- Marmaray
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Marmaray ist der Name eines Eisenbahn-Verkehrsprojekts in Istanbul. Es umfasst die Errichtung eines Eisenbahntunnels unter dem Bosporus sowie Ausbau und Modernisierung der bestehenden Strecken entlang des Marmarameeres bis Halkalı auf der europäischen und bis Gebze auf der asiatischen Seite. Ebenfalls Teil des Projekts ist die Beschaffung von neuen Nahverkehrszügen.[1] Der Name des Projekts leitet sich von Marmarameer und dem türkischen Wort für Schiene bzw. Gleis, ray, ab. Das Projekt wird nicht nur die beiden S-Bahnlinien (Banliyö Trenleri) miteinander verbinden, sondern dient auch dem Fernverkehr als erste direkte, normalspurige Verbindung zwischen Europa und Asien.
Inhaltsverzeichnis
Frühere Projekte
Die Idee eines Bosporustunnels stammt aus dem Jahr 1860. Da der Bosporus sehr tief ist und mit damaliger Technik eine Unterquerung nicht möglich war, plante man eine Art schwebenden Tunnel, der wie eine Brücke auf Pfeilern auf dem Meeresgrund ruhen sollte. Während der folgenden Jahrzehnte wurde die Idee weiter diskutiert. Ein zweiter Plan aus dem Jahr 1902 sah Tunnelröhren vor, die auf dem Meeresgrund lagen (ähnlich wie beim 1908 eröffneten Hudsontunnel in New York). Diese und die folgenden Entwürfe wurden jedoch letztlich nicht weiterverfolgt.
Voraussetzungen
Regional
Mit 12,8 Millionen Einwohnern ist Istanbul eine der größten Städte der Welt. Der Bosporus teilt die Stadt in einen europäischen und einen asiatischen Teil, wobei rund zwei Drittel der Bevölkerung im europäischen Teil leben. Die beiden Teile der Stadt sind durch Fährschiffe und zwei Straßenbrücken miteinander verbunden. Der Anteil des Schienenverkehrs am motorisieren Verkehr in Istanbul liegt mit 3,6% (Stand 1997) weit hinter anderen großen Städten.
Überregional
Der Bosporus trennt das westeuropäische, normalspurige Schienennetz von dem ebenfalls normalspurigen Netz der asiatischen Türkei, dem Irak, Syrien und dem Iran. Güterwagen müssen deshalb mit Fährschiffen über die Meeresstraße transportiert werden. Eine Ausweichroute nördlich des Schwarzen Meers ist wegen der unterschiedlichen Spurweite in der Ukraine, Russland und Georgien ebenfalls nur erschwert möglich. Es existieren Pläne zur Verbindung des westeuropäischen mit dem chinesischen Normalspurnetz über die Türkei, Iran, Turkmenistan und Kasachstan.[2]
Entscheidung
Aufgrund des rasanten Wachstums der Stadt und des städtischen Verkehrs wurde die Idee in den 1980er Jahren wieder aufgegriffen. Eine umfassende Studie wurde 1987 veröffentlicht. Ein weiteres Gutachten aus dem Jahr 1998 führte schließlich zur Entscheidung, die Pläne umzusetzen. Am 19. August 1999 unterzeichneten der türkische Staatsminister Recep Onal und der japanische Außenminister Masahiko Kōmura in Ankara eine Vereinbarung über das Projekt. Damit wurde ein erstes Darlehen in Höhe von 117 Millionen US-Dollar freigegeben. Insgesamt hatte Japan die Absicht, 886 Millionen Dollar für das 1,6-Milliarden-Projekt zur Verfügung zu stellen. Die Fertigstellung war ursprünglich binnen vier Jahren vorgesehen.[3] 2004 trat die EIB hinzu.
Ausführung
Das Projekt umfasst einen 13,6 km langen Neubau-Tunnel und Ausbau und Modernisierung von 63 km bestehender Eisenbahnstrecken, um eine leistungsfähige Bahnverbindung zwischen den Städten Gebze (Asien) und Halkalı (Europa) zu schaffen. Der Bosporus wird in einem 1387 m langen, erdbebensicheren Tunnel unterquert, der 56 Meter unter dem Meeresspiegel unter der Meerenge hindurch führen wird. Die 11 Tunnelelemente werden vorgefertigt und am Einbauort eingebracht. Davon haben acht Tunnelelemente die Länge von 135 m, zwei 98,5 m und ein Element besitzt eine Länge 110 m. Außen sind die vorgefertigten Elemente 8,75 m hoch und 15,5 m breit.[4] Diese Röhre wird mit zwei in bergmännischem Vortrieb gebauten Tunnelröhren verbunden, die in Kazlıçeşme auf der europäischen und in Ayrılıkçeşme auf der asiatischen Seite der Stadt beginnen.
