negative Haltung großer Teile der englischen Bevölkerung gegen Iren keltischer Abstammung im 19. Jahrhundert, die sich in dieser Periode vor allem in den damals verbreiteten Lehren der Physiognomie begründete und im weiteren Verlauf des Jahrhunderts auch auf Lehren des Sozialdarwinismus bezog. Im weiteren Sinne bezeichnet Anti-Irischer Rassismus jedoch die generelle Diskriminierung der Iren keltischer Herkunft, die sich bereits im 12. Jahrhundert herauskristallisierte und schließlich im Rassismus gipfelte. Diese Diskriminierung baute sich lange Zeit auf der Verunglimpfung der christlichen Praktiken der Iren auf sowie auf deren vermeintlicher Rückständigkeit, Faulheit und Heimtücke. Später kamen noch Vorwürfe der Gewalttätigkeit und Unruhestiftung hinzu.

Inhaltsverzeichnis

12. bis 14. Jahrhundert

Bereits im 10. Jahrhundert waren die Normannen in Irland eingefallen, konnten sich jedoch nach einer Niederlage gegen den König von Munster nur in wenigen Teilen Irlands halten. Im 12. Jahrhundert erfolgte eine erneute Invasion unter Heinrich II, die erfolgreicher verlief: zur Mitte des 13. Jahrhundert waren drei Viertel Irlands in normannischem beziehungsweise englischem Besitz. Um die Invasion zu rechtfertigen, veröffentlichte Gerald von Wales etwa 1188 seine Topographia Hibernica, in der er die Natur Irlands sowie die irische Musik würdigte, die Iren selber aber als rückständige, faule Bauern beschrieb, die in keiner Weise zivilisiert waren und darüber hinaus heidnische Rituale praktizierten. Den Grund hierfür sah Gerald jedoch nicht in der Natur der Iren, sondern in deren Abgeschiedenheit von der zivilisierten Welt.

Der Fortschritt der Normannen in Irland stagnierte zu Beginn des 14. Jahrhunderts; die Pflege einheimischer Bräuche, die Mischung von Iren und Normannen und weitere Faktoren führten 1367 zum Erlass der Kilkenny-Statuten, die – stark an Apartheid-Regeln erinnernd – beispielsweise die Benutzung der gälischen Sprache verboten.

16. Jahrhundert

Unter der Tudor-Monarchie versuchte England erneut, Irland zurückzuerobern. Irische Bauern wurden enteignet und ihr Besitz englischen Siedlern übergeben (sogenannte Plantations). Begründet wurden auch diese Maßnahmen mit der vermeintlichen Rückständigkeit der Iren; außerdem wurde ihnen vorgeworfen, englische Siedler zu jeder sich ergebenden Gelegenheit anzugreifen. Besonderen Auftrieb erhielt die negative Haltung gegenüber den Iren durch die zirka 1598 entstandene Schrift A View of the Present State of Ireland von dem zu diesem Zeitpunkt hoch geschätzten Edmund Spenser; er unterstellt den Iren einen barbarischen Aberglauben, gibt der Mischung von Iren und Engländern die Schuld an der "Degeneration" der letzteren und schlägt zu guter Letzt vor, man solle das "Problem" dadurch lösen, dass man die Iren verhungern lässt.

