Lucrezia Borgia

Lucrezia Borgia
Zeitgenössische Darstellung Lucrezia Borgias als Herzogin von Ferrara, Kupferstich einer Medaille nach einem Wachsmodell von Filippino Lippi.[1]
Unterschrift Lucrezia Borgias

Lucrezia Borgia [luˈkrɛtːsi̯a ˈbɔrdʒa] (lat. Lucretia Borgia; span. Lucrecia Borja;18. April 1480 in Rom oder Subiaco; † 24. Juni 1519 in Belriguardo bei Ferrara) war eine italienisch-spanische Renaissancefürstin und die außereheliche Tochter Papst Alexander VI. mit seiner Geliebten Vanozza de' Cattanei. Sie war die Schwester von Cesare, Juan und Jofré Borgia.

Die von Zeitgenossen als hübsch und lebenslustig beschriebene Lucrezia wurde nach dem Aufstieg ihrer berüchtigten Familie Nutznießerin, vor allem aber Instrument der Politik ihres Vaters.

Alexander VI., der sie über alles liebte, übergab ihr mehrfach während seiner Abwesenheit die Regierungsgeschäfte im Vatikan. Er verheiratete sie dreimal in politisch motivierten Ehen, um die Macht der Borgia zu festigen. Lucrezias erste Ehe mit Giovanni Sforza wurde aufgelöst, als sie für die Borgia ihren Nutzen verlor, ihr zweiter Ehemann, Alfonso von Aragon (1481–1500), Herzog von Bisceglie, wurde vermutlich auf Befehl ihres Bruders Cesare ermordet. In dritter Ehe heiratete sie schließlich Alfonso d'Este, Herzog von Ferrara, mit dem sie bis zu ihrem Tod verheiratet blieb und mehrere Kinder hatte.

Den Tod ihres Vaters und den Fall ihres Bruders Cesare und der Familie Borgia in Italien überstand Lucrezia unbeschadet, sie starb, hoch geehrt, als Herzogin von Ferrara.

Die Familie Borgia verkörpert noch heute wie keine andere die Machtgier und moralische Korruption des Papsttums der Renaissance, und Lucrezia Borgia behielt über Jahrhunderte hinweg den Ruf einer verruchten Giftmischerin, Ehebrecherin und Blutschänderin mit ihrem Vater und Bruder Cesare. Diese Vorwürfe hatten ihren Ursprung in den Gerüchten und Verleumdungen ihrer eigenen Zeit und wurde später von so berühmten Autoren wie Victor Hugo und Alexandre Dumas in deren Werken aufgegriffen und verstärkt. Erst die moderne Geschichtsforschung betrachtet Lucrezia Borgia in einem anderen Licht und verwirft diese Anklagen.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

Rodrigo Borgia

Lucrezia Borgia wurde als drittes von vier Kindern des spanischen Kardinals und Vizekanzlers der Kirche, Rodrigo Borgia, später Papst Alexander VI., und seiner langjährigen italienischen Geliebten Vanozza de’ Cattanei geboren. Sie kam vermutlich in Subiaco, einer Festung ihres Vaters außerhalb von Rom, zur Welt, weil ihr Vater aus Rücksicht auf seine Kirchenkarriere die Existenz seiner illegitimen Familie zunächst geheim halten wollte. Uneheliche Kinder waren unter Klerikern jener Zeit zwar weit verbreitet, wurden jedoch meist als Neffen und Nichten ausgegeben. Rodrigo Borgia löste deshalb nach seiner Wahl zum Papst einen Skandal aus, als er sich offen zu seinen Kindern bekannte, die damit europaweit bekannt wurden. Besonders Lucrezia und ihr Bruder Cesare erlangten einen bis heute anhaltenden berühmt-berüchtigten Ruf.

Leben

Frühe Jahre

Lucrezia Borgia verbrachte ihre frühe Kindheit vermutlich im Haus ihrer Mutter an der Piazza Pizzo di Merlo und wurde zumindest teilweise von Nonnen im dominikanischen Frauenkloster San Sisto unterrichtet. Sie erhielt die typische Ausbildung einer hochstehenden Dame ihrer Zeit, zu der humanistische Literatur, Redegewandtheit und Tanzen gehörten. Neben Italienisch und dem innerhalb der Borgia-Familie gesprochenen Katalanischen beherrschte sie Französisch und Latein (sie verfasste u.a. Gedichte in diesen Sprachen) und verstand Griechisch. Zu ihrer Bibliothek gehörten bei ihrem Tod Werke von Francesco Petrarca bis Dante Alighieri. Sie liebte zudem zeitlebens Musik und Poesie und betätigte sich später als Mäzenin für Künstler und Dichter.[2]

