- Lorentzkraft
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Die Lorentzkraft ist die Kraft, die ein elektromagnetisches Feld auf eine elektrische Ladung ausübt, benannt nach dem niederländischen Mathematiker und Physiker Hendrik Antoon Lorentz.
Die Verwendung des Begriffs „Lorentzkraft“ ist dabei allerdings uneinheitlich. Während ältere Lehrwerke[1] meist zwischen der Lorentzkraft im engeren Sinne FL und der Coulombkraft FC unterscheiden, ersterer von magnetischen Feldern auf bewegte Ladungen ausgeübt, letzterer analog von elektrischen Feldern auf unbewegte Ladungen, tendiert die neuere Literatur dahin, beide Kräfte als die magnetische Komponente FB sowie elektrische Komponente FE der Lorentzkraft im weiteren Sinne, d. h. der Gesamtkraft FB + FE, aufzufassen und zu beschreiben.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Definition
Bewegt sich eine elektrische Ladung mit der Geschwindigkeit durch ein elektromagnetisches Feld, berechnet sich die insgesamt auf die Ladung wirkende Lorentzkraft im weiteren Sinne wie folgt:
und sind dabei die elektrische und magnetische Komponente der Lorentzkraft im weiteren Sinne, die elektrische Feldstärke, die magnetische Flussdichte und das Zeichen das des Vektor- oder Kreuzprodukts der beteiligten Vektoren.
Aus der Tatsache, dass das Resultat eines solchen Produkts kraft Definition stets senkrecht auf beiden Ausgangsvektoren stehen muss und das Skalarprodukt orthogonaler Vektoren gleich 0 ist, ergeben sich für den vereinfachten Fall eines nicht vorhandenen äußeren elektrischen Felds (E = 0) die folgenden beiden interessanten Schlussfolgerungen:
- Da senkrecht auf der durch und aufgespannten Ebene steht und das Spatprodukt definitionsgemäß gleich 0 ist, wird bei der rein magnetischen Ablenkung der Ladung aufgrund der Herleitung
- im Gegensatz zur Ablenkung einer Ladung im elektrischen Feld keinerlei Arbeit verrichtet, anders gesagt: Die kinetische Energie einer allein durch ein Magnetfeld gleichbleibender Stärke abgelenkten Ladung und damit auch ihre Bahngeschwindigkeit bleiben dabei unverändert (gleiches gilt dabei auch für relativistische Teilchen, nicht jedoch für Ablenkungen in zeitlich veränderlichen Magnetfeldern wie etwa denen eines Betatrons).
- Verlaufen die beiden Vektoren und parallel oder antiparallel zueinander, wird gleich 0, anders gesagt: Bewegt sich eine Ladung in Feldlinienrichtung eines Magnetfelds oder genau entgegengerichtet, findet keinerlei Ablenkung statt.
Betrachtet man dagegen, wie in älteren Physik-Lehrbüchern üblich, als Lorentzkraft im engeren Sinne allein die magnetische Komponente der obigen Gesamtkraft , gilt für ihre Berechnung entsprechend die Formel:
Die in solchem Fall ebenfalls separat betrachtete elektrische Komponente der Lorentzkraft im weiteren Sinne wird dann als Coulombkraft bezeichnet und wie folgt berechnet:
Die Formelzeichen und bzw. und bezeichnen dabei jeweils einander Entsprechendes, wobei man der Klarheit der Schreibweise wegen nach Möglichkeit die eine oder die andere Konvention beibehalten sollte.
Formulierung der Lorentzkraft im cgs-System
Im Unterschied zu der obigen Schreibweise der Formel für die Lorentzkraft , die auf dem in der Elektrotechnik und den experimentellen Naturwissenschaften üblichen sog. „Internationalen Maßsystem“ basiert, schreibt man in der theoretischen Physik, und allgemeiner besonders in England und den USA, für dieselbe Kraft in den äquivalenten, aber leicht verschiedenen cgs-Einheiten:
- ,
wobei die Größen und den entsprechenden SI-Größen weitgehend äquivalent sind, man sie also der Einfachheit halber meist ohne spezielle Indizes ebenfalls als und bezeichnet. Genaugenommen aber gilt:
- und
mit der dimensionsbehafteten Dielektrizitätskonstanten im Vakuum (für die systematische Umrechnung von Größen des SI-Systems ins cgs-System und umgekehrt siehe den entsprechenden Abschnitt im Artikel über die Maxwellschen Gleichungen).
Lorentzkraft auf bewegte Punktladungen
Als bewegte Punktladungen werden in der Physik kleine freie Ladungen wie etwa Elektronen, Protonen oder andere geladene Elementarteilchen, z. B. α-Teilchen, aber auch Ionen betrachtet, die sich frei im Raum, z. B. Vakuum oder in einer Salzlösung, bewegen können.
