Zeitdilatation

Zeitdilatation

Bei der Zeitdilatation (aus lat.: dilatare ‚ausbreiten‘, ‚aufschieben‘) handelt es sich um ein Phänomen der Relativitätstheorie. Befindet sich ein Beobachter im Zustand der gleichförmigen Bewegung bzw. ruht er in einem Inertialsystem, geht nach der speziellen Relativitätstheorie jede relativ zu ihm bewegte Uhr aus seiner Sicht langsamer. Diesem Phänomen unterliegen allerdings nicht nur Uhren, sondern jeder beliebige Vorgang und damit die Zeit im bewegten System selbst. Dabei ist die Zeitdilatation umso stärker, je größer die Relativgeschwindigkeit der Uhr ist, woraus folgt, dass sie nicht im alltäglichen Leben, sondern erst bei Geschwindigkeiten beobachtbar ist, die im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit nicht vernachlässigbar klein sind. Die Tatsache, dass für alle Beobachter die Zeit des jeweils anderen langsamer verstreicht, stellt jedoch keinen Widerspruch dar, wie eine nähere Betrachtung der Relativität der Gleichzeitigkeit aufzeigt (näheres siehe im Artikel spezielle Relativitätstheorie und Minkowski-Diagramm).

Ein solcher Effekt wurde zuerst von Joseph Larmor (1897) und Hendrik Antoon Lorentz (1899) im Rahmen einer inzwischen überholten Äthertheorie abgeleitet. Albert Einstein (1905) gelang es jedoch im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie zu zeigen, dass der veränderte Uhrengang nicht mit einer Beeinflussung durch einen Äther, sondern mit einer radikalen Neuinterpretation der Konzepte von Raum und Zeit zusammenhängt (näheres siehe im Artikel Geschichte der speziellen Relativitätstheorie).

Bei der gravitativen Zeitdilatation handelt es sich um ein Phänomen der allgemeinen Relativitätstheorie. Mit der gravitativen Zeitdilatation bezeichnet man den Effekt, dass eine Uhr, wie auch jeder andere Prozess, in einem Gravitationsfeld langsamer abläuft als außerhalb desselben. So läuft die Zeit auf der Erdoberfläche um etwa den Faktor 7·10−10 langsamer ab als im fernen, näherungsweise gravitationsfreien Weltraum. Genauer gesagt misst jeder gegenüber dem Gravitationsfeld ruhende Beobachter eine längere bzw. kürzere Ablaufzeit von Vorgängen, die in identischer Weise im bzw. außerhalb des Gravitationsfelds ausgelöst wurden (wie z. B. eine Oszillation des elektrischen Feldstärkevektors eines Lichtstrahls, welche als Zeitbasis verwendet werden kann). Anders als bei der Zeitdilatation durch Bewegung ist die gravitative Zeitdilatation nicht gegenseitig: Während der im Gravitationsfeld weiter oben befindliche Beobachter die Zeit des weiter unten befindlichen Beobachters langsamer ablaufen sieht, sieht der untere Beobachter die Zeit des oberen Beobachters entsprechend schneller ablaufen.

Inhaltsverzeichnis

Zeitdilatation durch relative Bewegung

Bei konstanter Geschwindigkeit

Erläuterung

Zeitdilatation: In S sind A und B synchron. Die „bewegte“ Uhr X tickt langsamer und geht bei Ankunft bei B nach.

Zum Verständnis der Zeitdilatation ist es erforderlich, sich die grundlegenden Messvorschriften und Methoden zur Zeitmessung mit ruhenden und bewegten Uhren zu vergegenwärtigen.[1][2] Ist die Relativgeschwindigkeit zwischen Beobachter (bzw. dessen Uhren) und beobachtetem Phänomen gleich null (das heißt alles ruht im selben Inertialsystem), dann kann einfach durch direktes Ablesen der Zeigerstellung einer beim Phänomen befindlichen Uhr die „Eigenzeit“ T_0\ ermittelt werden. Liegt jedoch eine Relativgeschwindigkeit > 0 vor, kann folgendermaßen vorgegangen werden: Ein Beobachter im Inertialsystem S stellt zwei Uhren A und B auf, welche mit Lichtsignalen synchronisiert sind (Bild 1). Es sei nun eine in S’ ruhende Uhr X gegeben, welche sich mit der Geschwindigkeit v von A nach B bewegt, und welche (aus der Sicht von S) zum Startzeitpunkt mit A und B synchron sein soll. Die Zeitdilatation besagt nun, dass die „bewegte“ Uhr X (für welche die Zeitspanne T_0^{'}\ vergangen ist) gemäß folgender Formel bei ihrer Ankunft gegenüber der „ruhenden“ Uhr B (für welche T\ vergangen ist) nachgeht.