Pinturicchio, Traditionell für Lucrezia Borgia gehaltenes Porträt im Appartamento Borgia im Vatikan, dargestellt als Hl. Katharina

Noch vor ihrem zwölften Lebensjahr gab ihr Vater sie in die Obhut seiner mit Ludovico Orsini verheirateten Kusine Adriana de Mila, einer spanischen Adeligen, die Lucrezia als Erwachsene in einem Brief als „meine Mutter“ bezeichnete. Die Beziehung zu ihrer Mutter Vanozza blieb von da an distanziert, ihrem Vater dagegen stand sie sehr nahe. Rodrigo Borgia, der neben ihr und ihren Brüdern bereits drei Kinder hatte und später noch mehr zeugen sollte, liebte vor allem Lucrezia laut den Chronisten „außerordentlich“.[3] Von ihren Geschwistern stand sie ihrem Bruder Cesare am nächsten; später wurden ihr sowohl mit ihm als auch ihrem Vater Inzest vorgeworfen.

Tochter des Papstes

1492, als Lucrezia zwölf Jahre alt war, wurde ihr Vater zum Papst gewählt. Er ließ daraufhin Lucrezia, Adriana de Mila und deren junge Schwiegertochter, seine neue Geliebte Giulia Farnese, im Palazzo Santa Maria in Portico nahe am Vatikan unterbringen. Lucrezia rückte damit ins Licht der Öffentlichkeit und vor allem ins Augenmerk der größtenteils feindlich gesinnten Borgia-Chronisten und der Abgesandten der diversen italienischen und europäischen Fürstentümer am päpstlichen Hof.[4] Der Gesandte Niccolò Cagnolo aus Parma beschrieb Lucrezias Erscheinungsbild:

„Sie ist von mittlerer Größe und anmutiger Gestalt, ihr Gesicht ist eher lang, die Nase schön geschnitten, das Haar golden, die Augen haben keine besondere Farbe, ihr Mund ist ziemlich groß, die Zähne sind strahlend weiß, ihr Hals ist schlank und schön, ihr Busen bewundernswürdig geformt. Immer ist sie fröhlich und lächelt.[5]

Wie von allen adeligen Mädchen ihrer Zeit wurde von Lucrezia erwartet, dass sie früh eine für ihre Familie politisch vorteilhafte Ehe einging. Als Lucrezia elf Jahre alt war, verlobte sie ihr Vater mit Don Querubi de Centelles, dem Sohn des Grafen von Oliva und Angehörigen eines alten spanischen Adelsgeschlechtes. Die Verträge wurden im Frühjahr 1491 durch den Notar Beneimbene besiegelt und am 16. Juni 1491 Lucrezia eröffnet.[6] Diese Verlobung wurde bald aufgehoben und Lucrezia nach der Bestätigung des Ehevertrags im April 1492 rechtskräftig mit Don Gasparo da Procida e Anversa, dem Sohn des Grafen Gian Francesco von Aversa verlobt.[7] Als ihr Vater am 26. August 1492 Papst wurde, hob er auch diese Verbindung auf, um Lucrezia noch günstiger zu vermählen. Er zahlte laut dem Chronisten Burchard 3.000 Dukaten, um den Ehevertrag zu brechen, da der Verlobte bereits nach Rom gekommen war und die Einlösung des Vertrags forderte. Ascanio Sforza, jetzt der einflussreichste Kardinal und Vertraute Alexanders VI., betrieb nämlich die Vermählung Lucrezias mit einem Mitglied seines Hauses, Giovanni Sforza von Pesaro. Am 23. April 1493 wurde der Ehevertrag unterzeichnet, der die Eheschließung zwischen Lucrezia und Givoanni Sforza, Graf von Cotignola und Herr von Pesaro, regelte. Giovanni traf am 9. Juni 1493 in Rom ein, wo er von Lucrezia in einem Kleid aus himmelblauen Brokat und Giulia Farnese im Palazzo bei Santa Maria di Portico erwartet wurde.[8]

Flora, Gemälde von Bartolomeo Veneto, früher fälschlicherweise als Porträt Lucrezia Borgias angesehen [9]