Da die Richtung der Lorentzkraft abhängig vom Vorzeichen der Ladung q ist, werden entgegengesetzt geladene Punktladungen dabei, gleiche Bewegungsrichtung vorausgesetzt, auch in entgegengesetzte Richtungen abgelenkt. Bewegen sich die entgegengesetzt geladenen Punktladungen dagegen außerdem (z. B. in einer Salzlösung, an die man eine elektrische Spannung gelegt hat) in entgegengesetzte Richtungen, ist die Richtung ihrer magnetischen Ablenkung wieder für beide Punktladungen dieselbe [2] (siehe nebenstehende Abbildungen).
Der Betrag der Lorentzkraft ergibt sich dabei gemäß der Beziehung
zu
mit α als dem Winkel zwischen der Bewegungsrichtung von q und der Richtung des Magnetfelds bzw. seiner Flussdichte .
Bewegt sich die Punktladung genau senkrecht zum Magnetfeld, gilt aufgrund der Beziehung sin α = 1 die vereinfachte Gleichung
Lorentzkraft am elektrischen Leiter
Die Lorentzkraft ist das zentrale Bindeglied der Umwandlung elektrischer Energie in mechanische Energie und umgekehrt: Fließt durch einen elektrischen Leiter senkrecht zu den Feldlinien eines ihn umgebenden Magnetfelds ein Strom, führt dies zu einer mechanischen Bewegung des Leiters, und wird umgekehrt ein elektrischer Leiter mechanisch, d.h. durch äußere Krafteinwirkung, senkrecht zu den Feldlinien eines ihn umgebenden Magnetfelds bewegt, wird dadurch in ihm eine elektrische Spannung (und ggf. auch ein elektrischer Strom) "induziert".
Für das Zustandekommen der Lorentzkraft ist dabei unerheblich, was im einzelnen die Bewegung der Ladungsträger innerhalb des Leiters herbeiführt, die Wirkung einer äußeren mechanischen Kraft oder z.B. die Coulombkraft eines elektrischen Feldes - was zählt, ist allein, dass sich die Ladungsträger, im Falle eines metallischen Leiters dessen Leitungselektronen, bewegen und dadurch ein ihre Bahn umrundendes Magnetfeld erzeugen, das, wenn sich dessen Feldlinien mit denen des umgebenden äußeren Magnetfelds überlagern, die Ladungsträger zur Seite ablenkt.
Ebenfalls unerheblich ist, ob sich die Ladungsträger dabei, wie im vorherigen Abschnitt diskutiert, frei durch den Raum bewegen, oder aber im Inneren eines elektrischen Leiters, z.B. einer mit einem Elektrolyt gefüllten Glasröhre oder eines Metalldrahts.
- 1. Fließen also z.B. in einem Metalldraht dessen Leitungselektronen in Längsrichtung des Drahts durch ein senkrecht dazu verlaufendes Magnetfeld, werden sie dabei allesamt in gleicher Weise und Richtung zur Seite abgelenkt, und damit auch der Metalldraht als ganzer.
- 2. Schiebt man den Metalldraht dagegen mit seiner Breitseite quer durch ein senkrecht zur Verschiebungsrichtung verlaufendes Magnetfeld, passiert im Grunde auch diesmal dasselbe, nur dass nun die Elektronen innerhalb des Drahtes der Lorentzkraft nachgeben können und allesamt in Richtung eines der beiden Drahtenden fließen, wo sich aufgrund dessen binnen kurzem ein Elektronenüberschuss einstellt, am anderen Drahtende dagegen ein Elektronenmangel, zwischen beiden Drahtenden also eine elektrische Ur- oder Quellenspannung, historisch auch „elektromotorische Kraft“ (EMK) genannt.
- 3. Überbrückt man nun beide Enden des Metalldrahts mit Hilfe eines Drahtbügels, der dabei nicht auch gegenüber dem Magnetfeld bewegt wird, entsteht eine geschlossene Leiterschleife, über die sich die im Draht induzierte Spannung ausgleichen und einen elektrischen Strom fließen lassen kann.
- Damit aber schließt sich der Kreis, nun auch auf der Ebene der Lorentzkräfte. Denn mit dem Stromfluss quer zur Verschiebungsrichtung des Drahtes tritt eine zweite Schar von Lorentzkräften auf den Plan, die die Leitungselektronen wieder, wie zuvor in Pkt. 1 beschrieben, quer zu ihrer Stromrichtung ablenkt, und zwar diesmal genau entgegengesetzt zur Richtung der äußeren Verschiebung. Anders gesagt, versucht der durch die Verschiebung des Leiters in diesem induzierte Strom genau diese Verschiebung wieder aufzuhalten, und zwar umso stärker, je abrupter man den Leiter zu verschieben versucht bzw. je höher dessen elektrische Leitfähigkeit ist (vgl. Lenzsche Regel).
