Teilchenbeschleuniger

Teilchenbeschleuniger

Ein Teilchenbeschleuniger ist ein Gerät, in dem geladene Teilchen (z. B. Elementarteilchen, Atomkerne, ionisierte Atome oder Moleküle) durch elektrische Felder auf große Geschwindigkeiten beschleunigt werden. Dazu muss im Innenraum des Beschleunigers Vakuum herrschen.

Je nach Teilchenart und Beschleunigertyp kann annähernd Lichtgeschwindigkeit erreicht werden, und die Teilchen erlangen eine Bewegungsenergie (kinetische Energie), die ein Vielfaches ihrer eigenen Ruheenergie ist. In diesen Fällen ist zur Beschreibung der Teilchen die Spezielle Relativitätstheorie nötig.

Die größten Beschleunigeranlagen werden in der Grundlagenforschung (Hochenergiephysik) eingesetzt, um mit den darin beschleunigten, hochenergetischen Teilchen die fundamentalen Wechselwirkungen von Materie zu untersuchen und allerkleinste Strukturen zu erforschen. Neben ihrer Bedeutung für die Grundlagenforschung haben Teilchenbeschleuniger auch eine immer wichtigere Bedeutung in der Medizin und für viele industrielle Zwecke.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Entwicklung zu immer höheren Energien

Bis etwa 1950: der MeV-Bereich

Tandem-Teilchenbeschleuniger des Maier-Leibnitz-Laboratoriums
Blick in die Experimentierhalle an einer Beschleunigeranlage
Zyklotron für die Protonentherapie

Die ersten Teilchenbeschleuniger waren Gleichspannungsbeschleuniger, bei denen mit einem Van-de-Graaff-Generator oder einem Cockcroft-Walton-Generator erzeugte Hochspannungen benutzt wurden. Damit konnten Teilchenenergien von einigen MeV (Megaelektronenvolt) erzielt werden. John Cockcroft und Ernest Walton gelang mit so beschleunigten Teilchen 1932 erstmals eine künstliche Kernreaktion, damals "Kernzertrümmerung" genannt.

Um höhere Energien zu erreichen, schlug Rolf Wideröe 1929 vor, hochfrequente Wechselfelder zwischen linear hintereinander angeordneten Zylinderelektroden zu nutzen. Die Längen der Zylinder (anwachsend entsprechend der zunehmenden Geschwindigkeit der Teilchen) und die Frequenz waren so abgestimmt, dass die Teilchen jeweils zwischen den Elektroden beschleunigt wurden.

Fast gleichzeitig entwickelte Ernest Lawrence das Zyklotron. Das erste Zyklotron wurde ab 1930 in Berkeley in Zusammenarbeit mit M. Stanley Livingston gebaut. In ihm bewegen sich die geladenen Teilchen in einem Magnetfeld auf spiralförmiger Bahn von der Mitte nach außen und werden regelmäßig beim Passieren des Spalts zwischen zwei D-förmigen Elektroden beschleunigt. Heutige Zyklotrone erreichen Teilchenenergien bis zu einigen 100 MeV.

Ein anderer, nur für leichte Teilchen wie Elektronen geeigneter Typ eines Umlaufbeschleunigers mit Spiralbahn war das Betatron (Wideröe, Kerst). Es hatte keine Elektroden, sondern das zur Beschleunigung nötige elektrische Feld wurde durch zeitliche Änderung des Magnetfeldes induziert. Um 1950 wurden mit Betratronen Elektronen bis auf 300 MeV beschleunigt.

Ab etwa 1950: der GeV-Bereich

Die Größe der nötigen Vakuumkammer und der Magnete begrenzt die Baumöglichkeit von Zyklotronen. Der nächste Schritt auf dem Weg zu immer höherer Teilchenenergie war daher die Beschleunigung in Beschleunigertunneln, entweder in gerader Anordnung (Linearbeschleuniger) oder auf Umlaufbahnen in Ringbeschleunigern, erzeugt durch regelmäßige Anordnung von Ablenkmagneten. Für die Beschleunigung kam wieder das ursprüngliche Prinzip von Wideröe zum Einsatz, jedoch erfolgt sie statt zwischen Zylinderelektroden in besonders geformten Hohlraumresonatoren. Diese werden in modernen Beschleunigeranlagen wegen der Energieersparnis möglichst supraleitend ausgeführt.