Ehe mit Giovanni Sforza

Am 12. Juni 1492 heiratete Lucrezia Giovanni Sforza, Graf von Pesaro und Cousin Ludovico Sforzas, des Herrschers von Mailand, und wurde damit Gräfin von Pesaro. Ihr Vater war damit eine politische Allianz mit den Sforzas eingegangen.[10] Das Paar lebte zunächst getrennt, da wegen der Jugend der Braut der Vollzug der Ehe verschoben worden war.[11] Nachdem der König von Frankreich im Frühjahr 1494 die Krone von Neapel forderte und die Borgia und die Sforza unterschiedliche Stellungen dazu bezogen, wünschten die Borgia eine Auflösung der Ehe Lucrezias mit Giovanni Sforza. So erklärte ihr Vater auch diese Ehe für ungültig. Der am 20. Dezember 1497 wegen angeblicher Impotenz von ihr geschiedene Gatte Giovanni Sforza behauptete damals, dass seine Ehe nur aufgelöst worden sei, damit ihr Vater und ihr Bruder Cesare Borgia ungestört Blutschande mit Lucrezia treiben könnten.[12] Angeblich soll der zu dieser Zeit geborene Giovanni Borgia, genannt infans romanus, der in zwei Bullen einmal als Sohn Alexanders und einmal als Sohn Cesares genannt wird, dieser Verbindung entsprungen sein. Nach einer anderen Theorie soll das Kind aus einer Affäre Lucrezias mit Perotto, dem Boten ihres Vaters, stammen.

Ehe mit Alfonso Bisceglie

Ihr zweiter Ehemann, Alfonso von Aragon, war ein Neffe des Königs Federigo von Neapel aus dem Haus Trastámara. Diese Ehe sollte die Verbindung der Borgias zu Neapel und Spanien festigen, nachdem Lucrezias Bruder Jofré bereits vier Jahre zuvor 1494 Alfonsos Schwester Sancha von Aragon geheiratet hatte. Am 20. Juni 1498 wurde der Ehevertrag in Abwesenheit beider Brautleute im Vatikan unterschrieben. Nach der eigentlichen Hochzeitsfeier am 21. Juli 1498 blieben die Eheleute in Rom und wohnten im Palazzo von Lucrezia.[13] Alexander VI. ernannte seine Tochter zur Herrscherin von Spoleto und Foligno und teilte dies am 8. August 1499[14] den Städten mit. Später ernannte er sie auch zur Herrscherin von Nepi, jedoch kehrte Lucrezia kurz darauf mit ihrem Ehemann nach Rom zurück und gebar am 1. November 1499 um sechs Uhr früh ihren Sohn Rodrigo, den späteren Herzog von Bisceglie. Am 11. November 1499, dem Martinsfest, wurde der Säugling in der Kapelle von Sixtus in St. Peter durch Kardinal Carafa feierlich getauft. Alle in Rom anwesenden Kardinäle nahmen daran teil.[15]

Gemälde um 1500, Personen von links nach rechts: Cesare Borgia - Kardinal Pedro Luis de Borja - Niccolò Machiavelli - Michelotto Corella

Da sich der Papst und Cesare Borgia jedoch inzwischen mit den Franzosen gegen Spanien und Neapel verbündet hatten, kam es zu schweren Konflikten mit dem Schwiegersohn und Schwager. Alfonso wurde am 15. Juli 1500 um elf Uhr nachts auf dem Weg vom Vatikan zum Palazzo Santa Maria in Portico, wo er und Lucrezia wohnten, auf dem Petersplatz überfallen und am Kopf, am rechten Arm und am Schenkel durch Dolchsstiche schwer verwundet. Den Angreifern gelang die Flucht und so konnten die Drahtzieher hinter diesem Attentat nie ermittelt werden. Alexander VI. ließ seinen Schwiegersohn sofort neben seinen privaten päpstlichen Räumen unterbringen und von seinen eigenen Ärzten behandeln. Lucrezia und ihre Schwägerin Sancia pflegten Alfonso bis er am 14. August 1500 von Michelotto im Auftrag Cesares oder des Papsts selbst ermordet wurde.[16] Laut den Schilderungen drang eine Truppe bewaffneter Männer unter der Führung von Cesares Hauptmann Michelotto Corella in die päpstlichen Gemächer ein und verhaftete die Ärzte. Lucrezia folgte dem Rat von Michelotto und eilte zu ihrem Vater, um den Haftbefehl aufzuheben. Nach ihrer Rückkehr fand sie Alfonso erdrosselt vor.[17] Ein gewisser Brandolin beschrieb die erschütternde Szene, die von anderen Augenzeugen bestätigt werden konnte:

