Flächenbombardement

Flächenbombardement

Als Flächenbombardement bzw. Flächenbombardierung wird das Bombardement großer Flächen durch Luftangriffe mit einer Vielzahl von Bomben bezeichnet, bei der keine einzelnen Ziele, sondern Zielzonen, gleich ob militärisch oder zivil, getroffen werden sollen. Angriffsmittel sind vorwiegend Bombenflugzeuge, insbesondere schwere Langstreckenbomber, Angriffsziel sind vorwiegend Städte und Großstädte. Der Tod von Zivilisten wird dabei oft billigend in Kauf genommen oder ist sogar ausdrückliches Ziel des Angriffs. Von Flächenbombardements wird zum Beispiel erwartet, eine kriegswichtige Industrie zu zerstören, massierte Stellungen des Gegners zu zerschlagen und/oder die Loyalität der Bevölkerung des feindlichen Landes zu schwächen, um auf dem Weg eines politischen Umsturzes einen Krieg gewinnen zu können.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Geschichte des Luftbombardements ist eng verbunden mit der Geschichte des modernen Luftkriegs, deren Anfänge im Wesentlichen im Ersten Weltkrieg liegen. Erstmals kamen in diesem Krieg neben weittragenden Geschützen von Kriegsschiffen und an Land (z.B. das Paris-Geschütz) auch die neuentwickelten Bombenflugzeuge (kurz „Bomber“) sowie Militärluftschiffe für Angriffe auf Ziele im gegnerischen Hinterland zum Einsatz. Dabei wurden neben Angriffen auf militärische Ziele vermehrt auch Angriffe zur Terrorisierung der feindlichen Zivilbevölkerung als Mittel der Kriegsführung genutzt. Unter anderem war London häufiges Ziel deutscher Bomber- und Zeppelinangriffe.

Die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und die Entwicklung der Luftfahrt in der Zeit danach machten deutlich, dass in zukünftigen Kriegen Flugzeuge eine wichtige taktische und strategische Rolle spielen würden. In seinem Buch Luftherrschaft stellte der italienische General Giulio Douhet bereits 1921 das Bombardieren von Zivilbevölkerung und Industrieanlagen als Mittel der künftigen Kriegführung als unvermeidlich dar.[1] Das Buch erregte in den militärischen Kreisen aller größeren Nationen Aufsehen und hatte besonders in den USA und Großbritannien erheblichen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Luftstreitkräfte und deren Taktik. In der 1928 aufgestellten Trenchard-Doktrin des britischen Luftmarschalls Hugh Trenchard wurde der offensive strategische Luftkrieg als Einsatzdoktrin der Royal Air Force in künftigen Kriegen gegen industrialisierte Staaten festgelegt. Der japanische Kriegsminister Yukio Ozuki meinte in den 20er Jahren:

„Durch Luftangriffe kann man viel leichter Millionen von Zivilisten in großen Städten erschlagen als tausend Soldaten, welche in Schützengräben in Deckung sind. Der Sieg lässt sich rasch erreichen, wenn man den Feind demoralisiert und vernichtet, indem man rücksichtslos alle Zivilisten tötet und zerschmettert, alt oder jung, Mann oder Frau, Greis oder Kind.[2]

Luftangriffe auf bewohntes Gebiet als Mittel der Aufstandsbekämpfung, häufig mit dem Ziel der Einschüchterung feindlich gesinnter Zivilisten und teilweise unter Einsatz von Giftgas- und Brandbomben, wurden in der Zwischenkriegszeit unter anderem von den Briten im Irak, den Franzosen in Syrien, den Italienern und Spaniern in Afrika und den Japanern in China durchgeführt. Als erstes Flächenbombardement in Europa seit dem Ersten Weltkrieg gilt der Luftangriff der deutschen Legion Condor auf die baskische Kleinstadt Guernica im spanischen Bürgerkrieg 1937, der allerdings von deutscher Seite als taktischer Angriff zur Zerstörung einer Brücke gerechtfertigt wurde.

Zweiter Weltkrieg

Rotterdam nach der Zerstörung und Enttrümmerung

Das Flächenbombardement wurde als Mittel der Kriegführung gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Polenfeldzug - ebenfalls von deutscher Seite - am 1. September 1939 gegen Wieluń mit 87 deutschen Sturzkampfbombern eingesetzt. 70 Prozent der Stadt wurden zerstört.[3], dann am 13. September 1939 gegen Frampol und anschließend bei der Belagerung von Warschau in Kombination mit Artilleriebeschuss durch die Wehrmacht. Im Westen erfolgte das erste Flächenbombardement am 11. Mai 1940 durch die britische Royal Air Force. Diese griff einen Tag nach Beginn des Westfeldzuges mit 35 Maschinen erstmals die Innenstadt von Mönchengladbach am Niederrhein an. Bei einem schweren Bombardement mit Sprengbomben durch die deutsche Luftwaffe auf die niederländische Stadt Rotterdam am 14. Mai 1940 starben 814 Einwohner.

