Organisationsverfassung

Organisationsverfassung

Corporate Governance (frei: "gutes Benehmen für Unternehmen" oder "der Knigge für Unternehmen"; engl. Corporate: Körperschaft, gemeinschaftlich; Governance: regieren, führen) beschäftigt sich mit Regeln, die für Mitarbeiter von Unternehmen oder die Unternehmen selbst gelten und die eine "gute", verantwortungsvolle und zielgerichtete Führung und Überwachung von Unternehmen bewirken sollen.

Wer diese Regeln setzt, ist dabei unterschiedlich. Es können der Gesetzgeber, die Eigentümer, die Mitarbeiter, der Aufsichts- oder Verwaltungsrat, das Management, die Gesellschaft oder andere Interessenten sein. Je nachdem, wer sie setzt, stehen sie in einem Gesetz, in Richtlinien, einem Kodex, im Unternehmensleitbild, in Absichtserklärungen oder sind beispielsweise als Usus möglicherweise gar nicht schriftlich fixiert. Corporate-Governance-Regeln können dadurch sowohl verpflichtend als auch unverbindlich ausgestaltet sein, bei letzteren ist die Einhaltung dann gern gesehen.

Die größte Bedeutung hat Corporate Governance für börsennotierte Unternehmen.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein

Corporate Governance umfasst allgemein die Gesamtheit aller internationalen und nationalen Werte und Grundsätze für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung und -überwachung, welche sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Unternehmensführung von Unternehmen gelten. Corporate Governance ist kein international einheitliches Regelwerk, sondern bis auf einige wenige international anerkannte, gemeinsame Grundsätze ein länderspezifisches Verständnis verantwortungsbewusster Unternehmensführung. Neben länderspezifischen Corporate-Governance-Bestimmungen existieren aber auch länderübergreifende branchenspezifische Regelungen.

Corporate Governance ist dabei sehr vielschichtig und umfasst obligatorische und freiwillige Maßnahmen: das Einhalten von Gesetzen und Regelwerken (Compliance), das Befolgen anerkannter Standards und Empfehlungen sowie das Entwickeln und Befolgen eigener Unternehmensleitlinien. Ein weiterer Aspekt der Corporate Governance ist die Ausgestaltung und Implementierung von Leitungs- und Kontrollstrukturen.

Kennzeichen guter Corporate Governance:

  • Funktionsfähige Unternehmensleitung
  • Wahren der Interessen verschiedener Gruppen (z.B. der Stakeholder)
  • Zielgerichtete Zusammenarbeit der Unternehmensleitung und -überwachung
  • Transparenz in der Unternehmenskommunikation
  • Angemessener Umgang mit Risiken
  • Managemententscheidungen sind auf langfristige Wertschöpfung ausgerichtet

Gute Corporate Governance gewährleistet verantwortliche, qualifizierte, transparente und auf den langfristigen Erfolg ausgerichtete Führung und soll so der Organisation selbst, ihren Eigentümern, aber auch externen Interessengruppen (Geldgebern, Absatz- und Beschaffungsmärkten, der Gesellschaft, den Bürgern) dienen.

Darüber hinaus gibt es seit einiger Zeit Bemühungen, die Idee der Corporate Governance für weitere Organisationen des öffentlichen und halb-privaten Sektors nutzbar zu machen, z. B. für Genossenschaften (Cooperative Governance), Stiftungen, Vereine (Non-Profit Governance) oder öffentliche Betriebe und Institutionen (Public Corporate Governance). In Bezug auf Nachhaltigkeit wird der Begriff Governance zunehmend auch für Ressourcennnutzung und Infrastruktur der Netzwerkindustrien verwendet (Water Governance, Infrastructure Governance).

Abgrenzung vom Begriff Management

Corporate Governance wird oft fälschlicherweise mit "Unternehmensführung" übersetzt, genauso wie Management mit "Unternehmensführung" übersetzt wird. Management als `Unternehmensleitung´ ist auch ohne Berücksichtigung von Corporate Governance-Regeln möglich, während Corporate Governance als `verantwortungsvolle Unternehmensführung und -kontrolle´ vor allem durch das Management umgesetzt werden muss.

Geschichte

Der Ausgangspunkt für die Deklaration und Einführung von Corporate Governance liegt in den 1930er-Jahren, als erstmals das Auseinanderklaffen von Aktionärsinteressen und Unternehmensführung erkannt wurde. Ein bedeutendes Buch dazu erschien 1932 unter dem Titel The Modern Corporation and Private Property von Adolf Augustus Berle und Gardiner C. Means.

Unter diesem Titel erschien der Begriff erstmals 1976, wurde aber erst durch den Cadbury Report (1992), den Greenbury Report (1995) und den Hampel Report (1998) bekannt, welche über praktische Erfahrungen damit berichteten.