"Auf Anraten der Ärzte wurden die Wunden schon verbunden, der Kranke (Alfonso) hatte kein Fieber mehr oder doch nur sehr wenig und scherzte im Schlafzimmer mit seiner Frau und seiner Schwester, als plötzlich ... Michelotto (Miguel da Corella), der unheimliche Diener Cesare Valentinos (Lucrezias Bruder), ins Zimmer eindrang. Er packte mit Gewalt Alfonsos Onkel und den königlichen Gesandten (Neapels), und nachdem er ihnen die Hände hinter dem Rücken verbunden hatte, übergab er sie zwei Bewaffneten, die hinter der Tür standen, damit diese sie in den Kerker führten. Lucrezia, Alfonsos Gattin, und Sancia, seine Schwester, schrien, von der Plötzlichkeit und Gewaltsamkeit des Vorgefallenen überrascht, Michelotto an und fragten, wie er es wagen könne, eine solche Missetat vor ihren Augen und in Gegenwart Alfonsos zu verüben. Er entschuldigte sich, so beredt er konnte, und erklärte, er gehorche nur dem Willen anderer, er müsse nach den Befehlen anderer leben, aber wenn sie wollten, könnten sie zum Papst gehen, und es wäre ein leichtes, die Freilassung der Verhafteten zu erwirken. Von Zorn und Mitleid überwältigt... gingen die beiden Frauen zum Papst und bestanden darauf, daß er ihnen die Gefangenen herausgebe. Unterdessen erdrosselte Michelotto, der schurkischste aller Verbrecher und verbrecherischste aller Schurken, Alfonso, der ihn wegen seiner Missetat entrüstet getadelt hatte. Als die Frauen vom Papst zurückkehrten, fanden sie bewaffnete Männer vor der Zimmertür, die ihnen den Eintritt verwehrten und meldeten, daß Alfonso tot sei. Michelotto, der Urheber des Verbrechens, erfand die weder wahre noch auch nur halbwahre Geschichte, daß Alfonso, außer Fassung gebracht durch die Größe der Gefahr, in der er schwebte, da er gesehen, wie man Männer, die ihm durch Verwandtschaft und Wohlwollen verbunden waren, von seiner Seite gerissen hatte, ohnmächtig zu Boden gestürzt sei und daß aus der Wunde in seinem Kopf viel Blut geflossen und er so gestorben sei. Die Frauen, entsetzt über diese grausame Tat, von Angst bedrückt und außer sich vor Kummer, erfüllten den Palast mit ihrem Schreien, Jammern und Klagen, und die eine rief nach ihrem Gatten, die andere nach ihrem Bruder, und ihre Tränen hatten kein Ende..."[18]

Johannes Burchard bestätigte Brandolins Schilderung und verwendete folgenden bedeutungsschweren Satz: Da Alfonso "sich weigerte, seinen Wunden zu erliegen, wurde er um vier Uhr nachmittags erdrosselt."[19] Sechs Stunden nach der Ermordung Alfonsos wurde dessen Leichnam in aller Stille in die Peterskirche gebracht und in der Kapelle Santa Maria delle Febbri in St. Peter beigesetzt.[20] Sein Mörder war angeblich Cesar Borgia, obwohl vermutlich in diesem Fall der Papst selbst den Tötungsauftrag gegeben hatte. Denn Alfonso hatte am Tag seiner Ermordung von dem Fenster seines Krankenzimmers aus auf Cesar, der im vatikanischen Garten spazierenging, mit einer Armbrust geschossen. Lucrezia zog sich daraufhin auf ihr Schloss in Nepi zurück, kam aber wenig später wieder nach Rom.

Ehe mit Alfonso I. d’Este

Lucrezia als Herzogin von Ferrara mit ihrem ältesten Sohn Ercole, Silberstich 1512