Nach der Niederlage Frankreichs setzte die britische Militärführung in Ermangelung anderer militärischer Optionen auf den strategischen Luftkrieg nach den Vorgaben der Trenchard-Doktrin. Gemäß dieser Doktrin hatte Großbritannien bereits seit Mitte der 1930er-Jahre seine Luftwaffe mit Fernbomberverbänden ausgerüstet. Dies ermöglichte der britischen Militärführung die schnelle Wahrnehmung dieser strategischen Option im Frühjahr 1940.

Zu häufigen großflächigen Angriffen der Royal Air Force kam es jedoch erst nach den deutschen Luftangriffen auf die britischen Inseln im Rahmen der Luftschlacht um England. Die deutschen Luftangriffe folgten einem ursprünglich dreistufigen Angriffsplan. Ihr Ziel war die absolute Luftherrschaft über weite Teile Süd- und Südwestenglands als Voraussetzung für die geplante Invasion Englands (Unternehmen Seelöwe). Die erste Stufe des Plans sah Angriffe auf Flugplätze und Radarleitstationen (Sector Stations) vor, die zweite Angriffe auf Zentren der britischen Luftrüstung. Die dritte Stufe sah die direkte taktische Luftunterstützung bei der geplanten Invasion vor. Stufe Drei wurde nicht umgesetzt, Stufe Zwei nur zum Teil. Als Antwort auf einen britischen Nachtangriff auf Berlin begann stattdessen am 7. September 1940 die Luftwaffe mit einem Tagangriff auf London den in England so bezeichneten „Blitz“, dem bis Mai 1941 43.000 Menschen zum Opfer fielen, davon knapp die Hälfte in London. Ziel der Angriffe war dabei vorwiegend die Terrorisierung der Zivilbevölkerung, obwohl weiterhin auch Industrieziele wie die Hafenanlagen im Londoner Eastend angegriffen wurden. Zu den bekanntesten Angriffen dieser Phase zählt der Angriff auf die britische Industriestadt Coventry am 14. November 1940. Coventry wurde wegen seiner Bedeutung für die britische Luftrüstung (Rolls-Royce Flugzeugmotorenwerke) zum Ziel. Bei dem Flächenangriff der deutschen Luftwaffe starben 568 von damals 328.000 Einwohnern. Die schweren deutschen Angriffe des „Blitz“ ließen in Großbritannien Rufe nach Vergeltung laut werden. Sie waren somit ein Grund für die starke Ausweitung der Flächenbombardements deutscher Städte.

Umstritten ist bis heute, ob punktgenaue Bombenabwürfe die flächenhafte Zerstörung von bewohnten Stadtgebieten hätten verhindern können. Der damalige Stand der Technik führte zu einer gewissen Streuung der Bomben bei riskanten Tagangriffen. Die anfängliche deutsche Lufthoheit, die die Royal Air Force zu Nachtangriffen zwang, machten eine präzise Bombardierung einzelner Ziele unmöglich. Vor dem Hintergrund verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen von Forschungseinrichtungen des britischen Luftfahrtministeriums über die Zielgenauigkeit, die Waffenproduktion, des Verlustrisikos und der „Effektivität“ bereits erfolgter britischer Luftangriffe kam es damals zu der Entscheidung der britischen Militärs, verstärkt Brandbomben und Luftminen über dicht bebauten Stadtgebieten Deutschlands abzuwerfen, um so einen Feuersturm zu entfachen. Diese Strategie wurde am 14. Februar 1942 in der vom Chef des britischen Luftstabs Charles Portal entwickelten Area Bombing Directive festgelegt. In den Begleitakten dieser Richtlinie vermerkte Portal hierzu: „Es ist klar, daß die Zielpunkte die Siedelungsgebiete sein sollen und beispielsweise nicht Werften oder Luftfahrtindustrien.“ Die Umsetzung dieser Strategie fiel dem Chef des RAF Bomber Command, Luftmarschall Arthur Harris, zu. Dieser wurde von Premierminister Churchill, dem Vorsitzenden des Kriegskabinetts beauftragt, das „moral bombing“ gemäß der Direktive zu führen. Dieses sollte durch gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, insbesondere die Industriearbeiterschaft, deren Moral brechen und ihren Widerstandswillen schwächen.

