Orgel der Pfarrkirche St. Marien (Göttingen)

Orgel der Pfarrkirche St. Marien (Göttingen)

Die Orgel der Pfarrkirche St. Marien (Göttingen) ist eine in den Jahren 1925/1926 in der ev.-luth. Pfarrkirche St. Marien zu Göttingen neu gebaute Orgel, bei der 1928 eine Erweiterung, 1950 eine Änderung der Disposition, 1970/71 eine Generalüberholung/Neuintonation und 2003 eine Generalrenovierung erfolgte.

Inhaltsverzeichnis

Hauptorgel

Baugeschichte

Erste Erwähnung findet in der Geschichte der Pfarrkirche St. Marien zu Göttingen eine Orgel, die 1573 fertiggestellt wurde. 1864 bis 1865 erfolgte im Zuge der Restaurierung der Kirche ein Neubau der Orgel (II+P/18) durch Carl Giesecke, Göttingen, der einige Pfeifen und Windladen aus den Vorgängerorgeln übernahm. Der neugotischer Prospekt für das Orgelwerk wurde von dem hannoverschen Architekten Conrad Wilhelm Hase entworfen.

Neubau 1925/26 durch P. Furtwängler & Hammer

Da das von Carl Giesecke erbaute Instrument im Lauf der Jahre immer unzuverlässiger wurde, wurde von 1925 bis 1926 von der hannoverschen Orgelbauwerkstatt P. Furtwängler & Hammer ein Neubau als Opus 982 nach den Plänen und unter der Leitung von Christhard Mahrenholz errichtet. Dabei wurden große Teile des Pfeifenbestandes in das neue Werk übernommen, ebenso zunächst der neogotische Prospekt als nun stummer Prospekt. Das Rückpositiv wurde neu hinzugefügt. Die Orgeleinweihung fand am 17. Januar 1928 statt.

Bei der Planung der Klanggestaltung nahm Mahrenholz Dom Bedos, Andreas Werckmeister und die Familie Compenius zum Vorbild. Er disponierte jedes Teilwerk gleichberechtigt, mit voll ausgebauten Klangpyramiden mit etwa gleicher Lautstärke. Die Mensuren der Register, insbesondere der Aliquoten und Mixturen, sind eher weiter, der Winddruck eher niedrig. Register, die aus damaliger Sichtweise nicht mehr "orgelgemäß" waren, wie Vox celeste oder Unda maris, wurden nicht mehr verbaut. Ebenso wurden Streicherstimmen nur noch in geringen Umfang verwendet (Salicional, Gambe). Ungewöhnlich für die damalige Zeit wurden viele Zugenregister disponiert. Bezüglich des Ladensystems ließ Mahrenholz der ausführenden Orgelbauwerkstatt insofern freie Hand, als dass sie das Ladensystem verwenden solle, das sie am besten bei der Ausführung beherrsche. Daher erhielt die Orgel Taschenladen mit einer rein pneumatischen Spiel- und Registertraktur mit einer umfangreichen Anzahl von Spielhilfen und Koppeln. Die Zungenstimmen wurden von der Firma Carl Giesecke & Sohn, Göttingen geliefert.

Im Spannungsfeld zwischen spätromantischen Bauprinzipien und Rückbesinnung auf die Prinzipien des norddeutschen Orgelbaus zur Barockzeit entstand so ein Orgelwerk, das sich wieder am Werkaufbau, Mensuration und Intonation des Orgelbaus der Barockzeit orientierte, ohne jedoch eine Stilkopie einer barocken Orgel zu sein. Mit der Fertigstellung des Orgelwerkes 1926 wurde ein wichtiger Impuls für die Wiederaufnahme der elsässischen Orgelreform nach dem 1. Weltkrieg gegeben. Bedeutende Organisten der damaligen Zeit, wie Günther Ramin, Fritz Heitmann oder Albert Schweitzer konzertierten an dem neuen Werk. Die Orgel wurde Ausgangspunkt der Göttinger Orgelbewegung.[1]

Erweiterung 1928 durch P. Furtwängler & Hammer

Vorbau des heute vorhandenen, klingenden Prospektes, bis dahin auch kleine Änderungen in der Disposition

Änderung der Disposition 1950 durch Paul Ott

In der Vorbereitung des in Göttingen im selben Jahr stattfindenden Bachfestes ändert Paul Ott in Zusammenarbeit mit Mahrenholz teilweise den Pfeifenbestand sowie die Intonation und überholt den gesamten technischen Apparat.

Änderungen Pfeifenwerk und Disposition

Mixturen aller Werke erhalten höhere Chöre
(HW) Quintade 16′, umintoniert aus Großgedackt 16′
(HW) Neu: Quinte 22/3′ statt Gambe 16′
(RP) Neu: Quinte 12/3′ statt Salicional 8′
(RP) Neu: Scharff IV–VI, ersetzt III
(OW) Salicional 8′ (aus RP) statt Fernflöte 8′
(P) Mixtur VI statt Rauschpfeife IV
(P) Neu: Trompete 8′ statt Cello 8′

Weitere Register erhielten durch die Umintonation und Änderung des Mensurverlaufes mehr Klangschärfe. Der Winddruck wird auf ca. 65mm WS gesenkt.