(1) T_0^{'} = T \cdot \sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}.
Symmetrie der Zeitdilatation: In S’ sind A und B nicht synchron, wobei B gegenüber A vorgeht. Obwohl die „bewegten“ Uhren A und B langsamer ticken, reicht der Zeitvorsprung von B, damit auch hier X gegenüber B bei der Zusammenkunft nachgeht.

Nun besagt das Relativitätsprinzip, dass in S’ die Uhr X als ruhend betrachtet werden kann und folglich die Uhren A und B langsamer gehen müssen als X. Auf den ersten Blick widerspricht dies jedoch der beobachteten Tatsache, dass X beim Zusammentreffen mit B nachgeht. Dies wird allerdings erklärbar, wenn man die Relativität der Gleichzeitigkeit berücksichtigt. Denn obige Messung beruhte auf der Voraussetzung, dass die Uhren A und B synchron sind, was jedoch aufgrund der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystem nur in S der Fall ist. In S’ schlägt die Synchronisierung von A und B fehl – weil die Uhren sich hier in negativer x-Richtung bewegen und B dem Zeitsignal entgegenkommt, während A diesem davon läuft. B wird also zuerst vom Signal erfasst und beginnt gemäß einem durch die Lorentz-Transformation zu ermittelnden Wert früher als A zu laufen. Berücksichtigt man dieses Vorgehen von Uhr B aufgrund des verfrühten Starts (d. h. zieht man diesen Zeitbetrag von der von B angezeigten Gesamtzeit ab), ergibt sich auch hier, dass die „bewegte“ Uhr B (für welche die Zeitspanne T_0\ vergangen ist) während des Weges zur „ruhenden“ Uhr X (für welche T^{'}\ vergangen ist) langsamer läuft gemäß folgender Formel:

(2) T_0 = T^{'} \cdot \sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}.

Die Zeitdilatation fällt also wie vom Relativitätsprinzip gefordert in allen Inertialsystemen symmetrisch aus: Jeder misst, dass die Uhr des jeweils anderen langsamer läuft als seine eigene. Dabei ist ersichtlich, dass die Zeitdilatation bewegter Uhren reziprok zur Lorentzkontraktion bewegter Längen ist. D. h. die von mitbewegten Uhren angezeigte Eigenzeit ist immer kleiner als die von nicht mitbewegten Uhren angezeigte Zeitspanne für dasselbe Phänomen, wohingegen die von mitbewegten Maßstäben gemessene Eigenlänge immer größer als die von nicht mitbewegten Beobachtern gemessene Länge ist.

Lichtuhr

Lichtuhr, links ruhend, rechts mit 25 % der Lichtgeschwindigkeit bewegt

Für eine einfache Erklärung dieses Faktors kann das Konzept der Lichtuhr herangezogen werden. Eine Lichtuhr besteht aus zwei Spiegeln im Abstand d\ , die einen kurzen Lichtblitz hin und her reflektieren – wobei dieses Gedankenexperiment erstmals 1909 von Gilbert Newton Lewis und Richard C. Tolman besprochen wurde.[3]

Wenn eine Lichtuhr A gegeben ist, wird aus Sicht eines mit ihr mitbewegten Beobachters ein Blitz für den einfachen Weg zwischen den Spiegeln die Zeit T_{0}=d/c\ benötigen. An einem der beiden Spiegel wird jedes Auftreffen des Lichtblitzes registriert und dabei jedes Mal die Lichtuhr um eine Zeiteinheit weitergestellt, die der Gesamtlaufzeit des Lichtblitzes 2T_{0}\ entspricht.

Wird nun eine zweite Lichtuhr B senkrecht zur Verbindungslinie der Spiegel mit der Geschwindigkeit v\ bewegt, so muss das Licht aus Sicht des A-Beobachters zwischen den Spiegeln eine größere Strecke zurücklegen als bei Uhr A. Unter der Annahme der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit geht für den A-Beobachter Uhr B daher langsamer als Uhr A. Die Zeit T'=d'/c\ , die der Lichtblitz für den einfachen Weg d'\ zwischen den Spiegeln benötigt, ergibt sich über den Satz des Pythagoras

d'^2=d^2 + (vT')^2\ .