1501 bereitete Alexander VI. eine erneute Heirat vor. Diesmal war eine Ehe mit Herzog Alfonso I. d’Este von Ferrara vorgesehen. Zunächst zeigte sich Alfonso I. wie auch sein Vater Ercole I. sehr abgeneigt. Sie hielten es für unter ihrem hohen Stand, mit den Borgias eheliche Verbindungen einzugehen. Lucrezia war zudem eine unehelich geborene Papsttochter. Alexander konnte die d´Estes jedoch angesichts der Bedrohung durch Cesare Borgia in der Romagna erpressen sowie durch eine hohe Mitgift und andere Versprechungen (günstige päpstliche Belehnungen, finanzielle Vergünstigungen in Form des Erlasses der Tributzahlungen, Kardinalat für die d´Este usw.) überzeugen. Nach monatelangen Verhandlungen um den Ehekontrakt und die hohen Forderungen Ercoles bezüglich der Mitgift (Lucrezia sollte 200.000 Dukaten mit in die Ehe bringen. Er wollte zudem als Vikar von Ferrara von seinen kirchlichen Abgaben befreit werden und verlangte außerdem noch das Bistum Ferrara für seinen dritten Sohn, dem Kardinal Ippolito) kam es endlich zu einer Übereinkunft.[21] Lucrezia erhielt von ihrem Vater schließlich eine Mitgift von 100.000 Dukaten in Bargeld und 75.000 Dukaten in Schmuck, Kleidern und Wertgegenständen. Dazu wurden Ferrara seitens der Kirche finanzielle Vorteile gewährt, die ebenfalls ungefähr der Summe von 100.000 Dukaten entsprachen. Am 24. August 1501 wurde der Ehevertrag beurkundet.[22]

In der Zwischenzeit vertrat Lucrezia vom 25. September 1501 bis zum 17. Oktober 1501 als Stellvertreterin des Oberhauptes der Christenheit die Angelegenheiten des Papsttums im Vatikan, da ihr Vater mit Cesar eine Inspektionsreise zu den neuerworbenen Besitzungen der Borgias in der Nähe Roms unternehmen wollte. In dieser Zeit besaß Lucrezia die Vollmacht, die gesamte Korrespondenz des Papstes zu öffnen.[23] Ende Oktober 1501 wurde zu Ehren Alfonsos von Ferrara und seiner Braut Lucrezia in Anwesenheit des Papstes im Hause Cesars ein festliches Abendmahl gegeben, wo es zu unsittlichen Handlungen zwischen den anwesenden Gästen und Kurtisanen gekommen sein soll. Bei dieser Orgie tanzten die fünfzig Dirnen nach dem Mahl nackt mit Dienern und anderen Männern, krochen auf dem Boden zwischen brennenden Kerzenleuchtern umher und sammelten ausgestreute Kastanien. Männer, die am häufigsten den Akt vollzogen, erhielten Preise.[24] Diese Schilderung des Kastanienballs, die heute von ernsthaften Historikern nicht als Tatsachenbericht bewertet wird, stammt von Johannes Burchard, Zeremonienmeister am päpstlichen Hof.[25] Da wahrscheinlich auch Lucrezia bei diesem Fest anwesend war, mußte der Gesandte Ferraras in Rom daraufhin Ercole d´Este hinsichtlich seiner neuen Schwiegertochter mit folgendem Brief beruhigen:

Mögliches Porträt von Lucrezia als Herzogin von Ferrara, Gemälde von Bartolomeo Veneziano (um 1510)

"Lucrezia ist eine sehr kluge und reizende und auch ungemein liebenswürdige Dame. Sie ist nicht nur in jeder Weise außerordentlich anmutig, sondern auch bescheiden, liebenswert und sittsam. Überdies ist sie eine fromme, gottesfürchtige Christin. Morgens geht sie zur Beichte, und in der Weihnachtswoche wird sie die Kommunion empfangen. Sie ist sehr schön, aber noch auffallender ist der Zauber ihres Wesens. Kurz, ihr Charakter ist so beschaffen, daß es unmöglich ist, sie irgendwelcher 'unheimlicher' Dinge zu verdächtigen…"'[26]

Am 9. Dezember 1501 machte sich die Eskorte des Bräutigams ohne den Bräutigam selbst mit ungefähr 500 Personen von Ferrara nach Rom auf, um die Braut abzuholen. Die Borgias hatten derweil in Rom keine Kosten gescheut, um die Familie d'Este durch übertriebenen Prachtaufwand und kostspielige Festivitäten zu beeindrucken. Am 30. Dezember 1501 fand im Vatikan die Trauung per procurationem statt. Als Stellvertreter des abwesenden Gatten diente Alfonsos Bruder Ferrante, der mit seinen Brüdern Kardinal Ippolito und Sigismund den Brautzug begleitete.[27] Für Lucrezias dritten Ehemann war es die zweite Ehe. 1490 war er mit Anna Sforza (1473-1497), der jüngeren Schwester von Bianca Maria Sforza, verheiratet worden, die gegen Ende des Jahres 1497 an den Folgen einer Totgeburt gestorben war. Johannes Burchard hat die Trauungszeremonie detailliert geschildert:

"Nach dem Wettrennen am 30. Dezember stellten sich die Trompeter und allerart Musikanten auf der Plattform der Treppen von St. Peter auf und stimmten mit großer Macht alle ihre Instrumente an. Donna Lucrezia trat aus ihrer Wohnung neben der Peterskircher heraus, in einem auf spanische Weise gegürteten Goldbrokatgewand mit einer langen Schleppe, die eine Zofe ihr nachtrug. Rechts von ihr ging Don Ferdinand, links Don Sigismund, die Brüder ihres Gatten. Dann folgten etwa 50 römische Damen in prächtigen Gewändern und hinter diesen je zwei und zwei die Dienerinnen Lucrezias. Sie stiegen hinauf in den ersten Paulinischen Saal über dem Palastportal, wo sich der Papst mit 13 Kardinälen und Cesare Borgia befand. Der Bischof Porcario hielt eine Predigt und der Papst sagte ihm zu wiederholten Malen, er solle schneller machen. Als er endlich fertig war, wurde vor den Papst ein Tisch hingestellt. Don Ferdinand, sowie Donna Lucrezia traten vor den Papst an den Tisch heran und Ferdinand steckte im Namen seines Bruder Lucrezia einen goldenen Ring an.[28]

Das Grab von Lucrezia und Alfonso

Am 6. Januar 1502 verließ sie mit großem Gefolge Rom und wurde bei ihrem Auszug von sämtlichen Kardinälen und Abgeordneten bis zur Porta del Popolo begleitet. Für den Transport ihrer prächtigen Aussteuer waren mindestens 150 Maultiere im Einsatz.[29] Ein venezianischer Beobachter berichtete sogar, daß ihr Zug aus insgesamt 660 Pferden und Maultieren und 753 Personen bestand, unter denen sich auch die Köche, Sattler, Kellermeister, Schneider und der Goldschmied der Papsttochter befanden. Eine Bedingung des Ehevertrags war es, dass sie ihren Sohn aus der Ehe mit Alfonso von Aragon bei ihrer Schwägerin Sancha zurücklässen musste.[30] In Ferrara wurde sie am 1. Februar 1502 von ihrer Schwägerin Isabella d’Este, der Markgräfin von Mantua, empfangen. Alfonso galt als sachverständiger Kenner alles militärischen Wesens, besonders des Geschützgußes, und in allen ballistischen Fragen. Er vergnügte sich tagsüber bei Mätressen und Prostituierten, verbrachte jedoch die Nacht regelmäßig bei ihr.[31]

1505 wurde Alfonso nach dem Tod seines Vaters am 25. Januar 1505 Herzog von Ferrara, Modena und Reggio. Lucrezia wurde damit Herzogin von Ferrara.[32] Am Hof von Ferrara versammelte sie als Kunstmäzenin die berühmtesten Künstler, Schriftsteller und Gelehrten der Zeit wie Pietro Bembo, Ludovico Ariosto, Mario Equicola, Gian Giorgio Trissino und Filippo Strozzi um sich. Von dem Dichter Strozzi ist das berühmte Rosengedicht erhalten geblieben: "Rose, der Erde entsprossen, vom Finger gepflückt. Warum erscheinet schöner als sonst Dein farbiger Glanz? Färbt Dich Venus aufs neue? Hat Lucrezias Lippe Dir im Kusse so hold schimmernden Purpur verliehn?"[33] Nach dem Tod Alexanders VI. 1503 und einer Reihe von Unglücksfällen in der Familie d´Este zog sie sich jedoch immer mehr zurück und widmete sich dem religiösen Leben. Während dieser Ehe gebar sie acht Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten. Kurz nach der Geburt ihrer Tochter Isabella Maria starb sie tief betrauert von ihrem Ehemann am Kindbettfieber.[34] So schrieb Alfonso d'Este seinem Neffen Federigo Gonzaga nach ihrem Tod folgendes: "...Und nicht ohne Tränen kann ich dies schreiben, so schwer wird es mir, mich einer so lieben und süßen Gefährtin beraubt zu sehen, denn das war sie mir durch ihre guten Sitten und die zärtliche Liebe, die zwischen uns bestand. Bei so bitterem Verlust..."[35] Lucrezias Grab befindet sich beim Chor des Klosters Corpus Domini in Ferrara. Eine Stirnlocke Lucrezias, die sie einst dem Dichter Bembo geschenkt hatte, wurde von diesem sorgfältig aufbewahrt und liegt heute mit seinen berühmten Schriften in der Bibliotheca Ambrosiana in Mailand.[36]