Linearbeschleuniger haben den Vorteil, dass die Teilchen keine Energieverluste durch Synchrotronstrahlung erleiden, wie sie bei Ringbeschleunigern unvermeidlich sind. (Es gibt allerdings auch Nutzungen der Synchrotronstrahlung und deshalb speziell zu ihrer Gewinnung betriebene Elektronensynchrotrone, siehe unten.) Ringbeschleuniger haben dagegen den Vorteil, dass bei jedem Umlauf des Teilchenpakets dieselben Beschleunigungseinheiten wiedergenutzt werden, und sind insofern wirtschaftlicher.

Solche Ringbeschleuniger, bei denen Beschleunigung und Ablenkung der nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Teilchen synchronisiert waren (Synchrotron), wurden nach Ideen von Wladimir Iossifowitsch Weksler (vom Lebedew-Institut) und von Edwin McMillan (in Berkeley) aus der Mitte der 1940er Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg projektiert, das Bevatron von Lawrence in Berkeley (1954) und das Cosmotron in Brookhaven (1952 unter Leitung von Livingston). Mit dem Bevatron wurden Protonen bis auf etwa 6 GeV (Gigaelektronenvolt) beschleunigt.

Ein wichtiger Fortschritt war Anfang der 1950er Jahre die Erfindung der „starken Fokussierung“. Die Ablenkmagnete wurden mit abwechselnd nach beiden Seiten angeschrägten Polschuhen versehen, so dass die Magnetfelder quer zur Teilchen-Flugrichtung Gradienten mit wechselnder Richtung haben. Dies ergibt eine Stabilisierung (Fokussierung) der Teilchenbahnen. Auf die Ablenkung eines Teilchens in der Querrichtung bezogen entspricht es anschaulich der Hintereinanderanordnung von Sammel- und Zerstreuungslinsen für Licht, mit einer Fokussierung als Nettoeffekt. Die Idee stammte von Ernest Courant, Livingston und Hartland Snyder in den USA (und unabhängig vorher von Nicholas Christofilos). Damit gelang am CERN (CERN-PS, Protonensynchrotron, 1960) und in Brookhaven (AGS, Alternating Gradient Synchrotron, 1960) der Bau von Protonen-Synchrotronen im 30-GeV-Bereich.

Supraleitende Kavität zur Beschleunigung von Elektronen und Positronen; Länge ca. 1m; hergestellt aus hochreinem Niob. Jede Kammer hat eine Resonanzfrequenz von 1,3 GHz.

Hochenergie-Beschleuniger für Elektronen traten erst in den 1960er Jahren in den Vordergrund des Interesses. Beispiele sind der Linearbeschleuniger SLAC und das Synchrotron DESY. Der in weltweiter Zusammenarbeit geplante International Linear Collider ILC soll 30 km Gesamtlänge haben und Elektron-Positron-Stöße mit 500 GeV oder mehr ermöglichen. Das Herzstück der Beschleunigungsstrecken für Elektronen sind Hohlraumresonatoren für Mikrowellen. Darin erreicht man elektrische Feldstärken von mehr als 40 Millionen Volt pro Meter. Der abgebildete Resonator besteht aus neun elliptisch geformten Zellen (Rotationsellipsoiden). Die Länge einer einzelnen Zelle ist so gewählt, dass sich das elektrische Feld der Welle gerade umkehrt, wenn ein Teilchen in die nächste Zelle eintritt.[1]. Bei typischen Betriebstemperaturen um 2K ist die Niob-Kavität supraleitend und benötigt weniger Energie zum Betrieb als herkömmliche Kavitäten aus Kupfer.