Durch Einsetzen der Ausdrücke für d\ und d'\ und Auflösen nach T'\ erhält man schließlich

T^{'} = \frac{T_0}{\sqrt{1 - \frac{v^2}{c^2}}}

und somit

(2) T_0 = T^{'} \cdot \sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}.

Hingegen kann ein mit Uhr B mitbewegter Beobachter gemäß Relativitätsprinzip ebenfalls von sich behaupten, sich in Ruhe zu befinden. Das heißt, seine bei ihm befindliche Uhr B wird eine einfache Laufzeit von 2T_0^{'}\ für den Lichtblitz anzeigen. Hingegen wird der Lichtblitz der aus seiner Sicht bewegten Uhr A für ihn einen größeren Weg zurücklegen und benötigt folgende Zeit:

T = \frac{T_0^{'}}{\sqrt{1 - \frac{v^2}{c^2}}}

und somit

(1) T_0^{'} = T \cdot \sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}..

Reise zu entfernten Sternen

Ein anderes Beispiel wäre die Bewegung eines Raumschiffes, das von der Erde startet, einen entfernten Planeten ansteuert, und wieder zurückkommt. Ein Raumschiff startet von der Erde und fliegt mit der konstanten Beschleunigung von  g = 9{,}81\,\frac{\mathrm{m}}{\mathrm{s}^2} zu einem 28 Lichtjahre entfernten Stern. Die Beschleunigung von 1g wurde gewählt, da hierdurch irdische Gravitationsverhältnisse an Bord eines Raumschiffes simuliert werden können. Auf halber Strecke ändert das Raumschiff das Vorzeichen der Beschleunigung und verzögert mit 1g. Nach Abschluss einer sechsmonatigen Aufenthaltsdauer kehrt das Raumschiff auf gleiche Weise zur Erde zurück. Die vergangenen Zeiten ergeben sich für den Reisenden zu 13 Jahren, 9 Monaten und 16 Tagen (Messung mit an Bord befindlicher Uhr). Auf der Erde sind bei der Rückkehr des Raumschiffes dagegen 60 Jahre, 3 Monate und 5 Stunden vergangen.

Wesentlich extremere Unterschiede bekommt man bei einem Flug zum Andromedanebel, der etwa 2 Millionen Lichtjahre entfernt ist (bei gleichen Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen). Für die Erde vergehen etwa 4 Millionen Jahre, während für den Reisenden nur ungefähr 56 Jahre vergangen sind.

Das Raumschiff überschreitet die Lichtgeschwindigkeit nie. Je länger es beschleunigt, desto näher kommt es an die Lichtgeschwindigkeit heran, wird diese jedoch niemals erreichen. Aus Sicht der Erde läuft auf dem Raumschiff die Zeit entsprechend der Zeitdilatation langsamer, der Abstand zwischen Erde und Reiseziel bleibt in diesem Beispiel vereinfachend konstant. Da im Raumschiff sowohl Beobachter als auch Messinstrumente der Zeitdilatation unterliegen, läuft aus ihrer Sicht die Eigenzeit ganz normal, jedoch verkürzt sich aufgrund der Lorentzkontraktion der Weg zwischen Erde und Reiseziel. Wenn man nun im Raumschiff ist und seine Geschwindigkeit relativ zur Erde unter Berücksichtigung der Lorentzkontraktion bestimmt, dann kommt man auf dasselbe Resultat, wie wenn man von der Erde aus die Geschwindigkeit des Raumschiffes bestimmt. Das große Problem an diesem Beispiel ist nur, dass ein Antrieb derzeit nicht realisierbar ist, der über so lange Zeit eine so hohe Beschleunigung erreicht.

[4]

Allgemeine Zeitdilatation

Das relativistische Linienelement ds ist definiert durch

ds2 = c2dt2 − dx2 − dy2 − dz2.

Als Eigenzeitelement gilt der Quotient dieses relativistischen Linienelements oder Abstands ds und der Lichtgeschwindigkeit c

\mathrm d\tau = \frac{\mathrm d s}{c}.