Die Area Bombing Directive stellte einen bedeutsamen Politikwechsel dar. Hohe Verluste der deutschen Zivilbevölkerung wurden damit nicht mehr nur billigend in Kauf genommen, sondern sie wurden zum eigentlichen Ziel der Luftangriffe. Zur Durchführung dieser Strategie wurde in einer detaillierten, nach Priorität sortierten Zielliste zuerst alle deutschen Städte mit über 100.000 Einwohnern, später auch alle über 15.000 Einwohnern erfasst. Nach dieser Liste wählte das britische Bomber Command seine Ziele aus. Diese Liste ermöglichte auch das flexible Zuweisen von Ausweichzielen, falls, zum Beispiel wegen ungünstiger Wetterbedingungen, ein Ziel nicht erreichbar war. Verfahren wie der Bomberstrom, Zielmarkierung durch Pfadfinderflugzeuge und präzise Funknavigation sind eng mit dem Bombenkrieg der Royal Air Force gegen Deutschland verbunden. Dem britischen Luftkrieg gegen das Deutsche Reich fielen nach unterschiedlichen Angaben zwischen 420.000 und 570.000 Zivilisten zum Opfer. Auch die Verluste der angreifenden Royal Air Force waren sehr hoch. Von 125.000 eingesetzten Soldaten fielen 55.000, d.h. 44 Prozent während der Angriffe. Bei den deutschen Luftangriffen auf Großbritannien starben bis 1945 etwa 60.000 Menschen.

Diese Form der Kriegsführung war in Großbritannien umstritten. Der anglikanische Bischof George Kennedy Allen Bell, Mitglied des House of Lords, wandte sich mehrfach öffentlich gegen die Politik Churchills und bezeichnete das area bombing als „barbarisch“. Die Antwort waren empörte Proteste von Politikern und Privatpersonen.

Köln 1945

Der erste Angriff der nach der Area Bombing Directive durchgeführt wurde war der Luftangriff auf Lübeck am 28./29. März 1942. Ihm folgten Luftangriffe auf das Ruhrgebiet und im Mai 1942 der erste sogenannte „Tausend-Bomber-Angriff“ auf Köln (Operation Millennium). Hamburg wurde in der Operation Gomorrha im Juli und August 1943 Ziel der opferreichsten Luftangriffe auf Deutschland während des Krieges. Diese und die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 durch die Royal Air Force waren perfektionierte Flächenbombardements mit 40 bis 60 Prozent Stabbrandbomben. Die gewünschten Feuerstürme forderten daher sehr viele Menschenleben. Der prozentual an Menschenverlusten größte britische Luftangriff erfolgte auf die Kleinstadt Pforzheim mit damals 65.000 Einwohnern. Von diesen kamen bei einem einzigen zweiundzwanzigminütigen britischen Luftangriff 20.277 Einwohner (31,2 Prozent) ums Leben. Weitere besonders schwere Angriffe, bei denen Feuerstürme für extrem hohe Opferzahlen sorgten, waren der Angriff auf Darmstadt am 12. September 1944 (12.300 Tote) und der Luftangriff auf Kassel am 22. Oktober 1943 (10.000 Tote).

Nach dem Beschluss zur Kombinierten Bomberoffensive der USA und Großbritanniens auf der Casablanca-Konferenz im Januar 1943 bombardierten auch Verbände der United States Army Air Forces (8. und später auch 15. US-Luftflotte) bei Tag deutsche Ziele mit Sprengbomben, legten allerdings den Schwerpunkt auf kriegswichtige Industrieziele und das Verkehrsnetz.

Der erwartete Einbruch der Moral trat weder während der Luftschlacht um England noch bis kurz vor Kriegsende auf deutscher Seite ein. Die deutsche Rüstungsproduktion steigerte sich trotz Bombardierungen seit 1942 bis 1944 kontinuierlich.

Auch in Asien kam es während des Zweiten Weltkrieges zu Flächenbombardierungen, insbesondere der USA auf Japan in den Jahren 1944 bis 1945. Bei zwei schweren US-amerikanischen Luftangriffen auf den Großraum Tokio-Yokohama am 25. Februar und 9. März 1945 starben insgesamt mehr als 100.000 Menschen. Insbesondere trug hierzu der erstmals großflächige Einsatz der neuentwickelten Napalmbomben bei. Diese führten zu großflächigen Bränden und Feuerstürmen in den dichtbebauten japanischen Großstädten mit ihren großteils in traditioneller japanischer Holzbauweise errichteten Häusern.

