- Michael Gartenschläger
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Michael Gartenschläger (* 13. Januar 1944 in Strausberg bei Berlin; † 30. April 1976 an der innerdeutschen Grenze zwischen Leisterförde/Bezirk Schwerin und Bröthen/Schleswig-Holstein) war ein politischer Häftling in der DDR und Fluchthelfer. Er wurde durch ein Spezialkommando des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) beim Versuch, eine Selbstschussanlage an der Grenze abzumontieren, gezielt erschossen.[1]
Inhaltsverzeichnis
Leben
Michael Gartenschläger wurde im August 1961 – siebzehnjährig – zusammen mit fünf Freunden nach Protesten gegen den Mauerbau und damit verbundener Brandstiftung an der Feldscheune einer LPG festgenommen und im September wegen „staatsgefährdender Propaganda und Hetze sowie der Diversion“ nach einem dreitägigen Schauprozess im Strausberger Kulturhaus der NVA vom Bezirksgericht Frankfurt (Oder) zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt.
1971 wurde er nach fast zehn Jahren Haft, gesundheitlich durch Einzelhaft und mangelnde Verpflegung stark angegriffen, von der Bundesrepublik Deutschland für 40.000 DM freigekauft. Er machte sich in Hamburg als Pächter einer Tankstelle selbstständig.
Michael Gartenschläger engagierte sich weiterhin für seine politische Überzeugung, beteiligte sich an Fluchthilfen für insgesamt 31 Personen und verhalf sechs Menschen persönlich zur Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik.
Um die Propaganda der DDR zu entlarven, die ihren Einsatz von Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze seit dem Aufstellen der ersten Anlagen 1970 bestritt, demontierte er am 30. März und am 23. April 1976 je eine Selbstschussanlage vom Typ SM 70 und präsentierte sie der Öffentlichkeit über das Magazin Der Spiegel[2][3][4]. Der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke war außer sich.
Todesumstände
In der Nacht zum 1. Mai 1976 wollte Gartenschläger mit zwei Unterstützern eine dritte SM 70 abbauen. Alle drei Personen waren bewaffnet. In Kenntnis des Vorhabens, ohne jedoch Ort und Zeit genau zu wissen, waren auf DDR-Seite seit dem 24. April 1976 weiträumige Sicherungsmaßnahmen durch eine 29-köpfige Einsatzgruppe der Hauptabteilung I des Ministeriums für Staatssicherheit angelaufen. Das Ziel der Maßnahme bestand darin, Gartenschläger nach dem Betreten des DDR-Territoriums festzunehmen oder zu töten. Als Gartenschläger eine SM 70 zur Explosion bringen wollte, wurde er durch mehrere Schüsse aus einer AK-47 tödlich getroffen. Die Gefährten Gartenschlägers sagten aus, das DDR-Kommando habe das Feuer ohne jede Vorwarnung aus zwei Richtungen gleichzeitig eröffnet. Lediglich einer der Begleiter Gartenschlägers, der unmittelbar an der Demarkationslinie auf westdeutschem Gebiet zurückgeblieben war, habe mit einer abgesägten Flinte zurückgeschossen, woraufhin Mitglieder des DDR-Sonderkommandos das Feuer kurzfristig sogar in Richtung Bundesrepublik erwiderten. In den DDR-Medien wurde dagegen berichtet, Gartenschläger habe den Schusswechsel begonnen. Als Beweis diente einzig die von ihm mitgeführte Pistole, die jedoch in der Gerichtstechnik nicht einmal auf eventuelle Schmauchspuren hin untersucht wurde.
Juristische Aufarbeitung
Im März 2000 und April 2003 wurden Unteroffiziere und Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit, die in Schwerin bzw. Berlin wegen des „Versuches, einen Menschen aus niedrigen Beweggründen zu töten“ (§§ 211, 22, 23, 25 Abs. 2 StGB) angeklagt waren, freigesprochen, da nicht zweifelsfrei auszuschließen war, dass Gartenschläger, wie von den Schützen behauptet, zuerst geschossen hatte. Die Angeklagten behaupteten, sie hätten in „Notwehr gegen Grenzterroristen“ gehandelt.
Den MfS-Oberstleutnant Wolfgang Singer, unter dessen Kommando die tödlichen Schüsse abgegeben wurden, sprach das Landgericht Berlin wegen der Anstiftung zum Mord an Michael Gartenschläger schuldig. Wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung blieb die Tat straffrei. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision beim Bundesgerichtshof ein.