Ende der 1960er Jahre begannen Entwurf und Bau großer Beschleuniger für schwere Ionen wie dem UNILAC am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung. Er beschleunigt Ionen beliebiger Massenzahl auf etwa 11 MeV/u (Megaelektronenvolt pro atomarer Masseneinheit).

Speicherringe

Ein weiteres wichtiges Konzept, das in den 1960er Jahren entwickelt wurde, sind Speicherringe (Storage Rings). Mit ihnen wird eine höhere Gesamtenergie erreicht, indem zwei Teilchenstrahlen gegenläufig beschleunigt und dann zur Kollision gebracht werden (Collider, Colliding Beam Experimente). Auch können Teilchen und ihre Antiteilchen (gegenläufig im selben Ring beschleunigt) getrennt gesammelt und dann zur gegenseitigen Vernichtung gebracht werden, so dass zusätzlich zur kinetischen Energie auch ihre Ruheenergie zur Erzeugung neuer Teilchen zur Verfügung steht. Die Idee wurde im Westen von Bruno Touschek propagiert (um 1960), nach dessen Ideen dann in Frascati 1961 der erste Speicherring gebaut wurde, gefolgt von Stanford (CBX, nach Ideen von Gerard Kitchen O’Neill) und Speicherringen in Russland, wo Budker ähnliche Ideen hatte. Beispiele für Speicherringe sind:

  • SPEAR (Stanford Positron Electron Asymmetric Ring) am SLAC in Stanford (ab 1972, Elektron-Positron-Collider mit zweimal 4 GeV), an dem Charmonium und τ-Lepton entdeckt wurden.[2]
  • am CERN die Intersecting Storage Rings (ISR) (Proton-Antiproton, zweimal 31 GeV, ab 1971), der SPS (ab 1981 zum Proton-Antiproton Collider ausgebaut, zweimal 450 GeV), der Large Electron-Positron Collider (LEP, 1989 bis 2000, zweimal 104 GeV in LEP II) und der heutige Large Hadron Collider (Proton-Proton Collider, seit 2009 mit derzeit zweimal 3.5 TeV der bisher größte Beschleuniger)
  • das Tevatron am Fermilab (ab 1987, Proton-Antiproton Collider, zweimal 900 GeV, ab 2002 mit zweimal 1 TeV)
  • der ESR, Experimentier-Speicher-Ring am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung
  • oder die verschiedenen Speicherringe am DESY (Doris, Petra, Hera).

Arten

Anwendungsgebiete

Synchrotronstrahlung

Synchrotronstrahlung, ursprünglich ein „Abfallprodukt“ großer Elektronenbeschleuniger (z. B. im HASYLAB beim DESY in der Materialforschung, zur medizinischen Diagnostik und anderem eingesetzt), wird inzwischen in vielen eigens dafür gebauten Beschleunigeranlagen erzeugt.

Ein Sonderfall der Erzeugung von Synchrotronstrahlung ist der Freie-Elektronen-Laser.

Preise

Für Leistungen auf dem Gebiet der Beschleunigerphysik wird der Robert R. Wilson Prize verliehen. Nobelpreise auf diesem Gebiet wurden bisher an Ernest Lawrence, John Cockcroft, Ernest Walton, Edwin McMillan und Simon van der Meer vergeben.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Teilchenbeschleuniger – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Herbert Daniel Beschleuniger, Teubner 1974 (Grundlagen)
  • Klaus Wille Physik der Teilchenbeschleuniger und Synchrotronstrahlungsquellen, Teubner, 2. Auflage, 1996
  • Helmut Wiedemann Particle Accelerator Physics, 3. Auflage, Springer 2007, ISBN 3540490434
  • Pedro Waloschek, Oskar Höfling: Die Welt der kleinsten Teilchen- Vorstoß zur Struktur der Materie, rororo 1984, 2. Auflage 1988 (populärwissenschaftlich)
  • Andrew Sessler, Edmund Wilson: Engines of discovery - a century of particle accelerators, World Scientific 2007 (zur Geschichte)

Quellen

  1. Die heutigen Beschleuniger
  2. Heute eine Synchrotronstrahlungsquelle

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