Spätere Kriege

Amerikanischer Napalm-Angriff im Vietnamkrieg

Bei ausgedehnten Flächenbombardements, vorwiegend ausgeführt durch B-29-Verbände der US Air Force, kamen im Koreakrieg (1950-1953) vor allem in Nordkorea vermutlich über 1 Million Koreaner ums Leben. Das Land war bei Kriegsende nahezu total zerstört. Im Vietnamkrieg zerstörten die USA durch Flächenbombardements Städte im Mekong-Delta, zum Einsatz kam vor allem der Langstreckenbomber Boeing B-52. Bekannt geworden sind hierbei besonders die Operation Rolling Thunder von 1965 bis 1968 sowie die Operation Linebacker II im Dezember 1972, mit der die Nordvietnamesen an den Verhandlungstisch "zurückgebombt" werden sollten.

Im Zweiten Golfkrieg war die U.S. Air Force technisch so gut ausgerüstet, dass Luftangriffe mit höherer Präzision durchgeführt werden konnten und Flächenbombardements von Städten überflüssig waren.

Im US-amerikanischen Krieg gegen die afghanischen Taliban löste die nahezu zeitgleiche Kopplung massiver, aber (durch technische Verbesserungen der Zielerfassung und Bomben) präziserer Flächenbombardements mit dem Abwurf von Care-Paketen weltweite Proteste aus, da befürchtet wurde, es könnte auf Seiten der Bevölkerung zu Verwechslungen zwischen Blindgängern und Hilfspaketen kommen.

Das Dorf Tarok Kolache wurde am 6. Oktober 2010 durch ein Bombardement völlig zerstört.

Völkerrechtliche Bewertung

Die Bombardements behandelnde Haager Landkriegsordnung stammte noch aus dem Jahr 1907 und erwähnt den Begriff des Luftangriffes nicht ausdrücklich. Jedoch heißt es dort in Artikel 25, „es ist untersagt, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen“.

Auch nach heute gültigem humanitären Völkerrecht sind flächendeckende Bombardierungen ziviler oder Zivilisten unvertretbar betreffender Ziele eindeutig als Kriegsverbrechen zu werten, da nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges Flächenbombardements in den Genfer Abkommen 1949 umfassend neu geregelt und begrenzt wurden. Insbesondere definiert Artikel 51 des Zusatzprotokolls I (1977) [2] folgende Handlungen (unter anderen) als Kriegsverbrechen:

  • ein Angriff durch Bombardierung – gleich mit welchen Methoden oder Mitteln – bei dem mehrere deutlich voneinander getrennte militärische Einzelziele in einer Stadt, einem Dorf oder einem sonstigen Gebiet, in dem Zivilpersonen oder zivile Objekte ähnlich stark konzentriert sind, wie ein einziges militärisches Ziel behandelt werden,
  • ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.

Literatur

  • Jörg Friedrich, Der Brand, München, Propyläen, 2002 ISBN 3-549-07165-5
  • ders., Yalu. An den Ufern des dritten Weltkrieges Propyläen, München 2007, ISBN 978-3-549-07338-4
  • Eckart Grote: Target Brunswick 1943–1945. Luftangriffsziel Braunschweig – Dokumente der Zerstörung. Braunschweig 1994
  • Peter Guttkuhn: 28./29. März 1942: ... und Lübeck sollte sterben... in: Vaterstädtische Blätter, Lübeck 1982, 33. Jg., S. 3 - 6.
  • Hampe, Erich: Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg: Dokumentation und Erfahrungsberichte über Aufbau und Einsatz. Frankfurt a.M.: Bernard und Graefe 1963.
  • Rudolf Prescher: Der Rote Hahn über Braunschweig. Luftschutzmaßnahmen und Luftkriegsereignisse in der Stadt Braunschweig 1927–1945. Braunschweig 1955

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Guilo Douhet: The Command of the Air (im Original Dominio dell'Aria), übersetzt von Dino Ferrari, Air Force History and Museums Program, Washington D.C, 1998, S. 9,10
  2. Rolf-Dieter Müller, Florian Huber, Johannes Eglau: Der Bombenkrieg 1939-1945, Ch. Links, 2004, S. 26
  3. Joachim Trenkner: Ziel vernichtet. In DIE ZEIT 07/2003. [1]

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