Marion Dönhoff

Marion Dönhoff

Marion Hedda Ilse Gräfin Dönhoff (* 2. Dezember 1909 auf Schloss Friedrichstein (Ostpreußen); † 11. März 2002 auf Schloss Crottorf bei Friesenhagen im nördlichen Landkreis Altenkirchen, Rheinland-Pfalz) gilt vor allem durch ihre Tätigkeit bei der Wochenzeitung Die Zeit als eine der wichtigsten Journalistinnen der bundesdeutschen Nachkriegszeit.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Familie, Studium, Widerstand und Flucht

Marion Gräfin Dönhoff wurde als jüngstes von sieben Kindern geboren. Ihre Mutter war Maria Gräfin Dönhoff, geborene von Lepel (1869–1940), ihr Vater August Graf Dönhoff (1845–1920). Sie wuchs auf dem Familienschloss Friedrichstein, 20 Kilometer östlich von Königsberg, in Ostpreußen auf. Ihre Schwester Christa starb 1924 im Kindbett, ihr Bruder Heinrich fiel 1942 an der Front. Zudem hatte sie eine Schwester, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde und 1965 in Bethel starb. Als Kind hatte sie ein existenzielles Erlebnis, als sie als Insassin mit mehreren anderen Kindern in einem Auto bei der Rückfahrt von einem Ausflug ins Ostseebad Cranz in den Pregel stürzte. Wie durch ein Wunder überlebte sie den Unfall.

1928 bestand sie das Abitur in Potsdam. 1931 begann sie das Studium der Volkswirtschaft an der Universität Frankfurt am Main. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wechselte sie nach Basel, wo sie an der dortigen Universität das Studium 1935 mit der Promotion abschloss. Im Anschluss verwaltete sie bis Januar 1945 die ostpreußischen Familiengüter Friedrichstein und Quittainen.

Nach eigener Darstellung stand sie während des Nationalsozialismus mit Mitgliedern des Kreisauer Kreis in Kontakt und war an den Vorbereitungen des Putschversuchs vom 20. Juli 1944 indirekt beteiligt (siehe dazu: Stauffer-Dönhoff-Kontroverse). Im Januar 1945 floh sie auf ihrem Pferd Alarich vor der vorrückenden sowjetischen Armee. Bereits Anfang November 1944 hatte sie an einen Freund geschrieben, dass sie beabsichtige, sich „mit dem Reitpferd zu verselbständigen und allmählich gen Westen zu reiten“. In Westfalen kam sie bei den Grafen von Metternich auf dem Wasserschloss in Steinheim-Vinsebeck unter. Von dort ging es für sie zunächst nach Brunkensen bei Alfeld (Leine) auf das Gut von Albrecht Graf von Goertz. Sie verfasste gemeinsam mit Baron von Cramm eine Denkschrift mit Schilderung des Widerstands aus ihrer Sicht und der erforderlichen Nachkriegsmaßnahmen für die Westalliierten. Der sie vernehmende britische Geheimdienstoffizier vermerkte, die Zeugen böten ihre Dienste „in jeder Weise an, in der sie den Alliierten von Nutzen sein könnten“.

Journalistin und Herausgeberin

1946 begann Dönhoff, für die soeben in Hamburg gegründete ZEIT zu schreiben. Unter dem Eindruck der Ermordung des Grafen Folke Bernadotte in Jerusalem schrieb sie 1948 den umstrittenen Artikel „Völkischer Ordensstaat Israel“. 1952 wurde sie Leiterin des Politik-Ressorts. Im August 1954 verließ sie aus Protest gegen das Mitwirken von Richard Tüngel, der unter anderem einen Text des NS-Staatsrechtlers Carl Schmitt veröffentlichte, vorübergehend die ZEIT und ging nach London zur dortigen Sonntagszeitung The Observer. Im November 1954 schrieb sie dem ZEIT-Verleger Gerd Bucerius „Die überzeugenden und amüsanten Schreiber Friedlaender und Jacobi haben wir eingebüßt, und geblieben sind ausgerechnet Ernst Krüger und drei magenkranke, krätzebefallene, immer giftiger werdende alte Männer.“ Chefredakteur Tüngel verließ 1955 das Blatt, Dönhoff und Bucerius gewannen den Machtkampf und brachten die Zeitung auf liberalen Kurs. 1968 wurde Dönhoff Chefredakteurin des renommierten Wochenblattes und blieb es bis 1972. 1973 wurde sie dann in den Kreis der Herausgeber der ZEIT aufgenommen, dem sie bis zu ihrem Tod 2002 zusammen mit Helmut Schmidt angehörte.