In Yenikapı, Sirkeci und Üsküdar entstehen neue unterirdische Bahnhöfe, 37 weitere oberirdische Stationen werden im Bereich der auszubauenden Strecke errichtet oder modernisiert. An der Station Yenikapı wird ein Umsteigen zur U-Bahn und zur Stadtbahn möglich sein, die Station Sirkeci entsteht unter dem europäischen Hauptbahnhof der Stadt. In Üsküdar soll es eine Umsteigemöglichkeit zur Üsküdar-Dudullu-Linie (in Planung) und in İbrahimağa zur Kadıköy-Kartal-Linie (im Bau) geben.
Die bestehenden Bahnstrecken werden dreigleisig ausgebaut. Dabei sind zwei Gleise für den Nahverkehr und ein Gleis für den Fernverkehr vorgesehen. Für das Fernverkehrsgleis werden alle 4 bis 5 km Ausweichen eingerichtet. Der Tunnel unter dem Bosporus wird zweigleisig ausgeführt. Im Fernverkehr werden IC-Züge mit 8 Halten in Istanbul verkehren. Wegen der hohen Auslastung, soll der Gütertransport während der Nacht erfolgen. Für den Personennahverkehr soll eine Beförderungsleistung von 75.000 Fahrgästen pro Stunde und Richtung erreicht werden.[1] Die Reisezeit von Gebze nach Halkalı soll 105 Minuten betragen. Der Anteil des Schienenverkehrs in Istanbul soll sich mit dem Projekt von 3,6 % auf 27,7 % erhöhen.
Fahrzeuge
Als Teil des Marmaray Projekts werden für den Nahverehr 20 Stk. 5-teilige und 34 Stk. 10-teilige Triebzüge angeschafft. Die Züge werden von der koreanischen Firma Hyundai Rotem geliefert. Die Fahrzeuge sind 3 m breit, ein 10-Wagen-Zug ist 220 m lang und kann bis zu 3040 Personen befördern. Für diese hohe Kapazität und einen raschen Fahrgastwechsel haben die Wagen auf jeder Seite fünf Doppeltüren und breite Stehplatzbereiche, aber nur relativ wenige Sitzplätze. Die Wagenkästen werden aus rostfreiem Stahl geschweißt und sind auf 50 Jahre ausgelegt.[5] Bilder der neuen Fahrzeuge siehe Weblinks.
Baukosten
Die Baukosten des ehrgeizigen Projekts sollen rund 2,5 Milliarden € betragen. Die Japan Bank for International Cooperation (JBIC) und die Europäische Investitionsbank (EIB) tragen den größten Teil der Finanzierung. Wie so häufig bei großen Bauprojekten werden auch hier die Baukosten nicht eingehalten. Mit genauen Zahlen halten sich die Verantwortlichen jedoch sehr bedeckt.
Archäologische Funde
Die Bauarbeiten begannen im Mai 2004. Bei den Arbeiten an der Station Yenikapı wurden Überreste des antiken Hafens von Byzanz aus dem 4. Jahrhundert inkl. 33 Schiffen sowie bis zu 8500 Jahre alte Gräber gefunden. Für das Marmaray Projekt hatte dies einen örtlichen Baustopp zur Folge. Am 13. Januar 2011 wurden die archäologischen Ausgrabungen abgeschlossen. [6] Für die bei den Grabungen gefundenen Objekte soll ein neues Museum geschaffen werden.[7]
Vertragsgeschichte
Anfang 2010 hat das für Gleisverlegung und elektrische Anlagen zuständige A.M.D.-Konsortium (bestehend aus Alstom, Marubeni und Dogus) den Vertrag aufgekündigt. Im September 2010 wurde der Auftrag erneut ausgeschrieben, im Mai 2011 wurden die finanziellen Angebote der qualifizierten Joint Ventures veröffentlicht: OHL und Dimetronic (1,04 Milliarden Euro); Impergilo, Alarko and Ansaldo (1,07 Mrd. Euro); Astaldi, Yüksel und Gülermak (1,11 Mrd. Euro); CRCC, Cengiz Construction und IC İçtaş (1,35 Mrd. Euro); Bechtel und Enka (1,48 Mrd. Euro)[8]. Mit einer Fertigstellung ist bis Ende 2014 zu rechnen.[9]
Der Auftrag im Wert von € 932,8 Millionen wurde am 25. Oktober 2011 an ein Joint Venture bestehend aus der spanischen Baugesellschaft Obrascón Huarte Lain (OHL) und dem britischen Unternehmen Invensys Rail (im Verhältnis 70:30) vergeben. Das Projekt wird von der Entwicklungsbank des Europarates und der Europäischen Investitionsbank unterstützt. Die Arbeiten sollen Anfang 2012 beginnen, die erste Phase soll im Oktober 2013 abgeschlossen sein.[10][11]
