Moritz Schreber

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Moritz Schreber

Daniel Gottlob Moritz Schreber (* 15. Oktober 1808 in Leipzig; † 10. November 1861 in Leipzig) war ein deutscher Arzt und Hochschullehrer an der Universität Leipzig.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

„Geradhalter“ für korrekte Sitzhaltung

Moritz Schreber wurde als Kind des Leipziger Advokaten Johann Gotthilf Daniel Schreber (12. August 1754 - 19. April 1837) und Friederike Charlotte geb. Grosse (1. April 1779 - 30. Dezember 1846) geboren. Er lernte an der Thomasschule und studierte an der Universität Leipzig. Im Jahr 1844 übernahm er schließlich die Leipziger orthopädische Heilanstalt. In seinen Schriften beschäftigte er sich vor allem mit der Gesundheit der Kinder und den sozialen Folgen des Stadtlebens am Beginn der Industrialisierung. Neben „systematischer Heilgymnastik“ warb er auch für eine Ertüchtigung der Stadtjugend durch Arbeit im Grünen, etwa in Armen- und Specialgärten, da das Umfeld der Mietskasernen wenig entsprechende Möglichkeiten bot.

Im programmatischen Vorwort des Erziehungsratgebers Kallipädie (1858) schrieb er: Selbst sehr mangelhafte Naturmitgabe ist oft in staunenswerter Weise ausgleichbar durch wohlberechnete Erziehung, wovon die augenfälligsten maßgeblichen Beispiele in den immer höher steigenden Resultaten der Erziehungsanstalten für Taubstumme, Blinde, Blödsinnige, Cretinen, sittlich verwahrloste Kinder u. s. w. zu erblicken sind. Die glücklichste Naturmitgabe ist aber der Verkümmerung preisgegeben, wenn die erziehende Entwicklung derselben fehlt[1] Der Begriff der Gesundheit schloss in dieser Zeit auch den Gedanken an „gesunde Triebabfuhr“ mit ein, weshalb Schreber unter anderem mit mechanischen Geräten zur Verhinderung der Masturbation experimentierte. Überdies empfahl er Axthauen und Sägebewegungen, in schwierigen Fällen abendliche kalte Sitzbäder, Kaltwasserklistiere und das Abreiben der Schamgegend mit kaltem Wasser.[2] Um gesunde Körper zu formen, konstruierte Schreber außerdem zahlreiche Apparaturen: etwa orthopädische Kinnbänder, um Fehlbissen vorzubeugen, Schulterriemen die das Kind im Bett in Rückenlage hielten und „Geradhalter“ für aufrechtes Sitzen.[3]

Orthopädisches Kinnband zur Vermeidung eines Fehlbisses

Schreber war Mitglied der Leipziger Freimaurerloge Minerva zu den drei Palmen. Er starb 1861 in Leipzig, seine Ruhestätte auf dem dortigen Neuen Johannisfriedhof ist allerdings heute nicht mehr auffindbar.

Familie

Schrebers Frau Pauline (1815-1907) war die Tochter des Mediziners Wilhelm Andreas Haase und hatte Karl Friedrich Christian Wenck zum Onkel. Sie hatten drei Töchter und zwei Söhne. Der älteste Sohn Daniel Gustav (1839-1877) beging Suizid. Der zweite Sohn war der sächsische Richter und kurzzeitige Senatspräsident am Oberlandesgericht Dresden Daniel Paul Schreber, dessen autobiografische Beschreibung seiner schweren psychischen Erkrankung Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903) von Sigmund Freud auf der theoretischen Grundlage der Psychoanalyse interpretiert wurde.[4]

Ein Onkel war Johann Christian Daniel von Schreber.

