Mittwochsgesellschaft

Mittwochsgesellschaft

Die Mittwochsgesellschaft ist die Kurzbezeichnung für die Berliner „freie Gesellschaft zur wissenschaftlichen Unterhaltung“. Diese traf sich von 1863 bis 1944 jeden zweiten Mittwoch für eine freie wissenschaftliche Diskussion im privaten Kreis. Der jeweilige Gastgeber, ein Mitglied der Mittwochsgesellschaft, hatte zunächst einen Vortrag aus seinem Fachgebiet zu halten, bevor das allgemeine Gespräch begann und auch für das leibliche Wohl zu sorgen. Tagespolitische Diskussionen sollten nicht geführt werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Mittwochsgesellschaft

Mitglieder waren überwiegend (Berliner) Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen sowie Verwaltungsbeamte, Militärs, Unternehmer, Kulturschaffende und Regierungsmitglieder. Zu diesem Kreis gehörten unter anderen der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der Philosoph Eduard Spranger, der Physiker Werner Heisenberg, der Botschafter Ulrich von Hassell, der Altphilologe und spätere Rektor der Humboldt Universität Johannes Stroux[1], Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch und, nachdem Fritsch an der Front in Polen 1939 den Soldatentod gesucht und gefunden hatte, der Generaloberst Ludwig Beck. Paul Fechter, der der Gruppe angehörte, beschrieb die Mittwochsgesellschaft in seinem Buch Menschen und Zeiten. Begegnungen aus fünf Jahrzehnten.

Am 19. Januar 1863 wurde die Mittwochsgesellschaft bei einem Treffen im Hause von Moritz August von Bethmann-Hollweg, dem ehemaligen preußischen Staats- und Kultusminister und Großvater des Reichskanzlers, durch insgesamt 15 Personen gegründet. Laut Paul Fechter traf sich die Mittwochsgesellschaft schon seit „1859, dem Jahr, in dem die Mittwochsgesellschaft sich nach dem Muster der Göttinger Freitagsgesellschaft zusammenfand“, aber wohl noch nicht organisiert wie seit der offiziellen Gründung 1863.[2] Der Kreis sollte auf 16 Personen beschränkt bleiben. Nach dem Tode eines Mitgliedes wählte die Gesellschaft ein neues Mitglied, das dem Fachbereich des Verstorbenen entsprach, hinzu. Alle Mitglieder verpflichteten sich zur regelmäßigen Teilnahme und zur zweijährlichen Gastgeberschaft für die Gesellschaft. Die Vorträge wurden protokolliert und die fertigen Bände der Akademie zur Aufbewahrung übergeben. Der Adel war kaum vertreten, weshalb die Mittwochsgesellschaft als Kreis des gehobenen Bildungsbürgertums betrachtet wird, der zugleich die geistige Elite Preußens und des Deutschen Reichs repräsentierte. Die Mitglieder waren hauptsächlich Gelehrte von Universität, Akademie und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, aber auch hohe Verwaltungsbeamte, Militärs, Männer der Wirtschaft und gelegentlich auch Regierungsmitglieder. Trotz verschiedener Richtungen und Weltanschauungen gab es in der Gruppe ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl. [3]In den zwanziger Jahren hatte die Mittwochsgesellschaft einen legendären Ruf erworben, der Wahl und Aufnahme als eine hohe Auszeichnung erscheinen ließ.[4] Die Mitglieder teilten Werte des Humanismus, die sie in der Tradition der abendländisch-christlichen Kultur, der bürgerlichen Aufklärung und der Nähe zur Antike, verwurzelt sahen.