Durch Einsetzen und Herausheben von dt2 folgt dann

\mathrm d\tau = \sqrt \frac{\mathrm d s^2}{c^2} = \frac{\mathrm d t}{c}\sqrt {c^2 - \left( \frac{\mathrm d x}{\mathrm d t}\right)^2-\left(\frac{\mathrm \mathrm dy}{\mathrm dt}\right)^2-\left(\frac{\mathrm dz}{\mathrm dt}\right)^2}

Einerseits ergibt sich mit dem relativistischen Linienelement ds und dem Eigenzeitelement

 c = \frac{\mathrm ds}{\mathrm d\tau},

anderseits ist eine Geschwindigkeit \vec{v} allgemein als Ableitung des Ortsvektors \vec{r}=(x,y,z) nach der Zeit t definiert

 \vec{v} = \frac{\mathrm d\vec r}{\mathrm dt}.

Mit dem Quadrat der Geschwindigkeit

v^2 = \left(\frac{\mathrm dx}{\mathrm dt}\right)^2+\left(\frac{\mathrm dy}{\mathrm dt}\right)^2+\left(\frac{\mathrm dz}{\mathrm dt}\right)^2

folgt schließlich für das Element der Eigenzeit

\mathrm d\tau = \mathrm dt \sqrt { \frac {c^2 - v(t)^2} {c^2} } = \mathrm dt \sqrt{1 - \frac{v(t)^2}{c^2}}.

Die Eigenzeit τ ist diejenige Zeit, welche im bewegten Bezugssystem vergeht. Da sie langsamer als die Zeit t im Ruhesystem läuft, ist sie stets kleiner als dieselbe – also τ < t. Über das Eigenzeitelement wird integriert, um die Größe zu erhalten

\tau = \int_0^t \mathrm dt \sqrt{1 - \frac{v(t)^2}{c^2}}.

Bei konstanter Geschwindigkeit v ist der Wurzelfaktor 1 / γ, und es ergibt sich \tau = \tfrac{t}{\gamma}.

Wenn im Ruhesystem die Zeit t vergangen ist, so ist im bewegten System also erst die kleinere Zeit \tfrac{t}{\gamma} vergangen. Umgekehrt gilt auch t = γτ.

Wenn im bewegten System die Zeit τ vergangen ist, so ist im Ruhesystem also die größere Zeit γτ vergangen.

Bewegung mit konstanter Beschleunigung

Wird ein Testkörper der Masse M mit einer konstanten Kraft F auf relativistische Geschwindigkeiten (größer als ein Prozent der Lichtgeschwindigkeit) beschleunigt, muss wegen der Zeitdilatation zwischen der Uhr eines ruhenden Beobachters und einer Uhr an Bord des Testkörpers unterschieden werden. Besitzt der Testkörper bei t = 0 die Geschwindigkeit v0, so ist es zweckmäßig die Abkürzung:

\gamma_0 := \frac{1}{\sqrt{1-v_0^2/c^2}}

einzuführen, um die folgenden Rechenergebnisse übersichtlich aufschreiben zu können. Wird der Testkörper ab t = 0 mit einer konstanten Kraft F beschleunigt, so gilt

v(t)=\frac{a t + v_0 \gamma_0}{\sqrt{1+\frac{(a t + v_0 \gamma_0)^2}{c^2}}},

wobei sich die konstante Beschleunigung gemäß a = F / M berechnet[5]. Mit Hilfe dieser Formel kann zusätzlich auch die Eigenzeit berechnet werden, die eine Uhr im beschleunigten System des Testkörpers anzeigen würde. Dazu muss nur die Momentangeschwindigkeit v(t) in das, weiter oben angegebene, Integral

\tau = \int_0^t \sqrt{1 - \frac{v(t)^2}{c^2}} \mathrm dt

eingesetzt werden. Das Ergebnis dieser Integration lautet

\tau=\frac{c}{a} \ln \left(\frac{\sqrt{c^2 + (a t + v_0 \gamma_0)^2}+a t + v_0 \gamma_0}{(c + v_0) \gamma_0} \right).

Den zurückgelegten Weg x(t) im System des ruhenden Beobachters erhält man durch Integration der Geschwindigkeit v(t) über die Zeit

x(t) = \frac {c^2}{a} \left( \sqrt{1 + \frac{(a t + v_0 \gamma_0)^2}{c^2}} - \gamma_0 \right).