Rezeption

Alice Miller zufolge gilt Schreber als einer der Hauptvertreter der „Schwarzen Pädagogik“, deren Folgen sie in ihrer Literatur eingehend untersucht. Miller schreibt in diesem Zusammenhang: Der Vater des von Freud beschriebenen paranoiden Patienten Schreber hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere Erziehungsbücher geschrieben, die in Deutschland so populär waren, dass sie zum Teil vierzig Mal aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. [5]

Die bekannten Schrebergärten gehen nicht auf eine Initiative Schrebers zurück: Der erste „Schreberverein“ wurde nach Schrebers Tod 1864 von dem Leipziger Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild gegründet und Schreber zu Ehren so benannt. In unmittelbarer Nähe des Vereins tragen auch Schreberbrücke, Schreberstraße und Schrebergäßchen seinen Namen.

Im Jahr 1923 wurde in Wien Donaustadt (22. Bezirk) die Schrebergasse nach ihm benannt, 1927 in Hietzing (13. Bezirk) die Dr.-Schreber-Gasse und im gleichen Jahr in Döbling (19. Bezirk) ebenfalls eine Dr.-Schreber-Gasse, sowie zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in Meidling (12. Bezirk) der Dr.-Schreber-Weg.

Klaas Huizing schrieb ausgehend von dem überlieferten Material über Moritz Schreber und seinen Sohn Paul 2008 den Roman In Schrebers Garten, der 2010 gleichnamig als Theaterstück inszeniert wurde. Dargestellt wird die problematische Entwicklung, die Paul innerhalb des gegebenen Umfelds durchlaufen musste sowie die Entstehung seines angenommenen Wahnsinns durch massive Verdrängung sexueller Identität.

Schriften

  • Die Eigenthümlichkeiten des kindlichen Organismus im gesunden und kranken Zustande (1839)
  • Der Hausfreund als Erzieher und Führer zu Familienglück und Menschenveredelung (1861)
  • Die ärztliche Zimmergymnastik (1855); dies wurde zum Bestseller
  • Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit durch naturgetreue und gleichmässige Förderung normaler Körperbildung, lebenstüchtiger Gesundheit und geistiger Veredelung und insbesondere durch möglichste Benutzung specieller Erziehungsmittel (Leipzig, 1858)

Literatur

  • Jürgen Helfricht: Die Erfolgsrezepte sächsischer Naturheiler. Taucha, 2004. ISBN 3-89772-077-9.
  • Klaas Huizing: In Schrebers Garten. Knaus Verlag, München 2008. ISBN 978-3-8135-0292-3. Roman über Moritz Schreber und seinen Sohn Paul Schreber.
  • Han Israëls: Schreber: Vater und Sohn. Eine Biographie. Übersetzung von Wenda Focke. Verlag internationale Psychoanalyse, München/Wien 1989. ISBN 3-621-26509-0. Originalausgabe: Vader en zoon. Amsterdam 1980. Materialreiche Biografie.
  • Katharina Rutschky: Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung. 6. Auflage. Ullstein, Frankfurt/Main 1993. ISBN 3-548-34453-4.
  • Wolfgang Treher: Hitler, Steiner, Schreber, Gäste aus einer anderen Welt. Oknos, Emmendingen 1990. ISBN 3-921031-00-1
  • Alfred Brauchle: Das Paradies des Kindes. Der Schrebergarten. Dr. med. Daniel Gottlieb Moritz Schreber. In: derselbe: Geschichte der Naturheilkunde in Lebensbildern. 2. erw. Aufl. von Große Naturärzte. Reclam Verlag, Stuttgart 1951, S.184-190
  • William G. Niederland: Der Fall Schreber. Das psychoanalytische Profil einer paranoiden Persönlichkeit. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978, ISBN 3-518-07490-3.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rudi Palla: Die Kunst Kinder zu kneten. Eichborn, Frankfurt a. M. 1997. S. 168
  2. Die Kunst Kinder zu kneten. S. 180
  3. Die Kunst Kinder zu kneten. S. 176 ff.
  4. William G. Niederland: Der Fall Schreber. Das psychoanalytische Profil einer paranoiden Persönlichkeit, S. 19ff
  5. Alice Miller: Am Anfang war Erziehung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983. S. 18

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