Marie Baum

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Marie Baum

Marie Baum (* 23. März 1874 in Danzig; † 8. August 1964 in Heidelberg) war eine Sozialpolitikerin der Weimarer Republik und gilt heute als Wegbereiterin der sozialen Arbeit.

Inhaltsverzeichnis

Biografie und Wirken

Marie Baum war das dritte von sechs Kindern. Ihr Vater, Wilhelm Georg Baum, war Chefarzt des Städtischen Krankenhauses in Danzig. Ihr Großvater war Wilhelm Baum. Die Mutter, Fanny Auguste (Flora) Baum, engagierte sich in der Frauenbewegung; sie leitete in Danzig den „Verein Frauenwohl“. Die Großeltern mütterlicherseits waren Peter Gustav Lejeune Dirichlet und Rebecka Dirichlet, geb. Mendelssohn Bartholdy. In ihrer Heimatstadt besuchte Marie Baum von 1891 bis 1893 Realkurse, die auf das Abitur vorbereiteten. Anschließend ging sie, da Frauen noch nicht an deutschen Universitäten akademische Abschlüsse erwerben konnten, an die ETH Zürich, um dort Chemie zu studieren. Während ihres Zürcher Aufenthaltes lernte sie u. a. Frieda Duensing, Käthe Kollwitz und Ricarda Huch kennen.

Baums Grab in Heidelberg

Ein Semester unterbrach Maria Baum ihr Studium, um den schwerkranken Vater zu pflegen. Sie promovierte mit 22 Jahren und arbeitete gleichzeitig als Assistentin an der Universität Zürich. Anschließend arbeitete Marie Baum kurzzeitig als Chemikerin in der Patentabteilung der Agfa in Berlin. Im Jahre 1902 wurde sie auf Vorschlag der Nationalökonomin Else von Richthofen und durch Vermittlung von Alice Salomon Gewerbeinspektorin im Großherzogtum Baden, eine Funktion, in der sie auch die Arbeitsbedingungen in den Fabriken beaufsichtigen musste. Dabei fand sie folgende unzumutbare Verhältnisse vor:

„Ich habe zahlreiche Kinder weit unter dem Gesetz gezogenen Altersgrenze von 10 Jahren, wohl schon von 4 Jahren aufwärts, blaß und krumm über ihre Arbeit gebückt gesehen … Die Arbeitszeit der Jugendlichen betrug ausschließlich der Pausen 10 Stunden; für die erwachsenen Männer gab es keinen Maximalarbeitstag …; Die Arbeitszeit der Frauen wurde gerade um jene Zeit von 12 auf 11 Stunden herabgesetzt. Für die Verheirateten, auf die zu Hause noch eine zweite Last wartete, verstärkte sich der Druck täglich sich wiederholender Überanstrengung in einem Maße, daß man sie auf den ersten Blick aus einer Schar von Arbeiterinnen heraussondern konnte.“

Marie Baum: Rückblick auf mein Leben[1]

Im Jahre 1907 übernahm sie die Geschäftsführung des von Arthur Schlossmann gegründeten Vereins für Säuglingsfürsorge und Wohlfahrtspflege in Düsseldorf. Dieser unterstand dem Bund deutscher Frauenvereine, wo Marie Baum bald Kontakte mit Gleichgesinnten schloss. Im Jahre 1909 wurde sie in den Hauptausschuß und in den Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge gewählt. Ferner wurde sie ab 1908 Mitglied des Vorstandes und des Präsidiums der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge.

Marie Baum wurde von Gertrud Bäumer gebeten, in Personalunion die in Hamburg neu gegründete Soziale Frauenschule und Sozialpädagogisches Institut zu leiten, die am 30. April 1917 ihre Pforten öffnete. Sie unterrichte Sozialpolitik, Volkswirtschaftslehre und war vor allem für die praktische Ausbildung der Seminaristinnen zuständig. Daneben arbeitete sie noch als Referentin für Wohlfahrtspflege im Badischen Ministerium. 1919/20 gehörte Marie Baum für die Deutsche Demokratische Partei der Weimarer Nationalversammlung an. Anschließend war sie bis zur Neuwahl der Schleswig-Holsteinischen Abgeordneten im Februar 1921 Reichstagsabgeordnete. 1921 schied sie mit Ende der Legislaturperiode aus Rücksicht auf ihre neuen beruflichen Aufgaben in Karlsruhe, im Badischen Staatsministerium, aus dem Parlament aus. Marie Baum widmete sich nun sieben Jahre lang dem staatlichen Aufbau des Fürsorgewesens.