Wird bei verschwindender Startgeschwindigkeit (v0 = 0) die Zeit t noch durch die Eigenzeit τ ersetzt, gilt

x = \frac{c^2}{a}\left( \cosh \left(\frac{a\tau}{c}\right) - 1\right).[6]

Zeitdilatation durch Gravitation

Die gravitative Zeitdilatation beschreibt den relativen Zeitablauf von Systemen, die in verschiedenen Entfernungen eines Gravitationszentrums (beispielsweise eines Sterns oder Planeten) relativ zu diesem ruhen. Zu beachten ist, dass die gravitative Zeitdilatation nicht etwa durch eine mechanische Einwirkung auf die Uhren entsteht, sondern eine Eigenschaft der Raumzeit selbst darstellt. Jeder relativ zum Gravitationszentrum ruhende Beobachter misst für identische, jedoch in unterschiedlichen Entfernungen vom Gravitationszentrum ablaufende Vorgänge, unterschiedliche Ablaufzeiten, bezogen auf seine eigene Zeitbasis. Ein Effekt, der auf der gravitativen Zeitdilatation beruht, ist die gravitative Rotverschiebung.

Beschleunigung und Gravitation: die rotierende Scheibe

Diese Problemstellung wird auch als Ehrenfestsches Paradoxon bezeichnet.

Nach dem Äquivalenzprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie kann man lokal nicht zwischen einem ruhenden System in einem Gravitationsfeld und einem beschleunigten System unterscheiden. Deshalb kann man den Effekt der Gravitationszeitdilatation anhand der Zeitdilatation durch Bewegung erläutern.

Betrachten wir eine mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω rotierende Scheibe, so bewegt sich ein Punkt im Abstand r vom Zentrum mit der Geschwindigkeit

v = \frac{r\omega}{\sqrt{1+\frac{(r\omega)^2}{c^2}}}.

Dementsprechend wird im Abstand r vom Mittelpunkt der Scheibe die Eigenzeit

\tau = \frac{t}{\sqrt{1+\frac{(r\omega)^2}{c^2}}}

auftreten. Für hinreichend kleine Abstände (v^2 \ll c^2) ist dieser Ausdruck näherungsweise

\tau = t\left(1 - \frac{(r\omega)^2}{2 c^2}\right)

Ein auf der Scheibe befindliches, mitrotierendes Objekt erfährt nun die Zentrifugalkraft F = mω2r. Aufgrund des Äquivalenzprinzips kann man diese Kraft auch als Gravitationskraft deuten, zu der ein Gravitationspotential

φ = − (rω)2 / 2

gehört. Dies ist aber gerade der Term, der bei der Zeitdilatation im Zähler auftritt. Somit ergibt sich für „kleine“ Abstände:

\tau = t \left(1 + \frac{\varphi}{c^2}\right)

(Hinweis: Das hier angegebene Potential entspricht nicht dem üblichen Zentrifugalpotential, da hier eine Anpassung an die lokale Drehgeschwindigkeit der Scheibe vorgenommen wird, während beim üblichen Zentrifugalpotential stattdessen Drehimpulserhaltung gilt)

Zeitdilatation im Schwerefeld der Erde

In einem schwachen Gravitationsfeld wie dem der Erde kann die Gravitation und somit die Zeitdilatation näherungsweise durch das Newtonsche Gravitationspotential beschrieben werden:

\tau = t_0 \left(1+\frac{\varphi}{c^2}\right)

Hierbei ist t0 die Zeit bei Potential φ = 0, und ϕ das Newtonsche Gravitationspotential (Multiplikation mit der Masse eines Körpers ergibt dessen potentielle Energie an einem bestimmten Ort)

Auf der Erde kann (solange die Höhe klein ist gegen den Erdradius von ca. 6400 Kilometern) das Gravitationspotential durch ϕ = gh genähert werden. In 300 Kilometern Höhe (das ist eine typische Höhe, in der Space Shuttles fliegen) vergehen somit in jeder „Erdbodensekunde“ 1+3{,}27 \cdot 10^{-11}\,\mathrm{s}, das ist etwa eine Millisekunde pro Jahr mehr. Das heißt, ein Astronaut, der in 300 Kilometern Höhe über der Erde ruhen würde (zum Beispiel mit Unterstützung eines Raketenantriebs), würde in jedem Jahr etwa eine Millisekunde schneller altern als jemand, der auf der Erde ruht. Zu beachten ist hierbei, dass diese Zahl nicht angibt, wie ein Shuttle-Astronaut altert, da das Shuttle sich zusätzlich bewegt (es kreist um die Erde), was zu einem zusätzlichen Effekt in der Zeitdilatation führt.