Während der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigte sich die Gruppe teilweise in kritischer Distanz mit den ethischen und staatsrechtlichen Aspekten des Dritten Reichs und der Zeit danach. Konkrete Umsturzpläne existierten nicht. Da nur ein Teil der Gruppe darüber sprach, kann sie nicht in irgendeiner Form als Widerstand betrachtet werden; unter anderem war der Nationalsozialist, Antisemit und Rassist Eugen Fischer, ein Aktivist des NS-Rassenprogramms, ein Mitglied. Jedoch wurde wegen erheblicher personeller Überschneidungen mit den Widerstandskämpfern vom 20. Juli 1944 die Gesellschaft 1944 von der Gestapo aufgelöst. Vier der sechzehn Mitglieder der Gesellschaft wurden wegen Beteiligung am Umsturzversuch hingerichtet: der ehemalige Generalstabschef Ludwig Beck, der Nationalökonom Jens Jessen, der Botschafter Ulrich von Hassell und der preussische Finanzminister Professor Johannes Popitz. Eduard Spranger wurde wochenlang im Gestapo-Gefängnis in Moabit festgehalten, Sauerbruch zweimal vom Chef der Gestapo Kaltenbrunner persönlich verhört. [5] Die letzte Sitzung, es war die 1056te, fand am Mittwoch dem 26. Juli.1944, kurz nach dem Attentat auf Hitler, im Hause von Paul Fechter statt, außer diesem waren Ulrich von Hassell, Ludwig Diels, Johannes Stroux und Eduard Spranger anwesend, Ludwig Beck war bereits tot und Johannes Popitz verhaftet.[6]

Nach dem Krieg fand sich die Mittwochsgesellschaft unter dem Vorsitz von Eduard Spranger erneut zusammen. Für den beim 20. Juli 1944 auf Seiten der Hitler-Gegner getöteten Generalobersten Ludwig Beck wurde der General Hans Speidel in die Gesellschaft aufgenommen.[7]

Wiederbegründung der Mittwochsgesellschaft

Die Mittwochsgesellschaft wurde 1996 in Berlin von Marion Gräfin Dönhoff und Richard von Weizsäcker in Anknüpfung an die Traditionen der Mittwochsgesellschaft von 1863 wiederbegründet. Einige ihrer Vorträge wurden in den Büchern „Die neue Mittwochsgeselschaft. Band I: Gespräche über Probleme von Bürger und Staat“, 1998 und „Die neue Mittwochsgeselschaft. Band II: Menschenrecht und Bürgersinn“, 1999 veröffentlicht.

Literatur

  • Klaus Scholder: Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. 2. Auflage. Severin und Siedler, Berlin 1982, ISBN 3-88680-030-X.
  • Gerhard Besier: Die Mittwochs-Gesellschaft im Kaiserreich. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1863–1919. Siedler, Berlin 1990, ISBN 3-88680-254-X.
  • Die neue Mittwochsgesellschaft. Band 1: Die neue Mittwochsgesellschaft. Gespräche über Probleme von Bürger und Staat. 2. Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998, ISBN 3-421-05124-0.
  • Die neue Mittwochsgesellschaft. Band 2: Marion Gräfin Dönhoff (Hrsg.): Menschenrecht und Bürgersinn. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05201-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Eckart Mensching: Nugae zur Philologie-Geschichte 7. Über Theodor Mommsen, Hermann Diels, Johannes Stroux, Joachim Stenzel und andere. Univ.-Bibliothek der Techn. Univ., Abt. Publ. 1994, ISBN 3-7983-1600-7.
  2. Paul Fechter: Menschen und Zeiten. 2. Auflage, Deutsche Buch-Gemeinschaft, E. U. Koch’s Verlag Nachf. Darmstadt / Berlin 1951, Seite 381.
  3. Klaus Scholder: Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. 2. Auflage. Severin und Siedler, Berlin 1982, S. 15, ISBN 3-88680-030-X.
  4. Klaus Scholder: Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. 2. Auflage. Severin und Siedler, Berlin 1982, S. 13, ISBN 3-88680-030-X.
  5. Klaus Scholder: Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. 2. Auflage. Severin und Siedler, Berlin 1982, S 24, ISBN 3-88680-030-X.
  6. Klaus Scholder: Die Mittwochsgesellschaft. Protokolle aus dem geistigen Deutschland 1932–1944. 2. Auflage. Severin und Siedler, Berlin 1982, S. 11, ISBN 3-88680-030-X.
  7. Hans Speidel: Aus unserer Zeit. Ullstein, Berlin 1977, ISBN 3-550-07357-7, S. 260.

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