Unternehmerisches Wirken

In Norditalien erwarb Lucrezia scheinbar wertloses Sumpfland, ließ es mit Hilfe von Entwässerungsgräben und Kanälen trockenlegen und nutzte es anschließend als Weide- oder Anbauland von Getreide, Bohnen, Oliven, Flachs und Wein. Innerhalb von sechs Jahren kaufte sie in Norditalien bis zu 20.000 Hektar Land und erwirtschaftete damit große Gewinne.[37]

Tod

Lucrezia starb am 24. Juni 1519, zehn Tage nach der Geburt ihres achten Kindes, einer Tochter, die den Namen Isabella Maria erhielt und am Tag ihrer Geburt starb, an Kinderbettfieber. Nach Lucrezias Tod wurden ihr von den Feinden ihrer Familie eine Reihe von Affären nachgesagt wie beispielsweise mit Pietro Bembo und Gianfrancesco Gonzaga, dem Ehemann ihrer Schwägerin Isabella d’Este, die alle jedoch in den Bereich der Legenden gehören und mit historischen Quellen nicht belegt werden können.

Kinder

Aus ihrer zweiten Ehe mit Alfonso von Aragon:

  1. Rodrigo (* 1. November 1499, † August 1512)[38]

Aus ihrer dritten Ehe mit Alfonso I. d’Este:

  1. Tochter, totgeboren 5. September 1502[39]
  2. Alessandro (* 19. September 1505, † 14. Oktober 1505)
  3. Ercole II. d’Este (* 4. April 1508, † 3. Oktober 1559), Herzog 1534 ∞ 1528 Renée de France (1510–1575) Tochter des Königs Ludwig XII.
  4. Ippolito II. d’Este (* 25. August 1509, † 2. Dezember 1572), Kardinal 1538
  5. Alessandro d’Este (* April 1514, † 10. Juli 1516)
  6. Eleonora d’Este (* 3. Juli 1515, † 15. Juli 1575), Nonne
  7. Francesco d’Este (* 1. November 1516, † 22. Februar 1578) Fürst von Massa ∞ 1540 Maria di Cardona († 1563) (Haus Folch de Cardona)
  8. Isabella Maria (geboren und gestorben am 14. Juni 1519)

Künstlerische Bearbeitungen

Lucrezias Leben diente als Vorlage vieler künstlerischer Darstellungen, Bücher und Filme, in denen sie oft die Rolle einer Femme fatale einnimmt.

Weblinks

 Commons: Lucrezia Borgia – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Literatur

Deutschsprachige Literatur

Volker Reinhardt: Der unheimliche Papst: Alexander VI. Borgia 1431- 1503. Beck'sche Reihe, C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-54753-9

  • Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, ISBN 978-3-492-24891-4
  • Alois Uhl: Lucrezia Borgia: Biographie. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2008, ISBN 978-3-491-35021-2
  • Fritz Meingast: Glanz und Elend der Frauen. Dreiunddreißig Porträts der Weltgeschichte. Vma-Vertriebsgesellschaft, Wiesbaden 2003, ISBN 3-928127-76-4
  • Ferdinand Gregorovius: Lucrezia Borgia. Nach Urkunden und Correspondenzen ihrer eigenen Zeit. J.G. Cotta, Stuttgart 1875 Internet Archive
  • Ernst Probst: Lucrezia Borgia - Die schöne Tochter eines Papstes. Grin, München 2011, ISBN 978-3-640-90034-3
  • Ferdinand Gregorovius: Lucrezia Borgia und ihre Zeit. In: Edition Flaschenpost. neu gesetzte Ausgabe. Wunderkammer, Neu-Isenburg 2009, ISBN 978-3-941245-04-4
  • Massimo Grillandi: Lucrezia Borgia. (Originaltitel: Lucretia Borgia. aus dem Italienischen übersetzt von Sylvia Höfer), Econ, Düsseldorf / Wien / New York 1991, ISBN 3-430-13456-0 (1991 ebenfalls als dtv-Taschenbuch 2280 erschienen)
  • Helmut Güttich: Die andere Lucrezia Borgia. Eine Fürstenehe in der Renaissance. Türmer, Berg 1987, ISBN 3-87829-102-7
  • Mary Lavater-Sloman: Lucrezia Borgia und ihr Schatten. 1. Auflage, Römerhof, Zürich 2009, ISBN 978-3-905894-00-4
  • Maike Vogt-Lüerssen: Lucrezia Borgia. Das Leben einer Papsttochter in der Renaissance. 3. erweiterte und überarbeitete Auflage. Books on Demand GmbH, Norderstedt 2006 (Erstausgabe 2002), ISBN 978-3-8334-6568-0
Fremdsprachige Literatur