ZEITDILA Gravitation Kreisbahngeschwindigkeit.PNG

Wenn man die durch die Höhe verursachte Verringerung der gravitativen Zeitdilatation relativ zur Erdoberfläche und die durch die für diese Höhe erforderliche Kreisbahngeschwindigkeit bedingte Zeitdilatation mit einander vergleicht, zeigt sich, dass sich bei einem Bahnradius vom 1,5-fachen des Erdradius, also in einer Flughöhe von einem halben Erdradius, die beiden Effekte genau aufheben, und daher die Zeit auf einer solchen Kreisbahn genau so schnell vergeht, wie auf der Erdoberfläche.

Experimentelle Nachweise

Relativistischer Dopplereffekt

Hauptartikel: Ives-Stilwell-Experiment

Der erste direkte Nachweis der Zeitdilatation durch Messung des relativistischen Dopplereffekts gelang mit dem Ives-Stilwell-Experiment (1939), den Mößbauer-Rotor-Experimenten (1960ern), und modernen Ives-Stilwell-Varianten auf Basis von Sättigungsspektroskopie, wobei letztere eine mögliche Abweichung von der Zeitdilatation bis auf 8{,}4\times10^{-8} reduziert haben. Ein indirekter Nachweis sind Variationen des Kennedy-Thorndike-Experiments, bei dem die Zeitdilatation zusammen mit der Längenkontraktion berücksichtigt werden muss. Für Experimente, bei denen die Zeitdilatation für Hin- und Rückweg beobachtet wird, siehe Zwillingsparadoxon.

Lebensdauermessung von Teilchen

Beim Auftreffen der kosmischen Strahlung auf die Moleküle der oberen Luftschichten entstehen in 9 bis 12 Kilometern Höhe Myonen. Sie sind einer der Hauptbestandteile der sekundären kosmischen Strahlung, bewegen sich in Richtung Erdoberfläche mit nahezu Lichtgeschwindigkeit weiter und können dort nur wegen der relativistischen Zeitdilatation detektiert werden, denn ohne diesen relativistischen Effekt würde die Reichweite nur etwa 600 m betragen. Zusätzlich wurden Tests der Zerfallszeiten in Teilchenbeschleunigern mit Pionen, Myonen, oder Kaonen durchgeführt, welche ebenfalls die Zeitdilatation bestätigten.

Tests der gravitativen Zeitdilatation

Die gravitative Zeitdilatation wurde 1960 im Pound-Rebka-Experiment von Robert Pound und Glen Rebka nachgewiesen. Außerdem startete die NASA 1976 eine Scout-D-Rakete mit einer Atomuhr, deren Frequenz mit einer Uhr derselben Bauart auf der Erde verglichen wurde. Dies war das bisher präziseste Experiment, das erfolgreich die gravitative Rotverschiebung messen konnte.[7]

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Albert Einstein: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. In: Annalen der Physik und Chemie. 17, 1905, S. 891–921 (als Faksimile (PDF); als Volltext bei Wikilivres; und kommentiert und erläutert bei Wikibooks)
  • Thomas Cremer: Interpretationsprobleme der speziellen Relativitätstheorie. Harri Deutsch, 1990
  • Walter Greiner, Johann Rafelski: Spezielle Relativitätstheorie. Harri Deutsch, 1989
  • Harald Fritzsch: E=mc². Eine Formel verändert die Welt. Piper, 1990
  • Roland Pabisch: Derivation of the time dilatation effect from fundamental properties of photons. Springer, Wien 1999, ISBN 3-211-83153-3

Einzelnachweise

  1. Arthur I. Miller: Albert Einstein’s special theory of relativity. Emergence (1905) and early interpretation (1905–1911). Addison-Wesley, Reading 1981, ISBN 0-201-04679-2, S. 224–225.
  2. Roman Sexl, Herbert K. Schmidt: Raum-Zeit-Relativität. Vieweg, Braunschweig 1979, ISBN 3-528-17236-3, S. 31–35.
  3. Gilbert N. Lewis, Richard C. Tolman: The Principle of Relativity, and Non-Newtonian Mechanics. In: Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences. 44, 1909, S. 709–726 (in der englischsprachigen Wikisource).
  4. Rolf Sauermost u. a.: Lexikon der Naturwissenschaftler. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg / Berlin / Oxford 1996, S. 360
  5. Torsten Fließbach: Mechanik. 4. Auflage, Elsevier – Spektrum Akademischer Verlag, 2003, S. 322 f., ISBN 3-8274-1433-4
  6. Jürgen Freund: Spezielle Relativitätstheorie für Studienanfänger
  7. Clifford Will: The Confrontation between General Relativity and Experiment. 2006

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