Generalüberholung / Neuintonation 1970 / 71 durch Fa. Emil Hammer, Orgelbau

Da die Röhrenpneumatik immer unzuverlässiger wird (u.a. ist das Rückpositiv ist nicht seit 1966 mehr spielbar), wird im Vorfeld der Generalüberholung der Umbau der Orgel auf Schleifladen geprüft. Dieser Gedanke wird aber sowohl von Mahrenholz als auch von der ausführenden Orgelbaufirma Emil Hammer Orgelbau abgelehnt. Anstatt dessen wird die röhrenpneumatische Traktur gegen eine elektro-pneumatische Traktur, die Koppeln des Spieltisches gegen elektrische Koppeln ausgetauscht. Der Spieltisch kann so in seiner äußeren Form erhalten bleiben. Ebenfalls findet eine Neuintonation des kompletten Pfeifenwerks bei wieder auf 78mm WS erhöhtem Winddruck statt, mit dem Ziel der Erhaltung bzw. Wiederherstellung des originalen Klangbildes von 1926. Das Ergebnis der Neuintonation kann jedoch nicht durchgehend überzeugen. Mit der Rückführung der Zungenstimmen auf das originale Klangbild durch Instandsetzung und Neuintonation wird deren Hersteller beauftragt.

Generalrenovierung 2003 durch Orgelbaufirma Gebr. Hillebrand, Altwarmbüchen

Das Ziel der Arbeit der Gebr. Hillebrand ist es, das bedeutende Instrument zu erhalten und mit geringen Änderungen den klanglichen Zustand von 1925/28 wieder herzustellen.

Änderungen Pfeifenwerk und Disposition

(HW) Wegfall: Quinte 22/3′, da nicht dem ursprünglichen Zustand zugehörig
(HW) Rekonstruktion Gambe 8′
(RP) Wegfall: Quinte 12/3′, da nicht dem ursprünglichen Zustand zugehörig
(OW) Rekonstruktion Fernflöte 8′
(P) Rekonstruktion Rauschpfeife IV aus Rauschpfeife VI
(P) Rekonstruktion Cello 8′ statt Sifflöte 2′

Der Zustand der Pfeifen wird durch Erhöhung der inzwischen erniedrigten Aufschnitthöhen und Öffnung der stark zugekulpten Fußlöcher wieder auf den Originalzustand zurückgeführt. Der Winddruck wird wieder auf 70mm WS gesenkt. Windladen, Spieltisch und Trakturen werden instand gesetzt. Der Spieltisch wird überarbeitet, die Elemente neu angeordnet und eine 30fache Setzeranlage neu eingebaut.

Disposition seit 2003

I Rückpositiv C–g3
Bordun 8′
Quintade 8′
Salicional 8’
Oktave 4′ [Anm. 1] Blockflöte 4′
Schweizerpfeife 2′
Rohrflöte 2′
Scharf IV [Anm. 2]
Sesquialtera II
Rankett 16′
Krummhorn 8′
Tremulant
II Hauptwerk C–g3
Grossgedackt 16′
Prinzipal 8′
Viola di Gamba 8′
Holzflöte 8′
Oktave 4′
Gemshorn 4′
Oktave 2′
Mixtur IV [Anm. 3]
Kornett V
Trompete 8′
III Oberwerk C–g3
Geigend Prinzipal 8′
Lieblich Gedackt 8′
Fernflöte 8′
Oktave 4′ [Anm. 4]
Rohrflöte 4′
Waldflöte 2′
Nasat 2 2/3
Nachthorn 1′
Zimbel III
Dulzian 16′
Oboe 8′
Regal 4′
Tremulant
Pedal C–f1
Prinzipal 16′
Subbass 16′
Quinte 102/3
Oktave 8′
Gedackt 8′
Cello 8′
Oktave 4′
Rauschpfeife IV
Bärpfeife 32′
Posaune 16′
Dulzian (aus OW) 16′
Trompete 8′
Oboe (aus OW) 8′
Regal (aus OW) 4′
Schalmei 2′
Anmerkungen
  1. Originaldisposition 1926: Prinzipal 4′
  2. Originaldisposition 1926: Scharf III
  3. Originaldisposition 1926: Mixtur V
  4. Originaldisposition 1926: Prinzipal 4′

Technische Daten

  • Anzahl der Register 48 (45): Rückpositiv 11, Hauptwerk 10, Oberwerk 12, Pedal 15 (davon 3 Transmissionen)
  • Ladensystem: Taschenlade
  • Art der Spiel- und Registertraktur: Ursprünglich pneumatisch, seit 1971 elektro-pneumatisch
  • Stimmung: Gleichstufige Temperatur


Literatur

  • Karl Heinz Bielefeld: Orgeln und Orgelbauer in Göttingen. Pape Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3921140758.
  • Christhard Mahrenholz: Die neue Orgel in der St. Marienkirche zu Göttingen. Eine Sammlung von Aufsätzen unter Mitwirkung von Wilhelm Furtwängler und Fritz Lehmann herausgegeben durch Christhard Mahrenholz. 2. verbesserte Auflage, Bärenreiter-Verlag, Kassel 1931
  • Eberhard Jäger: Auf den Spuren von Christhard Mahrenholz. in: Reichling, Alfred (Hrsg.): Aspekte der Orgelbewegung. Merserburger, Kassel 1995, ISBN 978-3875372618

Aufnahmen/Tonträger

  • Späte Romantik – Frühe Moderne. 2005, Ambiente Audio ACD-1017 (Roman Summereder spielt Werke von Reger, Schmidt, Jarnach, David, Reda).

Siehe auch

Einzelnachweise

Die Informationen dieses Artikels entstammen zum größten Teil aus Bielefeld, Karl Heinz (2007), darüber hinaus werden folgende Quellen zitiert:

  1. [1] zugegriffen am 28. März 2009

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