- Organische Architektur
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Als organische Architektur werden Richtungen der Architektur seit der Wende zum 20. Jahrhundert zusammengefasst, die die Harmonie von Gebäude und Landschaft, eine den Baumaterialien gemäße, „organisch“ aus der Funktion heraus entwickelte Form sowie eine biologische, psychologische und soziale Zweckmäßigkeit der Architektur anstreben. In neuerer Zeit trat noch das Konzept des ökologischen Bauens und der organischen Farbigkeit hinzu, das sich mit Konzepten der organischen Architektur zum Teil deckt.
Stilistisch ist die organische Architektur heterogen und keiner bestimmten Ästhetik verpflichtet – der Grundgedanke, nicht Funktion, Materialien und Zweck einem Form- oder Stilwillen zu unterwerfen, sondern die Form aus diesen Bedingungen „erwachsen“ zu lassen, brachte ganz unterschiedliche Ergebnisse hervor – er ermöglicht sowohl der klassischen Moderne entsprechende, strenge Formen, als auch plastische und biomorphe, die häufiger vertreten sind.
Es gibt keine vorgegebenen äußeren Stilmittel. Mittel sind die architektonischen und künstlerischen Gesetze selbst, d. h. Proportionen, plastische Formenvielfalt, Raumgebärden, Farben, Materialcharaktere usw. Diese Regeln wurden von den Vertretern einer organischen Architektursprache sehr unterschiedlich gewichtet bzw. definiert. Vor allem der Ansatz der gesamtheitlichen Sichtweise hat, im Gegensatz zu seinem eigenen Anspruch, zu differenzierten Ergebnissen geführt, indem Architekten wie Gaudi, Frank Lloyd Wright oder Hugo Häring sich gegenüberstehen.
Inhaltsverzeichnis
Organbegriff
Im Griechischen bedeutet Organ (Organon) soviel wie Instrument oder Werkzeug. Der Beginn einer Begrenzung des Begriffs auf das, was heute damit allgemein beschrieben wird (funktional und physiologisch abgrenzbarer, aber integraler Teil eines (lebendigen) Wesens/Körpers), lässt sich bei Aristoteles finden. Organon bezeichnet Teile/Körperteile lebender Wesen. Gleichzeitig behauptet Aristoteles eine Zweckbezogenheit von Organen: "Die Natur schuf die Organe zur Verrichtung und nicht die Verrichtung für die Organe". Dabei sind die Organe die Teile eines übergeordneten Ganzen (Organismus, Körper), dieses wiederum Organ der Seele als der Ursache für die lebendige Existenz des Körpers. Darauf folgend wird der Organbegriff in der antiken Medizin übernommen und innerhalb medizinisch-physiologischer Ursache-Wirkungs-Betrachtungen die Funktionsorientiertheit der Organe formuliert. Nach undeutlicher Abgrenzung des Begriffs im Mittelalter tritt die in der Antike gebildete Bedeutung z. B. bei Thomas von Aquin wieder hervor, indem das lateinische Instrumentum ausdrücklich für Teile/Hilfsmittel/Werkzeuge außerhalb des (menschlichen) Körpers benutzt wird, Organum jedoch für mit dem Körper (und damit der Seele) verbundene Werkzeuge (z. B. die Hand). Die Zweckbezogenheit von Organen wird bei Thomas von Aquin im Rahmen theologischer Untersuchungen zur Auferstehung in dem Sinne erweitert, dass die Organe auch bei nicht (mehr) vorhandener Funktion (im Zustande des Auferstandenseins) da seien als notwendige Elemente einer körperlichen (gestaltmäßigen) Vollkommenheit.
Philosophische Begriffsbildung
Mit dem 18. Jahrhundert wird der Organbegriff häufiger Definitionsgegenstand. Philosophen sowohl als auch Naturgelehrte befassen sich mit ihm. Kant beschäftigt sich (Ende des 18. Jahrhunderts) mit den Organismen, „organisierten Wesen“ als Naturzwecken: „In einem solchen Produkte der Natur wird ein jeder Teil (...) als um der anderen willen und des Ganzen willen existieren, d.i. als Werkzeug (Organ) gedacht(...) als ein die anderen Teile hervorbringendes Organ, dergleichen kein Werkzeug der Kunst, sondern nur der (...) Natur sein kann: und nur dann und darum wird einsolches Produkt, als organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen, ein Naturzweck genannt werden können“. Indem so also die Organe unter das Ganze, den Organismus als Naturzweck untergeordnet erscheinen, sind sie an Zwecken ausgerichtet. Bei Schelling geht die Überlegung hin zur Form, indem er behauptet, „der Lebensprozess (sei) selbst Ursache der Mischung sowohl als der Form der Organe“" sowie, dass "in der Organisation die Figur jedes Teils von seiner Eigenschaft abhängt“.