Freigesprochen aus Beweismangel wurde der MfS-Oberst Helmut Heckel, dem vorgeworfen wurde, den Liquidierungsbefehl erteilt zu haben. Ein weiterer Angeklagter, der Generalleutnant Karl Kleinjung, zum Zeitpunkt des Prozesses 90-jährig, wurde in einem gesonderten Verfahren ebenfalls freigesprochen.
Das Gericht stellte in seinem schriftlichen Urteil heraus, dass „gewisse Zweifel daran aufkommen, ob überhaupt ernstliche Vorbereitung für eine Festnahme getroffen wurden und nicht von vornherein ernsthaft nur die ‚Vernichtung‘ bzw. ‚Liquidierung‘ Gartenschlägers ins Auge gefasst war“ (vgl. Urteil des LG Berlin, AZ: (531)25 Js 2/97 -Ks-(8/97),Bl.80). Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Bundesgerichtshof den Angeklagten am 16. Februar 2005 (5 StR 14/04) wegen der zwischenzeitlich nach dem Recht der DDR eingetretenen Verjährung freigesprochen.
Das 1961 von der DDR-Justiz gegen Michael Gartenschläger ergangene Urteil „lebenslange Freiheitsstrafe“ wurde 1992 nach einem Rehabilitierungsantrag seiner Schwester vom Landgericht Frankfurt (Oder) in weiten Teilen aufgehoben.
2006 wurde in Gartenschlägers Heimatstadt Strausberg der Antrag von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt, eine Straße nach Michael Gartenschläger zu benennen.
Literatur
- Andreas Frost: Michael Gartenschläger: Der Prozess: mutmaßliches DDR-Unrecht vor einem bundesdeutschen Gericht. Schwerin: Landesbeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 2002. ISBN 3-933255-15-5
- Lothar Lienicke, Franz Bludau: Todesautomatik: die Staatssicherheit und der Tod des Michael Gartenschläger. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-15913-X und Kiel 2001, ISBN 3-929171-01-5.
- Freya Klier: Michael Gartenschläger. Kampf gegen Mauer und Stacheldraht. Bürgerbüro e. V. Berlin, 2009, ISBN 978-3-000279997
TV-Dokumentation
- Gegen die Grenze. Das Leben des Michael Gartenschläger, Fernseh-Dokumentation (44 Min.) von Alexander Dittner & Ben Kempas, Produktion: Xframe GmbH München für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) 2004.
Ausstellungen
- Michael Gartenschläger – Leben und Sterben zwischen Deutschland und Deutschland (Wanderausstellung der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn)
- ELVIS in Deutschland, Haus der Geschichte in Bonn 2004/05
Spielfilm
- Die Todesautomatik, ZDF-Film nach dem gleichnamigen Buch von Franz Bludau und Lothar Lienicke, Produktion: Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft Hamburg, Regie: Niki Stein, Kamera: Arthur Ahrweiler, Drehbuch: Wieland Bauder, Darsteller: Mišel Matičević, Stephan Kampwirth, Loretta Pflaum, Katrin Bühring, Werner Wölbern, Hark Bohm u. a. Erstausstrahlung im November 2007.
Theaterstück
- Macht das Tor auf, Anlässlich des 30. Todestags Michael Gartenschlägers entwickelte die Berliner Theatertruppe Interkunst e. V. ein Bühnenstück, welches sich mit seiner tragischen Lebensgeschichte auseinandersetzt.
Einzelnachweise
- ↑ Verrechnet! Bursche!. In: Der Spiegel. Nr. 20, 1976, S. 49 (17. Mai 1976, online).
- ↑ Schnell das Ding vom Zaun. In: Der Spiegel. Nr. 16, 1976, S. 116 (12. April 1976, online).
- ↑ Ich höre die Sirene und denke, na ja. In: Der Spiegel. Nr. 16, 1976, S. 122 (12. April 1976, online).
- ↑ Tödliche Würfel. In: Der Spiegel. Nr. 18, 1976, S. 65 (26. April 1976, online).
Weblinks
Commons: Michael Gartenschläger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Literatur von und über Michael Gartenschläger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Klaus Kunze, Mordmaschine abgebaut, Student Okt./Nov. 1979
- http://www.todesautomatik.de – Biographie
- Spiegel-TV-Bericht vom 30. Juni 1991 auf spiegel.tv
53.47777777777810.702138888889Koordinaten: 53° 28′ 40″ N, 10° 42′ 8″ OKategorien:- Deutsche Teilung
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