Diese Berichte förderten weltweit die Bemühungen der Unternehmen, ihre Grundsätze einer guten Corporate Governance (siehe auch: Good Governance) zu Papier zu bringen. Diese Grundsätze formulieren einerseits die wesentlichen gesetzlichen Regelungen zur Unternehmensführung und -überwachung, andererseits aber auch bloße Empfehlungen, etwa zur Rechnungslegung und Abschlussprüfung oder zur Arbeit des Vorstandes und der Aufsichtsgremien (z. B. Aufsichtsrat) von Unternehmen.

Internationale Regelungen

OECD

Die OECD-Grundsätze der Corporate Governance[1] wurden erstmals 1999 publiziert und 2004 aktualisiert.

Finanzdienstleister

Ende 1974 wurde von den Zentralbanken der G10-Länder in der Bank for International Settlements der "Basler Ausschuss für Bankenaufsicht" gegründet.

Die 2006 von der BIS überarbeitet veröffentlichten "Kernprinzipien einer effektiven Bankenaufsicht" sowie die dazugehörige "Core Principles Methodology" umreißen die Anforderungen der Bankenaufsicht an die Führung eines Finanzdienstleisters.

Öffentliche Institutionen

Über die bestehende, für den privatwirtschaftlichen Bereich gedachten "Corporate Governance Guidelines" hinaus wurde von der OECD im Mai 2005 eine Richtlinie für öffentliche Institutionen (englisch) verabschiedet; diese Vorschläge wurden mit Vertretern von INTOSAI und EUROSAI erarbeitet.

Europäische Union

Auf europäischer Ebene hat die EU-Kommission zur Prüfung der in den Mitgliedstaaten bewährten Verfahren im Oktober 2004 ein Europäisches Corporate Governance-Forum eingerichtet. Dieses Forum soll die Konvergenz der nationalen Corporate-Governance-Kodizes fördern sowie die Kommission beraten. Dem Forum gehören fünfzehn Experten mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund an. Die Mitglieder des Forums werden für 3 Jahre ernannt.

Nationale Regelungen

Deutschland

In Deutschland sind die Corporate-Governance-Grundsätze im so genannten Corporate Governance Kodex fixiert worden. Eine vom Bundesministerium der Justiz im September 2001 eingesetzte Regierungskommission hat diesen Kodex am 26. Februar 2002 verabschiedet. Der Kodex soll dazu beitragen, die in Deutschland geltenden Regeln für die Unternehmensleitung und -überwachung für nationale und internationale Investoren transparent zu machen. Auf diese Weise soll das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Unternehmen gestärkt werden.

Bedeutende gesetzliche Initiativen mit Bezug zur Corporate Governance sind bspw. das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG, 1998), das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zur Transparenz und Publizität (TransPuG, 2002), das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG, 2004) und das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz (VorstOG, 2005).

Seit 2007 besteht weiterhin durch das Bundesministerium der Finanzen das Bestreben, durch die Veröffentlichung eines Public Corporate Governance Kodex den Wirkungsbereich explizit auch für Unternehmen der öffentlichen Hand, beziehungsweise für Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung auszuweiten. [2]

Frankreich

Hier gibt es unter anderem die Loi de Sécurité Financière von 2003.[3]

Großbritannien

Der Cadbury Report (1992), der Greenbury Report (1995) und der Hampel Report (1998) bilden die Basis für Corporate Governance in Großbritannien.

Der heute für börsennotierte Unternehmen maßgebliche Turnbull Report wird 2005 von der Flint Commission überarbeitet.

Kanada

Neben dem CoCo-Kontrollmodell (1995) gibt es weitere konkrete Vorgaben und Instrumente, die vom Risk Management and Governance Board des CICA erarbeitet werden.

Österreich

Ähnlich wie in der Schweiz ist die Situation auch in Österreich. Der österreichische "Arbeitskreis für Corporate Governance"[4] hat den österreichischen Corporate-Governance-Kodex erstellt. Will ein Unternehmen an der Wiener Börse notiert sein, muss es zustimmen, diesen Kodex einzuhalten. Der Kodex enthält:

  • L-Regeln: sind aus verschiedenen Gesetzen kopiert, daher sowieso verbindlich ("Law"),
  • C-Regeln: wenn ein Unternehmen abweicht, muss es das begründen ("comply or explain"), die "Höchststrafe" ist, dass das Unternehmen die Börsenzulassung verliert, und
  • R-Regeln: Empfehlungen ohne besondere Auswirkungen für einen Betrieb, der die Regel nicht einhält ("recommend").

