Michael Schirner

Michael Schirner

Michael Schirner (* 16. Mai 1941 in Chemnitz) ist deutscher Künstler und Kommunikationsdesigner; er war Creative Director. Schirner wurde als deutscher „Werbepapst“ bezeichnet und ist vor allem mit seiner Formel „Werbung ist Kunst“ aus dem gleichnamigen Buch öfter zitiert worden.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schirner studierte an der Hochschule für bildende Künste Hamburg bei Max Bense, Max Bill und Bazon Brock.

Er ist Professor der Hochschule für Künste Bremen, der Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, der Faculty of Design, Kyushu University Fukuoka, Japan und der Central Academy of Fine Arts in Beijing, China.

Er setzt sich für die Überwindung der Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst ein. Mit seiner Gleichsetzung von Werbung und Kunst und dem Prinzip der Reduktion von Bild und Text, der Sichtbarmachung des Unsichtbaren, der Arbeit an der Selbstabschaffung des Künstlers als Autor, Experte, Fachmann hat der einfluss- und erfolgreiche Künstler und Kommunikationsdesigner Werbung und Kunst gleichermaßen revolutioniert und radikalisiert. Er wird deshalb „ Werbepapst“ und „Beuys der Reklame“ genannt. Er leitete die Werbeagentur GGK Düsseldorf und machte sich danach mit seiner Projektagentur selbständig. Mit Kampagnen für IBM, Pfanni, Creme 21, Jägermeister, Post, VW, Stern, taz, Die Grünen etc. schrieb er Werbegeschichte und prägte den Stil einer Generation. Schirner war Mentor, Lehrer, Partner und Kollege diverser Werbeunternehmen. Im Bereich von Kunst und Kultur arbeitete er mit Diedrich Diederichsen, Albert Oehlen, Werner Büttner, Bazon Brock, Hans Ulrich Reck, Peter Sloterdijk, Andreas Gursky, Jonathan Meese u. a. zusammen. Er leitet das Institut für Kunst und Medien GmbH Düsseldorf, ist Ehrenmitglied des Art Directors Club und Mitglied der Hall of Fame der deutschen Werbung.

Weiterhin widmet er sich der Arbeit als selbständiger Künstler, Kurator und Autor. Sein konzeptuelles Werk umfasst Malerei, Photographie, Medienkunst, Installation und Performance.

2010 präsentierten das Haus der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg und die Galerie Crone in Berlin den Künstler mit seinen Arbeiten der Serie BYE BYE, der Weiterentwicklung seiner Serie „Pictures in our minds“, die er seit den 1980er Jahren weiterverfolgt.

Schirner lebt und arbeitet in Berlin und Peking.

Werk

Gute Kunst ist für Schirner solche, die für jeden nachvollziehbar, bis ins letzte Detail logisch klar ist und nur eins braucht: die jeweils richtige ästhetische Methode. Seine Haltung ist grundsätzlich analytisch und antiindividuell, das heißt, die Person des Künstlers tritt ganz hinter ihrem Werk zurück. Die Schatten des Ichs, die sich in persönlichem Geschmack, in persönlichem Ausdruck und persönlichem Stil auf ein Werk legen, sind für Schirner Momente der Verdunkelung und des Rückfalls in alte Formen der Kunst. Schirners Kunst kennt kein Ich, kein Selbst und keinen Autor. Er schaffte den formerfindenden Künstler in sich ab, tötete das Individuum, den Autor als Experten und Fachmann, der Bilder mit der Hand produziert.

Als Kommunikationsdesigner hat Schirner hunderte von Kampagnen und Projekten entwickelt und dabei mit den besten internationalen Fotografen zusammengearbeitet. In seinem Werk als Medien- und Konzeptkünstler setzt Schirner sich mit den Bildwelten der Massen- und Hochkultur sowie mit der Wahrnehmung medienvermittelter Bilder auseinander. Seine Bilder sind Bilder über Bilder. Seine Bilderarchive sind Zeitungen, Zeitschriften, Filme, Fernsehen, Internet, Werbung und Kunst. Schirner experimentiert mit Bildern des kollektiven Gedächtnisses und transformiert sie zu selbständigen künstlerischen Schöpfungen.