Im 19. Jahrhundert löst sich, nachdem Organ in den Alltagswortschatz übergegangen ist, das Adjektiv organisch aus dem engeren Definitionsrahmen des Substantives. „Organisch“ erhält eine Gummibedeutung, indem es auf lebendiges, natürliches und dessen Erscheinungsformen im allgemeinen verweist, z. B. im Sinne der organischen Chemie (Justus Liebig u. a.). Im Verlauf der Entstehung einer modernen Naturwissenschaft vom 19. zum 20. Jahrhundert wird Organ als biologisch-medizinischer Terminus in der heute üblichen Bedeutung verfestigt (vgl. Organtransplantation).
Ursprünge des Begriffs der Organischen Architektur
Nach Joseph Rykwert ist bei dem Italienischen Mönch und Architekten Carlo Lodoli um 1750 zum ersten Mal von Organischer Architektur die Rede (überliefert vom Lodoli-Schüler Andrea Memmo in "Elementi d´Architettura Lodoliana" um 1786). Konkretisiert werden Lodolis Vorstellungen in Möbeln, die sich durch konkave Formung der Kontur des menschlichen Körpers äußerlich anpassen. Das theoretische Grundgerüst wird Mitte des 19. Jahrhunderts vom amerikanischen Bildhauer Horatio Greenough formuliert: "Meine Theorie vom Bauen lautet wie folgt: Eine wissenschaftliche Anordnung der Räume und Formen in Anpassung an die Funktion und den Ort; Betonung der Elemente proportional zu ihrer Bedeutung in bezug auf die Funktion; Farbe (organische Farbigkeit) und Ornament müssen, nach streng organischen Gesetzen bestimmt, angewandt und variiert werden, wobei jede Entscheidung genau zu rechtfertigen ist."
In Kenntnis von Greenough hat Louis H. Sullivan seine These formuliert: „Es ist das Gesetz aller organischen und anorganischen, aller physischen und metaphysischen, aller menschlichen und übermenschlichen Dinge, aller echten Manifestationen des Kopfes, des Herzens und der Seele, dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, dass die Form immer der Funktion folgt.“ Die pointierte Kurzfassung Form Follows Function ist bis heute ein elementarer Bestandteil der funktionalistischen Architekturtheorie.
Entwicklung seit dem 20. Jahrhundert
Unterschiedliche praktische Ansätze und theoretische Äußerungen zur organischen Architektur entstanden Anfang des 20. Jahrhundert mit der Befreiung von historisierenden Architekturstilen und -formen, u. a. Klassizismus, und verschiedenen weiteren, mit der Vorsilbe Neo- eingeordneten, allgemein auch als Eklektizismus charakterisierten Stilmerkmalen. Auf der Suche nach neuen Formen tendierten die Architekturphilosophien letztendlich zu zwei Strömungen: einer mehr rational-geometrischen und einer mehr künstlerisch-skulpturalen. Rückblickend kann man zwei Gestaltergenerationen sehen, die sich innerhalb dieser Richtungen bewegen.