Schweiz

In den Zulassungsbedingungen zum Börsenhandel an der SWX sind einige Mindestanforderungen zur Corporate Governance für Unternehmen definiert.[5] Seit dem 1. Juli 2002 existiert zudem der Swiss Code of Best Practice (oder "Swiss Code") vom Dachverband der Schweizer Wirtschaft (economiesuisse). Dieser listet Verhaltensregeln auf, die für eine vorbildliche Corporate Governance notwendig sind.

Von der Anlagestiftung Ethos wird jährlich ein Ranking bezüglich Corporate Governance über die 100 größten börsenkotierten Unternehmen durchgeführt. Gemäß den Resultaten vom Dezember 2005 steigt das Niveau der CG stetig. Ein weiteres Resultat der Studie zeigte, dass Gesellschaften mit einem Großaktionär, welcher mehr als 1/3 der Stimmrechte hält, auf einem tieferen CG-Niveau sind als Gesellschaften, deren Aktien kleiner aufgesplittet sind.

Auf eidgenössischer Ebene hat der Bundesrat am 13. September 2006 den Corporate-Governance-Bericht[1] verabschiedet. Im Einzelnen beantwortet der Bericht die Fragen:

  • (a) Welche Aufgaben der zentralen Bundesverwaltung eignen sich zur Auslagerung? (→ Aufgabentypologie);
  • (b) Wie sind die mit der Erfüllung dieser Aufgaben betrauten Unternehmen rechtlich zu konzipieren und zu steuern? (→ 28 Leitsätze);
  • (c) Wie hat sich der Bund intern bei der Wahrnehmung seiner Eignerinteressen zu organisieren? (→ Grundsätze zur Rollenverteilung).

Mit der Verknüpfung von Aufgabentypologie und Leitsätzen schafft der Corporate-Governance-Bericht ein Modell, das die Erfüllung von Bundesaufgaben im öffentlichen Interesse auch nach ihrer Auslagerung gewährleistet und die kohärente Steuerung der Unternehmungen des Bundes sicherstellt. Vertiefende Ausführungen zu den 28 Leitsätzen finden sich in einem Erläuternden Bericht der Eidgenössischen Finanzverwaltung.

Vereinigte Staaten

Basis bilden u.a. die auf der Arbeit der Treadway-Kommission beruhenden Kontrollmodelle COSO (1992) und COSO ERM (2004). Seit 2002 ist der Sarbanes-Oxley Act (SOX) für alle Unternehmen verbindlich, die an einer der US-Börsen gelistet sind.

Familienunternehmen: Family Business Governance

Die Corporate Governance im Familienunternehmen unterscheiden sich zur Governance einer typischen, an der Börse gelisteten Publikumsgesellschaft. Die Governance von Familienunternehmen wird Family Business Governance genannt. Sie ist gekennzeichnet durch die Identität von Leitung und Eigentum, die Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt, die Nachfolge im Management durch die Familie oder Fremde, durch den möglicherweise existenzbedrohenden Ausstieg von Familieneigentümern, die Rolle eines Aufsichtsgremiums und die Organisation der Familie durch eine Familienrepräsentanz.

Literatur

  • Gerhard Schewe: Unternehmensverfassung. Corporate Governance im Spannungsfeld von Leitung, Kontrolle und Interessenvertretung. Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-24517-0. (Springer-Lehrbuch)
  • Michael Littger: Deutscher Corporate Governance Kodex - Funktion und Verwendungschancen. Eine interdisziplinäre Untersuchung mit Begründung einer Methodik zur Auswahl geeigneter Regelungsinstrumente. Nomos, Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1785-3.
  • Patricia Siebart: Corporate Governance von Nonprofit-Organisationen. Ausgewählte Aspekte der Organisation und Führung. Haupt, Bern 2006, ISBN 3-258-07115-2.
  • Daniel G. Meister: Corporate Governance und Compliance-Management für Versicherungsunternehmen - Vor dem Hintergrund der Umsetzung von Solvency II, 2007, ISBN 978-3836433839
  • Julia C. Helbeck, Internal Control System in der Praxis - Ein Umsetzungsleitfaden zur Steuerung operationeller Risiken in Geschäftsprozessen, Saarbrücken 2008, ISBN 978-3836468817; Ein Praxisbeispiel zur Umsetzung des COSO-Modells.
  • ZCG Zeitschrift für Corporate Governance. Erich-Schmidt-Verlag Berlin, ISSN 1862-8702.
  • Corporate Compliance Zeitschrift (CCZ), C.H. Beck Verlag

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. OECD Webseite
  2. Website des Bundesministeriums der Finanzen
  3. LOI n° 2003-706 du 1er août 2003 de sécurité financière, LSF
  4. Österreichische Arbeitskreis für Corporate Governance
  5. Corporate Governance-Richtlinien (RLCG) der SWX

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