Luftangriff auf Darmstadt

Luftangriff auf Darmstadt
Der Luisenplatz nach der Bombardierung

Beim Luftangriff auf Darmstadt wurde die Stadt Darmstadt im Rahmen der Moral-bombing-Strategie in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 in der sogenannten „Brandnacht“ von Einheiten des RAF Bomber Command weitgehend zerstört.

Inhaltsverzeichnis

Die Angreifer

Der Angriff mit anschließendem Feuersturm wurde auf Befehl von Luftmarschall Arthur Harris von der No. 5 Bomber Group der Royal Air Force durchgeführt, welche eine auf die systematische Zerstörung ziviler Flächenziele spezialisierte Einheit darstellte. Die No. 5 Bomber Group war unter anderem für die Flächenbombardements auf Dresden, Kassel, Braunschweig, Pforzheim, Hamburg und Stuttgart verantwortlich. Die Einheit wandte eine Kombination von Spreng- und Brandbomben an. Diese Kombination führte im militärischen Optimalfall zu einem Feuersturm. Das Feuer vervielfachte dabei die Schäden der als Verursacher eingesetzten Spreng- und Brandbomben.

Die Vorbereitung

Die genaue Auswahl der zu bombardierenden Stadtteile wurde anhand von Luftbildern, Bevölkerungsdichtekarten und Brandversicherungskatasterkarten getroffen. Die Katasterkarten waren durch deutsche Feuerversicherungen bei britischen Rückversicherungsgesellschaften vor dem Kriege hinterlegt worden. Die Darmstädter Altstadt wurde als Kerngebiet des Angriffs ausgewählt, da hier der Holzanteil an der Gesamtbaumasse am Höchsten war. Damit stellte sie zum Entzünden eines Feuersturms in Darmstadt das optimale Kernzielgebiet dar.

Vor dem Bombardement wurde das fächerförmige Zielgebiet von Mosquito-Schnellbombern durch rote und grüne Markierungskörper (sogenannte Christbäume) abgegrenzt. Dies wurde überwacht durch einen in großer Höhe fliegenden Masterbomber, der über Funk mit den Markierungsfliegern verbunden war. Der Angriff begann um 22:35 Uhr mit dem Setzen eines weißen Markierungskörpers auf dem „Exerzierplatz“ (ein zu dieser Zeit unbebautes markantes Gelände im Westen der Stadt zwischen Rheinstraße und Holzhofallee südöstlich des Hauptbahnhofs, wo sich heute etwa die Hochschule Darmstadt befindet). Von diesem wurden eine grüne Markierungskette bis zum alten Darmstädter Schlachthof und eine rote Markierungskette – im 45-Grad-Winkel vom Zielpunkt zur ersten – zum Böllenfalltorstadion geworfen. Zunächst wurden einige grüne Markierungen durch den Wind in Richtung Darmstädter Hauptbahnhof abgetrieben, der nicht im geplanten Zielgebiet lag. Der Masterbomber ließ diese durch gelbe Markierungen annullieren und einen Teil der grünen Markierungskette neu werfen. Dann überprüfte der Masterbomber auf einer tieferen Flugbahn nochmals das Darmstädter Zielgebiet, legte die exakten Anflughöhen fest und gab den Angriff frei.

Das Bombardement

Blick auf das zerstörte Darmstadt von Westen her

Das Zielgebiet des Angriffs auf Darmstadt stellte im Wesentlichen das dichtbesiedelte Stadtzentrum – insbesondere die mittelalterliche Altstadt – dar. Das Bombardement begann um 23:55 Uhr. Es dauerte weniger als eine halbe Stunde. 234 Bomber setzte die Royal Air Force dabei ein.[1]

In Darmstadt erprobte die britische RAF erstmals die Taktik des Fächerangriffs. Zuerst wurden tausende Sprengbomben in der Form eines Viertelkreises sowie mehrere hundert Luftminen abgeworfen. Durch die Druckwellen der Explosionen wurden die Dächer aufgerissen. Danach wurden mehr als 250.000 Elektron-Thermitstäbe über dem Stadtgebiet abgeworfen, die nun in die aufgerissen Dachstühle der Häuser fielen und diese innerhalb kürzester Zeit in Vollbrand versetzten.

Als Anflugszielpunkt diente der Exerzierplatz (heute Berliner Allee). Zunächst warfen drei Staffeln ihre Bomben entlang der grünen Markierung (Zielpunkt Schlachthof), dann drei weitere Staffeln entlang der roten Markierungen (Zielpunkt Böllenfalltor). Nachdem dies abgeschlossen war, warf eine Welle – bestehend aus vier Staffeln – Bomben auf das Gebiet innerhalb der beiden Markierungsschenkel. Binnen einer Stunde breiteten sich tausende kleinere Gebäudebrände zu einem Feuersturm aus.

Brandbekämpfung

Zunächst löschte die Feuerwehr Darmstadt ihre eigene, in der Kirchstraße (Innenstadt) gelegene Feuerwache, um weiter die Ausrüstung zur Bekämpfung der Brände zur Verfügung zu haben. Im gesamten Rhein-Main-Gebiet wurde für alle Feuerwehren Großalarm gegeben und alle verfügbaren Feuerwehrkräfte wurden in Darmstadt zusammengezogen. Bis sechs Uhr morgens waren bereits über 3.000 Feuerwehrleute mit 220 Motorspritzen eingetroffen. Diese konnten den Feuersturm jedoch nicht unter Kontrolle bringen und auch nicht zu den Tausenden in Kellern der Altstadt Verschütteten vordringen. Die enorme Hitzentwicklung von weit über 1.000 °C und stark beschädigte Straßen behinderten die Lösch- und Rettungsarbeiten entscheidend. Der Feuersturm konnte nur an seinen Rändern eingedämmt werden.