Das umgebende Magnetfeld, bei Motoren und Generatoren auch „Erregerfeld“ genannt, ist dabei in allen drei Fällen nur Vermittler - mit ihm selbst wird keinerlei Energie ausgetauscht: Was im ersten Fall an elektrischer Energie in den Stromfluss durch den Metalldraht „investiert“ wird, wird über die Lorentzkraft in die Bewegungsenergie des zur Seite ausschlagenden Metalldrahts umgesetzt, und umgekehrt: Was im zweiten Fall an Bewegungsenergie in die Verschiebung des Metalldrahts „investiert“ wird, wird über die Lorentzkraft in elektrische Energie (und diese ggf. weiter in Wärme) umgesetzt.
Umwandlung elektrischer in mechanische Energie
Um die genannten Vorgänge auch rechnerisch zu erfassen, wird der Einfachheit halber zunächst einmal nur ein gerades Stück Draht der gerichteten Länge betrachtet, durch das senkrecht zu den Feldlinien eines zeitlich konstanten homogenen äußeren Magnetfelds der Flussdichte ein ebenfalls zeitlich konstanter Strom der Stärke fließt, seine Leitungselektronen sich also mit der gleichbleibenden Geschwindigkeit durch den Draht bewegen und dabei in der Laufzeit die Gesamtladung
mit der Geschwindigkeit
vom einen Ende des Drahtes zum anderen transportieren. Wegen ist damit die Summe der Lorentzkräfte auf alle am Stromfluss beteiligten Leitungselektronen und damit das Drahtstück als ganzes
Die zugehörige Betragsgleichung lautet dann:
mit α als dem Winkel zwischen der Längsrichtung des Drahtes, also Flussrichtung von I und der Richtung des Magnetfelds bzw. seiner Flussdichte .
Verläuft der Draht genau senkrecht zum Magnetfeld, gilt aufgrund der Beziehung sin α = 1 die vereinfachte Gleichung
Umwandlung mechanischer in elektrische Energie
Für den umgekehrten Fall, also die mechanische Bewegung eines Leiters im magnetischen Feld, sei der Einfachheit halber wieder ein gerades Stück Draht der Länge betrachtet, das nun mit der konstanten Geschwindigkeit quer durch ein senkrecht zu ihm verlaufendes zeitlich konstantes homogenes äußeres Magnetfeld der Flussdichte geschoben werde, also so, dass die Längsrichtung des Drahtes dabei außerdem senkrecht auf steht.
Wie weiter oben erläutert, halten sich in diesem Fall zwei Kräfte die Waage, zum einen die Lorentzkraft , die die Leitungselektronen des Drahtes in Richtung eines seiner beiden Enden verschiebt, zum anderen die auf die Leitungselektronen wirkende Coulombkraft aufgrund der durch die Ladungstrennung zwischen beiden Leiterenden induzierten elektrischen Spannung:
Herauskürzen der, wie zu sehen, hier gänzlich unerheblichen Gesamtladung und skalare Multiplikation mit dem Vektor der gerichteten Leiterlänge liefert schlussendlich die Gleichung für die gesuchte Induktionsspannung :
Verlaufen alle drei Vektoren, wie eingangs verlangt, senkrecht zueinander, vereinfacht sich das Spatprodukt l·(v×B)=(l×v)·B zu der bekannten Formel
in der das Minuszeichen andeutet, dass die Induktionsspannung stets so gerichtet ist, dass der auf ihrer Grundlage fließende Induktionsstrom der Ursache der Induktionsspannung entgegenwirkt (vgl. Lenzsche Regel).
Überbrückt man nun beide Enden des untersuchten Leiters mit einem ohmschen Widerstand der Größe R, der dabei nicht ebenfalls gegenüber dem Magnetfeld bewegt wird, entsteht eine geschlossene Leiterschleife, über die sich die Induktionsspannung ausgleichen kann, diese und das Produkt also gemäß der Kirchhoffschen Maschenregel die Summe Null liefern müssen:
Lorentzsche Gegenkraft
Soll anhand des so bestimmten Induktionsstroms die der Verschiebung des Leiters im Magnetfeld entgegenwirkende sekundäre Lorentzkraft FL2 berechnet werden, erfolgt dies zweckmäßigerweise über die weiter oben angeführte Formel der Lorentzkraft auf einen stromdurchflossenen Leiter
die sich unter der Bedingung der jeweils paarweisen Orthogonalität aller drei Vektoren (s.o.) mit Hilfe des Graßmannschen Entwicklungssatzes zu der Formel
vereinfachen lässt. Wie zu sehen, ist die Gegenkraft FL2 unter den genannten Bedingungen nicht nur der Verschiebungsrichtung entgegengesetzt, sondern auch dem Gesamtwiderstand R der Leiterschleife umgekehrt proportional - lässt man R, wie in Supraleitern möglich, verschwindend klein werden, wird damit eine Bewegung der Leiterschleife im Magnetfeld praktisch unmöglich.