Zusammen mit anderen Frauen und Männern, darunter Alice Salomon, Gertrud Bäumer und Eduard Spranger, gründete sie 1925 in Berlin-Schöneberg die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, für dessen Forschungsabteilung sie, in Zusammenarbeit mit Alice Salomon, die seinerzeit vielbeachtete Publikation Das Familienleben in der Gegenwart. 182 Familienmonographien verfasste. 1928 erhielt Marie Baum einen Lehrauftrag für soziale Fürsorge und Wohlfahrtspflege am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg. Damit verbunden war ein Umzug von Karlsruhe nach Heidelberg. Von 1928 bis 1933 entfaltete die Sozialpolitikerin eine reichhaltige Vortragstätigkeit und reiste u.a. nach England, Italien und in die USA. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste sie all ihre Lehraufträge und Ämter aufgeben, da ihre Großmutter mütterlicherseits , eine geborene Mendelssohn Bartholdy, jüdischer Abstammung war. Sie unterstützte Pfarrer Hermann Maas, der Hilfeleistungen für „Nichtarier“ sowie Juden organisierte und ihnen bei der Auswanderung half. Im November 1941 führte die Gestapo eine Hausdurchsuchung bei Marie Baum durch, die jedoch ergebnislos verlief, da sie noch rechtzeitig belastende Dokumente in Sicherheit bringen konnte.

Ab 1946 übernahm die inzwischen über 70-jährige erneut einen Lehrauftrag an der Universität Heidelberg, gründete dort den „Studentenclub Friesenberg“ und engagierte sich wenige Monate in der CSU, bis sich diese vom christlichen Sozialismus abwandte. im Folgenden schloss sich Marie Baum dem Kreis um Alfred Weber, Alexander Mitscherlich u.a. mit dem Namen „Heidelberger Aktionsgruppe“ an. Zudem unterstützte sie den Wiederaufbau des 1927 von Elisabeth von Thadden im Schloss Wieblingen gegründeten Landerziehungsheimes. Im Jahr 1950 schrieb sie die Einführung in das Tagebuch der Anne Frank.

In Heidelberg trägt seit 1974 eine hauswirtschaftliche Berufsschule, ein berufliches Gymnasium und in Karlsruhe seit 2000 eine Straße ihren Namen. Ein Teilnachlaß von Marie Baum befindet sich im Ida-Seele-Archiv.

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Grundriss der Gesundheitsfürsorge, München 1923
  • Familienfürsorge, Karlsruhe 1928
  • Das Familienleben in der Gegenwart. 182 Familienmonographien, Berlin 1930
  • Rückblick auf mein Leben, Heidelberg 1950
  • Leuchtende Spur. Das Leben Ricarda Huchs, Tübingen 1950
  • Aus einem Lebensbild Anna von Gierkes, in: Mädchenbildung und Frauenschaffen, Heft 2/1952, Seiten 1–12.
  • Anna von Gierke. Ein Lebensbild, Weinheim/Basel 1954
  • Das Tagebuch der Anne Frank, Amsterdam 1947

Literatur (Auswahl)

  • Hugo Maier: Baum, Marie – Praxiswissenschaftlerin, Sozialpolitikerin. In: Hugo Maier (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Freiburg/Br. 1998, S. 59–64
  • Maike Eggemann/Sabine Hering (Hrsg.): Wegbereiterinnen der modernen Sozialarbeit. Weinheim/München 1999, S. 204–228
  • Manfred Berger: Wer war... Marie Baum? In: sozialmagazin. 23 1998/H. 12, S. 6–8
  • Werner Moritz (Hrsg.): Marie Baum. Ein Leben in sozialer Verantwortung. Heidelberg 2000
  • Ruth Mendelssohn-Bartholdy: Frauenbewegung und Soziale Arbeit – Marie Baum (1874–1964) zum Beispiel. München 2002 (unveröffentlichte Diplomarbeit)
  • Sabine Andresen: Marie Baum und die Bildung des Sozialen. In: Dagmar Beinzinger/Isabell Diehm (Hrsg.): Frühe Kindheit und Geschlechterverhältnisse. Konjunkturen in der Sozialpädagogik. Frankfurt 2003, S. 37–53
  • Martin Schumacher, Katharina Lübbe, Wilhelm Heinz Schröder: M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3. Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1. 

Weblinks (Auswahl)

Einzelnachweise

  1. Marie Baum: Rückblick auf mein Leben; 1950, S. 100 ff.

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