Ziel seiner Arbeit ist die Sichtbarmachung des Unsichtbaren. Er reduziere die Elemente des Bildes auf ein Minimum, lässt alles weg, was weggelassen werden kann. Die Folge: Das Publikum imaginiert das Reduzierte. Das heißt, was nicht gezeigt wird, entsteht in den Köpfen der Betrachter. Und je imaginärer etwas ist, desto intensiver die Imagination. Schirner setzte auf die Phantasie und Gedankenarbeit des Betrachters und mache ihn so zum eigentlichen Autor des Werkes. Seine Kunst ist Kommunikation. Der Betrachter ist wichtiger als der Künstler, der Zuschauer wichtiger als der Schauspieler und der Hörer wichtiger als der Musiker und seine Musik.

Im Folgenden drei von Schirners selbständigen, künstlerischen Werken, die in freier Benutzung der Werke anderer geschaffen wurden:

Kisuaheli neumix

In seinem Buch „Werbung ist Kunst“ beschreibt Schirner, wie es zu seiner Serie von Ölbildern mit den Signaturen berühmter Maler kam:

„Da es mir ernst war mit der Gleichsetzung von Werbung und Kunst, musste ich noch den letzten Schritt tun und die bildende Kunst ganz nebenbei mit zu meiner Domäne erklären. Ich habe, um das Problem der Autorenschaft in den Mittelpunkt zu stellen und um die Herkunft guter Ideen aus der Werbung zu belegen, eine Idee aus meiner Düsseldorf-Kampagne aufgegriffen: die Anzeige mit den Signaturen berühmter Maler. Dies Signaturen habe ich nun, immens vergrößert und mit dem Originalhintergrund in Öl gemalt, dort ausgestellt, wo ich vor Jahren die Ausstellung „Werbung als Kunst“ gemacht hatte, in der Galerie von Hans Mayer. Die Gemälde zeigen, dass aus Kunst Werbung wurde, aus der schließlich Kunst wird, wobei wir am Ende dieser Geschichte wieder bei ihrem Anfang angelangt wären. So habe ich eine Situation geschaffen, wo nichts aus den Arbeitsbereichen, die ich im Laufe der Zeit ausgebaut habe, verschwunden ist, aber jede Menge Überhöhungen, Infragestellungen und Ergänzungen dazugekommen sind, so dass wir es mit einer Gesamtheit aller kreativen Betätigungen und Berufe zu tun haben, die alle auf ihre Vollendung in der Sebstabschaffung des Experten und Fachmanns hinauslaufen. Unter diese Selbstabschaffung habe ich mich entschlossen, da ich eben auch nur ein einzelner, sterblicher Mensch bin, meinen Namen als Signatur zu setzen, für das Ganze also Autorenschaft beanspruchend, das in seinen Teilen die Autorenschaft ad absurdum geführt hat, und bewiesen, dass Kunst nur Werbung und Werbung nur Kunst ist, also beides nichts Besonderes, aber das Höchste und Erhabenste.“

Im Katalogbuch „Michael Schirner BYE BYE“ erzählt der Künstler, wie es zum Titel der Bilder mit den Signaturen kam:

„Vor der Ausstellungseröffnung rief mich der Galerist Hans Mayer völlig aufgelöst an: Es sei etwas Schreckliches mit der Einladungskarte passiert: Die Druckerei habe statt unseres Textes den Blindtext unseres Layouts auf die Einladungskarte gedruckt. Anstelle meines Pamphlets zum Tod des Autors stand da: Kisuaheli neumix dok barcmope. Rewitz gofella queju vinre. Esni uz balomre rindupu doan, Neukifka in lenima dakai typeshop herangu des Henri ounim herero wubo havas en … Ich konnte Hans Mayer nur mit Mühe davon abhalten, die Karten mit dem ursprünglichen Text neu drucken zu lassen. Weil ich den Kisuaheli neumix –Text sehr viel besser fand als meinen, wurde die Karte mit Blindtext verschickt. Und ich wurden wegen der „kreativen“ Karte gelobt. Darauf habe ich mich entschlossen, der Serie den Titel „Kisuaheli neumix“ zu geben.“

Pictures

Schon 1985 hatte Schirner die Technik der Kommunikation von Imaginärem in der Kunst auf die Spitze getrieben, indem er sich weit entfernte von Referenzen auf Aussenliegendes und sich stattdessen auf das Innere des Betrachters, seine Phantasie- und Gedankenarbeit bezog. Schirner macht den Betrachter zu seinem Medium: Die Hardware ist sein Gehirn, die Software seine Imagination, auf seiner Festplatte sind alle Bilder, die in seinem Kopf gespeichert sind. Deshalb gab er dem Projekt den Titel Pictures in our minds.

