Muletto

Muletto

Mit Muletto (ital. = kleiner Esel) bezeichnet man in der Formel 1 herkömmlicherweise den Ersatzwagen, der insbesondere bei den Testfahrten zur Abstimmung des Fahrwerks, Elastizitätsprüfungen des Motors und Auswahl des Reifentyps zum Einsatz kommt. Eine andere gebräuchliche Bezeichnung ist T-Car.

Bei kleineren bis mittleren Teams wird es meist als Chassis Nr. 3 benannt, da diese oft aus Kostengründen nur über drei Kohlefaser-Monocoque verfügen – zum Anfang der jeweiligen Saison stark darauf angewiesen sind, dass bei den Testfahrten kein Totalschaden der Struktur auftritt, um somit ein Ersatzchassis für die Grand Prix aufweisen zu können.

Mitte der 1990er Jahre konnten es sich die finanzkräftigen Teams wie McLaren, Williams, Benetton und Ferrari leisten, bis zu fünf „Monoposti“ zu den Rennen zu transportieren, was sowohl die Fertigungs- als auch die Transportkosten gerade bei Terminen in Übersee explodieren ließ. Ursprünglich hatte man den „Muletto“ immer als ein Reservefahrzeug angesehen, das im Falle eines Trainingsunfalls für das jeweils verunglückte Fahrzeug herangezogen wurde. Damit zumindest eine Vorabstimmung getroffen war, bestimmte man bei Teams, in denen keine eindeutige Stallhierarchie herrschte, per Los denjenigen Fahrer, der diesen Wagen zugeordnet bekommen würde. Denn dies bestimmte nicht nur die Grundabstimmung des Fahrwerks, sondern auch – weil die Piloten selten über identische Körpermaße verfügten – die Einstellungen der Pedalerie, des Lenkrades oder des Schalensitzes. Da diese Arbeiten der Mechaniker damals bis zu 15 Minuten benötigten, war dies im Samstags-Qualifying oft eine sehr knappe Angelegenheit, bei der die Abstimmung meist hinten an blieb, so dass die Fahrer im Muletto oft nur vergleichsweise mäßige Start-Platzierungen herausfahren konnten.

Allerdings bewirkte das zunächst prophylaktische „Herankarren“ der großen Teams einen Nebeneffekt, der sich in einem bewusst gesteigerten, kalkulierten Risiko in der Startphase äußerte. Erst im Laufe der Formel-1-Saison 1994 führte die FIA elektronische Sensoren für Frühstarts ein, die damals noch nicht vollkommen zufriedenstellend arbeiteten, und so passierte es mehr als einmal, dass ein Fahrer beim Start durch allzu übermotiviertes Starten oder Ausbremsen Massenkarambolagen verursachten. Offenbar waren einige Fahrer gewillt, dieses Risiko einzukalkulieren, da aufgrund der Fülle der verunfallten Boliden direkt nach der Startphase wiederholt Rennen abgebrochen wurden, wodurch sie beim Neustart die Gelegenheit bekamen, in ihre entsprechenden „Muletti“ zu steigen.

Beispiele für ein derartiges Missverhalten war zum Beispiel der Grand Prix von Deutschland am Hockenheimring 1994, als Mika Häkkinen mit seinem McLaren-Peugeot einmal diagonal durch die ersten fünf Startreihen pflügte und damit das Fahrerfeld um 13 Wagen dezimierte – doch in diesem Fall verfügte die Rennleitung wider Erwarten nicht den Renn- bzw. Startabbruch, sodass die prominenten Crashpiloten nicht zu ihren Ersatzwagen eilen durften und Gerhard Berger auf Ferrari, nach dem motorbedingten Ausscheiden Michael Schumachers, einen ungefährdeten Sieg vor den beiden Ligier-Renault von Olivier Panis und Éric Bernard einfahren konnte. Von 26 gestarteten Wagen kamen nur acht Fahrzeuge ins Ziel.

Ein Fall, wo dieses Fehlverhalten der Fahrer indirekt belohnt wurde, war der Startunfall im Folgejahr in Monaco, als David Coulthard und Jean Alesi den Startabbruch „verursachten“ und daraufhin „unbeschwert“ in ihre Ersatzwagen eilten. Nicht nur die kleineren Teams kritisierten diese Praxis, sondern auch erfahrene Piloten, wie Gerhard Berger, rügten das unvernünftige Verhalten jener unbeherrschter Piloten, die „gleich beim Start den Grand Prix gewinnen wollten.“

In den Folgejahren zögerte die Rennleitung daher oft, den Start wiederholen zu lassen, was jedoch konträr zu dem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis einherging und so sollte es noch lange dauern, bis durch die Einschränkung der Ersatzwagen je Grand Prix auf ein Modell zum Beginn der Formel-1-Saison 2003 wie erwartet die ganz schweren, im Unterbewusstsein einkalkulierten, Startkollisionen zurückgegangen sind.


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