Der Begriff „organisch“ wird dabei von einigen Architekten benutzt, um das Prinzip "des sich organisch aus einer Sache heraus entwickelnden" auszudrücken, im Gegensatz zum mechanisch-additiven. Der Begriff, der innerhalb der Philosophie im Umfeld von Gedanken zur Ganzheitlichkeit gefunden werden kann, steht damit, gelegentlich auch unter religiös geprägten Aspekten, im Gegensatz zu stark materialistisch bzw. analytisch-naturwissenschaftlich geprägten Sichtweisen. Damit ist die praktische formale Ausprägung innerhalb der Architektur diversiv und integriert unter dem Begriff organisch Tendenzen, die parallel zu (aufbauend auf) Jugendstil (Antoni Gaudí) und Expressionismus (Erich Mendelsohn) verlaufen, aber auch zu landschaftlich bezogenen Beispielen führen, so z.B. bei Hans Scharoun oder im Haus Fallingwater von Frank Lloyd Wright. In der Benutzung des Organbegriffs ergeben sich zugleich überraschende Überlagerungen mit dem eher rational geprägten Funktionalismus. Indem das werkzeughafte des Organischen u. a. bei Hugo Häring eine wichtige Rolle einnimmt, wird die gedankliche Parallele zur funktionalistischen Moderne sichtbar. In beiden Stilrichtungen ist die Zweckerfüllung ein vordergründiges Ziel der formalen Ausbildung. Die Unterscheidung ergibt sich dann z. T. erst wieder aus den sehr verschiedenen Interpretationen der „Zwecke“, die Gebäude bzw. Architekturen zu erfüllen hätten. Als Gegensatz benennen lassen sich in diesem Sinne einerseits die Funktionalität bei Mies van der Rohe mit der reinen Raum-Schaffung für einen spezifischen, (vordergründig-verbal) nicht weiter definierten Flächenbedarf, und andererseits Raumskulpturen Rudolf Steiners, für die Aspekte der Seelen-Gesundheit oder, alltäglicher ausgedrückt, jeweils vom Entwerfer angenommene psychologische Wirkungen die Motive zur Formfindung sind.
Architekten
Zu den frühesten Vertretern der organischen Architektur werden Antoni Gaudí und Louis Sullivan, der Schöpfer der These form follows function (s.o.), gezählt. Gaudí nannte als sein Vorbild: „Ein aufrechter Baum; er trägt seine Äste und diese die Zweige und diese die Blätter. Und jeder einzelne Teil wächst harmonisch, großartig, seit der Künstler Gott ihn geschaffen hat.“
Weitere wichtige Vertreter der organischen Architektur sind Frank Lloyd Wright, Eero Saarinen, Hugo Häring, Hans Scharoun, Chen Kuen Lee, Alvar Aalto und der Entwickler leichter Tragwerke Frei Otto. Erwähnenswert sind auch die Vertreter der ungarischen organischen Architektur, etwa der anthroposophisch orientierte Imre Makovecz und die so genannte Pécser Gruppe um György Csete. Die Bauten des Malers Friedensreich Hundertwasser werden in Architekturkreisen nicht als Werke der organischen Architektur angesehen, da vorwiegend konventionelle Bauwerke bzw. Grundrisse mit dekorativer Verzierung angereichert werden.
Literatur
Monographien
- Louis H. Sullivan: The Autobiography of an Idea. Verlag, New York 1956, ISBN 048620281X.
- Hugo Häring, u. a.: Schriften, Entwürfe, Bauten. Verlag, Stuttgart 1965, ASIN B0000BIYH3.
- Hans-Jürgen Schleicher: Architektur als Welterfahrung. Verlag, Frankfurt/M. 1987, ISBN 3596255635.
- Hans Scharoun: Bauten, Entwürfe, Texte. Berlin 1993, ISBN 3883319716.
- Jeffrey Cook: Seeking Structure from Nature: Organic Architecture in Hungary. Basel etc. 1996, ISBN ... .
- Frank Ll. Wright: u. a. Schriften und Bauten. Berlin 1997, ISBN 3786118388.
- Terje N. Dahle: Plastisch-organische Architektur. Stuttgart 1998, ISBN 3816707262.
- Dörte Kuhlmann: Metamorphosen des Organizismus. Zur Formensprache der Lebendigen Architektur von Imre Makovecz. Dissertation, Bauhaus-Universität Weimar 1999 (als elektronisches Dokument hier lesbar:[1]).
- Pieter van der Ree: Organische Architektur. Stuttgart 2001, ISBN 3772518974.
- Anthony Tischhauser: Bewegte Form. Der Architekt Imre Makovec. Stuttgart 2001, ISBN 3825173496.
- Antoni Gaudi, Maria A. Crippa: Von der Natur zur Baukunst. Köln 2003, ISBN 3822824429.
Periodika
- Mensch+Architektur (Zeitschrift zu organischer Architektur). Berlin, seit 1990, ISSN 1616-4024.
Siehe auch
Weblinks
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