Die Besucher der legendären ersten Ausstellung Pictures in our minds, die zum ersten Mal 1985 in den Hamburger Messehallen gezeigt wurde, betraten eine Photoausstellung ohne Photos. Statt der Bilder sahen sie schwarze Tafeln, auf denen in weißer Schrift die Beschreibungen bekannter Photos zu lesen waren. Die Texte auf den Tafeln des imaginären Museums ließen die Bilder in den Köpfen der Betrachter entstehen: „Albert Einstein streckt die Zunge raus“, „Marilyn Monroe auf Subway-Luftschacht“, „Südvietnamesischer Polizeipräsident erschießt einen Vietkong“ etc.

Nach der konzeptuellen Methode der Pictures schuf Schirner in den vergangenen Jahren etliche imaginäre Museen, er machte Photoausstellungen ohne Photos, Designausstellungen ohne Design etc. Seine Pictures gibt es als Bücher, im Internet, auf Tonträgern und als Sound-Installationen. 2007 zeigte das NRW Forum für Kunst und Wirtschaft Düsseldorf in der Ausstellung „Bilder im Kopf“ mit einer Sound-Installation Schirners neueste Pictures.

BYE BYE

Mit seinen neuesten Arbeiten, den Bildern der Serie BYE BYE, geht Schirner in der Kommunikation des Imaginären noch einen entscheidenden Schritt weiter, allerdings in die entgegengesetzte Richtung: Statt der Bildbeschreibungen auf Tafeln, sehen wir grob gerasterte Reproduktionen von Bilder, die uns irritieren, weil sie uns bekannt vorkommen, obwohl wir sie ganz sicher noch nie zuvor gesehen haben. Wir sind hin- und hergerissen zwischen dem Bekannten und Unbekannten, Sichtbaren und Unsichtbaren, Realen und Irrealen, Erinnern und Vergessen, Schein und Wirklichkeit. Schirners Arbeiten der Serie BYE BYE sind photorealistische, digitale Gemälde. Aus einer gerasterten Reproduktion wird Rasterpunkt auf Rasterpunkt entfernt, dann jedes Detail, das an Bekanntes erinnern könnte, durch digitale Übermalung unsichtbar gemacht und schließlich das Ganze mit dem Schleier eines Rasters wieder zugedeckt, als wäre nichts passiert. Schirner dazu: „Meine Kunst ist nicht mein Werk, sondern ganz allein Ihrs, Sie sind der Schöpfer Ihrer Bilder in Ihrem Kopf. Mich gibt es gar nicht.“ Das meint Schirner mit der Selbstabschaffung des Künstlers als Autor und Experten seiner Kunst: Er tritt ganz hinter seinem Werk zurück. Die Arbeit, die die Kunst macht, müssen wir tun.

Neun Bilder der Photokunstserie BYE BYE, wurden 2009 von der Jury der LeadAcademy, wegen ihrer Qualität als selbständige künstlerische Arbeit mit einer Medaille ausgezeichnet und zusammen mit den Gewinnern des Wettbewerbs im Haus der Photographie ausgestellt.

Danach hatte Schirner die Serie mit 40 Arbeiten vervollständigt. Sie wurde erstmals vom 16. bis 25. April 2010 im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Ausstellung machte deutlich, dass die Bilder Schirners den Betrachter zugleich ungewöhnlich stark irritieren, involvieren und faszinieren, wobei die Kommunikation des Imaginären im Bild auf vielfältige Art erlebt wird: Viele machen sich auf die Suche nach dem Unsichtbaren. Andere denken über das Verschwinden nach. Andere über das Vergessen, über Tod und Verderben. Wieder andere treten ein ins Bild und werden zu Protagonisten der Szenen, zu Willy Brandt vor dem Denkmal, zum getroffenen spanischen Freiheitskämpfer, zu Mao im Jang Tse-Kiang etc. Doch die meisten sind beeindruckt von der magischen Kraft der Bilder, ihrer Leere, Weite und Schöne.