Einzelnachweise

  1. Vermtl. anlässlich der Hochzeit Lucrezias mit Alfonso d'Este geprägt. Die Medaille wurde erstmals 1806 von Julius Friedländer, Direktor des Berliner Münzcabinets, beschrieben. Nach Ferdinand Gregorovius zeigt sie das einzige noch überlieferte, lebensnahe Bild von Lucrezia, mittlwerweile wurden allerdings weitere Darstellungen entdeckt.
  2. Sarah Bradford: Lucrezia Borgia. Penguin Group, 2004, S. 17
  3. Sarah Bradford: Lucrezia Borgia. Penguin Group, 2004, S. 16
  4. Sarah Bradford: Lucrezia Borgia. Penguin Group, 2004, S. 16
  5. Joachim Brambach: Die Borgia. Callwey, München 1988, S. 96
  6. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 94
  7. Sarah Bradford: Lucrezia Borgia. Penguin Group, 2004, S. 24
  8. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 95
  9. http://www.staedelmuseum.de/sm/index.php?StoryID=113&ObjectID=292 Idealbildnis einer Kurtisane als Flora
  10. Christopher Hibbert: The Borgias and their enemies S. 48
  11. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 95
  12. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 97
  13. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 97
  14. Volker Reinhardt: Der unheimliche Papst: Alexander VI. Borgia 1431- 1503. Beck'sche Reihe, C. H. Beck, München 2007, S. 184. Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  15. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 98
  16. Fritz Meingast: Glanz und Elend der Frauen. Dreiunddreißig Porträts der Weltgeschichte. Vma-Vertriebsgesellschaft, Wiesbaden 2003, S. 121-122
  17. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 98
  18. Sarah Bradford: Cesare Borgia. His Life and Times. Weidenfeld and Nicolson, London 1976, S. 161-162
  19. Sarah Bradford: Cesare Borgia. His Life and Times. Weidenfeld and Nicolson, London 1976, S. 162
  20. Fritz Meingast: Glanz und Elend der Frauen. Dreiunddreißig Porträts der Weltgeschichte. Vma-Vertriebsgesellschaft, Wiesbaden 2003, S. 122
  21. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 99
  22. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 100
  23. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 99-100
  24. Ernst Probst: Lucrezia Borgia - Die schöne Tochter eines Papstes. Grin, München 2011, S. 25 Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  25. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 79
  26. Sarah Bradford: Cesare Borgia. His Life and Times. Weidenfeld and Nicolson, London 1976, S. 211
  27. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 100
  28. Johannes Burcardus, Martin Müller: Kirchenfürsten und Intriganten: ungewöhnliche Hofnachrichten aus dem Tagebuch des Johannes Burcardus, päpstlichen Zeremonienmeisters bei Alexander VI. Borgia. Gebundene Ausgabe, Artemis & Winkler, München/ Zürich 1990, ISBN 978-3760806549, S. 176/177
  29. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 102
  30. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 101
  31. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 104
  32. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 102
  33. Fritz Meingast: Glanz und Elend der Frauen. Dreiunddreißig Porträts der Weltgeschichte. Vma-Vertriebsgesellschaft, Wiesbaden 2003, S. 127
  34. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 105
  35. Ferdinand Gregorovius: Lucrezia Borgia. Bechtermünz, München 1982, S. 292
  36. Alois Uhl: Papstkinder. Lebensbilder aus der Zeit der Renaissance. Piper, München 2008, S. 188
  37. Geschichte, Finanzgenie statt Femme fatale, Erkenntnisse der Historikerin Diane Yvonne Ghirardo von der University of Southern California, Der Spiegel, Nr. 4, 19. Januar 2009
  38. Fritz Meingast: Glanz und Elend der Frauen. Dreiunddreißig Porträts der Weltgeschichte. Vma-Vertriebsgesellschaft, Wiesbaden 2003, S. 121
  39. Ernst Probst: Lucrezia Borgia - Die schöne Tochter eines Papstes. Grin, München 2011, S. 25 Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche



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