Auf der Basis ihres Berufes und ihrer historischen Erfahrungen initiierte sie 1966 die Neue Mittwochsgesellschaft, einen privaten Zusammenschluss von Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur, die sich regelmäßig in ihrem Hamburger Domizil trafen und richtungsweisend unabhängig von Tagesgeschehnissen oder der Parteizugehörigkeit übergeordnete, langfristige oder auch zukunftsweisende Themen mit einem eingeladenen Gast erörterten. Sie setzte damit die Tradition der „Mittwochsgesellschaft“ fort, die im 19. Jahrhundert in Berlin begründet und erst nach dem 20. Juli 1944 aufgelöst worden war.[1] Die von Dönhoff bezweckten Ziele dieser Treffen waren die Erweiterung des Horizontes in fachfremde Gebiete hinein, das Aufweisen von Zusammenhängen, die im Tagesgeschäft untergehen, und von Werten jenseits modischer Zeitströmungen sowie der Ansatz, Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Zusammenkünften in die tägliche Praxis zu tragen. Unter anderen gehörten Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker diesem Personenkreis an.

Ostpolitik und Völkerverständigung

1955 gründete sie mit anderen die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Besonderes Interesse zeigte Dönhoff auch aus biographischen Gründen stets für die ehemals deutschen Ostgebiete. 1949 hatte sie die Oder-Neiße-Grenze noch als völkerrechtswidrig bezeichnet und 1959 eine Verzichtserklärung der Bundesregierung auf die Ostgebiete kategorisch abgelehnt. 1970 bejahte Dönhoff den Vertragsabschluss mit Polen, einschließlich der De-facto-Anerkennung der Grenze. Selbst aus einer ostpreußischen Adelsfamilie stammend, setzte sie sich dann für eine aktive Ostpolitik der Bundesregierung ein, hielt gleichzeitig aber die Erinnerung an die verlorene Heimat aufrecht, etwa mit ihren Bestsellern Eine Kindheit in Ostpreußen und Namen die keiner mehr nennt: Ostpreußen. Menschen und Geschichte. Hatte Dönhoff Ende der 1940er Jahre die Zerstückelung Deutschlands noch als Katastrophe eingestuft, so zeigte sie später – bis kurz vor dem Zusammenbruch der DDR – eine radikale Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung. Insgesamt habe anfangs wenig darauf hingedeutet, dass Dönhoff einst als Verfechterin linksliberaler Positionen Kultstatus erlangen würde, schrieb Klaus Harpprecht in seiner 2008 erschienenen Biografie.

Marion Dönhoff Preis

Von der ZEIT, der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und der Marion Dönhoff-Stiftung wird alljährlich der Marion Dönhoff Preis vergeben. Mit diesem Preis werden seit 2003 jährlich Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich für internationale Verständigung und für gute Beziehungen zwischen Deutschland und Osteuropa engagiert haben. Vorgeschlagen werden die Preisträger von den Lesern der Wochenzeitung Die Zeit. Es wird ein mit 20.000 Euro dotierter Hauptpreis für besondere Verdienste einer Person oder Institution verliehen, sowie ein mit 10.000 Euro dotierter Förderpreis für laufende Projekte.

Preisträger des Marion Dönhoff Preises

Auszeichnungen (Auswahl)

1971 wurde Dönhoff der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Sie ist außerdem Ehrenbürgerin der Stadt Hamburg. 1993 erhielt sie für ihre Verdienste um die Völkerverständigung in Europa den Internationalen Brückepreis der Stadt Görlitz, 1999 den Hermann-Sinsheimer-Preis.

Sieben Schulen sind nach Marion Gräfin Dönhoff benannt, darunter in Polen die Marion-Dönhoff-Schule im masurischen Mikołajki (Nikolaiken) sowie in Deutschland die Marion-Dönhoff-Realschule in Wissen (Westerwald), Brühl/Ketsch (Baden-Württemberg) und Pulheim (NRW) sowie die drei Marion-Dönhoff-Gymnasien in Lahnstein, Mölln und Nienburg/Weser. Die Viadrina, die den deutsch-polnischen Austausch fördert, hat ein Gebäude nach ihr benannt.