17. Jahrhundert

Im Namen des im Zuge der englischen Revolution des Katholizismus bezichtigten Karl I ergab sich 1641 die erste größere Rebellion der katholischen Iren aus Ulster gegen ihre Unterdrücker, die mehrere Monate andauerte und in der bis zu 12 000 Protestanten ums Leben kamen. Die Grundlage dieser Rebellion wurde jedoch weniger in der Unterdrückung durch England, als vielmehr in der Undankbarkeit der Iren gesehen. So sagte beispielsweise der schottische Philosoph David Hume, die Iren seien „zu dumm“, um den Vorteil einer englischen Regierung zu erkennen und den Protestantismus zu verehren. 1649 kam Oliver Cromwell nach Irland, um die "Mörder" der Rebellion zu 'bestrafen'. Sein Einzug in Irland hatte diverse Massaker zur Folge. Seine Soldaten wollte er mit (irischem) Land bezahlen. Er stellte die Iren vor die Wahl „to hell or Connaught“ („Zur Hölle oder nach Connacht“), was bedeutete, dass es den Iren verboten sei, sich in einem anderen Teil Irlands als in dem sehr kargen und ärmlichen Connacht aufzuhalten. Cromwells Plan blieb jedoch wenig erfolgreich. Als Karl II 1660 die englische Monarchie wieder herstellte und den Thron bestieg, hegten die Iren Hoffnung auf Besserung ihrer Situation. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch, als 1689 Wilhelm von Oranien zum König ernannt wurde. Dieser führte Penal Laws ein, die erneut unter anderem die Religionsfreiheit und das Wahlrecht den Iren absprachen.

18. Jahrhundert

Im 18. Jahrhundert wurde Irland durch restriktive Handelsgesetze zur Quelle billiger Nahrung für England. Während sie also den größten Teil ihrer Ernte an England abgeben mussten und gleichzeitig nicht das Recht hatten, mit anderen Ländern außer England zu handeln, litt die Bevölkerung Hunger. Besonders in dieser Zeit ist eine hohe Emigrations-Rate, vor allem nach England und Schottland festzustellen. Gleichzeitig blühten in der englischen Gesellschaft Witze auf, die die Iren als dumm, faul, hinterhältig und ständig betrunken darstellten und damit kurzum die Auffassung unterstützten, die Armut der Iren sei nicht auf die Ausbeutung durch England zurückzuführen, sondern auf die Unfähigkeit und Faulheit der Iren. Diese Witze unterstützten nicht nur die Irland-Politik Englands, sondern zeigen auch gleichermaßen, dass die Diskriminierung der Iren nicht nur auf politischer Ebene stattfand, sondern in der breiten Gesellschaft vorzufinden war. In der Satire A Modest Proposal for Preventing the Children of Poor People from Being a Burthen klagt der irisch-stämmige Schriftsteller Jonathan Swift 1729 die desolate wirtschaftliche Situation der Iren an.

1798 erfolgt eine erneute Rebellion, dieses Mal initiiert durch protestantische Iren der Oberklasse, die eine autonome irische Regierung zum Ziel hat. Die Rebellion wird jedoch blutig zerschlagen und hat die Auflösung des irischen Parlament und später den Act of Union zur Folge, der zwar theoretisch die gleichwertige Verbindung von England, Schottland und Irland beinhaltet, faktisch jedoch stark repressive Regelungen für Irland enthält; so dürfen beispielsweise nur Protestanten in das Parlament einziehen.

19. Jahrhundert

Im Gegensatz zu den Jahrhunderten zuvor ist die Diskriminierung der Iren im 19. Jahrhundert vor allem durch biologische Begründungen geprägt.

Vor 1860

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen zahlreiche Versuche, die Einteilung von "Rassen" auf Grundlage biologischer Faktoren herzustellen. Basis hierbei ist die vorherrschende Vorstellung, aus dem Äußeren eines Menschen könne man auf sein Inneres schließen. Vor allem Physiognomie und Phrenologie tragen dazu bei, dass die keltische "Rasse" weit unterhalb der angelsächsischen angesiedelt wird. Nach der Beschreibung der Physiognomen haben Kelten ein vorspringendes Kinn und der Abstand zwischen Nase und Oberlippe ist enorm, worauf sich schließen lässt, dass sie den Charakter eines Kindes haben: aufmüpfig, launisch und nur für monotone manuelle Arbeiten einsetzbar. Dagegen fällt die Beschreibung der Angelsachsen deutlich positiver aus: alles an ihnen ist "genau richtig" (wobei hier eine Erklärung fehlt, was "genau richtig" heißt), was bedeutet, dass sie ausgeglichen, ehrenhaft und kreativ sind.