Opfer

Denkmal vor dem Schloss

Die Mehrheit der in den Kellern Zuflucht suchenden Menschen – soweit sie nicht während des Angriffs durch Trümmer erschlagen wurden – erstickten oder verbrannten in den Kellern. Eine Flucht aus den Kellern über die Straßen war nur selten möglich, da die Hitzeentwicklung zu groß war und sich teilweise auch der Teer des Straßenbelages entzündet hatte. Dem Angriff auf die dichtbesiedelte Innenstadt fielen 11.500 Menschen zum Opfer. Rund 66.000 von damals rund 110.000 Einwohnern wurden obdachlos. Rund 20 Prozent der Opfer waren Kinder unter 16 Jahren. Auf 100 tote Männer kamen 181 tote Frauen. Durch alle alliierten Luftangriffe (es folgten noch einige kleinere) wurden insgesamt nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 12.500 und 13.500 Menschen bis zum Kriegsende 1945 in Darmstadt getötet. Die meisten Opfer wurden in einem Massengrab auf dem Darmstädter Waldfriedhof beigesetzt. Jährlich findet am Jahrestag des Angriffs eine Gedenkveranstaltung organisiert durch die Stadt Darmstadt am Denkmal in der Innenstadt statt.

Schäden

Es wurden 99 Prozent der Alt- und Innenstadt, des eigentlichen Stadtkerns, zerstört, insgesamt 78 Prozent der Bausubstanz Darmstadts. Der Sachschaden des Angriffs wurde damals auf 1,5 Milliarden Reichsmark geschätzt. Potenzielle Ziele von militärischer oder rüstungswirtschaftlicher Bedeutung – wie das Industriegebiet im Westen der Stadt, Bahnanlagen und Militäranlagen zum Beispiel am Kavalleriesand oder im Süden von Bessungen – wurden bei dem Angriff so gut wie nicht beschädigt, da sie nicht im eigentlichen Zielgebiet lagen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. hr-online.de, Darmstadt gedenkt der Brandnacht von 1944, vom 9. September 2004

Weblinks

Literatur

  • James Stern: Die unsichtbaren Trümmer. Eine Reise im besetzten Deutschland 1945. Eichborn, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-8218-0749-0.
  • Klaus Schmidt: Die Brandnacht. Dokumente von der Zerstörung Darmstadts am 11. September 1944. Schlapp, Darmstadt 2003, ISBN 3-87704-053-5.
  • Friedrich, Jörg, Titel: Der Brand, 2002, 11. Auflage. Ullstein Verlag, München.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Luftangriff auf Kassel am 22. Oktober 1943 — Avro Lancasters in loser Formation während des Zweiten Weltkriegs Kassel gehört neben Dresden, Hamburg, Pforzheim und Darmstadt zu den deutschen Städten mit den höchsten Opferzahlen durch alliierte Luftangriffe. Den schwersten Luftangriff erlebte …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff auf Heilbronn — Das zerstörte Heilbronn 1945 Der Luftangriff auf Heilbronn am 4. Dezember 1944 durch die britische Royal Air Force (RAF) zerstörte die gesamte historische Innenstadt und 62 % der gesamten Stadt Heilbronn. Dabei kamen rund 6.500 Menschen ums Leben …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff auf Dresden — Blick vom Rathausturm über den Pirnaischen Platz auf die zerstörte Innenstadt Dresdens nach den Luftangriffen Luftangriffe auf Dresden wurden im Zweiten Weltkrieg von der Royal Air Force (RAF) und der United States Army Air Forces (USAAF) auf den …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff auf Hanau am 19. März 1945 — Beim Luftangriff auf Hanau am frühen Morgen des 19. März 1945 wurde die Stadt Hanau im Rahmen der Moral bombing Strategie von Einheiten des RAF Bomber Command weitgehend zerstört. Diesem Luftangriff waren bereits einige kleinere Luftangriffe… …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff auf Belgrad — Mit den Luftangriffen auf Belgrad, die über 1500 Todesopfer forderten, begann am 6. und 7. April 1941 der deutsche Balkanfeldzug, d.h. der Angriff der deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien. Inhaltsverzeichnis 1 Hintergründe 2 Verlauf 3 Folgen 4… …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff auf Belgrad im Jahr 1941 — Mit den Luftangriffen auf Belgrad, die über 1500 Todesopfer forderten, begann am 6. und 7. April 1941 der deutsche Balkanfeldzug, d.h. der Angriff der deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien. Inhaltsverzeichnis 1 Hintergründe 2 Verlauf 3 Folgen 4… …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff auf Belgrad 1941 — Mit den Luftangriffen auf Belgrad (Unternehmen Castigo) durch die Wehrmacht begann am 6. und 7. April 1941 der deutsche Balkanfeldzug. Inhaltsverzeichnis 1 Hintergründe 2 Verlauf 3 Folgen 4 …   Deutsch Wikipedia

  • Luftangriff — Luftkämpfe zwischen amerikanischen und japanischen Fliegerkräften, Juni 1942 (Es handelt sich hierbei um ein Diorama) …   Deutsch Wikipedia

  • Geschichte der Stadt Darmstadt — Darmstadt Auszug aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian 1655 …   Deutsch Wikipedia

  • Bombenangriff auf Braunschweig 1944 — Das brennende Braunschweig zwischen 2:00 und 3:00 Uhr am frühen Morgen des 15. Oktober 1944, aufgenommen von einem am Angriff beteiligten Lancaster Bomber der RAF …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”