Erdbebengefahr
Istanbul liegt in unmittelbarer Nähe der Nordanatolischen Verwerfung, die rund 20 km südlich der Stadt in ost-westlicher Richtung durch das Marmarameer verläuft. Die Stadt lebt deshalb in ständiger Gefahr heftiger Erdbeben. 1999 ereignete sich ein schweres Erdbeben mit der Stärke 7,4 nach der Richter-Skala mit dem Epizentrum in İzmit ca. 100 km östlich von Istanbul. Der Marmaray-Tunnel ist deshalb darauf ausgelegt, Erdbeben bis zu einer Stärke von 9,0 nach Richter[12] und auch einer möglichen Bodenverflüssigung auf sandigem Grund zu widerstehen. Um die dafür erforderlichen mechanischen Eigenschaften auch über einen langen Zeitraum (Auslegung auf mindestens 100 Jahre) zu gewährleisten, wurde ein eigenes Betonzusatzmittel entwickelt.[13]
Technische Daten
- Spurweite: 1435 mm (Normalspur)
- Stromversorgung: 25 kV, 50 Hz
- Streckenlänge: 76,3 km
- davon 3-gleisiger Ausbau bestehender oberirdischer Strecken: 62,7 km
- Neubau Tunnel: 13,6 km
- davon am Meeresgrund: 1,4 km
- in bergmännischer Bauweise: 9,8 km
- in offener Bauweise: 2,4 km
- tiefster Punkt (unter dem Meeresspiegel): -56 m
- Maximale Steigung: 18 ‰
- Anzahl der Stationen: 40
- davon Neubau, komplett unterirdisch: 3
- Fernverkehrsstationen: 8
- Bahnsteiglänge: min. 225 m
- Durchschnittlicher Stationsabstand: 2 km
- Fahrgäste pro Stunde je Richtung: 75.000
- Maximale Geschwindigkeit: 100 km/h
- Durchschnitts-Geschwindigkeit (S-Bahn Züge): 45 km/h
- Zugfolge: 2 bis 10 Minuten
- Zuglänge (S-Bahn): max. 220 m (10-Wagen-Triebzug)
- Anzahl der neuen Wagen: 440
Weblinks
- Website des Projekts
- Istanbul Technische Universität Marmaray-Laboratorium
- Bilder der vorgesehenen Züge auf dem Internetauftritt von Hürriyet
Literatur
- Marmaray project. The project and its management, Steen Lykke and Hüseyin Belkaya. In: Tunnelling and Underground Space Technology. Oxford 20.2005, S.600–603. ISSN 0886-7798 (PDF-Datei; 349 kB)
- L. C. F. Ingerslev: Considerations and strategies behind the design and construction requirements of the Istanbul Strait immersed tunnel. In: Tunnelling and Underground Space Technology. Oxford 20.2005, S.604–608. ISSN 0886-7798 (PDF-Datei; 239 kB)
- Marmaray project. Marine operations, the Bosphorus Crossing, Steen Lykke and Frits van de Kerk. In: Tunnelling and Underground Space Technology. Oxford 20.2005, S.609–611. ISSN 0886-7798 (PDF-Datei; 78 kB)
- Marmaray project. Tunnels and stations in BC contract, Hideki Sakaeda. In: Tunnelling and Underground Space Technology. Oxford 20.2005, S.612–616. ISSN 0886-7798 (PDF-Datei; 422 kB)
- Marmaray BC1 project and surveying works (PDF-Datei)
Einzelnachweise
- ↑ a b Rails under the Bosporus, Railway Gazette International 23. Februar 2009.
- ↑ Eurasisches Magazin
- ↑ Meldung Bosporus-Tunnel ist auf dem Weg. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 1/2000, ISSN 1421-2811, S. 36
- ↑ http://www.m-hesse.com/marmaray_projekt.html
- ↑ Wiedergabe einer Presseaussendung zur Vertragsunterzeichnung mit Hyundai Rotem in einem Forum (türkisch).
- ↑ www.todayszaman.com - 19. Januar 2011 (engl.)
- ↑ medievalnews.blogspot.com - 13. März 2011 (engl.)
- ↑ US-Turkish venture makes top bid for Istanbul's Marmaray project, Hürriyet 17. Mai 2011
- ↑ Marmaray upgrading contract retendered, Railway Gazette International 1. September 2010
- ↑ Marmaray upgrading contract awarded, Railway Gazette International 1. November 2011
- ↑ Invensys Rail wins landmark £170 million contract for Bosphorus Crossing, Invensys Press Release 3. November 2011
- ↑ Spiegel (engl.)
- ↑ Informationsseite von BASF zum Tunnelbauprojekt
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