Des Weiteren ist FL2 der Verschiebungsgeschwindigkeit v direkt proportional, womit obige Gleichung ihrer mathematischen Natur nach eine Differentialgleichung ist, deren Lösung die folgende Exponentialfunktion liefert:
Wie u.a. von Wirbelstrombremsen bekannt, ist die Geschwindigkeitsabnahme aufgrund der Gegenkraft FL2 dabei zu Beginn (t = 0) am größten, um anschließend gemäß obiger Zeitfunktion exponentiell abzuklingen.
Wirkungsprinzip
Die Lorentzkraft ergibt sich in der lagrangeschen Formulierung der Bewegung eines geladenen Teilchens der Ladung q und Masse m aus der Lagrangefunktion
Hierbei sind und das skalare Potential und das Vektorpotential, die zu der elektrischen Feldstärke
und der magnetischen Flussdichte: gehören.
Das Prinzip der stationären Wirkung führt auf die Euler-Lagrange-Gleichungen
Die Auswertung der in den Nabla-Operatoren vorkommenden partiellen Ableitungen liefert:
Dabei ist der erste Term in den runden Klammern der Impuls eines sich mit der Geschwindigkeit bewegenden Teilchens:
Die totale zeitliche Ableitung des Vektorpotentials, das explizit von Zeit und allen Ortskoordinaten abhängig ist, lautet unter Benutzung der Vektorrelation :
Eingesetzt ergibt sich:
Somit erhält man die Bewegungsgleichung in Abhängigkeit von E und B.
Beispiele
Definition des Amperes
Die Lorentzkraft ist seit 1948 Grundlage der bis heute international gültigen Definition des Amperes:
- Ein Ampere ist demnach „die Stärke eines zeitlich unbegrenzt unveränderlichen elektrischen Stroms, der durch zwei parallel im Abstand von 1 m im Vakuum angeordnete geradlinige, unendlich lange Leiter mit vernachlässigbar kleinem, kreisförmigen Querschnitt fließend, elektrodynamisch die Kraft von 2 · 10−7 N je m Leiterlänge zwischen diesen Leitern hervorrufen würde.“
Technische Anwendungen der Lorentzkraft
- Elektromotoren und Generatoren, z. B. der Fahrraddynamo
- Ablenkmagnete und Ablenksysteme zur Fokussierung und Ablenkung von Elektronenstrahlen (zum Beispiel in der Kathodenstrahlröhre, in Bildröhren und im Synchrotron)
- Wienfilter, das nur Ionen einer bestimmten Geschwindigkeit passieren lässt
- Hall-Effekt und Hall-Sensor
- Magnetohydrodynamischer Generator
- Magnetohydrodynamischer Antrieb
- Massenspektrometer
- elektrodynamische Wandler, zum Beispiel Lautsprecher, dynamische Mikrofone, Drehspulmesswerke
- magnetischer Einschluss des Plasmas in Kernfusionsreaktoren wie beim Tokamak und Stellarator
Lorentzkräfte in der Natur
- Die Ablenkung des Sonnenwinds durch das Magnetfeld der Erde im Van-Allen-Gürtel erfolgt durch die Lorentzkraft - beim Eintritt des Sonnenwinds in tiefere Luftschichten entsteht daraus das Polarlicht.
Einzelnachweise
- ↑ Dieter Meschede: Gerthsen Physik. 23. Auflage. Springer, Berlin, 2006, ISBN 978-3-540-25421-8.
- ↑ Erinnerung: Rotierender Elektrolyt; In: Vladimir Dyakonov: Einführung in die Physik II für Studierende der Naturwissenschaften und Zahnheilkunde, Sommersemester 2007 (VL #24 am 8. Juni 2007)
Siehe auch
Weblinks
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Commons: Lorentzkraft – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien
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Wiktionary: Lorentz-Kraft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
- Java-Applet zum Experimentieren mit der Lorentzkraft
- Ein weiteres Modell, bei dem q, v und B variiert werden können
- Versuche und Aufgaben zur Lorentzkraft (LEIFI)
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