In den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts bildet sich um den irischen Politiker Daniel O'Connell das Repeal Movement, das zum Ziel hat, mit konstitutionellen Mitteln den Act of Union wieder rückgängig zu machen. O'Connell wurde von den Engländern vorgeworfen, den "kindlichen Geist" der Iren für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. In dieser Phase setzte sich vor allem die Diskriminierung in Form von Karikaturen durch. Bereits die Darstellung der Mitglieder der Rebellion von 1798 enthielt einige schweineähnliche Merkmale. Während des Repeal Movements wurden diese Merkmale verstärkt dargestellt; Karikaturen der "aufmüpfigen" Iren zierten regelmäßig die Titelseiten englischer Satiremagazine. Wenn auch die Darstellungen der Iren diese meist in sehr gewalthaltigen Szenen zeigten, blieben sie doch in ihrer Essenz menschlich.

Nach 1860

Rassistische Darstellung eines Iren von 1871

Die Entdeckungen Darwins zur Evolution trugen deutlich zu einer Veränderung des Irenbildes bei. Die Verneinung der Genesis des Menschen und dessen göttlicher Abstammung gefährdete die Noblesse der "angelsächsischen Rasse". Hieraus folgte die Annahme, dass es einige "Rassen" geben musste, die dem Affen ähnlicher waren, um die Noblesse der Angelsachsen zu wahren. Zu diesen Rassen gehört auch die keltische, deren Blut nicht "rein" ist, während das der Angelsachsen es sehr wohl ist (was aus anthropologischer Sicht allerdings kaum haltbar ist); der keltische Ire wird zum "White Negro". Im Zuge der Degradierung der Iren entsteht eine neue Welle des militanten Fenianismus seitens der Iren, die wiederum zum Bild des irischen Unruhestifters beiträgt. In den 1880er Jahren bildet sich das Home Rule Movement um den Politiker Gladstone. In den Karikaturen nach 1860 schlagen sich sowohl die neue Rassenlehre, als auch der militanten Fenianismus sowie die neue politische Aktivität der Iren nieder: der schweineähnliche, aber essentiell menschliche Paddy des frühen 19. Jahrhundert wandelt sich zu einem affenartigen Caliban. Den Höhepunkt bildet hierbei eine frühere Karikatur des Londoner Karikaturisten Matt Morgan aus dem Jahr 1869, die den Titel The Irish Frankenstein trägt und den Iren als eine Mischung aus einem Orang-Utan und einem Dorftrottel darstellt. Die Darstellung der Iren als eher menschliche Affen als affenartige Menschen hält noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts an. Dabei galt: je militanter die Fenians wurden, desto affenartiger wurden sie dargestellt. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Karikaturen aus den USA.

20. Jahrhundert

Nach der Trennung Irlands verringerte sich auch das Interesse Englands daran, die Iren zu verunglimpfen. Neuen Aufschwung erhielten Vorurteile jedoch 1969 durch die Gründung der IRA, deren Erscheinen als Ursache des katholisch-protestantischen Konflikts in Nordirland gesehen wurde anstatt als Folge der britischen Divide and Rule-Taktik. Zeitgenössische Karikaturen stellen England als Mediator zwischen den sich bekämpfenden Iren dar, verschweigen aber meist den Einfluss, den die englische Politik der vergangenen Jahrhunderte auf die Verhältnisse in Nordirland hatte. Auch heute sind Witze, in denen die Iren als dumme, rückständige und streitlustige Trunkenbolde dargestellt werden, in England noch weit verbreitet.

Siehe auch

Bibliographie

  • Curtis, L. Perry: Apes and Angels: The Irishman in Victorian Caricature. Smithsonian, 1997.
  • Curtis, Liz: Nothing But The Same Old Story: The Roots of Anti-Irish Racism. Sasta, 1985.
  • Gerald of Wales: The History and Topography of Wales. Penguine Classics, 1983.
  • Jonathan Swift: A Modest Proposal.... Online bei: pagebypagebooks.com.
 Wikisource: Erin in New-York – Friedrich Lexow, in Die Gartenlaube (1866), Heft 20, S. 318–319

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