Werke

  • Entstehung und Bewirtschaftung eines ostdeutschen Großbetriebes. Die Friedrichstein-Güter von der Ordenszeit bis zur Bauernbefreiung (Dissertation, Universität Basel 1935)
  • Deutsche Außenpolitik von Adenauer bis Brandt (1972)
  • Von gestern nach übermorgen (1981)
  • Amerikanische Wechselbäder. Beobachtungen und Kommentare aus vier Jahrzehnten (1983) – ISBN 3-421-06165-3
  • Weit ist der Weg nach Osten (1985)
  • Kindheit in Ostpreußen (1988) – ISBN 3-442-72265-9
  • Gestalten unserer Zeit: Politische Portraits (1990)
  • Namen die keiner mehr nennt. Erinnerungen an Ostpreußen (1971) – ISBN 3-424-00410-3
  • Versöhnung: Polen und Deutsche, Hrsg. mit Freimut Duve (1991)
  • Im Wartesaal der Geschichte. Vom Kalten Krieg zur Wiedervereinigung (1993) – ISBN 3-421-06645-0
  • Um der Ehre Willen. Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli (1994) – ISBN 3-88680-532-8
  • Der Effendi wünscht zu beten. Reisen in die vergangene Fremde (1998) – ISBN 3-886806-47-2
  • Preußen. Maß und Maßlosigkeit (1998) – ISBN 3-442-75517-4
  • Zivilisiert den Kapitalismus, Grenzen der Freiheit (1999) – ISBN 3-426-60907-X
  • Menschenrecht und Bürgersinn (1999) – ISBN 3-421-05201-8
  • Macht und Moral. Was wird aus der Gesellschaft? (2000) – ISBN 3-462-0294-1X
  • Deutschland, deine Kanzler. Die Geschichte der Bundesrepublik 1949–1999 (1999) – ISBN 3-442-75559-X
  • Vier Jahrzehnte politischer Begegnungen (2001) – ISBN 3-572-01240-6
  • Was mir wichtig war, Letzte Aufzeichnungen und Gespräche (2002) – ISBN 3-88680-784-3
  • Ritt durch Masuren, Aufgeschrieben 1941 (2002) – ISBN 3-80033-036-9
  • Ein wenig betrübt, Ihre Marion. Marion Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius. Ein Briefwechsel aus fünf Jahrzehnten (2003) – ISBN 3-88680-798-3. In diesem Briefwechsel wird Marion Grafin Dönhoff mit dem geltenden Grundsatz in Bezug auf die Nazi-Amnestie zitiert „Wer den Geist des Nationalsozialismus gepredigt und an seinen Sprachverdrehungen teilgenommen hat, soll für immer von der Presse (Lehre) ausgeschlossen sein.“

Quellen und Anmerkungen

  1. Die „Neue Mittwochsgesellschaft“ Juni 2007. Osteuropa-Institut. Abgerufen am 23. November 2008.

Literatur

  • Dieter Buhl, ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (Hrsg.): Marion Gräfin Dönhoff – Wie Freunde und Weggefährten sie erlebten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, ISBN 978-3-455-50011-0 (Gespräche und Interviews). 
  • Friedrich Dönhoff: „Die Welt ist so, wie man sie sieht.“ Erinnerungen an Marion Dönhoff. btb, Hamburg 2004, ISBN 3-442-73167-4, S. 192. 
  • Klaus Harpprecht: Die Gräfin. Marion Dönhoff. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbek 2008, ISBN 978-3-498-02984-5. 
  • Kilian Heck, Christian Thielemann (Hrsg.): Friedrichstein. Das Schloß der Grafen von Dönhoff in Ostpreußen. Deutscher Kunstverlag, München, Berlin 2006, ISBN 3-422-06593-8. 
  • Haug von Kuenheim: Marion Dönhoff. Rowohlt, Reinbek 2003, ISBN 3-499-50625-4. 
  • Alice Schwarzer: Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben. Droemer Knaur, München 1997, ISBN 3-426-77302-3 (Erste und autorisierte Biographie). 

Weblinks


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