Schirner erklärt, wie in freier Benutzung der Werke anderer ein selbstständiges Werk geschaffen wurde und was er mit seinen Bildern bezwecke: „Wir entfernen 100% von allem, was das ursprüngliche Photo bekannt gemacht hat: den Protagonisten, das zentrale Bildmotiv, Form und Inhalt der Geschichte. Das durch Entfernen des Bildvordergrundes entstandene „Loch“ oder die Leerstelle wird in aufwendigen Verfahren durch digitales Neumalen des Hintergrundes gefüllt. So entstehen ein neues Bild und ein selbständiges Werk. Ziel der Unsichtbarmachung oder des Entfernens vom ursprünglichen Inhalt und der wesentlichen Elemente des Bildes ist es, aus dem journalistischen Photo etwas kategorisch Anderes zu machen: ein Werk der bildenden Kunst, ein Bildkunstwerk, das vergrößert, gerahmt als Teil einer Serie von Digigraphien im Museum ausgestellt, im Katalog vorgestellt, zum Gegenstand der künstlerischen Betrachtung und Bewertung und zum Objekt der Kunstwelt wird.Doch die Entfernung des Inhalts aus dem Bild ist für mich nur ein Mittel zum Zweck: Mein Ziel ist, aus journalistischer Photographie digigraphische Malerei, aus Inhalt Form, aus Unsichtbarem Sichtbares zu machen, abstrakte Bilder zu erschaffen, die die Schönheit der Leere, der Absenz, der Stille, der Weite und des Verschwindens zeigen und die formalästhetische Qualitäten sehr guter Bilder haben.“

Die Kunstgeschichtlerin Brigitte Werneburg von der Tageszeitung schreibt im Katalogbuch:

„In dem Moment, in dem Michael Schirner den spektakulären oder prominenten Gegenstand im Foto ignoriert, rückt er es aus dem Pressekontext heraus – und in den Kunst-, mehr noch in den Theoriekontext hinein. Für ihn war ausschließlich das Ergebnis wichtig, also die Frage: Entsteht ein gutes Bild? Oder vielleicht sogar ein „sehr, sehr gutes“, wie Oehlen es bei vielen seiner Bildern empfand.“

Der Autor des Deutschen Guggenheim Oliver Koerner von Gustorf:

„Paradoxerweise erzeugt der fehlende Inhalt fast zeitgleich den genau entgegengesetzten Effekt: Der Blick wird auf die Form gerichtet auf die Details, das Verhältnis von Licht und Schatten, Linie und Fläche, den Bildaufbau, die Komposition …Schirner Werke loten die Grenzbereiche zwischen Appropriation-, Medien- und Konzeptkunst ebenso aus wie die Kommunikationsstrukturen, in denen seine Bilder gesehen und wiedergesehen werden.“

Hans Ulrich Reck Professor für Kunstgeschichte an der Kunsthochschule für Medien Köln:

„Schirners Arbeit nimmt für seine verschiebende Arbeit am Bildlichen unvermeidlicherweise die Position der Kunst ein, da es ihm nicht um die üblichen Fiktionalitäten der in Szene gesetzten Bildwirkungen geht. Kunst ist, was immer sonst man von ihr glauben mag, stets ein Experimentieren jenseits des Nützlichen, eine Arbeit mit einem bisher ausgesparten „Rest“ charakterisiert sie. Originär und originell, also schöpferisch bedeutsam, ist dem folgend alles, was zu einer aktualen Wiederentdeckung, einem intensiven Erleben, einer anstoßenden Verschiebung im Gedächtnis, einem Aufmerken gegenüber einem bisher Automatisierten –Vergessenen oder Nicht-Wahrgenommenen – führt. Dass Bilder erinnert werden über das, was bisher an ihnen nicht gut gesehen worden ist, macht die Bedeutung des Schöpferischen aus. Ein Neues an den Bildern entsteht durch Wiederbegegnung mit einem schon bekannten Bildlichen durch Verlagerung der Aufmerksamkeit von den Inhalten auf die Form.“

Die Bildkunstwerke der Serie BYE BYE von Michael Schirner erschienen im Rahmen der großangelegten Medien-Kunst-Aktion an 5 medialen Orten:

Als Teil der Aktionen erschienenen die Bilder der Serie BYE BYE auf Großflächenplakaten, Plakatsäulen und City Light Poster in Hamburg, Berlin, Düsseldorf und Frankfurt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erschien mit dem Bild BYE BYE, CER36 auf Seite 1 und 16 weiteren Bildern der Serie im Feuilleton des Blattes zusammen mit dem Beitrag „Eine Geschichte der Entfernung – Zu Michael Schirners Fotografien im heutigen Feuilleton“ von Niklas Maak. „Entfernung“ ist hier zum einen als Eingriff ins Bild zu verstehen, zum anderen als zeitliche und räumliche Distanz des Kunstwerks zum journalistischen Foto. Das Medium der Dokumentation der Medien-Kunst-Aktion ist das Katalogbuch „Michael Schirner BYE BYE“, herausgegeben von Markus Peichl und erschienen im Distanz Verlag des Sammlers Christian Boros.

Einzelnachweise

  1. Michael Schirner: Werbung ist Kunst. Klinkhardt & Biermann, ISBN 3781402770.

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